Bundesrepublikanische Gesellschaft geht fröhlich am Stock

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte für den geringen Stellenwert, den die Jüngeren auf der politischen Prioritätenliste der alternden deutschen Gesellschaft haben – Corona hat ihn erbracht. Zerknirscht gestehen Politik und Gesellschaft in der postpandemischen Welt ein, dass sie die Jüngeren massiv überfordert haben. Warum war das so?
Weil sie keine Macht und keine Lobby haben. Und weil sie nicht wählen dürfen. Doch die Pandemie war und ist nur ein Symptom. Das Problem sitzt – und zwar erheblich – tiefer:

 

Das gesamte politische Gefüge in Deutschland ist seit Jahren an den Interessen der Älteren ausgerichtet. Deutschland ist im Kern ein jugendfeindliches Land. Für seine immer weniger werdenden Jüngeren hat es schlicht keine Idee. Das fördert deren Verdrossenheit: Von Tausenden befragten 15-Jährigen aus fast 40 Industrienationen glauben die deutschen Jugendlichen laut einer Studie am wenigsten, dass sie Einfluss auf die Probleme der Welt haben. Letzter Platz.

Generation Frust.

Frische EU-Zahlen bestätigen, dass Deutschland sich auf direktem Weg in die Gerontokratie befindet: 27,6 Prozent der Gesamtbevölkerung werden im Jahr 2030 über 65 Jahre alt sein – Rekord. Vor 40 Jahren war noch jede und jeder Sechste in Deutschland 15 bis 24 Jahre alt, heute ist es nur noch jede und jeder Zehnte. So wenige junge Menschen gab es seit 1950 noch nie, sowohl absolut als auch anteilig. Nur Japan ist älter.
Natürlich verschiebt das die Machtverhältnisse – weg von den Jüngeren, hin zu den Senioren. Die systematische Vernachlässigung Minderjähriger hat einen Namen: Man spricht von Adultismus. Es ist die Überhöhung des Erwachsenseins bis hin zur Ausrichtung aller politischen Entscheidungen an den Interessen der Älteren, die sich an die Macht klammern. Die „Tagesschau“-Bilder der Klimaproteste täuschen ein wenig – in Wahrheit wird es immer schwerer für die Jüngeren, sich Gehör zu verschaffen. 1970 gab es noch 24 Millionen unter 20-Jährige in Deutschland. Heute sind es nur noch 15 Millionen. Wahrgenommen werden sie höchstens, wenn sie sich auf Bundesstraßen festkleben oder (Bild) ein Grundrechtedenkmal in Berlin beschmieren:

Seit Jahrzehnten lebten nicht mehr so wenige junge Menschen in Deutschland wie heute. Die Politik orientiert sich fast vollständig an den Bedürfnissen der Älteren. Die Ängste und Interessen der machtlosen Jugend werden verlacht oder ignoriert – Sie paukten über Monate allein zu Hause. Sie trafen keine Freunde, feierten keine Partys und erlebten – so gut wie nichts. Keine Altersgruppe hat in der Corona-Krise eine größere Last geschultert als Kinder und Jugendliche. Ihr Lockdown dauerte am längsten. Ihr Opfer war eine schwere biografische Zäsur in einer prägenden Zeit. Die Folgen besichtigen wir heute: seelische Erkrankungen, Pessimismus, Ohnmachtsgefühle.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte für den geringen Stellenwert, den die Jüngeren auf der politischen Prioritätenliste der alternden deutschen Gesellschaft haben – Corona hat ihn erbracht. Zerknirscht gestehen Politik und Gesellschaft in der postpandemischen Welt ein, dass sie die Jüngeren massiv überfordert haben. Warum war das so? Weil sie keine Macht und keine Lobby haben. Und weil sie nicht wählen dürfen.

Doch die Pandemie ist nur ein Symptom. Das Problem sitzt tiefer: Das gesamte politische Gefüge in Deutschland ist seit Jahren an den Interessen der Älteren ausgerichtet. Deutschland ist im Kern ein jugendfeindliches Land. Für seine immer weniger werdenden Jüngeren hat es schlicht keine Idee. Das fördert deren Verdrossenheit: Von Tausenden befragten 15-Jährigen aus fast 40 Industrienationen glauben die deutschen Jugendlichen laut einer Studie am wenigsten, dass sie Einfluss auf die Probleme der Welt haben. Letzter Platz. Generation Frust.

Frische EU-Zahlen bestätigen,
dass Deutschland sich auf direktem Weg in die Gerontokratie befindet:

27,6 Prozent der Gesamtbevölkerung werden im Jahr 2030 über 65 Jahre alt sein – Rekord. Vor 40 Jahren war noch jede und jeder Sechste in Deutschland 15 bis 24 Jahre alt, heute ist es nur noch jede und jeder Zehnte. So wenige junge Menschen gab es seit 1950 noch nie, sowohl absolut als auch anteilig. Nur Japan ist älter.

Natürlich verschiebt das die Machtverhältnisse –
weg von den Jüngeren, hin zu den Senioren

Die systematische Vernachlässigung Minderjähriger hat einen Namen: Man spricht von Adultismus. Es ist die Überhöhung des Erwachsenseins bis hin zur Ausrichtung aller politischen Entscheidungen an den Interessen der Älteren, die sich an die Macht klammern. Die „Tagesschau“-Bilder der Klimaproteste täuschen ein wenig – in Wahrheit wird es immer schwerer für die Jüngeren, sich Gehör zu verschaffen. 1970 gab es noch 24 Millionen unter 20-Jährige in Deutschland. Heute sind es nur noch 15 Millionen. Wahrgenommen werden sie höchstens, wenn sie sich auf Bundesstraßen festkleben oder (Bild) ein Grundrechtedenkmal in Berlin beschmieren:

 

Aktivistinnen und Aktivisten der Protestgruppe Letzte Generation haben das Grundgesetzdenkmal am Samstag, 4. März, in Berlin mit Öl und Plakaten beschmiert.
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Dann betreibt die schnaubende SUV-Gesellschaft vom Boulevard befeuert heftige Protestkritik, statt die gleiche Leidenschaft für den Kampf um den Erhalt des Planeten aufzubringen. Das ist deutlich gemütlicher.
Doch es geht nicht nur um das Klima. Es geht um das diffuse Gefühl der Generation Z, um ihre Zukunft betrogen zu werden. In Deutschland drohe „substanziell wie zahlenmäßig eine Gerontokratie“, schreibt Emanuel Richter in seinem Buch „Seniorendemokratie“. „Die Anliegen der Senioren scheinen ins Zentrum aller politischen Regulierung zu rücken.“ OECD-Studien zeigen: In alternden Gesellschaften werden überproportional viele Vorteile in Richtung der Älteren umverteilt. Schon 2008 fürchtete der damalige Bundespräsident Roman Herzog, dass „die Älteren die Jüngeren ausplündern“ könnten. 15 Jahre später scheint Herzogs Warnung Wirklichkeit: 70-Jährige simulieren mit Baseballkappe und freiem Brusthaar ewige Adoleszenz, während das System die wahren Jüngeren hart an die Kandare nimmt und ihre Bedürfnisse und Ängste verlacht oder ignoriert. „Die Welt vergöttert die Jugend, aber regieren lässt sie sich von den Alten“, das hat schon der französische Schriftsteller Henry de Montherlant im 20. Jahrhundert beklagt.

Geringe Investitionen in Bildung

Nur ein Indiz für den grassierenden Adultismus: Für die Modernisierung der Bundeswehr bringt Deutschland mal eben 100 Milliarden Euro zusätzlich auf, für die überfällige Modernisierung der Grundschulen dagegen nicht. Dabei investiert das Land ohnehin nur 4,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung – deutlich weniger als andere wohlhabende EU-Länder. Weitere Beispiele: der massive Lehrermangel (konnte das wirklich niemand hochrechnen?), die grassierende Kinderarmut, die überlaufenen Kinderkliniken im Winter, die chronisch unterfinanzierten Kitas. Und dann feilscht FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner auch noch um die Höhe der geplanten Kindergrundsicherung – in einem Industrieland, in dem jedes fünfte Kind in Armut lebt. Das ist – zumindest – zynisch. Und die Schulabbrecherquote von 6,2 Prozent ist dieses selbst ernannten Landes der Dichter und Denker unwürdig. Da droht was Wunder massives Ungemach.

Präsident des Kinderhilfswerks:
Der Generationenvertrag hat mehr als eine Delle.
Er ist nicht mehr funktionstüchtig.

Kinder und Jugendliche spüren genau, wenn sie übergangen werden. Ein Report des Kinderhilfswerks zeigt: 83 Prozent der befragten Kinder zwischen zehn und 17 Jahren fühlen sich wenig bis gar nicht gehört. Nur 9 (!) Prozent sehen ihre Interessen berücksichtigt. „Der Generationenvertrag hat mehr als eine Delle“, sagt Thomas Krüger, Präsident des Kinderhilfswerks. „Er ist nicht mehr funktionstüchtig.“ Und der Soziologe Stefan Schulz nennt das CDU-Wahlprogramm böse einen „Abschiedsbrief“ an die jüngere Generation. So blockieren CDU und AfD etwa die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Jugend mitreden lassen

Gern kritisiert die alternde Mehrheit die Jüngeren als arbeitsscheue, egoistische Spaßgeneration, weil sie die Workaholic-Mentalität der Elterngeneration infrage stellen (ohne deshalb faul zu sein). Sie wollen anders arbeiten, cleverer und pragmatischer. Sie möchten zu Recht nicht auf ihre Funktion als frische Brainware für die Industrie reduziert werden. Sie fordern Lösungen, keine Idyllen. Die Flucht ihrer Eltern in urbane grüne Oasen mit Lastenfahrrad und Rohkost ist für sie keine Option. Nicht jede Idee, die von unter 25-Jährigen kommt, ist schlecht.

Seit wir tote Tiere in bemalte Höhlen schleiften,
klagen „die Alten“ über „die Jungen“

Nach alter Väter Sitte steht die Jugend seit jeher unter Dauerverdacht, aufsässig, nassforsch, verwöhnt und ungezogen zu sein. Sie habe gefälligst „Gottesfurcht, Königstreue und Vaterlandsliebe“ zu pflegen, polterte schon Kaiser Wilhelm II. anno dazumal. Das Rezept gegen juvenilen Unmut war seit jeher: Druck. In Wahrheit aber ist es eine deutsche Lebenslüge, dass ein noch kompakteres Studium, eine noch stringentere Ausbildung ohne jedes Durchschnaufen die Lücken in der Rentenkasse und auf dem Arbeitsmarkt stopfen könnten.

Die vergreisende Republik ist müde
Sie ist bis zur Erstarrung durchreglementiert und unfähig, noch den Geist der Utopie zu beschwören. Überall geht es nur noch um Eigeninteressen und ritualisierte Klientelpolitik. Es liegt Mehltau über dem alten Land, das keine Irritationen schätzt. „Die Situation der Jugendlichen ist heute viel angespannter als in der Vergangenheit“, sagt auch der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann, selbst 79 Jahre alt. „Die gewaltigen Krisen schränken ihre Spielräume ein. Das hat es selten gegeben. Wir sehen eine hohe psychische Belastung.“ Nur der Fachkräftemangel spiele den Jungen in die Hände. Das hohe Wohlstandsniveau ihrer Eltern aber werde trotzdem „nicht mehr zu halten sein“. Auch deshalb plädiert Hurrelmann in der „Tagesschau“ für eine Herabsetzung des Wahlalters auf 16 oder gar 14 Jahre. „Das politische Bewusstsein vieler Jüngerer ist groß, die Reife beschleunigt sich. Sie sind politisch entscheidungsfähig.“

„Ohne eine junge Generation kann eine Gesellschaft nicht überleben“

Es ist jedoch nicht einfach, als junger Mensch in einem so schwergängigen Land wie Deutschland den Glauben an die Veränderbarkeit der Welt zu bewahren. Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen glauben laut der Shell-Jugendstudie, dass sie der Politik egal sind. 86 Prozent machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Seit Jahrzehnten lastete keine so große Verantwortung mehr auf der jungen Generation. Sie wird ausbaden müssen, was die heutigen Älteren angerichtet haben, die sich selbst so gern für ihre eigenen Gesellschaftsumbrüche von damals feiern. So zieht man aber keine Demokraten heran. Gleichzeitig sinkt der Lebensstandard. Mieten explodieren. Und die Beharrungskräfte der älteren Mehrheit sind gewaltig.

Kindheit und Jugend sind der Acker des Lebens
Sie sind ein magischer Ort, an dem im Austausch mit anderen, im Erleben von Tausenden prägenden ersten Malen, das Ich Gestalt annimmt. Aus diesem Boden erwächst die Persönlichkeit. Nur 8 Prozent der Jüngeren aber haben aktuell die Hoffnung, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen. Was also tun? Gegen die Ohnmacht der Jungen hilft nur, sich als alte Mehrheitsgesellschaft ohne Wenn und Aber für die Ansprüche der Jüngeren zu öffnen. Wir müssen sie dringend an der politischen Gestaltung beteiligen. Denn: „Was bei der Jugend wie Grausamkeit aussieht, ist meist Ehrlichkeit“, schrieb Jean Cocteau. Alsodann: Kinderrechte im Grundgesetz verankern, Wahlalter auf 16 Jahre herabsetzen. Und, noch viel wichtiger: zuhören!
Aug 2023 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren