Mit kurzgeschnittenem Haar und in Männerkleidern waren die Schwestern im Australien der 1920er Jahre als Erntehelferinnen unterwegs. Davon erzählt Eve Langleys 1942 publizierter Roman „Pea Pickers“. Das kühn auf vielerlei literarischen Registern spielende Buch erscheint nun erstmals auf Deutsch: „Ich bin dir unbekannt, du bist mir unbekannt, und zwischen diesen beiden Punkten liegt die Literatur.“ Das ist nicht nur eine knackige Definition des Verhältnisses zwischen Autor und Leser; zumindest der Anfang des Satzes trifft auch auf die derzeitige Situation seiner Verfasserin im deutschen Sprachraum zu.
Eve Langley? Nie gehört. Dann ist es an der Zeit – Der Osburg Verlag und die Übersetzerin Ilka Schlüchtermann verschaffen nun erstmals Einblick ins Werk der 1974 verstorbenen australischen Schriftstellerin, die abseits begangener Pfade – und doch verblüffend nah am Nerv der heutigen Zeit unterwegs war.
„Ich bin dir unbekannt …“: Nicht umsonst zitiert Helen Vines in ihrer 2021 erschienenen Langley-Biografie jenen Satz schon auf der zweiten Seite der Einführung. Er steht dort als eine Art Warnsignal, denn das Œuvre der Autorin, das beharrlich – und bis hin zur Wiedergabe von Tagebucheinträgen – ums eigene Leben kreist, verführt förmlich zu einer Rezeption, welche die Grenze zwischen Leben und Literatur verwischt. Vines selbst versucht dieser Falle zu entgehen, indem sie einerseits auf nicht werkimmanente Quellen, etwa Langleys Korrespondenz mit ihren Verlagslektorinnen, zurückgreift.
Andererseits macht sie immer wieder deutlich, auf welch unsicherem Grund sich die Biographik hier bewegt. Die Originale der Tagebücher etwa sind nicht mehr auffindbar, so dass sich die in die Romane gefügten Zitate nicht überprüfen lassen; generell wurden Dokumente im Familienarchiv der Langleys öfters von den Angehörigen selbst liquidiert, manipuliert oder – buchstäblich, mit der Schere – beschnitten. Die Krankenakte eines mehrjährigen Aufenthalts der Schriftstellerin im Auckland Mental Hospital ist nach wie vor unter Verschluss.Dennoch: Hierzulande, wo Eve Langley – anders als in ihrer Heimat – tatsächlich eine Unbekannte ist, liegt es nahe, den Blick zunächst auf ihre Person zu richten und die Schriftstellerin vor den Vorhang zu bitten, den sie mit ihrer prägnanten Formulierung gezogen hat. Bloß, wie wird sie sich vorstellen? Mit ihrem Taufnamen Ethel Jane, als Eve, Steve, Dolly, Darcy – oder Oscar Wilde? All diese Namen hat sie im Lauf ihres Lebens getragen, den letztgenannten sogar offiziell angenommen; in der Rezeption durchgesetzt hat sich der Vorname Eve.
Geboren wurde Eve Langley am 1. September 1904. Über ihren Vater, einen Wanderarbeiter, ist praktisch nichts bekannt, die Mutter Mia kam aus etwas besseren Verhältnissen: Ihr Vater hatte sich in der im Südosten Australiens gelegenen Region Gippsland zum Hotelbesitzer hochgearbeitet. Dieses Prestige aber gab Mia mit ihrer nicht standesgemäßen Heirat preis. Eve und ihre ein Jahr jüngere Schwester June wuchsen in sehr beschränkten Verhältnissen und vornehmlich unter der Obhut der Mutter auf; der Vater, zuvor schon der Familie entfremdet, starb 1915 in einem Hospiz für unbemittelte Männer in Sidney.
Ihre erste Krankheit, schreibt Eve Langley, sei jene gewesen, „die die Kinder der Armen zuerst trifft … eine miserable Schulbildung“. Verschärft wurde das Handicap, als die Mutter 1917 von Gippsland nach Melbourne umzog, zunächst in ein Arbeiterviertel, dann in den Vorort Dandenong. Während June sich mit den miserablen schulischen Verhältnissen dort einigermaßen arrangieren konnte, nahm Eve kaum mehr am Unterricht teil. Doch sie las begierig und begann selbst Gedichte zu schreiben. June wiederum führte den Zeichenstift ebenso gewandt wie den Geigenbogen.
Zeitsprung. Am 18. Juni 1926 meldet eine Lokalzeitung im australischen Bundesstaat New South Wales unter dem Titel „Boy Girls: Looking for Farm Work“ die Ankunft von „Darcy und June Langley“. Kein Wunder, dass die beiden dem Blatt eine Notiz wert sind: Sie tragen Männerkleidung, behaupten, dass sie einen Fußmarsch von rund 100 Meilen hinter sich hätten, und wollen Arbeit in den Weinbergen der Region finden. „Als man ihnen vorschlug, sich als Haushaltshilfen zu bewerben, meinten sie: ‚Gott bewahre! Farm oder Weinberg, etwas anderes kommt nicht in Frage.'“ Aus den Erfahrungen, welche die Schwestern damals als androgyne Wanderarbeiterinnen sammelten, wird Jahre später der Roman „The Pea Pickers“ entstehen, der Eve Langley dann eine – tragisch kurze – Zeit im Rampenlicht der australischen Literatur beschert.
Im Herbst 1929 löst sich die zugleich symbiotische und spannungsgeladene Schwesternbeziehung, als June unvermittelt und nach erst kurzer Bekanntschaft einen wesentlich älteren Mann heiratet. Das Paar zieht nach Neuseeland, bald schon holt June die Mutter nach; Eve dagegen stattet erst Anfang 1932 ihren ersten Besuch ab, lässt sich dann aber für längere Zeit ebenfalls in Neuseeland nieder. Dort lernt sie im Januar 1936 den Maler Hilary Clark kennen. „Zu meinem unendlichen Bedauern fand ich ihn faszinierend“, kommentiert sie die erste Begegnung – und umwirbt fortan beharrlich den zehn Jahre jüngeren Künstler, der ihr immer wieder die kalte Schulter zeigt. Anfang 1937 heiratet das weitgehend mittellose Paar, im Juli wird ein Töchterchen geboren und schon im folgenden Jahr ist Eve erneut schwanger.
Die Angst vor dem Kind, das in ihr heranwächst, projiziert sie in einem unsäglich beklemmenden Bild auf den Bambusschössling vor ihrem Fenster, „der mir so hungrig entgegenwächst und der, während er sich auf seinem schweren Rückgrat vorwärts wiegt, die scharfen, leichten Beine beiderseits flottierend, zu sich sagt, Sie ist aus Lehm gemacht, doch aus einem üppigeren Lehm, der mich ätherische Spitzen treiben lassen wird. Das gewölbte Rückgrat und die Beine dieser tierischen Pflanze sind ein entsetzlicher Anblick (…) Ich möchte diesen Bambus in Zellen zerhacken, in Atome, in Dinge, die niemals wieder zusammenkommen.“ Tatsächlich erkrankt Eve nach der Geburt schwer – und bringt 1941 dennoch ein drittes, eigentlich ungewolltes Kind zur Welt. Ihr Mann, dessen künstlerische Ambitionen sich auch noch auf Klavier und Geige erstrecken, überlässt weitgehend ihr die Sorge für die Kinder und verdient mit einem bescheidenen Lehrauftrag an der Kunstschule zu wenig, um die Familie durchzubringen. Erst 1939 wird er neben dem abendlichen Unterricht auch noch harte Brotarbeit in einem Steinbruch schultern.
Schon ein Jahr zuvor hat sich Eve – die seit ihrer Ankunft in Neuseeland mit verstreut publizierten Gedichten und Erzählungen an die Öffentlichkeit getreten war – an einen Roman gesetzt. Nicht, oder nicht allein, aus Lust an der Sache, sondern um des materiellen Überlebens willen: Sie aspiriert auf den mit 300 Dollar dotierten S. H. Prior Memorial Prize, damals einer der bedeutenden Literaturpreise in ihrer australischen Heimat. 1940 reicht sie das Manuskript von „The Pea Pickers“ ein, und der Erstling schafft es – aber nicht allein: Ex aequo mit zwei weiteren Werken prämiert, bringt der Roman lediglich hundert Dollar in die Familienkasse. Auf die Publikation des Buches muss Langley nochmals anderthalb Jahre warten, doch bei bei seinem Erscheinen im April 1942 nehmen Kritik und Leserschaft es begeistert auf. Kein Wunder, denn hier verschränken sich ein kühner, extravaganter Lebensentwurf mit geerdeter australischer Realität, pikaresker Witz mit romantisch übersteigertem Gefühl, lässiger Zungenschlag mit hinreißender, lyrischer Schilderungskunst.
Die Übersetzerin Ilka Schlüchtermann weiß mit den
wechselnden Tonlagen bestens Schritt zu halten
Allenfalls mag da und dort eine Formulierung irritieren, die den Wortsinn der Stelle nicht ganz trifft. Die zahlreich eingestreuten Gedichte – von Langleys Hand wie auch von anderen Autoren – sind in der deutschen Ausgabe praktisch durchwegs im Original zu lesen, Übertragungen werden im Apparat nachgereicht. Im Blick auf Langleys Dichtungen ist das ein kluger Entscheid: Sie sind in gereimter Form verfasst, die einzuhalten schnell einmal auf Kosten der Worttreue und Flüssigkeit gegangen wäre. Etwas erratisch wirkt dagegen der Umgang mit den übrigen Zitaten; für diese findet sich im Apparat nur teilweise eine Übersetzung, während man sich bei anderen mit der Quellenangabe begnügen muss.
Zu Beginn der „Pea Pickers“ markiert Langley mit bemerkenswerter Kühnheit
ihr Selbst- und Rollenverständnis:
„Ich wusste, dass ich eine Frau war, doch ich glaubte, ich hätte ein Mann sein sollen.
Ich wusste, dass ich witzig war, meinte aber, dass ich ebenso ernst und schön war. Es war tragisch, lediglich eine witzige Frau zu sein, wenn ich mich doch vor allem danach sehnte, ein ernster und schöner Mann zu sein.
Der dritte Punkt meines Bewusstseins war der Wunsch nach Freiheit, das heißt, niemals zu arbeiten.
Der vierte Punkt war das Verlangen, ja die Besessenheit danach, geliebt zu werden. Ich litt darunter, so wie andere unter einer chronischen gesundheitlichen Schwäche leiden. Dieses Verlangen verfolgte mich im Schlaf und belastete meine wachen Stunden.“
Eine Erzählerin, die sich so positioniert, darf mit Publikumsinteresse rechnen
Erst recht darf dies ein Schwesternpaar, das seinen Freiheitsdurst und das Spiel mit Geschlechterrollen realiter ins raue Umfeld der Landarbeit trägt. Überraschend ist dabei die Flexibilität, mit der die jungen Frauen ihre duale Identität ausleben. Sie können ungehalten werden, wenn die männliche Camouflage gegen ihren Wunsch durchschaut wird, betrachten auch mit Stolz ihre gestählten Körper: „Beim Ausziehen blickten wir in den großen, fleckigen Spiegel und sahen zwei wild aussehende, kräftige, junge Kerle mit breiter Brust, mit schwarz-goldenem Haar und arglistigen Augen in strahlenden Gesichtern.“
Vielleicht verdankt sich gerade diesem Habitus die Unbefangenheit, mit der sie sich auf Männerbeziehungen einlassen und dabei unterschiedlichste Register ziehen. Eves literarisches Alter Ego entbrennt in einer Leidenschaft, die keusch bleibt, aber keine Vermessenheit, kein Pathos scheut: „Eine australische Sappho hatte ihn (d.h. ihren Geliebten) gesehen und in ihm das blaue Meer, den schrecklichen, sterbenden Tag, das unendliche Glühen und das Rauschen vieler Wasser (…) In jenem Augenblick begann eine der größten Liebesgeschichten von Gippsland, eine Geschichte von Hingabe, von Treue und voller Poesie, die ihresgleichen sucht.“ Die jüngere Schwester wiederum treibt – sekundiert von der älteren – ein ziemlich boshaftes Spiel mit dem treuherzigen Burschen, der sich hoffnungslos in sie vergafft hat: Er wird zu einer Art Hausdiener degradiert und sowohl hinter seinem Rücken als auch ins Gesicht hinein verspottet. Noch schwerer erträglich ist aus heutiger Sicht der nationalistisch-rassistische Dünkel, der in Begegnungen mit Immigranten aufscheint. Die Freundschaft mit den lebensfrohen italienischen Landarbeitern betrachtet die Erzählerin zunächst als Abstieg „auf der Leiter unseres Menschengeschlechts“ (im Original heißt es deutlicher: „our race“); einem afghanischen Verehrer speit sie ihre Verachtung – „Pah! Ein schwarzer Mann!“ – ins Gesicht, Mischehen klassiert sie als „Schändung durch ein anderes Volk“.
Die Handlung der „Pea Pickers“
orientiert sich am Rhythmus der Ernte- und Brachzeiten
Der erste Einsatz führt Steve und Blue – so nennen sich Eve und June im Roman – zur Apfelernte nach Gippsland, anschließend fahren sie nach New South Wales, in der Hoffnung, dort beim Weinbau oder auf den Maisfeldern Arbeit zu finden. Diese Episode hat mit der früher zitierten Zeitungsnotiz ein dokumentarisches Pendant, wobei die Schwestern im Roman mit dem Zug anreisen und nicht, wie sie gegenüber dem Reporter behaupteten, auf Schusters Rappen.
Ihr eigentlicher Herzensort bleibt jedoch Gippsland, dem sie durch die Herkunft der Mutter und die eigene Kindheitszeit verbunden sind. In der Ortschaft Metung, nahe der Gippsland Lakes, verbringen sie die nächste Erntesaison, und dort verliebt sich Steve mit aller Herzensmacht in den rothaarigen Macca, dessen stillere Empfindsamkeit diesem Gefühlssturm auf die Dauer nicht gewachsen ist. Am Ende der Saison besiegelt er die Trennung, und von da an neigt sich der Handlungsbogen. Einmal mehr müssen die Schwestern weiterziehen, nun zur Hopfenernte in den Australischen Alpen, wo sie trotz fehlender Arbeitsmöglichkeiten auch den Winter verbringen.
Eine hungrige Zeit bricht an, die beiden holen sich, was noch in den Obstgärten hängt, unternehmen Diebstouren in den Unterkünften der fest angestellten Farmarbeiter. Einen heiteren Kontrapunkt setzen gelegentliche Schelmenstreiche – wenn etwa die Mädchen das Picknick, das ein naiver Verehrer für eine gemeinsame Bergwanderung mitgebracht hat, vor dem Aufbruch schon zünftig plündern und Steve dann, als man sich auf dem Gipfel zum Essen setzt, dem entgeisterten Spender den Nahrungsschwund mit pseudowissenschaftlichem Schwurbel erklärt: „Im Moment sind wir ein paar hundert Meter über dem Meeresspiegel, und der erhöhte Druck, also die Kompression, führt zu allem möglichen, wie z. B. Nasenbluten, Bewusstlosigkeit durch die Verengung der Arterien im Gehirn, und eine Verringerung der bilateralen Zellen in Brot. Hast du denn davon noch nie etwas gehört?“
Derweil aber erodiert der gemeinsame Grund, der das Schwesternpaar trägt. Die Bitterkeit, die der Liebesschmerz und die finale Zurückweisung durch Macca in Steve hervortreiben, mischt sich toxisch mit der Eifersucht auf die ungleich attraktivere Blue; dass dieses letztere Gefühl, das im Roman unterschwellig stets präsent ist, in der Realität gründete, weisen Fotos der Langley-Mädchen aus. Die Entfremdung ist umso tragischer, als Blue der Schwester nach wie vor leidenschaftlich zugetan ist. Bis zum Schluss fleht sie, an ihrer Seite bleiben zu dürfen – umsonst. Ein bitterer, ein mörderischer Triumph für Steve: „Blue verließ Metung an einem glühendheißen Morgen. (…) Über uns segelte ein Habicht, sein Pfeifen war eine aufsteigende Tonleiter. In weiter Entfernung schrien die schwarzen Krähen: ‚Ach … ach …! Totes Pferd … totes Pferd!‘ Aus den zotteligen Stämmen der Eukalyptusbäume tropfte der rote Saft so dunkel wie Ochsenblut. Große hohle Baumstämme lagen weit verstreut, schwer wie Tote, ihre Äste wie Arme ausgebreitet.“
Die erste Auflage dieses vor Energie und Eigensinn sprühenden Debütromans
ist bereits Anfang 1943 ausverkauft
Doch als der Verlag die Schriftstellerin wegen einer Neuauflage kontaktieren will, ist Eve Langley nicht aufzufinden. Im August 1942, wenige Monate nach Erscheinen des Buches, wurde sie nach einem Nervenzusammenbruch ins Auckland Mental Hospital eingewiesen, wo sie die nächsten acht Jahre verbringt. Es ist eine makabre Konvergenz ihres Schicksals mit demjenigen der zwanzig Jahre jüngeren neuseeländischen Autorin Janet Frame, die dank Jane Campions Film „An Angel at My Table“ international bekannt wurde. Zwischen 1945 und 1954 war auch sie – mit Unterbrechungen – immer wieder in Nervenheilanstalten interniert. Von Frame weiß, von Eve Langley nimmt man an, dass sie mit Elektroschocks behandelt wurde; bei beiden Frauen erwog man eine Lobotomie.
Nach der Entlassung aus der Klinik im Oktober 1950 findet Eve zwar eine Stelle in der Auckland Public Library, die ihr nicht nur ein Auskommen, sondern auch ein kongeniales Umfeld verschafft. Ihrem Mann und den Kindern aber ist sie entfremdet. Hilary Clark beantragt die Scheidung, die im März 1952 vollzogen wird.
Langleys schriftstellerischen Impetus jedoch kann der Existenzbruch auf die Dauer nicht bremsen. Schon im Juni 1951 kündigt sie ihrer Lektorin beim australischen Verlag Angus & Robertson, der die „Pea Pickers“ publiziert hatte, ein neues Werk an, das sie Anfang 1952 einreicht. „White Topee“, so der Titel des noch nicht ins Deutsche übersetzten Buches, schließt zeitlich an die „Pea Pickers“ an, doch Steve ist nun ohne die Schwester als Erntehelferin unterwegs. Erneut wird Macca ihren Weg kreuzen, er macht ihr sogar überraschend einen Heiratsantrag, den sie ausschlägt. Als sie ihm nach Monaten nochmals begegnet, spricht sie, reuig, zum ersten Mal überhaupt aus, dass sie ihn liebe, aber der junge Mann weiß nun, woran er ist. „Sobald du meine Liebe hattest, warfst du sie mir ins Gesicht. So eine bist du“, pariert er ihr Geständnis.
Ein inneres Refugium findet Steve in der Musik. Nächtelang hört sie Schallplatten, insbesondere Opernaufnahmen mit Caruso haben es ihr angetan. Und zum „Herrn über Frühling und Sommer“ erhebt sie den Musiker Panucci, einen genialen Mandolinenspieler, der mit seinen Begleitern durch Gippsland zieht. Bei seinen mitreißenden Darbietungen gerät in ihrer Darstellung sogar die Natur in Wallung – wenn die „gischtenden blau-weißen Rocksäume der See sich schaumig ausbreiten, um sich mit der männlichen Kraft des glänzenden, heißen Blauen Eukalyptus und der klassischen Glorie des australischen Erdbodens zu vereinen; und so, in der wilden Leidenschaft der Schönheit, tanzte die ganze Erde L’Après-midi d’un faune„.
Kurz vor Schluss nimmt der Roman eine abenteuerliche Wende
In einer Passage, die Langley zunächst gestrichen hatte und die sie erst Ende 1952 an die Lektorin zu senden wagt, schildert sie eine traumartig-visionäre Sequenz von Szenen, oszillierend zwischen Himmel und Erde, zwischen London und einer australischen Landstraße, in der sie etwas wie eine Wiedergeburt erlebt. Da findet sie sich unvermittelt „in einem Einspänner, in Minildra, im australischen Busch, zwischen einem Mann und einer Frau sitzend. Ich war Oscar Wilde, oder ich war noch vor kurzem er gewesen.“ Der Verlag willigt zögernd ein, die Episode einzuschließen, aber „White Topee“, 1954 veröffentlicht, wird zum Grabstein von Eve Langleys literarischer Karriere. Angus & Robertson weist ihren nächsten Roman, in dem sie das Wilde-Motiv weiter ausarbeitet, zurück, was die Schriftstellerin mit einem desperaten Aufschrei quittiert: „I AM OSCAR WILDE. AND YOU’RE KILLING ME“, schreibt sie an ihre Lektorin. Zwei Tage später ändert sie ihren Namen offiziell zu Oscar Wilde.
Eve Langley arbeitet weiter – und weiter
Doch statt ihr einen festen Boden zu geben, wachsen die Werke, die sie bis zu ihrem Lebensende verfasst, zu einer Art Kerker empor, in dem sie sich endlos um sich selber dreht. Mindestens vierzehn Romanprojekte sind in ihrer Korrespondenz erwähnt, elf Manuskripte hat sie vollendet und dem Verlag eingereicht, doch findet keines mehr den Weg in die Öffentlichkeit. Erst 1999 wird der von Lucy Frost edierte Band „Wilde Eve: Eve Langley’s Story“ erscheinen, der auf die Bücher fokussiert, die Langley über ihre dem Klinikaufenthalt vorausgehende Zeit in Neuseeland verfasst hatte. Die insgesamt sechs Romane sind hier auf 300 Seiten eingedampft; hat einen das Langley-Fieber einmal gepackt, liest man das Buch allemal mit Gewinn.
Eve Langley stirbt 1974 in ihrem Häuschen im australischen Katoomba
Doer hatte sie ihre letzte Lebenszeit verbrachte; als ihr Leichnam am 1. Juli aufgefunden wird, ist sie schon mindestens zwei Wochen tot. June, die im Kielwasser der Schwester ebenfalls in die Kleinstadt gezogen ist und nicht fern von Eve lebt, weigert sich, nötige Auskünfte für die Erstellung des Totenscheins zu geben. So bleiben dort die Eltern der Schriftstellerin wie auch ihre Kinder ungenannt.
Bei Beruf von Eve Langley steht – ein blanker Spiegelstrich.
Eve Langley: Pea Pickers
Australien-Roman
Aus dem Englischen von Ilka Schlüchtermann. Osburg Verlag,
Hamburg 2023.
480 Seiten, gebunden, ca. 26 Euro.
Erscheint am 28. August 2023