Tom Cruise stellt sich im ersten Teil von „Mission: Impossible 7“ mit blasslila Turban einer Entität, die die Wahrheit auslöschen will: Einfachste Technik hilft, während spektakuläre Kämpfe in Namibia, Rom, Venedig und den Tiroler Alpen ihre Spuren hinterlassen. Die Mitglieder der Impossible Missions Force (IMF) sind wie Geister. Bei einem Treffen der Nachrichtendienste versucht der ehemalige IMF-Leiter Kittridge (Henry Czerny), die Zusammenarbeit mit der geheimen Spezialeinheit zu erklären: Der Kontakt erfolgt – was Wunder – niemals direkt, Aufträge können jederzeit abgelehnt werden und Nachrichten zerstören sich wie üblich unmittelbar nach ihrer Überbringung. Das Team um Super-Agent Ethan Hunt (Tom Cruise) hinterlässt keine Spuren und bleibt selbst dann unsichtbar, wenn es längst am Zug ist.
Neben fein orchestrierten Überfällen und spektakulären Actionszenen stehen die „Mission: Impossible“-Filme immer auch für kunstvolle Täuschungsmanöver. Trauen kann man sowieso fast niemandem und nicht selten hat man es mit einem Double zu tun, das eine jener lebensechten und für die Reihe charakteristischen Masken trägt. Während Kittridges ungläubige Kollegen sich über seine Ausführungen amüsieren, offenbart sich, dass einer in der Runde tatsächlich Hunt ist.
Das immer schon in der Reihe angelegte Spiel mit falschen Gewissheiten treibt der siebte Teil „Dead Reckoning 1“ – die erste Hälfte des zweiteiligen Finales – auf die Spitze. Die Bedrohung ist eine ominös als „Entität“ beschriebene, außer Kontrolle geratene künstliche Intelligenz, die sich nicht nur in sämtliche digitale System einhacken, sondern auch ihre Spuren verwischen kann. Wie der IMF ist sie immer zugleich an- und abwesend. Mehr noch als die Zukunft der Menschheit steht diesmal, ganz zeitgemäß, der Verlust der Wahrheit auf dem Spiel. Der Entität gelingt es nicht nur, die Stimmen von Hunts Sidekicks Benji (Simon Pegg) und Luther (Ving Rhames) zu imitieren, sondern auch, Menschen auf Überwachungskameras in Echtzeit wieder auszulöschen. Der einzige Schutz vor diesem digitalen Ungeheuer bietet die Flucht ins Analoge. Ein komplett mit alter Technologie ausgestatteter Kontrollraum soll vor den Zugriffen der Entität schützen.
Christopher McQuarries drittes, gewohnt kompetent inszeniertes „M:I“-Abenteuer stiftet selbst ein wenig Verwirrung, mit wem man es gerade zu tun hat. Bei einem Gefecht in der namibischen Wüste beschießen sich bis zur Unkenntlichkeit verhüllte Figuren, die sich zudem fast in einem flirrend orangenen Sandsturm auflösen. Und doch legt der Film Wert darauf, dass man Tom Cruise stets an seinem blasslila Turban erkennt. Trotz Alterserscheinungen gelingt es dem Schauspieler auch mit über 60 noch, seinem übermenschlichen Helden das natürliche Lächeln eines Nachbarsjungen zu verleihen. So wie es genau ihn braucht, um sich der Gefahr in „Dead Reckoning“ zu stellen, benötigt es auch den Terroristen Gabriel (Esai Morales), der die Entität für seine Zwecke missbrauchen will, als Verkörperung des Bösen. Vor allem ist die Handlung aber wieder von Teamwork bestimmt, was sich schon daran zeigt, dass sich die künstliche Intelligenz nur mit zwei getrennten Schlüsseln kontrollieren lässt, die man ineinanderschieben muss. Neben dem gewohnten Figurenarsenal wird diesmal die professionelle Diebin Grace (Hayley Atwell) zu Hunts, eher unfreiwilliger, Kollegin. Eine fast slapstickartige Verfolgungsjagd im quietschgelben 60er-Jahre-Fiat absolvieren die beiden bezeichnenderweise, während sie mit Handschellen aneinandergekettet sind.
Längst setzt die „M:I“-Reihe auf ein schnell erkennbares Rezept aus bewährten, stets leicht variierten Zutaten. Vergleicht man „Dead Reckoning“ mit seinem in puncto Virtuosität und Wahnwitz noch etwas ausufernderen Vorgänger „Fallout“, trifft man auf ein ähnliches Muster: Nach Paris wird mit dem Auto diesmal Rom unsicher gemacht, nach dem Grand Palais feiert die Waffenhändlerin „White Widow“ (Vanessa Kirby) ihre luxuriöse Party im venezianischen Palazzo Ducale und das die Schwerkraft aushebelnde over-the-top-Finale im Himalaya findet diesmal, nicht weniger atemberaubend, in den Tiroler Alpen statt. Neben schicken Setpieces im nächtlich vernebelten Venedig oder im fast abstrakten Lichtgewitter eines Zugtunnels bringt „Dead Reckoning“ mit seinem fast 300 Millionen schweren Budget wieder genug halsbrecherisch Beknacktes auf die Leinwand, von dem man sonst nur träumen kann. Besonders trifft das auf Cruises Motorradsprung von einem schwindelerregend hohen Felsen zu. Nur schade, dass die Filme immer länger werden müssen. Episodisch war die Erzählweise schon vorher, „Dead Reckoning“ hört aber nach fast 3 Stunden Laufzeit auch noch auf halber Strecke auf. Um sich bewusst zu machen, wieviel man trotzdem an der immer noch ebenso spaßigen wie handwerklich versierten „M:I“-Reihe hat, reicht ein Blick auf den mit seinen exotischen Schauplätzen und spektakulären Actionszenen ähnlich gelagerten „The Gray Man“, der das Konzept im letzten Sommer ausgesprochen spannungs- und fantasielos in den Sand setzte.
Auch wenn es McQuarrie mit seinen Genre-Exzessen nicht gelingt, „Fallout“ zu überbieten, bringt es das auf Wiederholung ausgerichtete Franchise mittlerweile doch auf ein interessantes Meta-Level voller Déjà-vus. Nicht nur technologisch weist „Dead Reckoning“ in die Vergangenheit, sondern auch, wenn es um das Schicksal des Helden geht. So erweist sich Gabriel zufällig als Mörder von Hunts erster Frau, die wiederum Grace zum Verwechseln ähnlich sieht. In Venedig prophezeit der dunkle Erzengel, dass entweder sie oder die bereits aus früheren Filmen bekannte Scharfschützin Ilsa (Rebecca Ferguson) – der Hunt zuvor schon einige Male das Leben rettete – sterben muss. Wer von beiden, scheint zweitrangig zu sein. Hauptsache, Hunts Beschützerinstinkt wird erschüttert und das Trauma wiederholt sich. Als Grace einmal die berechtigte Frage stellt, warum der Agent so auf sie fixiert sei, ohne sie wirklich zu kennen, weiß er selbst keine richtige Antwort darauf. So wie es Hunts Schicksal ist, am Ende wieder von einem Fallschirm in die Ferne gezogen zu werden, ist er selbst auf ewig dazu verdammt, einem Geist hinterherzujagen.
USA 2023 – Regie: Christopher McQuarrie
Darsteller: Tom Cruise, Hayley Atwell, Esai Morales,
Ving Rhames, Vanessa Kirby, Simon Pegg, Rebecca Ferguson