2. Februar 2006 – Eine neue Rushdie-Affäre? Ganz Europa streitet über die dänischen Mohammed-Karikaturen: französische Zeitungen, dänische Zeitungen, spanische, belgische, lettische, ungarische, englische, schwedische, deutsche, portugiesische, slowenische, schweizer, tschechische, österreichische, italienische, polnische …
Eine europäische Presseschau:
Darf man Mohammed karikieren? Die Antwort auf diese Frage, sollte man meinen, lautet ja. Aber die Diskussion in Europa zeigt, dass dies keineswegs überall so gesehen wird.
Wir dokumentieren Kommentare zur Auseinandersetzung.
Viele Kommentare aus nicht-deutschen Zeitungen haben wir dem eurotopics-Newsletter entnommen, den die Perlentaucher Medien GmbH zusammen mit dem Courrier international für die Bundeszentrale für politische Bildung täglich in drei Sprachen erstellt. Wer wissen möchte, über Bilder welcher Art wir hier eigentlich sprechen, klicken Sie hier.
3. März 2006
Mehrere Zeitungen in Europa haben in den vergangenen Tagen ein von zwölf Intellektuellen – Ayaan Hirsi Ali, Chahla Chafiq, Caroline Fourest, Bernard-Henri Levy; Irshad Manji, Mehdi Mozaffari, Maryam Namazie, Taslima Nasreen; Salman Rushdie, Antoine Sfeir, Philippe Val, Ibn Warraq – unterzeichnetes Manifest gegen den neuen Totalitarismus gedruckt (hier auf Deutsch, hier auf Englisch), in dem der Islamismus als „neue weltweite totalitäre Bedrohung“ bezeichnet wird. Die Ereignisse nach der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen zeigten die Notwendigkeit eines weltweiten Kampf der Demokraten gegen die Theokratie, heißt es in dem Text, der heute in verschiedenen Zeitungen diskutiert wird.
Dänemark. Die Zeitung Jyllands-Posten, die das Manifest der zwölf Intellektuellen veröffentlicht hatte, begrüßt in einem eigenen Kommentar, dass sich nun endlich Salman Rushdie im Karikaturenstreit zu Wort meldet und billigt auch den Vergleich von Islamismus mit Faschismus, Nationalsozialismus und Stalinismus im Manifest. „Der Islam sollte als Religion toleriert werden, nicht aber als politische Ideologie, denn sie führt zu totalitärem Islamismus. Das Manifest bietet moderaten und demokratischen Muslimen eine einzigartige Chance, sich vom Islamismus zu distanzieren. Das würde Respekt hervorrufen und den Weg für Vertrauen und einen vertrauensvolleren Ton in der Debatte ebnen.“
Schweden. Auch die schwedische Zeitung Dagens Nyheter ist mit dem Manifest einverstanden, hebt aber einen anderen Aspekt hervor: „‚Islamophobie‘ ist, wie das Manifest auf eine nachdenkliche Weise betont, ein unglücklicher Begriff, der die Kritik am Islam mit der Stigmatisierung der Moslems vermischt“, schreibt die Zeitung. „Doch welches Wort man auch immer verwendet, so ist die Diskriminierung, Verdächtigung und Fremdenfeindlichkeit gegenüber Muslimen in der westlichen Welt eine Tatsache. Das gilt nicht zuletzt in den säkularen Staaten Europas, wo nicht nur Islamismus, sondern religiöse Gefühle überhaupt Unverständnis wecken können.“
Schweiz. Für den iranischen Journalisten Amir Taheri stellt „der Versuch des Neo-Islam, die individuellen Freiheiten zu zerstören, eine ebenso große Bedrohung für den Islam dar, wie es die Inquisition für das Christentum war“, wie er in Le Temps schreibt: „Indem er das Märtyrertum predigt und ‚den Kampf der Kulturen‘ propagiert, ist der Neo-Islam auch eine Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Rechtsordnung. Um sich zu schützen, muss der Islam seine Theologie wiederbeleben und den Akzent auf das Göttliche legen. Anders gesagt, der Islam muss wieder eine Religion werden. Das heißt nicht, dass die Muslime sich aus der Politik heraushalten müssen oder dass sie der Palästina-, Irak- oder Kaschmirkonflikt nichts angeht oder jede andere politische Angelegenheit, die sie betreffen könnte. Es bedeutet, dass sie anerkennen müssen, dass genau diese Angelegenheiten politisch und nicht religiös sind.“
In einem weiteren „Manifest“, das Spiegel Online von der National Review Online übernimmt, legen die Wissenschaftlerin Zeyno Baran und der Autor (und Intelligent-Design-Verfechter) Mustafa Akyol dar, dass demokratische Prinzipien durchaus mit muslimischer Frömmigkeit vereinbar sind: „Wir unterstützen die Demokratie und halten sie hoch – nicht, weil wir die Souveränität des Allmächtigen über die Menschen zurückweisen, sondern weil wir glauben, dass diese Souveränität sich im allgemeinen Willen der Menschen in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft manifestiert. Theokratische Herrschaft akzeptieren wir nicht – und zwar nicht etwa, weil wir nicht wünschten, Gott zu gehorchen, sondern weil theokratische Herrschaft automatisch zur Herrschaft fehlbarer (und manchmal korrupter und fehlgeleiteter) menschlicher Wesen im Namen des unfehlbaren Gottes wird.“
Ungarn. „Wenn Religionskritik in Rassismus umgedeutet wird, dann darf auch der auf religiösen Fundamentalismus basierender Terrorismus nicht kritisiert werden“, warnt der Verfassungsrechtler Andras Sajo in der Zeitung Magyar Narancs. „Wenn jede kritische Äußerung über den Islam mit Verallgemeinerung verdächtigt wird, wenn Sensibilität der Schwächeren der wichtigste Maßstab ist, das führt zur paternalistischen Zensur oder – noch schlimmer – zur Selbstzensur. Den Maßstab der Sensibilität zu akzeptieren bedeutet, dass Meinungsfreiheit durch die narzisstische Selbsteinschätzung der Beleidigten eingeschränkt wird.“
Tschechien. „Seit dem militärischen Eingreifen im Irak fühlen sich die Muslime als Opfer eines christlichen Kreuzzuges“, gibt der Journalist und Schriftsteller Karel Hvizdala in einem Essay in der Kulturzeitschrift A2 zu bedenken. „Der Westen kappt Menschenrechte und die Freiheit des Wortes und erweckt so nicht gerade Vertrauen. Während er in Bagdad den Sieg der Freiheit feiert, foltert er in Abu Ghraib Gefangene, erschlägt Kinder in Basra und verhört Verdächtige in den Ländern seiner Verbündeten. Wenn wir mit diesen Dingen nicht öffentlich grundsätzlich aufräumen, wenn wir die Existenz von Guantanamo erlauben, wenn wir nicht mit unserer Doppelmoral aufhören, können wir nicht erwarten, dass uns die islamischen Gläubigen schätzen und uns abnehmen, dass es uns um Freiheit geht.“
1. März 2006
Dänemark. Die dänische Zeitung Jyllands-Posten druckt heute ein „Manifest gegen den islamischen Totalitarismus“ (auf Dänisch und Englisch), das auch in der französischen Satirewochenzeitung Charlie Hebdo erscheint. Zu den zwölf Unterzeichnern des Textes gehören Ayaan Hirsi Ali, Taslima Nasreen, Salman Rusdie und Bernard-Henri Levy. „Nachdem die Welt den Faschismus, den Nazismus und den Stalinismus besiegt hat, sieht sie sich einer neuen weltweiten totalitären Bedrohung gegenüber: dem Islamismus. Wir Schriftsteller, Journalisten, Intellektuelle rufen zum Widerstand gegen den religiösen Totalitarismus und zur Förderung der Freiheit, Chancengleichheit und des Laizismus für alle auf.“ Die jüngsten Ereignisse, die auf die Publikation von Mohammed-Zeichnungen in europäischen Zeitungen folgten, zeigten „die Notwendigkeit des Kampfes für die universellen Werte, der nicht mit Waffen, sondern auf dem Feld der Ideen gewonnen“.
Spanien. In der Debatte um die Mohammed-Karikaturen plädiert der französische Soziologe Sami Nair in El Pais dafür, die Globalisierung und kulturelle Vielfalt in die Debatte über Meinungsfreiheit mit einzubeziehen. „Diese historische Situation, die es in dieser Intensität zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt, erfordert Bewusstsein und gleichzeitig ein enormes Verantwortungsgefühl. Ein Bewusstsein dafür, dass Identitäten eine wesentliche Rolle spielen und sozialen und politischen Sprengstoff bergen. Man darf folglich Identitätsfragen nicht auf die leichte Schulter nehmen – und man darf sie nicht für eine strategische und politische Kampfansage zwischen verschiedenen Gruppen missbrauchen.“
Dänemark. Der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen hatte am Wochenende in einem Interview in Berlingske Tidende Medien, Wirtschaft und Kultur Prinzipienlosigkeit und Kapitulation vorgeworfen. Der südafrikanische Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu hält im Interview mit Politiken dagegen, dass die Krise hätte verhindert werden können, wenn sich Rasmussen auf ein Gesprächswunsch mit Botschaftern aus muslimischen Ländern eingelassen hätte. „Die Karikaturen werden als Symptom einer sehr viel ernsteren Krankheit gesehen. Wäre das Verhältnis zwischen der muslimischen Welt und dem Westen anders, wären die Zeichnungen nicht entstanden – und selbst wenn, hätte man die Sache anders gehandhabt. Keine Grundrechte, auch nicht die Meinungsfreiheit, sind absolut. Sie führen stets Verpflichtungen mit sich.“
Österreich. Die Presse berichtet, dass die Karikaturen nun auch in Finnland ihre Opfer fordern. Der Redakteur des Kulturmagazins Kaltio, Jussi Vilkuna, weigerte sich einen Cartoon über den Karikaturen-Streit von der Website zu entfernen – und ist nun seinen Job los. „Dabei richtete sich die Spitze der Cartoons nicht gegen Mohammed oder den Islam, sondern gegen den nach Ansicht des Zeichners Ville Ranta vorauseilenden Gehorsam finnischer Politiker“, die sich bei muslimischen Ländern entschuldigt hatten. „Als nun die von Ville Ranta gezeichnete Karikatur mit maskiertem Mohammed zur Veröffentlichung anstand, zogen große Anzeigenkunden … ihre Daueraufträge für ‚Kaltio‘ zurück. Der Herausgeber stellte seinen Redakteur vor die Wahl: entweder die Cartoons oder du. Viluna musste gehen, und auch Zeichner Ranta büßt.“
24. Februar 2006
Spanien. Der Historiker Walter Laqueur wundert sich in La Vanguardia über die Einschätzung Dänemarks im Zuge des Streits um die Mohammed-Karikaturen. „Ich lese in der Weltpresse, dass in Dänemark – ohne dass sich jemand dessen wirklich bewusst sei – die extreme Rechte die Macht übernommen habe und dass sich dort sogar ein semi-faschistisches Regime etabliert habe… In Dänemark regiert nicht der Faschismus, noch weniger Populismus, zumindest nicht durch die Schuld der Regierung. Die aktuelle Situation ist traurig. Ein alter Freund, ein ehemaliger Chef eines der größten Zeitungen des Landes, hat gefordert, dass die Regierung eine große Moschee im Zentrum von Kopenhagen bauen sollte, um die Muslime zu beruhigen. Wenn das hilft, die Lage zu entspannen, sollte man zehn bauen. Aber wird es das wirklich?“
Frankreich. Die Grenzen der Meinungsfreiheit lassen sich nicht durch die religiösen Gefühle einer sich als verletzt bekennenden gesellschaftlichen Gruppe definieren, meint der italienische Philosoph Paolo Flores d’Arcais in einem Debattenbeitrag für Le Monde: „Wenn man es zum Prinzip macht, dass kein religiöser Glaube verletzt werden darf, dann werden die Schlüssel dieser Freiheit in die Hände des Gläubigen und seiner Empfindlichkeit gelegt. Mit der offensichtlichen und paradoxen Folge, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit um so enger werden, je stärker sich diese Empfindlichkeit – die bis zum Fanatismus gehen kann – äußert. Und mit einer noch fataleren, da ansteckenden psychologischen Folge: Wenn die Empfindlichkeit gegenüber Beleidigungen zum Kriterium würde, um die Meinungsfreiheit zu begrenzen, dann wäre jedermann ermutigt, seine Allmachtsfantasien auszuleben und sein natürliches Unbehagen an Kritik zum Ressentiment, zur Wut und schließlich zum Fanatismus zu steigern.“
23. Februar 2006
Deutschland. Peter Schneider schreibt im Tagesspiegel über den Islam und den Westen und das Versprechen der Freiheit: „Europa hat mit seinen über 20 Millionen muslimischen Migranten den Konflikt mit dem Islam ins eigene Haus geholt und ist jetzt gefordert, seine Wertvorstellungen und Prinzipien nach innen wie nach außen zu verteidigen. Die inneren Konfliktlinien, die in den aktuellen Debatten über Integration, Zwangsheirat, Gesprächsleitfaden und Karikaturenstreit sichtbar wurden, lassen sich durch drei Themen markieren: Es geht um die Gleichberechtigung beziehungsweise um die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen und der Homosexuellen, um die Meinungs- und Pressefreiheit und um die Rechte der weltlichen gegenüber der sakralen Sphäre. Der Streit betrifft mit einem Wort einige der wichtigsten Errungenschaften der Aufklärung, die Fundamente der säkularen westlichen Gesellschaften. Bei Strafe, seine Seele zu verleugnen, kann der Westen in diesen Fragen nicht mit sich handeln lassen.“ Und Schneider schließt: „Der Islam braucht nicht eine neue Schutzklausel gegen Karikaturen und Kritik, sondern vielmehr eine Öffnungsklausel, eine Bereitschaft, sich der modernen Welt zu öffnen, in der längst auch die Muslime leben – und eine beherzte Erinnerung an die Helden seiner eigenen verratenen Renaissance.“
21. Februar 2006
Deutschland. In der FAZ schildert Kerstin Holm, wie der Karikaturenstreit in Russland ausgetragen wird. Dort hat die Zeitung Gorodskije westi eine Zeichnung veröffentlicht, auf der Jesus, Mohammed, Buddha und Jahwe erschüttert im Fernsehen beobachten, wie verfeindete Menschenhorden aufeinander losgehen. Die Zeitung wurde geschlossen. „Den höchsten Willen hatte zuvor die Kremlpartei ‚Einheitliches Russland‘ zum Ausdruck gebracht, die die Wolgograder aufrief, die Gorodskije westi zu boykottieren. In einer Zeit, da Russland sich als Vermittler in den Konflikten mit Iran und Nahost etablieren will, antizipiert es muslimische Empfindlichkeiten mit vorauseilendem Eifer und akzeptiert im Innern nur schweigsamen Gehorsam… Als christliches Land gehört Russland zu Europa, doch als illiberale Subordinationsgesellschaft steht es manchen islamischen Ländern näher. Nicht wenige orthodoxe Geistliche und ‚eurasisch‘ denkende Politiker betrachten den Islam und das orthodoxe Christentum als natürliche Verbündete im Kampf gegen das westliche Laisser- faire.“
Dänemark. Die liberale Tageszeitung Politiken führt die Eskalation des Karikaturenstreits auch auf die monatelange Passivität der dänischen Regierung zurück. „Es ist unklar, in welchem Umfang die dänische Diplomatie blind war, und in welchem Umfang die Regierungsspitze nicht auf die Signale hören wollte, die sie empfing. Eine unabhängige Untersuchung des gesamten Ablaufes sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Weil ein Teil des Sturmes gegen uns böswillig und lebensgefährlich ist, ist es äußerst menschlich, wenn viele Dänemarks Teil der Verantwortung verdrängen. Für die Regierung jedoch ist diese Art der Psychologie etwas zu bequem.“
Ungarn. Der Streit um die Karikaturen sei kein „Kampf der Kulturen“, sondern ein Streit zwischen Menschen, die vor ihrer Armut in religiösen Fundamentalismus fliehen, und den Europäern, die um ihren Wohlstand bangen, schreibt der Essayist Peter Niedermüller in der Wochenzeitung Elet es Irodalom. Keine der Seiten sei imstande, sich ein differenziertes Bild der anderen zu machen: „Das Denken in ‚Blöcken‘ und Stereotypen, kultureller Essenzialismus, Mangel an Differenziertheit und an Abstand bieten keine Lösung und führen nur zu immer aggressiveren Auseinandersetzungen.“ In einer hochkomplexen, für immer mehr Menschen undurchschaubaren Welt sei die „Ideologie der Anti-Modernität“ immer attraktiver.“
Deutschland. In der Literarischen Welt vom Samstag reibt sich der Literaturhistoriker Heinz Schlaffer verwundert die Augen über die neue Religiösität, die unter Europas Intellektuellen aufgekommen ist, und erinnert: „Auch die westliche Kultur ist fundamentalistisch: Ihr Fundament heißt Aufklärung. Paradox ist, dass dieses Fundament zwar noch die gegenwärtige Gesellschaft trägt, aber von ihr halb vergessen ist. Was selbstverständlich geworden ist, entgeht der Beachtung und Wertschätzung am leichtesten. Mehr noch: Die gegenwärtige westliche Welt scheut sich, auf ihren Prinzipien zu bestehen, aus Furcht, sie könnte als dogmatisch gelten.“
17. Februar 2006
Estland. Der Karikaturenstreit lässt den Durchschnittseuropäer ratlos zurück, denn der Zorn der Muslime ist im Westen nicht rationell nachvollziehbar, meint Mihkel Mutt in Eesti päevaleht. „Was hat uns der Konflikt nun gelehrt? Unter anderem sehen wir, dass Muslime sehr wohl dänische Milchprodukte boykottieren können, wir aber nicht mit einem Ölboykott antworten können. Und Europa hat es nicht geschafft, einig und solidarisch aufzutreten.“
Finnland. Die alte Trennung zwischen „wir im Westen“ und „die im Orient“ gibt es nicht mehr, meint Kommentator Dennis Rundt in Vasabladet. „Zwischen einem fundamentalistischen Christen und einem fundamentalistischen Moslem kann es größere Übereinstimmungen geben als zwischen einem liberalen und einem konservativen Vertreter derselben Religion… Religion oder von Religion geprägte Kulturmuster werden seit dem Zusammenbruch des Kommunismus ein immer wichtigerer Faktor in der Weltpolitik. Konflikte und Terroranschläge werden heute eher religiös als ideologisch begründet. Und auch im Westen ist die Religion ein Fundament, obwohl dies zurückhaltender geäußert wird… Wenn aber die muslimischen Einwanderer in Europa eine tolerante Form des Islam entwickeln, der in einer multikulturellen Gesellschaft neben anderen Religionen bestehen kann und auch in den Heimatländern Anhänger findet, dann könnte das zu mehr Demokratie auch im Westen führen.“
Frankreich. Der Schriftsteller Mohamed Kacimi beschreibt in Liberation, wie nach der Eroberung Mekkas der Prophet ein Fresko von Maria und Jesu im Innern der Kaaba intakt ließ: „Wenn die heilige Stätte 693 nicht abgebrannt wäre, würden heute eine Milliarde Muslime in Richtung eines Tempels beten, in dem es eine Ikone von Maria und Jesus gibt.“ Laut Kacimi fehlt es dem Islam keineswegs an Humor: „Was sollen wir mit den Karikaturen machen? Am besten nur lachen, wie es im Koran VIII, 30 steht: ‚Sie (die Ungläubigen) spotten, aber wenn es ums Spotten geht, ist Allah unschlagbar.'“
Frankreich. Der bekannte palästinensische Dichter Mahmud Darwisch sieht im Nouvel Observateur im Karikaturenstreit zwei gleichermaßen fatale Kräfte am Werk: „Ich habe Angst, dass der famose ‚Krieg der Kulturen‘ tatsächlich gerade entbrannt ist. Kriegsgegner sind die Fundamentalisten beider Lager. Die amerikanische Herrschaft über die Welt in ihrer fundamentalistischen Form drängt die Armen und Unterdrückten in eine gewalttätige und blinde Gegnerschaft, als hätte die Suche nach gerechteren Verhältnissen – absolute Gerechtigkeit kann es nicht geben – heute gar keinen Sinn mehr. Es ist die allgemeine Niederlage der Intelligenz, der Triumph der entfesselten Dummheit, der Abschied von der Vernunft.“
Deutschland. Mit Kultur und Religion hat der Karikaturenstreit nichts zu tun, meint Ulrich Speck, der die Affäre in seinem Blog in der Zeit als Auseinandersetzung zwischen totalitären Kräften und dem Liberalismus dess Westens analysiert: „Unter dem Deckmantel der religiösen Empörung versuchen derzeit totalitäre Bewegungen und totalitäre Staaten, gläubige Moslems für ihre Interessen zu vereinnahmen. Indem sie das Feindbild eines islamophoben Westens zeichnen, versuchen sie, Moslems davon abzubringen, den Verlockungen westlicher Freiheit zu folgen – und zugleich die Attraktion der totalitären Alternative zu erhöhen. Das Feindbild ‚der Westen‘ zielt darauf ab, Muslime gegen den Liberalismus zu immunisieren; der Karikaturenstreit ist eine Kampagne, die dieses Ziel vorantreiben soll.“
Deutschland. Es sind nicht die Karikaturen, die Europa zum „Hassobjekt der islamischen Welt“ machen, meint Mariam Lau in der Welt. Es ist auch das gewachsene Selbstbewusstsein Europas: „Die größte Gefahr aber geht für die Despoten-Regimes der Region von dem aus, was unter der Zauberformel ‚Euro-Islam‘ immer hartnäckiger durch ihre Grenzen einsickert: das Bestehen darauf, dass Islam und Demokratie eben doch keine unversöhnlichen Gegensätze sind, dass Scharia und Koran doch immer noch getrennte Reiche bilden, dass Frauen im Besitz eines Führerscheins und eines Wahlzettels nicht der Untergang des Morgenlandes sind und dass Bildungsdefizite oder ökonomischer Rückstand vieler moslemischer Länder ebenso eine Schande für die Umma sind wie Folter, Korruption und Aberglaube. Auch wenn unsere hiesigen Freunde der Dritten Welt es nicht wahrhaben wollen: Für immer mehr Moslems ist längst Standard, was westlicher Selbsthass gern als Kulturimperialismus verkaufen möchte, individuelle Freiheit, persönliche Integrität, politische Legitimation.“
16. Februar 2006
Frankreich. Le Monde dokumentiert die Rede, die die niederländische Politikerin und Islam-Kritikerin Ayaan Hirsi Ali in Berlin gehalten und wo sie in gewohnter Deutlichkeit zum Karikaturenstreit Stellung nimmt. Berlin, so sagt sie, hat eine Bedeutung als Ort ihrer Rede: „Hier stand die Mauer, die die Menschen in den Grenzen eines kommunistischen Staates festhielt. Hier fokussierte sich der Kampf um die Herzen und Seelen der Bürger. Dissidenten konnten hier Filme machen, Cartoons zeichnen und ihre Kreativität einsetzen, um den Westen davon zu überzeugen, dass der Kommunismus weit davon entfernt war, das Paradies auf Erden zu sein.“ Westliche Appelle zur Rücksichtnahme aus „religiöse Empfindlichkeiten“ will Ayaan Hirsi Ali nicht unterstützen: „Wer soll sich mäßigen? Die Karikaturisten haben nur ihre Arbeit getan. Solche Aufrufe, auch die Appelle an die ’soziale Verantwortung der Medien‘ transportieren doch nur die eine Botschaft: Haltet die Klappe. Und genau das werde ich nicht tun.“ Keine einzige deutsche Zeitung hat die Rede dokumentiert, aber die FAZ hat recht ausführlich daraus zitiert. Auf Englisch ist die Rede in einem Weblog der Zeitung Die Welt zu lesen.
Belgien. „Im Namen der Meinungsfreiheit verharmlost man heute die Gotteslästerung – ohne die Gefühle der muslimischen Gemeinde im geringsten zu achten“, meint der islamische Religionslehrer Yacob Mahi in La Libre Belgique. „Wir müssen über den absoluten oder relativen Wert dieser Freiheit und auch über ihre Folgen grundsätzlich nachdenken, denn es hieße, alle Möglichkeiten einer gemeinsamen Zukunft zu zerstören, wenn man das Zusammenleben auf Spott und Hass aufbaut. Wirkliche Meinungsfreiheit bedeutet das Recht, Schockierendes sagen zu können ohne Beleidigung, Diffamierung oder Aufruf zu Hass oder Gewalt. Ironie, Karikatur und Spott sind charakteristisch für unsere Demokratien, aber der Humorist, der Gefühle und die Höflichkeit verletzt, missbraucht die Freiheit.“
Frankreich. Antoine Casanova, Chef der Zeitschrift La Pensee, findet in L’Humanite, dass „niemand das Recht hat zu behaupten oder zu unterstellen, dass jeder Muslim ein Terrorist sei… Aber Vorsicht: Wenn wir die Gotteslästerung zu einem Vergehen erklären, fallen wir möglicherweise sehr weit zurück… Wieviele Jahrhunderte hat es in Frankreich gedauert, bis es zum Aufstand gegen das Ancien Regime kam, eine sozial und politisch hierarchisierte Gesellschaft mit einer Staatsreligion? Es war in Frankreich wie in Europa ein langer Kampf, bis wir das Recht erhielten, im Rahmen der Meinungs- und Religionsfreiheit die Religionen zu kritisieren, wie es in Artikel 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 festgehalten ist. Es handelt sich also um ein unveräußerliches und unabänderliches Recht. Diese kostbare, aber stets zerbrechliche Eroberung muss respektiert werden.“
Dänemark. Von 80 angesprochenen dänischen Schriftstellern haben nur 22 ein Manifest für Meinungsfreiheit unterschrieben: Sie wollten den Konflikt nicht weiter anheizen, nicht mit den Karikaturen in Verbindung gebracht werden oder sie hätten schlicht Angst, lauteten ihre Begründungen. Jyllands-Posten ist schockiert: „Haben die sich enthaltenden Autoren noch immer nicht begriffen, dass wir Zeuge eines globalen Versuches sind, die Meinungsfreiheit einzuschränken? Wir sind in einer Situation, in der 12 dänische Illustratoren mit Todesdrohungen leben. Ein mittelalterlicher Taliban-Kriegsherr hat eine Kopfprämie auf sie ausgesetzt. Ein finsterer Ayatollah hatte das Gleiche getan, als sich Salman Rushdie mit seinem Roman ‚Die satanischen Verse‘ lustig machte… Damals waren die Schriftsteller einig in ihrer Verurteilung und Unterstützung. Heute stellen sie sich an mit lauen Ausflüchten. Das ist bedauernswert. Das ist ehrlos. Das ist verächtlich.“
Ungarn. Der junge Politologe Zoltan Miklosi meint in Heti Vilaggazdasag, westeuropäische Medien hätten die Karikaturen aus Jyllands-Posten nicht abdrucken sollen: „Würde eine rechtsextreme Zeitung verfolgt, erstreckte sich unsere Solidarität nur auf das Recht auf Meinungsfreiheit, aber nicht auf die Inhalte. Es gäbe andere Möglichkeiten als antisemitische Karikaturen abzudrucken, um unsere Solidarität zu bekunden. Durch den Wiederabdruck erweckten die westeuropäischen Medien absichtlich oder unabsichtlich den Eindruck, dass sich ihre Solidarität auch auf die Inhalte der Karikaturen erstreckt. Wenn sie ihre Solidarität als Standpunkt der Redaktion geäußert und klare Grenzen festgelegt hätten, hätte man dieses Missverständnis vermeiden können. Jetzt sind die Konsequenzen da: die Medien haben allen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben.“
Deutschland. Der in Deutschland lebende irakische Schriftsteller Hussain Al-Mozany weist in der Berliner Zeitung darauf hin, dass der Prophet Mohammed nicht selbst gegen Gotteslästerer vorging: „Selbstverständlich untersagt der Koran strikt die Beleidigung Gottes, der Offenbarungsverse und des Propheten. Wer sich darüber hinwegsetzt, wird der Blasphemie bezichtigt und nach islamischen Richtlinien bestraft. Trotzdem steckte Mohammed das Haus Abu Lahabs nicht in Brand, sondern er berief sich auf die Strafe Gottes. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Handlungsweise des Propheten gewaltig von der des hingerissenen Mobs, der die europäischen Auslandsvertretungen stürmte und brandschatzte.“
Schweiz. Die Genfer Islamwissenschaftlerin Silvia Naef erklärt in der Neuen Zürcher Zeitung, dass es kein durchgehendes Abbildungsverbot für Mohammed im Islam gibt: „Wenn man von einem ‚Bilderverbot‘ im Islam sprechen kann, gilt dieses nur im religiösen Kontext: Gebetshäuser, aber auch Korane und andere religiöse Schriften weisen keine Personendarstellungen auf. Im profanen Leben hingegen entwickelte sich die Figuration seit frühester Zeit und erhielt sich durch die Jahrhunderte hindurch.“
Deutschland. In der Welt deutet der Münchner Moraltheologe Friedrich Wilhelm Graf die gewaltsamen Proteste in der arabischen Welt gegen die Karikaturen als Phänomen der Globalisierung. „Überall in modernen pluralistischen Gesellschaften wird die Botschaft verkündet: Du musst dein Profil schärfen, deine Identität sichtbar machen, du musst Alleinstellungsmerkmale betonen. Das kennen wir aus der Welt der Ökonomie, und im Konkurrenzkampf der Religionen passiert derzeit im Grunde nichts anderes. Die meisten setzen auf harte Abgrenzung – auch viele christliche Akteure. Das ist religiöser Globalisierungsdruck.“
Deutschland. Auch in der Türkei gibt es einen Karikaturenstreit, berichtet Kai Strittmatter in der Süddeutschen Zeitung. Tayyip Erdogan hat gerade einen Prozess gegen die Satirezeitschrift Penguen verloren, die ihn „mal als Katze, mal als Pferd, mal als ganzen Zoo“ gezeichnet hatte. „Tayyip Erdogan meint, man dürfe ihn nicht als Tier zeichnen. Das sage er als Mensch, nicht als Tayyip Erdogan. Nach dem Urteil gegen ihn diese Woche wurde er deutlicher: ‚Meinungs- und Pressefreiheit beinhalten keine Beleidigungsfreiheit.‘ Das ist deshalb interessant, weil in der Türkei diese Woche kein Thema aufgeregter diskutiert wurde als der Fernsehausschnitt, in dem der Premierminister zu sehen ist, wie er einen türkischen Bauern beleidigt … Der Bauer hatte sich zu Erdogan vorgedrängt und ihn einer schlechten Politik geziehen. Der Wortwechsel vor laufenden Kameras gipfelte in dem Ausbruch des Premiers: ‚Pack deine Mutter und verpiss dich, Lan‘.“
15. Februar 2006
Tschechien. Javier Solana, der außenpolitische Bevollmächtigte der EU, ist vor der Organisation der arabischen Staaten (OIC) auf Appeasement-Kurs gegangen: „Seien Sie sicher“, erklärte er, „wir werden unser Möglichstes tun, um so etwas nicht noch einmal geschehen zu lassen“. In der Zeitung Dnes fragt der Politologe und frühere Havel-Berater Jiri Pehe, für wen der Politiker eigentlich spricht. „Wie kann Solana versprechen, dass die EU keine weitere Beleidigung des Islam zulassen wird? Wie will er das absichern? Immerhin handelt es sich in Europa um freie Medien… Hätte die EU tatsächlich Rückgrat, dann hätte Solana fragen müssen, was die islamischen Staaten tun wollen, damit der iranische Präsident Ahmadinedschad aufhört, den Holocaust zu leugnen. Und was denken besagte Staaten über die Vertreter der Hamas, die es ablehnen, das Existenzrecht Israels anzuerkennen? Fahren jetzt Abgesandte der ‚Organisation der Islamischen Konferenz‘ (OIC) durch Europa, um sich für diese Äußerungen zu entschuldigen?“
Polen. Die Rzeczpospolita hatte die dänischen Mohammed-Karikaturen ebenfalls abgedruckt und wurde dafür prompt von der polnischen Regierung kritisiert. Außenminister Stefan Meller entschuldigte sich bei den Muslimen. Heute druckt die Zeitung einen Gastkommentar des Chefredakteurs der Monatszeitschrift Wiez, Zbigniew Nosowski, der sich der Kritik anschließt: „Diese Veröffentlichung war eine Provokation, die durch die Zahl der sich ihr anschließenden Medien noch verstärkt wurde. Journalistische Provokationen können sehr notwendig sein, wenn man auf andere Weise eine unbequeme Wahrheit nicht aufdecken kann. Die einzige neue Information bei den Karikaturen aber war … das Niveau der Ignoranz in Sachen Religion.“
Spanien. Der palästinensische Philosoph Said Zeedani meint im Interview mit der spanischen Zeitung La Vanguardia, dass „weder Pakistan noch Syrien noch irgendeine andere Regierung oder ein Geistlicher hinreichend dazu berechtigt sind, aus dieser vermuteten Empörung Kapital zu schlagen… Was im Moment vor sich geht, ist reine Politik. Die Beleidigung des Propheten ist nur ein Katalysator für die aufgestaute Wut in der arabischen Welt, die wiederum eine Folge des westlichen Verhaltens ihr gegenüber ist. Ja, dieses Verhalten beleidigt mich und es beleidigt arabische Bürger mehr als jede Karikatur… Die Wahrheit ist, dass nach dem Ende der Kolonialzeit alle westlichen Staaten Diktaturen unterstützt haben, zunächst aus Angst vor einem panarabischen Nationalismus, dann aus Furcht vor dem sowjetischen Einfluss und nun aus Angst vor dem Islamismus. Sie haben ihre Unterstützung lieber allen zukommen lassen, nur nicht der arabischen Demokratie.“
Estland. Andres Arrak fragt sich in Postimees, nach welchen Regeln die Menschen im Westen leben sollen. „Heute mischen sich Völker und Kulturen durch Immigration, und es gibt schnelle Informationskanäle. Noch vor hundert Jahren hätten Araber nie erfahren, wenn jemand in Nordeuropa einen Witz über sie reißt. Aber heute bringen die Immigranten ihre Kultur mit in die fremde Umgebung, wobei bestimmte Kulturen und Religionen aggressiver als andere sind… Die Sieger in diesem Krieg stehen noch nicht fest. Der Kommunismus jedenfalls stürzte zusammen, weil die Sowjetunion dem starken Präsidenten Reagan nichts entgegenzusetzen hatte. Aber der Kampf gegen den Terrorismus lässt sich nicht mit Geld und einer effektiveren Wirtschaft gewinnen.“
Schweden. In Dagens Nyheter hält Kolumnist Niklas Ekdal zwar nicht allein die Karikaturen für die Ursachen des Streits, sondern auch ihre Instrumentalisierung durch arabische Regime: Trotzdem fordert er von Dänemark und Europa Schritte, um den Streit beizulegen: „Erstens: Reagiert direkt mit diplomatischen Sanktionen, wenn Botschaften oder Entwicklungshilfeorganisationen angegriffen werden. Zweitens: Isoliert die Extremisten in allen Lagern. Drittens: Der Dialog hat bereits begonnen, national und global – er ist das wichtigste Instrument, um die Gegensätze zu überwinden. Viertens: Baut eine Moschee in Kopenhagen, so dass deutlich wird, dass der Islam nicht die Zielscheibe in einem Zivilisationskrieg ist. Fünftens: Der Chefredakteur Jyllands-Postens sollte sich seiner Verantwortung freiwillig stellen und überlegen, zurückzutreten.“
USA. In der Washington Post greift die Historikerin und Kolumnistin Anne Applebaum den Karikaturen-Streit auf: „Die Debatte hat einige unattraktive politische Unterströmungen in Amerika an die Oberfläche gebracht.“ Als da wären: „Schadenfreude – oder vielmehr fühlen sich Amerikaner ein klitzekleines bisschen erleichtert, dass jetzt mal Europa das Objekt verbrannter Fahnen und Ausschreitungen ist, statt sie selbst… Heuchelei bei der kulturellen Linken. Dutzende von amerikanischen Zeitungen, die Post eingeschlossen, haben erklärt, dass sie die Karikaturen nicht nachzeichen, dass sie lieber – in den Worten eines selbstgerechten Editorials – ‚von überflüssigen Angriffen auf religiöse Symbole absehen’…. Heuchelei in der rechten Blogosphäre. Erinnern Sie sich an die Kontroverse um Newsweek und den Koran? Im vergangenen Jahr hatte Newsweek den Vorwurf erhoben, der Koran werde in Guantanamo respektlos behandelt werden. Nachgegangen wurde dem in keinerlei offizieller Untersuchung. Es interessierte niemanden.“
Ungarn. Nachdem Hafid Ouardiri, Imam der Genfer Moschee, das Verbot des 1740 entstandenen Theaterstückes „Fanatismus oder der Prophet Mohammed“ von Voltaire verlangt und das französische Satirenblatt Charlie-Hebdo neue Karikaturen veröffentlicht hat, überlegt sich der Historiker Janos Pelle im Magazin HVG, ob es sich im Karikaturenstreit nicht doch um den Kampf der Kulturen geht: „Westeuropäische Medien beteiligen sich an diesem völlig sinnlosen und außergewöhnlich gefährlichen Streit vielleicht nur, weil sie höhere Gewinne erwarten. Aber der Westen muss in diesem Konflikt doch einen Standpunkt nehmen, auch wenn es bequemer wäre, neutral zu bleiben. Sind die Menschenrechte universell? Ist die Menschenrechtskonvention der UN für muslimische Länder gültig? Eines steht fest: die demokratischen Grundsätze können in der westlichen Welt nicht durchgesetzt und von allen politischen Akteuren anerkannt werden, wenn sie zugleich für Allahs Gläubige nicht gelten sollen.“
Deutschland. In der Welt meint der Soziologe Wolfgang Sofsky zu den wütenden Protesten in der islamischen Welt und ihren Ursachen: „Die Aktionen mögen ungeliebten Diktaturen zupass kommen, aber die Wirkung eines historischen Ereignisses ist nicht dessen Ursache. Mitnichten ist die Menge auf demokratische Freiheiten aus und hat nur in der Aufregung eine westliche Botschaft mit dem heimischen Innenministerium verwechselt. Der Impuls, der sie antreibt, ist viel älter. Die Masse der Frommen will ihrer ungläubigen Todfeinde habhaft werden, will sie schächten und verbrennen. Sie hat den Westen insgesamt im Visier. Die einzige Freiheit, auf welche sie aus ist, ist die Freiheit zum Töten.“ Dabei, gibt er zu bedenken: „Heiliger Zorn erfasst weniger den Frommen als den Halbgläubigen. Lehrsätze, Leitsprüche, Zeremonien oder Tabus sind nur das Mausoleum einer Religion.“
Deutschland. Fast sämtliche deutsche Karikaturisten richten im Tagesspiegel eine Solidaritätsadresse an den wegen seiner Iran-Karikatur angefeindeten Klaus Stuttmann. Dürfen jetzt nach Mohammed auch nicht mehr iranische Fußballspieler karikiert werden? „Dies zeigt, auf welch gefährlichem Weg wir uns befinden, wenn wir hinnehmen, dass die Tabuzonen der Satire und Meinungsäußerung je nach politischem Kalkül und Interesse immer stärker ausgeweitet werden. Als Karikaturisten haben wir die Aufgabe, alle Probleme und Konflikte, die die Öffentlichkeit und somit auch uns bewegen, zu kommentieren, seien sie politischer, gesellschaftlicher oder auch kultureller Art. Und wir bedienen uns dabei jener Mittel, die eine Karikatur per definitionem erst zur Karikatur machen: nämlich der Kritik, Polemik, Übertreibung und Ironie. Würden wir durch den Druck von außen oder auch durch die eigene ihm vorauseilende Selbstzensur ständig wachsende Zugeständnisse bei der Wahl der Themen oder der Mittel machen müssen, so wären wir, so wäre das Medium Karikatur bald am Ende.“
14. Februar 2006
Frankreich. Elf Schriftsteller pochen in Le Monde auf ihr Recht zur Blasphemie: „Es geht nicht nur um das Recht zu irren. Die Wahrheit ist, dass wir die Freiheit zur Blasphemie haben. Es ist reichlich irritierend, im Frankreich des Jahres 2006 ans das Recht zur Blasphemie zu erinnern. Das Einhauen auf Pfaffen gehörte hierzulande doch lange zu den Lieblingssportarten der Nation!“ (Die Deklaration auf Deutsch finden Sie hier)
Großbritannien. In einer Demokratie hat niemand, so mächtig oder machtlos er auch sei, das Recht, nicht beleidigt zu werden, behauptet der Jurist Ronald Dworkin im Guardian, aber in Zeitungen möchte er dieses Recht auch nicht verteidigt sehen: „Die Öffentlichkeit hat nicht das Recht alles zu lesen oder zu sehen, was sie möchte, naja, und wenn, dann sind die Cartoons ja im Internet verfügbar.“
Deutschland. Im Tagesspiegel hat eine Karikatur von Klaus Stuttmann den Zorn der Iraner auf sich gezogen – Stuttmann hat die iranische Fußballmannschaft als Selbstmordattentäter gezeichnet und ist jetzt wegen mehrerer Morddrohungen von zuhause ausgezogen. Der Tagesspiegel interviewte ihn. Auf die Frage, ob man karikieren kann, was anderen heilig ist, sagt er: „Darf man. Sonst könnte ich gar nichts mehr zeichnen. Irgendetwas ist irgendjemandem immer heilig. Und im Zeitalter der Globalisierung wird es immer schwerer. Vor ein paar Jahren hatte ich es im Gefühl, wem man was zumuten kann. Jetzt geht eine Zeichnung im Nu über den ganzen Erdball, und die Kulturen haben ganz andere Humorauffassungen. Das wird wirklich kompliziert.“ Auch als Karikatur hat Stuttmann diesen Eindruck dargestellt.
Deutschland. Der Westen hält das islamische Bilderverbot für hoffnungslos rückständig, dabei ist es ein Instrument der Aufklärung, schreibt Christian Schneider in der taz. „Es verwaltet die grundlegende Differenz zwischen Weltlichem und Göttlichem, indem es darauf beharrt, dass die göttliche Macht nicht repräsentiert werden kann, ohne sie zu verweltlichen.“
12./13. Februar 2006
Großbritannien. Die Debatte um die Karikaturen teilt die Redaktion des Spectator. Der Leitartikel verteidigt den Nichtabdruck der Zeichnungen und kritisiert lieber ausländische Medien. „Es wäre nett, wenn die deutschen und französischen Zeitungen, die die Karikaturen abgedruckt haben, dieses Recht ein bisschen mehr gegen ihre eigenen Regierungen und die EU einsetzen würden. Wo waren diese großen Verteidiger der Meinungsfreiheit in der französischen Presse, als bekannt wurde, dass Francois Mitterand bei weitem nicht der Resistanceheld war, wie er behauptete, sondern ein Apologet Vichys?“
Theodor Dalrymple ist da ganz anderer Meinung. „Die Reaktion Großbritanniens und der Vereinigten Staaten lehrt die muslimischen Extremisten, dass sie mit genug Brustgetrommel mächtige Staaten einschüchtern können, und dass die Bekenntnisse zum Glauben an die Meinungsfreiheit leer sind. Mit anderen Worten, die terroristische Taktik der Schwachen kann den Starken die Zensur aufzwingen. Muslimische Extremisten sind zu der nicht ganz falschen Schlussfolgerung gelangt, dass die Männer, die die westlichen Regierungen kontrollieren, nicht fest genug an etwas glauben, um ihre eigenen Haut zu riskieren, kurz: Sie sind dekadent.“
Schweiz. Europa ist auf dem besten Weg, Selbstmord zu begehen, raunt Hanspeter Born in der Weltwoche mit apokalyptischem Unterton und Verweis auf die demografischen Aussichten. Er schlägt einen Drei-Punkte-Plan vor: „Erstens müsste ein geistiger Schub – vergleichbar etwa mit den großen religiösen Erweckungsbewegungen, wie sie England und die USA im 19. Jahrhundert erlebten – durch Europa gehen, der eine höhere Geburtenrate begünstigen würde. Zweitens müssten die europäischen Staaten durch eine die nichtmuslimischen Kulturkreise bevorzugende Einwanderungspolitik eine größere kulturelle Diversifizierung erreichen. Drittens müsste es den europäischen Gesellschaften durch sozialpolitische Maßnahmen gelingen, die einwandernden Muslime von der Gültigkeit der aufgeklärten Moderne zu überzeugen und sie kulturell zu assimilieren.“
Italien. Unter Rückgriff auf den byzantinischen Bilderstreit betont Sandro Fusina in Il Foglio, wie glücklich sich das Christentum doch schätzen kann, dass die seiner Meinung nach vom Islam inspirierten Ikonoklasten verloren haben. „Das Verdienst des Christentums besteht sicher nicht darin, die okzidentale figurative Kunst aus dem Nichts erschaffen zu haben, aber es hat die klassische figurative Tradition vor dem radikalen islamischen ikonoklastischen Furor gerettet, vor dem desaströsen byzantinischen Versuch des Bildersturms. Vor allem aber besteht sein Verdienst darin, dass es eine lebendige Tradition geschaffen hat, die in der Lage war, sich andere Richtungen und Auffassungen anzueignen. Daraus hat sich die darstellende Kunst entwickelt, einer der einflussreichsten und charakteristischsten Züge der abendländischen Identität.“ Teil 1 und Teil 2 des Artikels sind als pdf abzurufen.
Frankreich. In Le point zeigen für die französische Journalistin Elisabeth Levy die Reaktionen auf den Karikaturenstreit wie auch die stürmische Debatte über die französischen „Erinnerungsgesetze“ zur kolonialen Vergangenheit vor allem eines: Es werde „in Frankreich immer schwieriger, der Gedankenpolizei zu entkommen“. „Redeverbot, Lachverbot, Schockierverbot, Kritikverbot: Frankreich war immer stolz darauf, eine Wiege des kritischen Denkens zu sein, ein Land, in dem Anschauungen miteinander ringen. Jetzt scheint das Land von der Verbotslust gepackt zu sein. Jetzt pflastern vom Gesetz und der Doxa geprüfte offizielle Wahrheiten und amtlich geprüfte, konforme Ansichten die Wege der Erkenntnis. Abweichlern droht ein Meinungstribunal – oder es wird gleich kurzer Prozess mit ihnen gemacht.“ Levy kritisiert auch das Zurückweichen der französischen Politik vor den islamistischen Protesten gegen die Karikaturen: „Darf denn jede Minderheit neuerdings verlangen, dass sie nicht nur ihre eigene Geschichte kontrolliert, sondern auch noch vor Kritik zu schützen ist?“
Ägypten. Al-Ahram bringt ein dickes Dossier zum Thema Mohammed-Karikaturen: In einem Exklusivinterview übt sich Dänemarks Premier Fogh Rasmussen in Schadensbegrenzung: „Karikaturen von Politikern können bei uns ja eine große Ehre bedeuten … Aber Politiker unterscheiden sich natürlich von Propheten.“
Von Ehre keine Spur, findet Anjali Kamat und erklärt in einem Beitrag des Dossiers, die Debatte offenbare „eine klaustrophobische Vision von Menschlichkeit“, imstande, den Kampf der Kulturen anzuheizen: „Verblendet durch Polarisierungen ist sie unfähig, die Karikaturen als das zu sehen, was sie sind: hässlich und rassistisch … So lehrt sie uns weniger über fanatische Muslime als über Europas Umgang mit der ‚Muslim-Frage‘.“
Für Salama A Salama sind die „Spannungen leicht zu erklären: Europa hat es versäumt, seine ethnischen Minderheiten auf sinnvolle Weise zu integrieren. In Dänemark gab es überhaupt keinen Grund, die beleidigenden Zeichnungen zu veröffentlichen. Aber die jüngsten Wahlen haben zum Aufstieg der rechtsextremen Volkspartei geführt, die bekannt ist für ihren Rassismus und ihre Xenophobie. Die Volkspartei hat es geschafft, die öffentliche Meinung gegen Muslim und Ausländer in Dänemark aufzuwiegeln – eine leichte Sache, bedenkt man die jüngsten Geiselnahmen im Irak.“
Frankreich. Der Nouvel Obs interviewt den Philosophen Regis Debray, der mit Rücksicht auf den Islam eine freiwillige Selbstbeschränkung der freien Meinung im Westen fordert: „Wir dürfen unsere Denkkategorien und unserer System sozialer Empfindungen nicht auf eine andere Kultur übertragen, die eine andere Geschichte hat und wo der religiöse Faktor eine strukturierende Rolle spielt wie bei uns vor 300 Jahren.“
Indien. Die Mohammed-Karikaturen – eine Geschmacksfrage? Ein Beitrag von Sanjay Suri in Outlook India dokumentiert die rechtlichen Implikationen: „Der Fall entwickelt sich von einer Medienkontroverse hin zu einer Debatte über den Konflikt zwischen Gesetzen, die die freie Meinungsäußerung garantieren, und solchen gegen Blasphemie. Eine Menge Gesetze gegen religiöse Hetze galten hitzigen Imamen … Die Gerichte könnten sich schon bald mit dem pikanten Fall ‚friedliche Moslems gegen provokante europäische Presse‘ konfrontiert sehen.“
Italien. Umberto Eco betont im Espresso, dass die meisten Demonstranten die Karikaturen höchstwahrscheinlich nicht gesehen haben. „Sind die Brände der Botschaften von den Zeichnungen verursacht worden? Nein, denn wenn das Gebot, menschliche Figuren nicht darzustellen und sie schon gar nicht auszustellen (was übrigens nicht stimmt, da wir Mohammed auf vielen wunderschönen Miniaturen finden) etwas wert ist, darf kein fundamentalistischer Muslime so frevelhaft sein und ihnen die Karikaturen tatsächlich zeigen, genauso wie kein katholischer Priester in der Kirche Fotos von nackten Frauen zeigt, um die Gläubigen anzuhalten, nicht den Playboy zu kaufen. Und deshalb versteht man nicht, warum diese Hitzköpfe so erhitzt sind. Die Wahrheit ist, dass sie sehr wenig über die Karikaturen wissen und von jenen angestiftet wurden, die die extremen Ränder beherrschen.“
Großbritannien. Im Karikaturen-Streit schlägt sich der Economist ganz entschieden auf die Seite der Pressefreiheit und tadelt den britischen Außenminister Jack Straw, der die Veröffentlichung der Zeichnungen „unnötig, taktlos, respektlos und falsch“ genannt hat. „Die Redefreiheit, zu der auch die Freiheit gehört, die Religion auf die Schippe zu nehmen, ist nicht nur ein hart erkämpftes Menschenrecht, sondern jene Freiheit, über die sich liberale Gesellschaften definieren. Wenn dieser Freiheit Gewalt angedroht wird, ist es die Aufgabe der Regierungen, sie ohne jede Einschränkung zu verteidigen.“
Gerade im Hinblick auf den Karikaturen-Streit begrüßt der Economist Daniel C. Dennetts („Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon“) Initiative, Religion als Naturphänomen aufzufassen und zum Gegenstand rationaler und wissenschaftlicher Betrachtung zu machen.
Polen. In der Wochenendausgabe der Gazeta Wyborcza argumentiert die polnisch-englische Schriftstellerin und Aktivistin Lisa Appignanesi gegen Gesetze, die Religionen, insbesondere Muslime, vor Angriffen schützen sollen. „Man kann nicht in der heutigen, multikulturellen Welt leben, ohne mehrmals täglich beleidigt zu werden! Wenn jede Beleidigung mit Zensur belegt wird, haben wir bald keine freie Kunst, Presse, Gedanken mehr.“ Auf die Frage, wie weit Redefreiheit gehen kann, antwortet Appignanesi: „Freie Gesellschaften sollten schädliche Meinungen bekämpfen, indem sie gute verbreiten – nicht mit Hilfe von Staatsanwälten und Gefängnissen.“
Deutschland. „Die religiös Indifferenten leben nicht mehr ganz unter sich in diesem Land“, bemerkt Botho Strauß im Spiegel. Der Verletzung sakraler Gefühle komme daher eine andere Bedeutung zu als in der früheren Bundesrepublik. „Sie sollte ebenso strafbar sein wie die Verletzung der Ehre.“ Spott und Satire werden uns in der Auseinandersetzung mit dem Islam nicht weiterhelfen. Denn wir leben in einer „Vorbereitungsgesellschaft. Sie lehrt uns andere, die wir von Staat, Gesellschaft, Öffentlichkeit abhängiger sind als von der eigenen Familie, den Nicht-Zerfall, die Nicht-Gleich-Gültigkeit, die Regulierung der Worte, die Hierarchien der sozialen Verantwortung, den Zusammenhalt in Not und Bedrängnis.“ Durch den Islam sei die im Westen „herrschende Beliebigkeit“ in eine Krise geraten. „Vielleicht darf man sogar sagen: Wir haben sie hinter uns. Es war eine schwache Zeit!“
Großbritannien. Die Muslime, die am Samstag in London friedlich gegen die Karikaturen protestierten, forderten Respekt für ihre Kultur und ihre Religion. Da gibt es ein Missverständnis, meint Minette Marrin in der Sunday Times. „Natürlich vermeiden es in einer zivilisierten Gesellschaft die meisten Menschen, den Glauben anderer zu beleidigen, aber das geschieht nicht notwendigerweise aus Respekt für diese Menschen. Es geschieht sehr oft aus einem übergeordneten Respekt für etwas Unpersönliches – die Ansprüche der Höflichkeit in einer Zivilgesellschaft und über allem das Ideal der Toleranz … Ich war auf Parties, wo kolossale Gauner von den Gästen mit größter Höflichkeit behandelt wurden. Aber es wäre ein Fehler, diese Art von Höflichkeit für Respekt zu halten. In einem freien Staat kann man Respekt nicht fordern oder verhängen. Er kann nur freiwillig gegeben werden. Die Forderung der Muslime nach unkritischem – und juristisch bindendem – Respekt für ihren Glauben kann in einer Gesellschaft wie unserer nicht erfüllt werden.“
Großbritannien. Zugleich diskutiert die Times über das Internet: Andrew Sullivan beklagt in der Sunday Times bitter, dass die englische und amerikanische Presse im Karikaturenstreit versagt hat: das, worum es geht, die Karikaturen selbst, konnte man nur im Internet sehen. Und heute fordert Clive Davis die Europäer auf, sich ein Beispiel an amerikanischen Bloggern zu nehmen: „Pardon my franglais, but the time has come to say ‚Aux keyboards, citoyens!'“
Großbritannien. Im Sunday Telegraph beschreibt Nonie Darwish, wie sie in Palästina in einem Klima des Hasses – gegen Juden, Christen, den Westen – erzogen wurde. Dieser Hass ist das Problem, schreibt sie, nicht irgendwelche Karikaturen. „Wir dürfen es nicht mehr dulden, dass unsere Führer den Westen und Israel dazu benutzen, von ihrem eigenen Versagen und der fehlenden Freiheit ihrer Bürger abzulenken. Wir dürfen es nicht mehr dulden, dass sich arabische Führer über Karikaturen beschweren, während sie wegschauen, wenn jemand den Islam verleumdet, indem er in der einen Hand einen Koran hält und mit der anderen unschuldige Menschen ermordet. Muslime brauchen Jobs, keinen Jihad.“
11. Februar 2006
Deutschland: Entgegen anderweitiger Vermutungen gibt es im Islam kein Humorverbot, stellt Katajun Armirpur in der Frankfurter Rundschau klar und gibt zur Untermauerung wertvolle Hinweise auf eine Sammlung iranischer Karikaturen, den (aus dem Iran geflohenen) Satiriker Ebrahim Nabavi und Mohammed-Darstellungen. Von Spott seien dabei Allah und die Mullahs nicht ausgenommen, wohl aber Mohammed.
Deutschland: In der Welt fordert die türkische Schriftstellerin Elif Shafak: „Wir brauchen viel mehr Moslems, die ihren Glauben an die Demokratie zum Ausdruck bringen und jene Moslems kritisieren, die mit Hassreden auf Menschen im Westen reagieren. Wir brauchen viel mehr Menschen im Westen, die ihrer Sympathie mit moslemischen Kulturen Ausdruck verleihen und jene Kräfte im Westen kritisieren, die mit Hassreden auf Moslems reagieren.“
Deutschland: In der taz stellt Achim Frenz, der Leiter des Karikaturmuseums in Frankfurt, fest: „Bei Karikaturisten ist es halt so, dass sie per se beleidigen.“
Deutschland. In der Süddeutschen Zeitung wundert sich der israelische Historiker Moshe Zimmermann, dass die Europäer so erstaunt sind über die Reaktionen von Muslimen auf die Mohammed-Karikaturen. „Hat die Insel Europa, möchte man fragen, nicht die Signale aus der Peripherie wahrnehmen wollen? Hat man das Wiederaufflammen der alten Religionskriege selbst auf europäischem Territorium, im ehemaligen Jugoslawien, nicht zu Kenntnis genommen?“
10. Februar 2006
Frankreich. Als „Kampf der Ignoranten“ beschreibt Henri Tincq, zuständiger Redakteur für Religionsfragen bei Le Monde, die aktuellen Ereignissen, und fasst zusammen: „Bin Laden ist ein alter Hase in der Kunst, den leidenden, gedemütigten Islam zu mobilisieren. Ohne jeglichen Widerspruch von intellektueller Seite besteht das Spiel der Extremisten aus einer ständigen Wiederbelebung dieses Kampfes der Zivilisationen, der Kulturen und der Religionen. Dabei beziehen sie sich auf eine einfache Lektüre der kriegerischen Versen des Koran, ohne jeglichen historischen oder kritischen Ansatz. Ein Wettlauf hat begonnen zwischen diesen Extremisten und dem so genannten moderaten Islam, der versucht, das Beste aus seinem klassischen, humanistischen Tradition herauszuholen. Heutzutage fehlen ihm dafür die Mittel, doch es wäre gefährlich, ihn in geschmacklose Karikaturen zu verbannen.“
Frankreich. Ebenfalls in Le Monde beschreibt der Islamwissenschaftler Gilles Kepel, wie der Karikaturenstreit im Mittleren Osten dazu benutzt wird, Kritik an der eigenen Regierung abzulenken und sich als Verteidiger der europäischen Muslime aufzuspielen. „Diese werden als eine Gemeinschaft von Gläubigen hingestellt, deren Glaube bedroht wird. Das führt uns ins Zentrum der Schlacht um Europa: Werden europäische Muslime helfen, die Länder ihrer Herkunft zu demokratisieren, indem sie ein Beispiel für Integration und Erfolg in den liberalen, pluralistischen Gesellschaften abgeben? Oder werden sie als Geiseln genommen von autoritären muslimischen Staten oder islamischen Bewegungen, die versuchen, sie als Trojanisches Pferd zu benutzen und den alten Kontinent zu destabilisieren, indem sie den Religionshass anstacheln? Das ist einer der zentralen Punkte in dieser Debatte.“
Frankreich. Im Leitartikel des Figaro werden die französischen Traditionen beschworen: „Wir sind die Kinder von Montesquieu, der in den Lettres persanes über die Staatsreligion spottete, und von Voltaire, der für das Recht der freien Meinungsäußerung, nicht nur seiner Anhänger, sondern auch seiner Gegner kämpfte. Wir sind unweigerlich der Pressefreiheit verbunden, und wir halten gegen jeden Widerstand daran fest. Wie alle Freiheiten, ist die Pressefreiheit selbstverständlich auch Bedingungen unterworfen. Wir alle wissen: die Freiheit des einzelnen hört auf vor der Freiheit des anderen. Der Angriff auf das private Leben wird von der Justiz stets bestraft. Was die Pressefreiheit betrifft, gibt es für die Richter eine Menge Gelegenheiten. Aber es ist immer eine Sache der Justiz und nicht der Regierung.“
Frankreich. Ebenfalls im Figaro ruft Ivan Rioufol: Resiste! „Die ‚Gemäßigten‘ zeigen sich solidarisch mit ihren ‚Brüdern‘ und ‚Schwestern‘ um allseits Respekt für ihre Religion zu fordern. Nun aber ist dieser Schulterschluss ein erster Sieg der Islamisten, die den Versuch unternommen haben, die Entschlossenheit des Westens zu testen, seine Laizität und Meinungsfreiheit zu verteidigen. Ihr zweiter Sieg wäre das Bedauern der Demokratien. Die Herausforderung ist klar: entweder widersteht das alte Europa oder es entschuldigt sich erneut. Der Münchner Geist, der dem innewohnt, lässt das Schlimmste befürchten.“
Großbritannien. Wer will schon absolute Meinungsfreiheit?, fragt im Guardian die frühere Vorsitzende der Muslim Association of Britain, Anas Altikriti, die morgen eine Demonstration gegen Islamophobie anführen wird. „Ist es so schwer zu verkraften, dass der Islam die Beleidigung des Propheten als eine Verletzung dessen betrachtet, was heilig ist? So wie auch Europa zurecht die Leugnung des Nationalsozialistischen Holocausts betrachtet? Wäre die freie Rede tatsächlich das unverhandelbare Absolute im Westen, wie jetzt behauptet wird, das müssten wir eigentlich einen Auftsand gegen Gesetze erwarten können, die das Leugnen des Holocausts und die Aufstachelung zum Rassenhass verbieten.“
Dänemark. Die dänische Regierung unter Anders Fogh Rasmussen hat stets betont, dass sie sich nicht für etwas entschuldigen werde, was eine private Zeitung veröffentlicht hat. Wer sich verunglimpft fühle, könne vor Gericht klagen. Doch warum sich eigentlich nicht entschuldigen, fragt Politiken in seinem heutigen Leitartikel? „Es ist nicht so ungewöhnlich, dass politische Führer Dinge bedauern, für die sie persönlich nicht verantwortlich sind. Tausende von Dänen entschuldigen sich dieser Tage über das Internet, ohne dass sie mit den Karikaturen etwas zu tun haben. Kein Zweifel, dass im Nahen und Mittleren Osten irrationale und aggressive Kräfte ihr Spiel betreiben, denen die dänische Diplomatie weder entgegenkommen kann noch darf. Aber warum nicht denjenigen, die den Frieden wollen und mit denen wir normalerweise zusammenarbeiten, bessere Argumente in die Hände geben? Bislang sind Probleme nicht von selbst verschwunden.“
Schweden. Unterdessen befürchtet die schwedische Regierung, in die Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen hineingezogen zu werden, berichtet Dagens Nyheter. Auf ihrer Homepage hatte die rechtsgerichtete Partei Sverigedemokraterna (SD) die Mohammed-Karikaturen Jyllands-Postens zusammen mit weiteren anstößigen Zeichnungen veröffentlicht. Die Homepage wurde von den Behörden inzwischen gesperrt, ein arabischer Fernsehsender hat jedoch schon darüber berichtet.
Polen. In der Gazeta Wyborcza kommentiert der britische Historiker Timothy Garton Ash: „Wir spüren, dass dies ein entscheidender Augenblick ist für alle Bewohner Europas. Und wir wissen, dass es keine einfachen Antworten darauf gibt. Das kleinste Übel wäre ein schmerzhafter Kompromiss zwischen der allgemeinen Freiheit des Wortes – die Bedingung jeglicher Freiheit – und der Notwendigkeit, sich in einer vielfältigen Welt selbst zu beschränken.“ Aber die Reaktionen in der arabischen Welt auf die Karikaturen findet Garton Ash unakzeptabel. „Bekümmert, wenn auch nicht überrascht hat mich auch die anämische Reaktion der EU auf die bewaffneten Angriffe auf die dänische Botschaft in Syrien, die wie es scheint, mit der Billigung der dortigen Obrigkeit vorbereitet waren, wenn nicht gar auf ihre Ermunterung hin.“
Deutschland. Als die Berliner Akademie der Künste 1989 eine Solidaritätsveranstaltung für Salman Rushdie ablehnte, war dies für den Schriftsteller Günter Grass noch Grund genug auszutreten. Die Welt übernimmt von El Pais ein Interview, in dem der Nobelpreisträger eine andere Position bezieht: „Im Westen wird derzeit selbstgefällig die Diskussion über den Grundsatz geführt, dass wir das Recht auf eine freie Presse genießen. Aber wer hier nicht Selbstbetrug betreibt, weiß genau, dass die Zeitungen von Anzeigen leben, und dass sie Rücksicht darauf nehmen, was bestimmte wirtschaftliche Kräfte diktieren. Die Presse selbst ist Teil enormer Unternehmensgruppen, welche die öffentliche Meinung monopolisieren. Wir haben das Recht verloren, unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen. So lang sind die Zeiten der Majestätsbeleidigung noch nicht vorbei, und wir sollten nicht vergessen, dass es Orte gibt, die keine Trennung von Staat und Kirche kennen. Woher nimmt der Westen die Arroganz, bestimmen zu wollen, was man tun darf und was nicht?“
Schweiz. In der NZZ sieht der Berliner Islamwissenschaftler Ralph Ghadban im Karikaturenstreit vor allem eine Machtdemonstration der Islamisten: „In der islamischen Welt stellen wir eine Rückentwicklung fest. Infolge der fortschreitenden Islamisierung werden in immer mehr Ländern schärfere Blasphemiegesetze eingeführt, die weniger den Islam beschützen als andere Religionen bekämpfen und verdrängen wollen. Mit Terror und Gewalt versuchen fanatisierte Muslime, ihre islamischen Blasphemienormen außerhalb der Grenzen der islamischen Länder zu exportieren und die Menschen mundtot oder auch tot zu machen, Salman Rushdie, Theo van Gogh und nun die dänische Zeitung Jyllands-Posten sind die bekanntesten Beispiele.“
Deutschland. „Dieser Streit hat keinen Krieg der Zivilisationen ausgelöst, sondern einen Krieg der Ignoranten“, fürchtet in der Welt der Berliner Schriftsteller Zafer Senocak. „Die Islamophobie, die sich im Westen Gehör verschaffen möchte, ist nur die Kehrseite des Islamismus. Längst ist es üblich geworden, Praktiken wie Zwangsehen oder Ehrenmorde, die mit der islamischen Religion nicht zu legitimieren sind, unter der Rubrik Islam abzuheften. Damit wird jenen, die eine eindeutige, nach islamischen Vorstellungen nicht zulässige Deutungshoheit über die Quellen der islamischen Religion beanspruchen, Fett aufs Brot geschmiert.“
9. Februar 2006
Frankreich/Dänemark/Algerien. Der Online-Dienst des Nouvel Obs präsentiert einen neuen Entschuldigungsbrief des Chefredakteurs von Jyllands Posten, Carsten Juste, den dieser in der algerischen Zeitung La Tribune veröffentlichte. Der Brief unterscheidet sich in einigen Passagen von der bisher bekannten Entschuldigung. Juste bedauert ein „großes Missverständnis“, das durch die Veröffentlichung der Karikaturen entstanden sei. „Die Veröffentlichung der Karikaturen überschreitet keinerlei dänisches Gesetz zur Presse- oder Meinungsfreiheit. Aber diese Karikaturen haben offensichtlich Millionen Muslime in der ganzen Welt verletzt und aus diesem Grund möchten wir uns hier entschuldigen und unser tiefes Bedauern über die Ereignisse ausdrücken, die in keiner Weise in den Absichten der Zeitung lagen.“ Juste weist darauf hin, dass einige drastische Zeichnungen, die die Krawalle mit auslösten, keineswegs aus seiner Zeitung stammten und fährt dann fort: „Was die 12 Zeichnungen angeht, die von unserer Zeitung veröffentlicht wurden, erklären sich einige aus einem Missverständis, das durch kulturelle Unterschiede hervorgerufen wurde, und wir ziehen keine Kultur einer anderen vor. Es wurde behauptet, dass wir diese Karikaturen als eine Hetzkampagne gegen die Muslime in Dänemark und der ganzen Welt präsentiert hätten. Wir weisen diese Behauptung zurück und verurteilen sie, denn wir glauben an die Freiheit aller Religionen und halten die Freiheit der Individuen in der Ausübung ihrer Religion heilig. Wir wollten und wollen niemals irgendeine Reliigion angreifen.“ Der Brief endet mit der Formel „Möge Gott Ihnen helfen.“
Frankreich. Der Canard enchaine erscheint heute nicht als „journal satirique“, sondern als „journal satanique“: Die Seite 1 mit den Karikaturen des Blattes zum Streit kann man online betrachten
Frankreich. Auch die andere satirische Zeitschrift in Frankreich, Charlie hebdo, bringt eigene Karikaturen und zudem auch die dänischen Karikaturen. Die Zeitschrift hat keine Internetadresse, aber der Onlinedienst des Nouvel Obs reproduziert die Seiten.
Spanien. Günther Grass beklagt im Interview mit El Pais die Arroganz des Westens: „Der Westen führt diese Debatte mit einer gewissen Selbstzufriedenheit, wenn er behauptet, dass er über Pressefreiheit verfügt. Aber wer sich nicht für dumm verkaufen lässt, weiß, dass die Zeitungen von Werbung leben und dass man, um sie herzustellen, die Meinung bestimmter ökonomischer Kräfte in Erwägung ziehen muss. Die Medien gehören Riesenkonzernen an, die die öffentliche Meinung bestimmen. Wir haben das Recht verspielt, uns hinter dem Recht auf Meinungsfreiheit zu verstecken: es ist noch nicht lange her, dass der Straftatbestand der Majestätsbeleidigung abgeschafft wurde, und wir sollten nicht vergessen, dass die Trennung zwischen Staat und Kirche in bestimmten Landstrichen noch immer nicht existiert. Woher nimmt der Westen all die Arroganz, mit der er anderen diktiert, was sie tun müssen.“
Ungarn. In der ungarischen Tageszeitung Nepszabadsag kritisiert der Europaabgeordnete Gyula Hegyi europäische Schulen und Medien, die ein diskriminierendes Bild vom Islam verbreiten und so einen globalen Konflikt auslösen: „Die westliche Welt macht einen sehr dummen Fehler, wenn sie sich in die Sackgasse des Fundamentalismus verirrt und zur Logik der Kreuzzüge zurückkehrt. Wenn wir den Islam im Vergleich zu unserer eigenen Religion und Kultur als minderwertig darstellen, wenn wir uns statt zum Dialog nur zu Befehlen aufraffen, dann spielen wir den Fanatikern in die Hände. Hinter dem islamistischen Terrorismus verbirgt sich vor allem der Wahnglaube, dass die westliche Welt und Israel die islamische Welt erniedrigen und zerstören wollen. Wir dürfen uns keine Gesten erlauben, die ein Muslim als Erniedrigung seines Glaubens empfindet. Um das einzusehen, sollten die Europäer den Islam endlich kennen und verstehen lernen. Darin liegt europaweit die gemeinsame Verantwortung von Bildung und Medien.“
Frankreich. „Wir sind jetzt mit der weltweiten Verbreitung von Hass konfrontiert“, schreibt der französische Philosoph Alain Finkielkraut in Liberation. „Ein unerwarteter Gast hat sich beim Bankett-ohne-Grenzen eingestellt: nach den Ärzten, Apothekern, Krankenschwestern, Anwälten und Reportern ist nun die Zeit für die Fanatiker ohne Grenzen gekommen… Nur die allerwenigsten unter denjenigen, die von Pakistan bis Algerien gegen die in der Kopenhagener Tageszeitung Jyllands-Posten erschienenen Karikaturen protestieren, können Dänemark auf einer Landkarte verorten. Aber was zählt schon die Geografie! In Zeiten des Internets sind alle überall, wir sind alle Engel. Das ist ja das Schreckliche.“ Finkielkraut erinnert außerdem daran, dass „diejenigen, die im Kampf gegen die Meinungsfreiheit Respekt für ihren Glauben verlangen, den Glauben der anderen verachten und es sie sehr deutlich wissen lassen.“
Portugal. „Die Christen der westlichen Welt müssen jeden Tag unglaubliche Beleidigungen ertragen: Christus als Homosexueller, Maria als Prostituierte usw. Und wenn sie nur die geringste Empörung zeigen, hagelt es gleich Proteste, indem man die heilige Meinungsfreiheit gegen sie anführt“, mahnt Luciano Amaral, Wirtschaftswissenschaftler an der Neuen Universität von Lissabon, in der portugiesischen Tageszeitung Diario de Noticias. „Wenn jetzt eine dänische Zeitung hingeht und ein paar armselige Karikaturen Mohammeds veröffentlicht, dann legt plötzlich die Hälfte der westlichen Intellektuellen religiöse Rücksichtnahme gegenüber dem Islam an den Tag, zeigt Reue, entschuldigt die Gewaltausbrüche der Moslems und bittet uns um Verständnis für sie, weil sie die volle Arroganz des Westens ertragen müssen… Der Hass mancher Westler auf ihre eigene Kultur ist eines der faszinierendsten Phänomene der Gegenwart. Wenn in einer Kultur nicht mal mehr die Überlebensinstinkte funktionieren, verdient sie es vielleicht auch nicht weiter zu existieren.“
Deutschland. Robert von Lucius hat für die FAZ mit einem der dänischen Mohammed-Zeichner gesprochen, der seit einigen Wochen „unter Todesdrohungen und unter Polizeischutz“ lebt. „Niemand habe sie richtig verstanden, sagen die Zeichner – ihnen sei es nicht um Muslime und den Islam gegangen, sondern um die Selbstzensur dänischer Zeichner, Autoren und Journalisten. Gegen diese hätten sie angehen wollen.“
Deutschland. In der Welt stellt der kanadische Kolumnnist Marc Steyn einige steile Thesen auf: „Das fortschrittliche Programm – verschwenderische soziale Wohlfahrt, Abtreibung, Säkularismus, Multikulturalismus – ist, zusammengenommen, das eigentliche Selbstmordattentat“, meint Steyn, der mehr Kinder produziert sehen möchte. „Anders als wir denken die Islamisten langfristig, und angesichts ihres demographischen Vorteils in Europa und des Tons, den die entstehenden moslemischen Lobbys dort anschlagen, kriegen sie viel von dem, wofür sie bisher Flugzeuge in Gebäude steuern, in ein paar Jahren wahrscheinlich einfach so. Die Wolkenkratzer werden ihre sein; warum sie einreißen?“
Deutschland. In einem Interview mit der taz erklärt Daniel Cohn-Bendit, er glaube nicht, dass die Welt mit dem Abdruck der Karikaturen die Meinungsfreiheit verteidigen wollte: „Wenn es Karikaturen gewesen wären, die das Christentum oder das Judentum beleidigen, hätte das Blatt sie nicht gedruckt. Eine Zeitung wie Charlie Hebdo, die im Rahmen der Anti-Aids-Kampagne Christus mit einem Steifen und Pariser darauf am Kreuz sagen lässt, ich ficke nur mit Pariser, die kann auch Mohammed-Karikaturen drucken. Dieses ganze Sich-in-die-Brust-Werfen für Meinungsfreiheit hat bei uns einen strengen heuchlerischen Geruch.“
Deutschland. Sechs Seiten und ein Artikel zum Karikaturenstreit in der Zeit. Der palästinensische Journalist Akram Musallam erklärt, warum er die Karikaturen beleidigend findet – und falsch: „Den Terrorismus mit dem Islam und islamischen Gesellschaften gleichzusetzen ist oberflächlich. Der Islam ist eine Religion wie andere Religionen auch.“
8. Februar 2006
Polen. In der Rzeczpospolita, die ebenfalls die Mohammed-Karikaturen nachgedruckt hatte („Die Freiheit des Wortes ist keine Provokation!“), sieht Janusz A. Majcherek in dem Streit keinen Konflikt zwischen den Kulturen, sondern einen innerhalb der europäischen Gesellschaften. „Es geht um die Art und Weise, wie wir Religion in der publizistischen Sphäre behandeln… Auch wenn Religion keine öffentliche Angelegenheit ist, spricht sie das nicht von Kritik frei. Denn religiöse Überzeugungen ebenso wie die Ergebnisse von freien Wahlen müssen mit dem Schutz menschlicher Eigenschaften einhergehen, die nicht der freien Wahl oder der eigenen Entscheidung unterliegen: Geschlecht, Hautfarbe, Alter. Rassismus und Sexismus sind weitaus schlimmere Vergehen als die Kritik an einer Religion. Die Mehrheit der Muslime scheint dies absolut nicht zu verstehen, aber auch viele Katholiken haben damit Mühe.“
Ungarn. In der Wochenzeitung Elet es Irodalom kritisiert Kolumnist Istvan Vancsa den Europarat für seine Kritik an der dänischen Regierung: „Der Europarat verhält sich genau wie der Kreml in den 1970er Jahren, als die politische Führung des einen oder anderen Vasallenstaates regelmäßig wegen einer bestimmten literarischen Reportage, eines Essays oder einer Buchkritik vorläufig in die Ecke gestellt wurde. Mit dem Unterschied, dass das damalige Verhalten des Kremls rationaler war, weil die Presse damals tatsächlich abhängig war von der politischen Führung der Vasallenstaaten. Aber Jyllands-Posten ist von niemandem abhängig. Ist der Europarat gaga? In dem Streit geht es nicht um zwei Kilo Kartoffeln, sondern um einen Grundwert der westlichen Gesellschaften, um das sine qua non westlicher Lebensformen, um die Pressefreiheit.“
Ungarn. In der Tageszeitung Magyar Hirlap erinnerte Kolumnistin Julianna R. Szekely am Donnerstag daran, wie oft Karikaturen bzw. andere ironisch-groteske Darstellungen von Jesus einen Skandal in der westlichen Welt auslösten: „Den Protesten der muslimischen Welt setzen wir entgegen, dass wir uns weder Terroristen noch Geschmacksterroristen ergeben, und den Terrorismus insgesamt verurteilen. Warum gibt es dann immer eine große Entrüstung, wenn Jesus, der christliche oder der jüdische Glauben in einer ungewöhnlichen, sarkastischen Art und Weise dargestellt wird? Martin Scorseses Film ‚Die letzte Versuchung Christi‘ brachte die ganze westliche Welt auf: in mehreren Ländern wurde er verboten, in Ungarn musste er als Fernsehsendung ausfallen, weil ein Bischof darin die Erniedrigung sämtlicher Christen der Welt sah.“
Spanien. In der Tageszeitung El Pais schlägt der französische Nahost-Spezialist Olivier Roy eine geopolitische Lesart der Ausschreitungen vor, die in Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen stehen. „Die Karte der Protestbewegungen zeigt, dass die Staaten, in denen es zu Gewaltausschreitungen gekommen ist, diejenigen sind, deren Regime oder bestimmte politische Kräfte mit den Europäern im Konflikt liegen. Die Gewalt ist von den Staaten oder politischen Gruppierungen instrumentalisiert worden, die die europäische Präsenz in mehreren Krisengebieten des Mittleren Ostens ablehnen? Dass sich das syrische Regime wie ein Beschützer des Islams aufführt, wäre lächerlich, wenn es nicht so tragische Konsequenzen hätte! Ein Regime, das mehrere zehntausend muslimische Brüder ermordet hat, will an vorderster Front die Muslime verteidigen! Es handelt sich dabei um ein rein politisches Manöver, das es Syrien ermöglichen soll, im Libanon Einfluss zurückzugewinnen, indem es sich mit allen verbündet, die sich von der europäischen Politik ignoriert oder bedroht fühlen.“
Großbritannien. Alan Coren, ehemaliger Chefredakteur des legendären Satiremagazins Punch, betrachtet in der Times den Karikaturenstreit unter professionellen Gesichtspunkten: „Ich habe mich niemals von Fragen des Geschmacks, der Schicklichkeit oder der Sensibilität beeinträchtigen lassen. Egal, ob es um Behinderte, Auschwitz, Golgatha oder Impotenz, Krebs oder Hiroshima gib – wenn mich eine Karikatur zum Lachen brachte, kaufte ich sie.“ Die Mohammed-Karikaturen findet Coren allerdings überhaupt nicht lustig. Trotzdem fragt er: „Angenommen, sie wären komisch? Nicht für uns Ungläubige, wir zählen da nicht, sondern für Muslime. Ich traue es mich kaum zu fragen – nicht weil ich das Klopfen an der Tür oder den Krummsäbel an der Kehle fürchte, sondern nur weil mir meine eigene Unwissenheit bewusst wird – ob es nicht unbeachtet der Tatsache, dass die Abbildung von Mohammed ein Sakrileg darstellt, Umstände gäbe, unter denen ein Witz über ihn so schrecklich komisch seine könnte, dass sich sogar die Frömmsten ein Grinsen darüber nicht verkneifen könnten. Ich weiß es nicht, aber ich muss es wissen.“
Großbritannien. In weniger als drei Monaten stehen kommunale Wahlen in England an. Nur das ist der Grund für die milde Verurteilung der massiven Proteste gegen die Karikaturen durch die britische Regierung: „Nichts darf getan werden, um muslimische Wähler abzuschrecken“, beschreibt Matthew d’Ancona im Telegraph die Haltung der Regierung. Aber damit habe sie das Selbstvertrauen radikaler Muslime verstärkt. Als Beispiel nennt d’Ancona den Auftritt von Anjem Choudary, Mitglied der al-Ghuraba-Gruppe, in einer Fernsehshow. „Als Antwort auf die Frage von Jeremy Paxton, ob er nicht glücklicher in einem Land wäre, das die Scharia praktiziert, wütete Mr. Choudary: ‚Wer sagt denn, dass Britannien Ihnen gehört? Britannien gehört Allah.‘ Und um klar zu machen, was er über die Briten denkt, fügte er hinzu: ‚Wenn ich in den Dschungel gehe, dann nicht, um dort wie ein Tier zu leben. Ich propagiere dass, was ich für eine höhere Art zu leben halte.'“
Deutschland. In der taz erklärt Harald Schmidt in einem Interview, warum er keine Witze über den Islam macht: „Man muss nur ein bisschen wachsam sein. Sie brauchen die nötige Portion Feigheit. Machen Sie doch lieber Witze über Bush, das ist ungefährlich. Insofern hat die westliche Zivilisation doch einige ganz großartige Errungenschaften hervorgebracht.“
Deutschland. In der Welt erklärt Al-Dschasira-Fernsehdirektor Wadah Khanfar im Interview, warum die dänischen Karikaturen für ihn nicht unter Meinungsfreiheit zu rubrizieren sind: „Wir respektieren zutiefst freie Meinungsäußerung. Es ist ein sehr wichtiges Gut, vor allem in der arabischen Welt. Aber diese Zeichnungen enthalten keine Information, offenbaren keine Meinung.“
Deutschland. Der Schriftsteller Navid Kermani untersucht in der Süddeutschen Zeitung die Genese eines Skandals, bei dem beide Seiten versagt hätten. „Die Mohammed-Karikaturen sind kein zweiter Fall Salman Rushdie. Es war Rushdies unveräußerliches Recht, die eigene islamische Kultur zu diffamieren … Rushdie steht in einer langen Tradition von Literaten der islamischen Welt, die sich mit dem Islam anlegen. Viele von ihnen haben dafür mit Verboten, Verhaftungen oder gar ihrem Leben gebüßt (auch wenn die orientalische Geschichte nicht annähernd so viele Ketzer aufweist wie die europäische). Der dänischen Redaktion ging es um etwas völlig anderes. Hier wurde eine Minderheit im eigenen Land zu einer Reaktion provoziert, die zur Rechtfertigung dienen sollte, eben diese Minderheit noch weiter zu marginalisieren.“
Deutschland. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung meint der libanesische Dichter Abbas Beydoun, dass die Ausschreitungen in Beirut vor allem innerlibanesische Ursachen habe, aber auch die heikle Beziehung der Muslime zum Westen reflektiere: „Für mich sind die Ereignisse gerade ein Indiz, dass die Entwicklungen im Libanon nicht von denen im gesamten Nahen Osten zu trennen sind. Die sunnitische politische Elite um die Familie des ermordeten Ex-Premiers Rafik Hariri gilt als national, pro-westlich, pro-demokratisch und international gut vernetzt. Dennoch waren unter den Demonstranten am Wochenende viele Sunniten, aber kaum Schiiten. Man kann die Proteste sogar als Ausdruck eines libanesischen Widerstands gegen die Politik im Irak betrachten. Die anti-westliche, aber eben auch die anti-schiitische Einstellung eines Sarqawi findet man offenbar auch bei uns. Und dies bedeutet, dass die Wut über die Karikaturen eine Reaktion ist auf die Beziehungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt überhaupt.“
7. Februar 2006
Frankreich. Auf der Meinungsseite von Le Monde beschreibt der in Nizza lehrende Philosophie-Professor Abdennour Bidar die durch eine „tatsächliche muslimische Präsenz“ zu Wege gebrachte „demokratische Wandlung des Islam“ in Europa. „Diese zeichnet sich durch etwas aus, das ich einen ’self islam‘ genannt habe, will heißen: eine Kultur der Autonomie und der persönlichen Wahlfreiheit, und damit eine Kultur der Vielfalt und der differenzierten Identität: ein Islam der Individuen und nicht der Gemeinschaft!… In der Tat ist der ’self islam‘ Ausdruck einer Kultur, die sich radikal von ihrer ursprünglichen autoritären Form weg entwickelt hat, und die dadurch, dass ein jeder Moslem in Europa sich die Frage nach seiner Identität individuell stellt, demokratisch geworden ist. Es ist Zeit, endlich von diesem Wandel Kenntnis zu nehmen und unser Verständnis des europäischen Islam zu berichtigen, indem wir daran arbeiten, die Wahnvorstellung der ‚Gemeinschaft‘ abzutragen.“
Italien. Der Leitartikler des italienischen Foglio bezeichnet die Zerstörungswut der islamistischen Demonstranten als Zeichen „paranoider und finsterer Barbarei“. Für eine Auseinandersetzung mit dem Islam müsse nun Europa religiöser werden. „Notwendig ist ein weniger schlampiger Säkularismus als der jetzige, die Überwindung des Nihilismus der indifferenten Toleranz, der die Grenzen zwischen Heiligem und Profanen auflöst, ein alles in allem ideologisches Projekt, das sicher scheitern wird. Es kann nicht angehen, dass der Kampf für die Demokratie und das Recht, gegen die bewaffnete islamistische Offensive nur in den Händen von Israel und den Vereinigten Staaten liegt, zwei laizistische Länder mit einem festen religiösen Fundament. Während Europa zwischen den Zahlungen an die Hamas und den Mohammed-Karikaturen schwankt.“
Italien. Im italienischen Corriere della Sera erinnern Pierluigi Battista die dänischen Karikaturen in unangenehmer Weise an die Illustrationen des „Ewigen Juden“ im Nationalsozialismus. „Schauen wir uns an, wie ‚der Araber‘ in den Karikaturen dargestellt wird: die Körperumrisse, die Ekel bei all jenen hervorrufen, die lesen und aufmerksam sind, das finstere Antlitz, der niederträchtige Blick, das schmutzige Aussehen, die schwarzen und endlosen Bärte. An was erinnert einen diese Ikonografie eines zur Karikatur des Bösen reduzierten Feindes? Diese verformten Nasen, diese stereotypischen Blicke, diese groben Augenbrauen, wo haben wir sie schon gesehen und sehen sie immer noch?“ (Der Leser möge sich die Karikaturen ansehen und selbst urteilen.)
Österreich. Im österreichischen Standard macht der arabische Autor Baha Al-Musawi die Muslime selbst für das Bild Mohammeds und des Islam verantwortlich, das jetzt in den Karikaturen seinen Ausdruck gefunden hat. „Wir alle müssten uns bei Mohammed entschuldigen, weil wir sein Bild entstellt haben“, schreibt er und fragt: „Warum präsentieren wir nicht ein Bild von Mohammed als gläubigem, aufrichtigem und tolerantem Menschen, anstatt Mohammed zu einem Bild von Bin Laden, einem Schwert, des Tötens, der Taliban, der Enthauptung und des Selbstmords verkommen lassen? Wie können wir den Mord an Ungläubigen gestatten, obwohl Mohammed sie geehrt hat? Wie können wir die Frauen unterdrücken, obwohl Mohammed sie verehrt hat? Wie können wir Blut vergießen, obwohl Mohammed das verboten hat?!“
Österreich. In der Presse will Michael Prüller zwar nicht von einem Kampf der Kulturen reden, durchaus aber von einem Kräftemessen, das es auszutragen gilt: „Das Ganze ist eine Kraftprobe, ob es gelingt, islamisches Recht – das Verbot, Gott und den Propheten abzubilden – de facto auch in Europa durchzusetzen. Einen Versuch, den Europa so nicht hinnehmen kann und der deswegen wunderbar zur Eskalation taugt. Wobei die Eskalation gerade von jenen betrieben wird, denen große Teile der islamischen Welt wirtschaftliche Rückständigkeit, Massenarmut, militärische Schwäche und kulturelle Bedeutungslosigkeit verdanken – von den herrschenden Cliquen in Staat und Geistlichkeit. Ihnen ist die Karikaturen-Farce ein Mittel, um den Menschen zu suggerieren, dass der böse Westen die Werte des Islam zu vernichten sucht und darum der eigentliche Urheber aller Nöte des Volkes ist.“
Dänemark. Dieser Aufeinanderprall der Zivilisationen musste kommen, erklärt die niederländische Schriftstellerin und Politikerin Ayaan Hirsi Ali im Interview mit der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten. Ali betont die Chancen des Konflikts: „Die Karikaturen können dazu führen, dass die Entwicklung des Islam in Europa binnen weniger Jahre um Jahrhunderte vorangebracht wird. Es wurde höchste Zeit, dass ein Aufruhr entfacht wurde. Nun sind alle Moslems in Dänemark und Europa gezwungen, darüber nachzudenken, wie sie sich zu den muslimischen Tabus verhalten sollen, die nicht mit einer modernen demokratischen Gesellschaft übereinstimmen.“
Schweden. Der dänische Schriftsteller Carsten Jensen tut sich schwer mit seinem Land. Die schwedische Zeitung Dagens Nyheter dokumentiert eine Rede, die Jensen auf einer Demonstration zur Beilegung des Karikaturenstreits in Kopenhagen hielt: „Sie verbrennen unsere Botschaft. Aber ich möchte nicht in einem Land leben, wo ich vor meinem Nachbarn Angst haben soll, nur weil er eine andere Hautfarbe hat als ich oder einen anderen Glauben oder weil er ein Dänisch spricht, das nicht perfekt ist. Sie verwandeln meine Fahne in Asche. Aber ich möchte nicht in einem Land leben, das glaubt, ohne den Rest der Welt auskommen zu können. Sie verbrennen den Namen meines Landes. Aber ich möchte nicht in einem Land leben, wo die Selbstzufriedenheit eine Entschuldigung für die Unwissenheit über andere ist. Ich möchte nicht in einem Land wohnen, das sich bei den Starken entschuldigen kann, aber taub wird, wenn der Schwache spricht. Ich möchte nicht in einem Land leben, das 1,3 Milliarden Menschen lediglich als Repräsentanten einer niederen Zivilisation betrachtet und sich im Krieg mit einem Fünftel aller Menschen befindet.“
Tschechien. Der Bürgermeister der belgischen Stadt Middelkerk hat es untersagt, das Werk „Der Hai“ des tschechischen Bildhauers David Cerny auszustellen, berichtet die tschechische Zeitung Lidovky. Es „zeigt den ehemaligen irakischen Diktator Saddam Hussein als einen schwimmenden Hai in einem Aquarium. … Cerny hatte sich zu dem Werk von Damien Hirst inspirieren lassen, der 1991 einen tatsächlichen Hai in einem mit Formaldehyd gefüllten Aquarium steckte.“ Kommentator Pavel Masa zeigt für die Entscheidung des Bürgermeisters kein Verständnis: „Er belegt damit, dass ein Teil des Westens angesichts der islamischen Gewalt bereit ist, vieles aufzugeben.“
Slowakei. „Es besteht kein Zweifel, dass die Meinungsfreiheit ein menschlicher Wert ist, der geschützt und respektiert werden muss“, schreiben die Islamische Stiftung und der Verband der muslimischen Studenten in der Slowakei in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Tageszeitung Sme druckt. „Aber dieser Wert verliert seine moralische Note, wenn er nicht mit Verantwortungsbewusstsein verknüpft wird. Gefährlich wird es, wenn unter dem Deckmantel des freien Worts Hass gepredigt wird.“
Slowakei. An anderer Stelle der Zeitung berichtet die Israel-Korrespondentin Jana Mikusova über eine von „radikalen europäischen Muslimen“ gestartete „Anti-Kampagne“ zu den Mohammed-Karikaturen. Die Arabische Europäische Liga veröffentliche auf ihrer Internetseite Karikaturen, mit denen sie bewusst Tabus breche. Die Zeichnungen seien in erster Linie antijüdisch. „Sie leugnen den Holocaust und lassen beispielsweise Anne Frank im Bett mit Adolf Hitler liegen. … Antijüdische und antiisraelische Karikaturen sind täglicher Bestandteil der Presse in arabischen Staaten. Israel, die USA und zahlreiche Nichtregierungs-Organisationen protestieren dagegen so regelmäßig wie vergeblich.“
USA. Christopher Hitchens kritisiert im amerikanischen Slate Magazin die Haltung der amerikanischen Regierung im Karikaturenstreit. Die Verbote der Muslime – den Propheten abzubilden, Schweinefleisch zu essen, Alkohol zu trinken – gelten nicht für ihn, darauf besteht er. „Lasst einen guten Muslim sich all dieser Dinge enthalten. Aber wenn er das Recht beansprucht, auch mir Enthaltsamkeit aufzuzwingen, ist das eine klare Warnung und der Beweis für eine aggressive Absicht. Die gegenwärtige unbehagliche Koexistenz ist nur ein Zwischenspiel, scheint er zu sagen: Im Moment kann ich nur behaupten, die absolute Wahrheit zu besitzen und absolutes Kritikverbot fordern, aber in Zukunft wirst du tun, was ich sage, bei Todesstrafe. Ich weigere mich, in diesem Ton mit mir reden zu lassen. Tatsächlich finde ich es beleidigend.“
Großbritannien. Im Guardian beklagt sich der Englischprofessor an der Aarhus Universität Tabish Khair – mit 867 Wörtern – dass der Karikaturenstreit moderate Muslime effektvoll zum Schweigen bringt. Denn sie könnten nur zwischen zwei Extremen wählen: „Der dänischen Regierung oder islamistischen Politikern, Jyllands-Posten oder dem Mob in Beirut.“ Die moderaten Muslime seien „gezwungen, diese Seite oder die andere einzunehmen; gezwungen, zu Hause zu bleiben und andere den Kreuzzug für eine ihr wichtige Sache – Freiheit – und ein für sie essentielles kulturelles Erbe – Islam – führen zu lassen.“
Großbritannien. In der Times findet David Aaronovitch es richtig, dass Salman Rushdies „Satanische Verse“ veröffentlicht wurden. Mit den dänischen Karikaturen sei das etwas anders. „Ich kenne mich zwar nicht sehr gut in der dänischen Politik aus, aber ich weiß, dass sich dort Tendenzen gegen Einwanderer breit machen und dass die dänischen Einbürgerungsgesetze zu den diskriminierendsten in Westeuropa gehören. Und ich könnte mir vorstellen, dass die rechte Zeitung Jyllands-Posten einige Druckerfarbe auf die Idee verwendet hat, dass die verschiedenen Kulturen nicht anpassungsfähig sind. Es war aufschlussreich, gestern zu entdecken, dass sich 2003 eben diese Zeitung weigerte, Jesus-Karikaturen zu drucken, mit der Begründung des Chefredakteurs: ‚Ich glaube nicht, dass diese Zeichnungen die Leser erfreuen werden. Ich glaube sogar, dass sie einen Aufschrei hervorrufen werden. Deswegen werde ich sie nicht bringen.‘ Es ist also offensichtlich, dass der jetzige Aufruhr provoziert wurde, um eine Reaktion zu provozieren und dass – diesmal – der Aufschrei für die Zeitung tolerabel war.
Deutschland. Die Kanadierin Irshad Manji, Visiting Fellow an der Yale University, fragt in der Welt, warum man über Muslime keine Witze machen können soll? „Wir Muslime sind nicht integer genug, Respekt für unseren Glauben einzufordern, wenn wir dies nicht auch anderen gegenüber tun. Wann haben wir jemals dafür demonstriert, dass es Christen und Juden erlaubt sein sollte, Mekka zu betreten? Wenn es um Geschäfte geht, dürfen sie kommen, aber nicht mehr. Solange Rom jeden Nicht-Christen willkommen heißt, wie Jerusalem auch jeden Nicht-Juden, gilt es für uns Muslime, gegen mehr zu protestieren als gegen Karikaturen.“
Deutschland. In der taz ruft der Islamwissenschaftler Gernot Rotter allen, die es nicht gewusst haben sollten, in Erinnerung: „Vor Jahren habe ich bereits gewarnt, dass sich Samuel Huntingtons These vom ‚clash of civilizations‘ zur einer self-fullfilling prophecy entwickeln könne und habe auch darauf hingewiesen, dass Huntington, ohne sich dessen offenbar bewusst zu sein, im Grunde nur das vorhersagte, was islamistische Apologeten schon lange forderten: den Kampf der Muslime gegen den gottlosen, materialistischen, sexistischen (weniger den christlichen) Westen.“
Deutschland. In einem zweiten Kommentar in der taz erklärt Dirk Knipphals, wie Meinungsfreiheit funktioniert: „Dieses Grundrecht macht nur dann Sinn, wenn gerade auch die Übertretungen, die Ausrutscher und Fauxpas mitverteidigt sind.“
Deutschland. In der Süddeutschen Zeitung begreift der palästinensische Autor Hassan Khader die angeblich spontanen Demonstrationen in Nahen Osten als reine Manipulationen: „Es geht im wesentlichen darum, wie die arabischen Herrscher – in ihrem Versuch, ihre Regime zu retten – die Identität ihrer Untertanen auf die Religion reduzieren, als ob diese keine Identität jenseits der Religion hätten, als ob die reichen Traditionen arabischer Kultur nichts zählten. Deshalb erscheint die derzeitige Kampagne allem religiösem Eifer zum Trotz so banal und so diesseitig.“
6. Februar 2006
Ägypten. Im ägyptischen Al Ahram berichtet Gihan Shahine über Reaktionen in der arabischen Welt auf die Karikaturen und die vom dänischen Jyllands-Posten publizierte Entschuldigung. Während die einen eine Verschärfung der Boykotte fordern, predigen andere, wie der islamische Gelehrte Abdel-Sabour Shahine, Toleranz im Namen des Propheten: „Mohammed selbst war ständig Ziel von Anfeindungen, und seine Reaktionen waren so tolerant, dass sogar seine Gegner schließlich Muslime wurden. ‚Letzten Endes wäre es besser, die Dänen würden sich aus Überzeugung entschuldigen und nicht, weil sie sich bedroht fühlen.“
Spanien. „Die westliche Welt muss nach den gewalttätigen Reaktionen in muslimischen Ländern ihre Beziehungen zur islamischen Welt überdenken, schreibt die spanische Online-Wochenzeitung El Semanal Digital. „Spanien, das traditionell von der christlichen Religion geprägt ist, verhält sich anderen Religionen gegenüber vollkommen tolerant. Diese eng an die Meinungsfreiheit gebundene Toleranz ist seit Jahrhunderten ein charakteristisches Zeichen unserer Kultur. Sie wird von Religionen wie dem Islam gern in Anspruch genommen, um an Boden zu gewinnen. Deshalb gibt es viele Europäer muslimischen Glaubens. Aber dort, wo der Islam in der Mehrheit ist und wo er die Kultur bestimmt, gibt es keine Toleranz. Es gibt verschiedene Kulturen, und man muss sich fragen, ob die ‚Allianz der Kulturen‘, die Ministerpräsident Zapatero vorschlägt, sich tatsächlich all dieser Unterschiede bewusst ist.“
Lettland. In der lettischen Zeitung Diena sieht Aivars Ozolins einen Zusammenhang zwischen dem Fall Iran und dem Karikaturen-Streit: „Gleichzeitig mit dem Beschluss der IAEO, das iranische Atomprogramm vor den UNO-Sicherheitsrat zu bringen, gingen im Mittleren Osten die gewaltsamen Proteste gegen die im September in einer dänischen Zeitung publizierten Mohammed-Karikaturen weiter. Der Iran verkündete, seinen Botschafter aus Dänemark abzuziehen, verbot dänischen Journalisten die Einreise und verhängte Handelsboykottmaßnahmen gegen Staaten, in denen die Karikaturen ebenfalls abgedruckt wurden. Es könnte sich dabei um unterschiedliche Ereignisstränge handeln, aber gerade die Karikaturenkrise zeigt überdeutlich, warum der Iran keine Atomwaffen haben darf. Und der Entschluss der IAEO erinnert daran, dass die Haupttrennlinie in der Welt von heute nicht zwischen militärischen oder wirtschaftlichen Blöcken verläuft, auch nicht zwischen Ideologien oder Religionen, sondern zwischen demokratischen Staaten und autoritären Regimen.“
Frankreich. Mit Sorge verzeichnet der Philosoph Andre Grjebine im Figaro ein Einknicken von Regierungen – besonders Großbritanniens und der USA – und Institutionen wie der UNO vor den Rufen nach einer religiösen Zensur. Er fordert, dass die Fackel der Aufklärung neu entzündet wird, damit die Regierungen nicht einen „ersten Schritt zur Anerkennung der Scharia als gemeingültiges Gesetz für die Menschheit“ machen: „Nichts fürchten religiöse Institutionen mehr als das Lachen, die ätzende Infragestellung der Offenbarung – so hat es Umberto Eco im ‚Namen der Rose‘ gezeigt. Und nichts ist beängstigender als Menschen, die unfähig sind, ihren Glauben zu relativieren und die andere zwingen wollen, ihn zu teilen oder zumindest nicht in Zweifel zu ziehen. Darum ist es fundamental, das Recht zum Lachen zu verteidigen, um jene zu stützen, die die Freiheit und die Toleranz im Innern des Islam selbst verteidigen wollen wie Salman Rushdie, Ayaan Hirsi Ali in den Niederlanden oder Shabana Rehman in Norwegen.“
Deutschland. In der taz kritisiert Dilek Zaptcioglu die „dummdreiste“ Art, mit der im Westen „dieser Krieg herbeigeschrieben und herbeigezeichnet wird. Wer sich nämlich von der dänischen Offensive am härtesten betroffen fühlt, sind die gemäßigten Muslime, die schon seit Generationen ‚verwestlicht‘ leben und die sich an Frieden und die Ideale der Französischen Revolution halten.“
Deutschland. Die Fernsehmoderatorin Sonia Mikich dagegen erklärt ebenfalls in der taz: „Ich bin beleidigt. Fanatiker sprengen die Buddhas von Bamiyan in die Luft, großartige Kulturdenkmäler. Aber Kunst drückt für mich universelle Schönheit und Unschuld aus, sie ist ein Wert, der die Welt besser und friedlicher macht, so ist nun mal die Tradition, in der ich groß geworden bin. Ich verlange also, dass sich die Hamas, der Sprecher der französischen Muslime, die Leitung der Al-Azhar-Universität sich bei mir entschuldigen. Andernfalls werde ich leider nie meinen Urlaub am Tadsch Mahal verbringen, zum Boykott palästinensischen Obstes aufrufen und die Botschaften von Tunesien, Katar und Bangladesch anzünden.“
Schweiz. „Es geht in dieser Auseinandersetzung nicht um kulturelle Freiheit in einem Land, sondern um kulturelle Macht auf dem Erdball; um die Macht, ganz konkrete Tabus aufrechtzuerhalten oder sie abzubauen“, findet der Historiker Thomas Maissen in der Neue Zürcher Zeitung und rät zu mehr Toleranz: „Was verlieren wir an Freiheit, an Lebensqualität, an Selbstverwirklichungsmöglichkeiten, wenn wir freiwillig, respektvoll oder tolerant darauf verzichten, den Propheten einer anderen Religion zu karikieren oder überhaupt darzustellen? Nichts.“
Deutschland. Von einem Kampf der Kulturen will der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan in der Welt nichts wissen: „Diese Affäre steht nicht für eine Konfrontation der Prinzipien der Aufklärung mit denen der Religion. Nein, durchaus nicht. Was im Herzen dieser Geschichte auf dem Spiel steht, ist, inwieweit die einen und die anderen frei und rational (gläubig oder atheistisch) sein können und – zugleich – vernünftig. Denn der Riss, der sich aufzutun scheint, verläuft nicht zwischen dem Westen und dem Islam, sondern zwischen denen, die – in beiden Universen – im Namen einer Religion und/oder einer vernünftigen Vernunft maßvoll erklären können, wer sie sind und für was sie stehen, und jenen, die von exklusiven Wahrheiten, blinden Leidenschaften, Vorurteilen und hastigen Schlussfolgerungen getrieben werden.“
5. Februar 2006
In England haben die gewaltsamen Proteste von muslimischen Demonstanten im Nahen Osten die Stimmung in den Zeitungen, die die Karikaturen bisher nicht abgedruckt hatten, verändert. In London trugen einige der – zum größten Teil friedlichen – Demonstranten Plakate mit Slogans wie „Köpft die Beleidiger des Islam“, „Britain you will pay – 7/7 is on its way“.
Großbritannien. Das, so der Sunday Telegraph, ist völlig inakzeptabel. Der Kommentator wirft extremistischen Muslimen vor, Doppelstandards zu pflegen. „Einige Muslime sollten bedenken, wie beleidigend ihre Ansichten zu Frauenrechten, Gottesstaat und westlichen Standards für viele Nichtmuslime sind. Die Anstößigkeit dieser Ansichten ist kein Grund, britische Moscheen zu schließen oder islamische Zeitungen zu verbieten.“
Großbritannien. Auch der Independent wirft den Extremisten vor, sie forderten Rücksichten, die sie selbst anderen nicht gewährten. Zum Beweis hat der Independent eine antisemitische Karikatur aus der britischen Zeitung The Muslim Weekly nachgedruckt.
Großbritannien. Im Observer schreibt Henry Porter: „Ich muss sagen, ich würde die Empörung im Mittleren Osten ernster nehmen, wenn ich nicht schon dutzende von antisemitischen Karikaturen in der arabischen Presse gesehen hätte.“
Großbritannien. Dagegen erklärt Simon Jenkins mit Blick auf das gerade gescheiterte britische Blasphemiegesetz in der Sunday Times, dass die Karikaturen das Recht auf Meinungsfreiheit nicht verteidigen, sondern bedrohen. Denn wenn die Presse keine Selbstdisziplin übe, stünden sofort Politiker bereit, die Meinungsfreiheit gesetzlich einzuschränken. „Die jüngste britische Gesetzgebung zeigt, dass ein Zensor hinter jeder Ecke lauert.“
Deutschland. In der Frankfurter Sonntagszeitung fordert Nils Minkmar, die gewalttätigen Demonstranten nicht als repräsentativ für die Moslems anzusehen. „Der Blick muss sich auf die Massen von Moslems richten, die sich selbst durch jahrzehntelange islamistische Propaganda nicht haben beeindrucken lassen. Die islamischen Terroristen sind ebenso eine radikale Minderheit, wie es die RAF in der deutschen Gesellschaft der siebziger Jahre war. Niemand zweifelte damals an der prinzipiellen Möglichkeit, Kinder aus protestantischen Pfarrhäusern zu integrieren. Die Ideologisierung der Debatte verurteilt zum Stillstand.“
4. Februar 2006
Großbritannien. Im Telegraph wundert sich Charles Moore über die „extreme Zartheit“, mit der Regierungen und Zeitungen die Wutausbrüche im Nahen Osten behandeln. „Selbstverständlich sollte die tiefsten Überzeugungen anderer höflich behandelt werden, aber es ist ein großer Fehler – geboren aus Ignoranz – anzunehmen, dass die, die am lautesten schreien, repräsentativ sind.“ Für Moore ist das so, als würde die muslimische Welt entscheiden, Ian Paisley repräsentiere das authentische Christentum. Moore, ein Christ, verspricht außerdem, nicht die Galerie White Cube zu terrorisieren, die gerade ein Bild von Gilbert und George ausstellt, das groß verkündet: God loves fucking.
Deutschland. In einem Essay in Spiegel Online fordert der Schriftsteller Ibn Warraq vom Westen: Entschuldigt Euch nicht! „Ohne das Recht der freien Meinungsäußerung kann eine Demokratie nicht lange überleben – ohne die Freiheit zu diskutieren, unterschiedlicher Meinung zu sein, sogar zu beschimpfen und zu beleidigen. Es ist eine Freiheit, der die islamische Welt so bitter entbehrt, und ohne die der Islam ungefochten verharren wird in seiner dogmatischen, fanatischen, mittelalterlichen Burg; verknöchert, totalitär und intolerant. Ohne fundamentale Freiheit wird der Islam weiterhin das Denken, Menschenrechte, Individualität, Originalität und Wahrheit ersticken. Solange wir keine Solidarität mit den dänischen Karikaturisten zeigen, unverhohlene, laute und öffentliche Solidarität, so lange werden diejenigen Kräfte die Oberhand gewinnen, die versuchen, dem freien Westen eine totalitäre Ideologie aufzuzwingen; die Islamisierung Europas hätte dann in Raten begonnen. Entschuldigt Euch also nicht!“
Großbritannien. In der Times besteht der bekennende Atheist Matthew Parris auf sein Recht, über jeden Gott zu spotten. Sein Kollege Ben MacIntyre habe gestern die Entscheidung der Times, die Karikaturen nicht abzudrucken, mit der Behauptung versehen, dies sei kein Kniefall vor dem Druck muslimischer Demonstranten. „Bei allem Respekt, aber das ist es … Viele Leser würden gern sehen, was diesen Sturm entfacht hat. Wie sonst sollen wir urteilen? Etwas Aufrichtigkeit ist gefragt. Diejenigen, die gegen die Veröffentlichung protestieren, tun das nicht, weil sie selbst die Bilder nicht sehen wollen. Sie wollen auch nicht, dass Sie sie sehen oder ich. Sie wollen, dass niemand sie sieht. Sie wollen, dass sie nicht existieren.“
Großbritannien. Im Guardian fragt Gary Younge, warum antisemitischer Äußerungen und Karikaturen fast nie durch die Pressefreiheit gedeckt werden, antimuslimische aber offenbar schon. „Die Frage war nie, ob es eine Grenze gibt, für das, was akzeptabel ist, sondern wo diese Grenze liegt. Rose (von Jyllands-Posten) und andere glauben ganz klar, dass Moslems allein aufgrund ihrer Religion auf der falschen Seite der Grenze stehen. Dafür werden sie zweifach verunglimpft: einmal durch die Karikaturen und noch einmal, weil sie ihr demokratisches Recht auf Protest ausüben. Die aufrührerischen Antworten auf ihre Proteste erinnern mich an ein Zitat von Steve Biko, den schwarzen südafrikanischen Nationalisten: ‚Die Weißen treten uns nicht nur; sie sagen uns auch, wie wir darauf reagieren müssen.“
Deutschland. Es geht wirklich nicht um Karikaturen, meint der Autor Richard Wagner in der Berliner Zeitung, sondern um Kräfte, die sie nutzen, um ihre finstere Politik zu machen: „Während nun über Cartoons diskutiert wird, hat der neue iranische Staatspräsident Ahmadinedschad die Leugnung des Holocaust zur offiziellen Doktrin erhoben. Das ist die wirkliche Eskalation, mit der es die Welt zu tun hat, und ein weiterer Verstoß gegen die UN-Charta. Wann wird er sich entschuldigen?“
Schweiz. In der Neuen Zürcher Zeitung kritisiert Angela Schader die Qualität der Mohammed-Karikaturen und Jyllands-Posten, die mit dem Abdruck „den radikalen islamistischen Gruppierungen wie auch gewissen für politische Ablenkungsmanöver und Sündenbock-Jagden stets dankbaren arabischen Regimen ein gefundenes Fressen“ geliefert habe.
Deutschland. Wenn die demokratischen Staaten jetzt ihre Freiheitsrechte beschränken sollen, meint Andreas Platthaus in der FAZ, „ist mit diesen auch der erreichte Bestand an Multikulturalität gefährdet. Denn in der Unfreiheit setzt sich immer die stärkste Gruppe durch. Das sollte bedenken, wer jetzt wie Bernd Schmidbauer (CDU), ehemals Koordinator der deutschen Geheimdienste, vom ‚Geschrei nach Pressefreiheit‘ spricht und fordert, man müsse Toleranz gegenüber allen Religionsgemeinschaften üben. Toleranz darf nur erwarten, wer selbst tolerant ist.“
Deutschland. In der Süddeutschen Zeitung fordert Heribert Prantl „die komplette Abschaffung des Religionsbeschimpfungsparagrafen. Dann griffe künftig nur noch der Tatbestand der Volksverhetzung. Das würde genügen.“ Er erinnert an zahlreiche Prozesse und gewalttätige Demonstrationen in Europa wegen Lästerung des christlichen Gottes und schließt: „Leitkultur in demokratischen Staaten ist also Streitkultur. Muslime müssen sie lernen. Christen und Agnostiker haben noch lange nicht ausgelernt.“
Deutschland. Ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung stellt der Schriftsteller Georg Klein fest, dass der Fundamentalismus mit dem Rücken zur Wand steht: „Die Anhänger des Islam werden beschleunigt erfahren, dass kein Ort und keine Zeit, dass weder der Prophet noch seine gläubigen Krieger, dass kein Buch der Bücher die integre Aura unbedingter Heiligkeit beanspruchen kann. Bestenfalls schrumpft die Sphäre des Sakralen zu einer halbwegs nobel möblierten Nische. Religion als tolerierte Privatsache und verhandelbares Gruppenanliegen. Mehr hat der Westen nicht im Angebot.“
3. Februar 2006
In Europa zieht die Debatte immer weitere Kreise. Diskutiert wird inzwischen auch, ob es richtig war, die inkriminierten Karikaturen nachzudrucken.
Dänemark. Hätten wir die Karikaturen des Propheten Mohammed abgedruckt, wenn wir die Konsequenzen geahnt hätten, fragt Chefredakteur Carsten Juste in Jyllands-Posten. „Heute wäre die Antwort Nein. Hätten wir gewusst, dass dies mit Todesdrohungen enden würde, und damit, dass das Leben dänischer Staatsbürger in Gefahr gebracht würde, hätten wir die Zeichnungen natürlich nicht gebracht. Es ist offensichtlich, dass der Preis für die journalistische Initiative vor diesem Hintergrund zu hoch ist. Der Punkt aber ist, dass niemand die vollen Konsequenzen hätte vorhersehen können, und darum stellt sich die Frage tatsächlich nicht. Wir hätten nicht wissen können, dass eine Gruppe Imame in den Nahen und Mittleren Osten reisen würde, um Lüge und Desinformationen über Jyllands-Posten und die ganze dänische Gesellschaft zu verbreiten. Einen Handelsboykott und den Ausverkauf von Prinzipien durch den dänischen Industrieverband kann man handhaben, doch realistische Todesdrohungen markieren die Grenze zwischen dem Ertragbaren und dem Inakzeptablen.“
Frankreich. Im Interview mit dem Figaro kritisiert der Philosoph Marcel Gauchet ein allzu schnelles Einknicken des Westens vor islamistischen Forderungen: „Arabische Länder erregen sich, aber spiegeln ihre Bannflüche tatsächlich die Meinung der Bevölkerungen wider? Wen repräsentieren eigentlich die Protestler, die sich in Europa betätigen? Wir haben das Recht, diese angebliche Beleidigung in Zweifel zu ziehen. Es wäre ein Traum, auf diese Affäre mal ein richtiges Team anzusetzen, das herausfindet, mit wem wir es bei diesen Aufständischen im Namen des Glaubens eigentlich zu tun haben. Die Naivität der Presse besteht zuweilen darin, die angebliche Einigkeit in der Indignation für bare Münze zu hehmen. Sind wir hier nicht schon in die erste Falle getappt?“ Auch das Bildverbot zieht Gauchet in Zweifel: „Es erstreckt sich nicht auf Nicht-Muslime.“
Schweden. Dagens Nyheter sieht auch einen lichten Moment in dieser düsteren Affähre. Erstmals zeige sich nun, worauf man so lange gewartet habe, nämlich eine europäische Öffentlichkeit, die sich zu europäischen Grundwerten bekennt. „In Europa gehört Gott in die Zivilgesellschaft. Das bedeutet nicht, dass man seine religiöse Zugehörigkeit nicht nach außen tragen darf. Nur darf sie anderen nicht aufgezwungen werden oder als Waffe gegen die gemeinsame, demokratische Gesellschaft angewandt werden.“
Estland. Auch Heiki Suurkask meint in Eesti päevaleht, dass Pressefreiheit nicht bedeuten kann, Minderheiten zu beleidigen. „Dänemark hält sich selbst für eine Hochburg der Toleranz, in der Zuwanderer eine Heimat finden und Schwule und Lesben sich frei entfalten dürfen. Aber jetzt entsteht auf einmal ein ganz anderes Bild: von einem Land, das keinen Respekt vor Menschen einer anderen Religion hat. Dänemarks größte Zeitung Jyllands-Posten hat den globalen Durchbruch geschafft. Sie hat mit ihren Karikaturen gleich eine Milliarde Menschen beleidigt, nur um die Grenzen der Toleranz zu testen.“
Schweiz. In der Tribune de Geneve erklärt Chefredakteur Dominique von Burg seine Solidarität mit Jyllands-Posten. Er meint, dass „Meinungsfreiheit Verantwortlichkeit nicht ausschließt. Nicht alles ist unbedingt druckbar, und Fehleinschätzungen sind möglich. Etwas anderes ist es aber, wenn man alles ausschließen würde, was provozieren könnte. Ist die Provokation nicht manchmal eine direkte Art, Reflexion anzuregen, eine Debatte zu eröffnen? … Respekt schließt Meinungsverschiedenheiten nicht aus. Wenn eine Karikatur die Gefühle verletzt, muss man das sagen. Auch laut und nachdrücklich. Aber dass sich Staaten einmischen, so wie sie es jetzt tun, dass ein ganzes Land für die Aktion einer Zeitung an den Pranger gestellt wird, das ist untragbar.“
Tschechien. „Hier spielt sich ein Kampf der Zivilisationen ab“, fürchtet Milan Vodicka in der Mlada fronta dnes. „Wenn muslimische Regierungen Entschuldigungen und eine Bestrafung der Redaktion verlangen, wird klar, dass sie nicht einmal ahnen, wie unser Teil der Welt funktioniert. … Wenn die Zeitung Dschihad heute eine Karikatur meines Gottes druckt, dann kündige ich mein Abonnement, vielleicht schreibe ich an den Chefredakteur, aber ich höre doch nicht auf, getrocknete Datteln zu essen. Aber die muslimische Welt ist eine kollektive und so sieht sie auch Schuld – als kollektive Schuld.“
Großbritannien. In Großbritannien hat keine Zeitung die Karikaturen abgedruckt. Die BBC zeigte gestern die erste Seite von France-Soir, wo alle Karikaturen abgedruckt waren. Auch der Spectator soll nach einem Bericht im Mediaguardian (kostenlos zugänglich nach Registrierung) eine der Karikaturen auf seine Website gestellt, sie dann aber nach einer Anweisung von Herausgeber Andrew Neil wieder heruntergenommen haben.
Großbritannien. Ebenfalls im Mediaguardian erinnert Sarah Joseph, Redakteurin des muslimischen Lifestyle-Magazins Emel, an die faschistische Vergangenheit Spaniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands. „Der Holocaust passierte nicht über Nacht. Es brauchte Zeit, ein Volk als Untermenschen darzustellen. Erinnert sich Europa nicht an seine Vergangenheit und die Nazipropaganda im Stürmer? Es scheint als habe das große Chamäleon Faschismus jetzt den Mantel „Meinungsfreiheit“ umgelegt.“
Großbritannien. Ein dritter Artikel berichtet, dass die jordanische Zeitung Shihan drei der zwölf Karikaturen veröffentlicht hat. Neben einem Bericht über die Proteste gibt es ein Editorial, dass die Muslime auffordert, vernünftig zu sein. „Es streicht heraus, dass Jyllands-Posten sich bei den Muslimen entschuldigt hat, aus irgendeinem Grund aber niemand in der muslimischen Welt die Entschuldigung hören wolle. ‚Wer beleidigt den Islam mehr? Ein Fremder, der den Propheten zeichnet oder ein Muslim, der seinen Sprengstoffgürtel während einer Hochzeitsfeier in Amman zündet?‘, zitiert Mediaguardian das Editorial in Shihan.
Großbritannien. Inzwischen hat der Daily Telegraph gemeldet, dass der Redakteur Jihad al-Momani, der die Karikaturen in Shihan veröffentlichte, gefeuert wurde. „Er sagt, er habe ’seinen Leser das Ausmaß der dänischen Beleidigung zeigen wollen‘, zitiert ihn der Daily Telegraph.
Großbritannien. Ein Kommentar im Daily Telegraph erklärt, die Karikaturen nicht veröffentlicht zu haben, um die „britischen Tugenden der Toleranz und des Respekts für die Gefühle anderer“ zu beweisen. „Aber wir haben auch keinen Zweifel daran, dass eine kleine Minderheit von Muslimen sich so beleidigt fühlen würde, dass sie mit Gewalt drohen und sie vielleicht auch ausführen würde. Diesem Problem muss sich die ganze westliche Welt offen stellen … Die Muslime, die die Offenheit und Robusheit der intellektuellen Debatte im Westen nicht tolerieren können, haben vielleicht die falsche Kultur gewählt, um darin zu leben. Wir können es nicht besser sagen als eine arabische Zeitung, in der die Karikaturen gestern kurz erschienen (bevor alle Ausgaben zurückgezogen wurden): „Muslime der Welt, seid vernünftig.“
Deutschland. In der Berliner Zeitung findet Stephan Speicher, dass die Mohammed-Karikaturen den Streit nicht lohnen: „Auch unerschütterliche Rechte können verkehrt gebraucht werden. Und das ist der Fall bei besagten Karikaturen. Sie sind ja keine blitzenden Einwürfe gegen den Ungeist, keine Voltairischen Flüge der Kritik, auch wenn France Soir das gern so darstellt. Sie sind – und vor allem gilt das für den Mohammed mit einer Bombe unterm Turban – Zeugnisse einer Fremdenfeindlichkeit, die sich jetzt wundert, dass die Beleidigten beleidigt sind.“
Deutschland. Rudolf Chimelli fordert in der Süddeutschen Zeitung Höflichkeit gegenüber der muslimischen Kultur: „Man hat in den Gazetten schon viele Karikaturen grimmbärtiger Terroristen, gierig lächelnder Ölscheichs oder tumber Mullahs gesehen. Jedes Bild hat hoffentlich seinen Sinn, jedes seine eigene Komik, jedes für sich ist harmlos. Von einer empfindlichen Minderheit werden sie aber leicht als Stimmungsmache empfunden.“
Deutschland. In der taz hält Hilal Sezgin Jyllands-Posten vor, nur die Provokation im Auge gehabt zu haben: „Es ging nicht um eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Figur Mohammeds, die dann das religiöse Empfinden anderer verletzte (wie im Fall Rushdie). Die Karikaturen wurden umgekehrt in dem Wissen bestellt, dass sich hier ein verletzlicher Punkt befindet – und dass man sich jederzeit hinter ‚Meinungsfreiheit‘ würde verstecken können.“
Schweiz. Auch „ras.“ glaubt in der Neuen Zürcher Zeitung, Jyllands-Posten sei es nur um eine billige Provokation gegangen. Erst die Aufrufe zum Boykott dänischer Waren, die bewies, dass die Sache eher teuer werden würde, hätten den Chefredaktor von Jyllands-Posten bewogen, „sich nun doch zu entschuldigen für die Kränkung von Muslimen. Und am Dienstag distanzierte sich angesichts der aufgewühlten Stimmung im arabischen Raum auch der dänische Ministerpräsident von den Karikaturen. In der öffentlichen Wirkung erhielt damit der dänische Einsatz für die Pressefreiheit eine merkantile Note: Man blieb standhaft, solange es nichts kostete.“
2. Februar 2006
Frankreich. Der Nouvel Obs meldet, dass der Chefredakteur von France Soir, Jacques Lefranc, gefeuert wurde. Der franko-ägyptische Besitzer, Raymond Lakah, entschuldigte sich gestern abend öffentlich „bei der muslimischen Gemeinschaft und bei allen, die über die Veröffentlichung empört sind“.
USA. Die New York Times berichtet über alle europäischen Zeitungen, die die Karikaturen nachgedruckt haben. Ob die Zeitung die Karikaturen ebenfalls abgedruckt hat, können wir im Internet nicht sehen.
Tschechien. Flemming Rose von Jyllands-Posten behauptet im Interview mit der Zeitung Lidove noviny, der Streit um die Karikaturen sei von dänischen Moslems, die extra in den Nahen Osten gereist sind, gezielt geschürt worden. „Sie haben dort wissentlich Lügen über die Situation der Muslime in Dänemark und über meine Zeitung verbreitet. Sie benutzten dazu unter anderem zwei Mohammed-Karikaturen, die nie in einer dänischen Zeitung gedruckt worden sind… Was hier stattfindet, ist ein Kampf zwischen einer modernen säkularisierten Demokratie, in der jeder das Recht hat zu sagen und zu schreiben, was er will, und Kräften, die ihre religiösen Tabus Menschen mit einem anderen Glauben aufzuzwingen versuchen.“
Dänemark. Der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan bezeichnet im Dagbladet Information die derzeitige Radikalisierung des Konfliktes um die Mohammed-Karrikaturen im Interview mit Jörgen Steen Nielsen als wahnsinnig: „Auf beiden Seiten gibt es Leute, die Interesse an einer Eskalation des Konflikts haben. Sie nähren die Gegenseite mit Überreaktionen und Provokationen, und nehmen dabei eine Menge Menschen als Geiseln. Auf muslimischer Seite sind es diktatorische Regime, die den Konflikt dazu nutzen zu demonstrieren, dass sie die besten Beschützer der Muslime und des Islam sind. Auf der anderen Seite, in Europa, ist es eine Rechte, deren Anliegen es ist, ein Bild von Muslimen zu verbreiten, die die Meinungsfreiheit untergraben und die westliche Gesellschaft ändern wollen. Es bedarf kluger, besonnener Menschen auf beiden Seiten, die diese Kränkungen und Überreaktionen stoppen.“
Portugal. Verwunderlich findet es der Journalist Rui Camacho in der Zeitung Jornal de Noticias, dass der Chefredakteur von Jyllands-Posten von der Reaktion der muslimischen Welt so überrascht war. „Salman Rushdie hätte ihm erklären können, was passiert, wenn man den muslimischen Propheten in Frage stellt!“, schreibt er. „Aber das erstaunlichste ist, dass es immer Intellektuelle gibt, die bereit sind zu rechtfertigen, dass andere Bücher, Fahnen oder Zeitungen verbrennen, sobald man sich über den Propheten lustig macht. Der Chefredakteur von Jyllands-Posten hatte Recht, dass er sich nicht entschuldigt hat. Es geht hier nicht nur um Blasphemie gegenüber einem Gott, der keinen Humor hat und jedes Lachen über ihn zurückweist. Es geht um höhere Werte: um die Meinungsfreiheit und die Freiheit des Lachens… Fanatiker können wegen ein paar Zeichnungen die dänische Fahne verbrennen wenn sie wollen. Aber nicht hier. Nicht in Europa. Nicht unter dem Himmel des Westens.“
Schweiz. Die Zeitung Le Temps druckt auf ihrer Titelseite eine Zeichnung des Karikaturisten Chappatte, auf der er sich selbst mit einem Papier in der Hand darstellt, auf dem „Mohammed hat eine große Nase“ geschrieben steht und in der Sprechblase sagt er dazu: „Ich habe das nicht gezeichnet.“ Kommentatorin Patricia Briel analysiert die Folgen der Debatte. „Die Reaktion der arabisch-muslimischen Länder hat ganz klar gezeigt, wie dringend nötig es ist, den Idschtihad wieder zu beleben, dieses ständige Bestreben, die Interpretation der islamischen Vorschriften den zeitgenössischen Verhältnissen anzupassen. Heute plädieren einige muslimische Intellektuelle dafür, eine gesunde Distanz dem Heiligen gegenüber einzunehmen, als einzige Möglichkeit, die Manipulation des Islam durch religiöse Extremisten zu verhindern. Die Fortführung des Idschtihad, der im 11. Jahrhundert unterbrochen wurde, würde einem fruchtbareren Dialog zwischen westlichen Demokratien und den islamischen Gesellschaften sehr zu Gute kommen.“
Deutschland. In der FAZ fordert Christian Geyer die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in möglichst vielen europäischen Medien. „Nur in europaweiter Solidarität wird klar: Religiöse Fundamentalisten, die die Unterscheidung zwischen Satire und Gotteslästerung nicht respektieren, haben nicht nur mit Dänemark ein Problem, sondern mit der gesamten westlichen Welt.“ Die FAZ habe bereits im November eine Karikatur veröffentlicht.
Deutschland. In der Welt schreibt Boris Kalnoky: „Es fällt auf, dass die Demonstrationen dort am größten und die diplomatischen Reaktionen dort am heftigsten sind, wo autoritäre Regime unter innenpolitischem Druck islamistischer Oppositionen stehen.“ Auch greift man zu originellen Boykottmaßnahmen. In Ägypten zum Beispiel will man einen dänischen Kredit blockieren. Rainer Gatermann berichtet über jüngste Reaktionen in Dänemark: „Erik Svendsen, Bischof von Kopenhagen, sagte: ‚Wir distanzieren uns sowohl von den Zeichnungen als auch von der Verbrennung der dänischen Flagge mit weißem Kreuz.'“ Mariam Lau liest Reaktionen auf Weblogs.
Schweiz. In der Neuen Zürcher Zeitung berichtet Aldo Keel über eine dänische Initiative zur Versöhnung mit den Muslimen: „Als weithin sichtbares Friedenszeichen schlägt nun der ehemalige Chefredaktor von Politiken, Herbert Pundik, den Bau einer großen Moschee mit Minarett und Kuppel vor. Noch immer seien Kopenhagens Muslime auf Hinterhöfe und stillgelegte Fabriken verwiesen. Es sei Aufgabe der großen Zeitungen, das Geld für diese ‚Volksgabe‘ zu sammeln.“
Deutschland. In der Frankfurter Rundschau beschuldigt Hannes Gamillscheg die Dänen der Ausländerfeindlichkeit: „Es ist kein Zufall, dass es nun just in Dänemark zu dem Zusammenstoß kam, denn nirgends sonst in Europa ist in den vergangenen Jahren die Ausländerdebatte so gehässig geführt, sind die Zuwanderungsgesetze so brutal verschärft worden. (…) In den tonangebenden Medien werden Ausländer ständig kollektiv als Problem bezeichnet, nie als Ressource. Abgeordnete der rechts-populistischen Volkspartei haben den Islam ‚Krebsgeschwür‘ und ‚Terrorbewegung‘ genannt. ‚Krieg der Zivilisationen?‘, fragte DVP-Chefin Pia Kjærsgaard, ‚es gibt nur eine Zivilisation, und das ist unsere.'“
Deutschland. Auf den Tagesthemenseiten der taz erklärt Aktham Suliman, Deutschland-Korrespondent von al-Dschasira in Berlin, im Interview zum Streit um die Mohammed-Karikaturen: „Mich beleidigt einiges von dem, was hier in Europa über Muslime gesagt und gedacht wird. Dass Mohammed abgebildet wird, ist dabei weniger das Problem, auch wenn ich weiß, dass der Koran das nicht erlaubt. Mich stört vielmehr die Respektlosigkeit, die daraus spricht.“
Deutschland. Und Robert Misik blickt – ebenfalls in der taz – aus großer Höhe auf die streitenden Muslime und „Liberalmilitanten“ und empfiehlt ihnen: „Ach Kinder, geht nach draußen spielen.“
Wikipedia. Inzwischen gibt es bereits einen Eintrag bei Wikipedia zum Thema. Arabische Reaktionen auf Englisch sind schwer zu finden. Bei Al Dschasira fanden wir verschiedene Berichte, jedoch keinen Kommentar. Die Zeit veröffentlicht ein Weblog von zwei deutschen Journalisten, die über Reaktionen im Jemen berichten.
1. Februar 2006
Deutschland. Die Welt veröffentlicht die Karikaturen. Auch Tagesspiegel, Berliner Zeitung und taz drucken einige nach.
Dänemark. Nach der Entschuldigung von Jyllands-Posten war der Streit um die Mohammed-Karikaturen keineswegs beendet. Am 31. Januar war eine Fatwah gegen die im Irak stationierten dänischen Soldaten verhängt. In Arhus und Kopenhagen mussten die Redaktionsräume von Jyllands-Posten nach einer Bombendrohung geräumt werden. Gestern ging das Blatt in seinen Kommentarspalten wieder in die Offensive. Man selbst und die dänische Regierung habe der muslimischen Welt die Hand gereicht. Nun sei es Aufgabe islamischer Organisationen und Regierungen, die Gemüter zu beruhigen: „Man sollte meinen, der Wahnsinn könne nun kaum mehr größer werden, aufgrund der Erfahrungen in den letzten Tagen aber ist man mit derlei Vorhersagen vorsichtig geworden… Wenn die dänischen Imame sowie die hierzulande akkreditierten Diplomaten, die den Brand gelegt haben, den Willen hätten, diesen wieder zu löschen, könnten sie dies vielleicht erreichen. Es ist an ihnen zu zeigen, ob der Wille dafür vorhanden ist.“
Schweden. Die Affäre um die Mohammed-Karikaturen lässt sich nicht auf eine Diskussion um Meinungsfreiheit reduzieren, findet Cecilia Bornäs in Sydsvenskan. „Die Veröffentlichung fand nicht in einem politischen Vakuum statt. Die Karikaturen sind ein Freundschaftsgeschenk an die Regierung. Menschen, die in Dänemark Schutz gesucht haben, werden auf eine Art und Weise behandelt, die an Apartheid grenzt. Die Karikaturen stehen im Zentrum der Debatte, die Reaktionen in der arabischen Welt aber wären kaum so heftig ausgefallen, hegte die dänische Regierung nicht einen solchen Verdacht gegenüber Moslems und dem Islam. Es geht um reale Politik, nicht allein um Zeichnungen auf Zeitungspapier. Darum auch lässt sich die Affäre nicht mit jener um Salman Rushdies ‚Satanische Verse‘ gleichsetzen.“
Frankreich. Unter den französischen Zeitungen tut sich France Soir durch die Veröffentlichung der Karikaturen hervor. Der Online-Dienst des Nouvel Observateur interviewt dazu einen leitenden Redakteur des Blattes, Serge Faubert: „Die Meinungsfreiheit geht zugrunde, wenn man sie nicht nutzt. Die Karikatur gehört zur Meinungsfreiheit. Wir sind eine republikanische Zeitung und kämpfen für republikanische Werte. Wenn jemand Karikaturen verbieten will, dann veröffentlichen wir sie. Wir handeln nach unseren Überzeugungen. Das ist das beste Mittel, sich nicht zu irren.“
31. Januar 2006
Dänemark. Carsten Juste, Chefredakteur von Jyllands-Posten, gibt dem Druck nach und entschuldigt sich in einem offenen Brief, der auch ins Englische und Arabische übersetzt wurde, bei allen Moslems, die sich durch die Karikaturen in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen. „Ernsthafte Missverständnisse einiger Zeichnungen des Propheten Mohammed haben in letzter Zeit zu sehr viel Ärger und auch zum Boykott dänischer Waren in der islamischen Welt geführt. Die Initiative mit den zwölf Karikaturen ist – vielleicht aufgrund kultureller Unterschiede – als eine Kampagne gegen Moslems in Dänemark und in aller Welt ausgelegt worden. Das muss ich kategorisch zurückweisen. Es liegt uns fern, jemanden wegen seines Glaubens zu kränken. Wenn dies doch geschehen ist, ist es unabsichtlich passiert. Jyllands-Posten distanziert sich von allen symbolischen Handlungen, die bestimmte Nationalitäten, Religionen oder Bevölkerungsgruppen dämonisieren.“
Frankreich. Gilles Kepel, Islam-Experte vom Institut für Politikwissenschaften in Paris, erklärt im Interview mit Liberation, dass „der Begriff der Blasphemie extrem sensibel in einer muslimischen Welt aufgenommen wird, die mit dem Gefühl des Belagertseins lebt und mit dem Gefühl, der Islam sei eine bedrohte Religion. Und das, obwohl viele Prediger und Imame sich dafür einsetzen, dass der Islam die Welt erobert… Es ist verständlich, dass die Gläubigen von einer Zeichnung geschockt sind, die den Begründer ihrer Religion als Terroristen darstellt. Auch wenn einige Terroristen Islamisten sind, bedeutet das nicht, dass alle Muslime welche sind.“
Belgien. „Ein böser Geist, der das Feuer eines ‚Krieges der Zivilisationen‘ entfachen wollte, hätte nicht anders gehandelt“, schreibt Kommentator Jurek Kuczkiewicz in Le Soir. „Es ist bezeichnend und traurig zugleich, dass sich die Affäre um die ‚Mohammed-Zeichnungen‘ in Europa abspielt, das heißt in dem Teil der Welt, in dem die Meinungsfreiheit am wenigsten vom ‚politisch Korrekten‘ beeinträchtigt ist, wo aber die kulturelle und ethnische Vielfalt eine fast zur Religion erhobene Toleranz erzwingt. Doch gelebte Toleranz darf das Ideal der Freiheit nicht auf das Niveau der am wenigsten Toleranten unter uns reduzieren. Egal welchen Glaubens sie sind.“
Deutschland. Die Karikaturen waren eine „kalkulierte Provokation“, meint Reinhard Wolff in der taz. „Dänemark hat sich in den vergangenen Jahren mit einem offen ausländerfeindlichen Kurs profiliert, der nicht nur in Politik und Recht, sondern auch im öffentlichen Diskurs deutliche Spuren hinterlassen hat. Führende dänische Politiker können hier ganze Gruppen von Migranten als Menschen zweiter Klasse bezeichnen und den Islam mit Pest und Cholera vergleichen, ohne dass dies größeren Protest erregt.“ Dennoch beklagt er, dass die muslimische Reaktion „so vorhersehbar“ war. „Diese Reaktion lässt einer westlichen Öffentlichkeit nur die Wahl, im Zweifel für die Pressefreiheit einzutreten. Auch wenn dies angesichts der unappetitlichen Karikaturen schwer fällt.“
27. Januar 2006
Dänemark. Als Reaktion auf die in Dänemark veröffentlichten Mohammed-Karikaturen haben ägyptische Unternehmen begonnen, dänische Waren zu boykottieren. Damit versuchten sie, Demokratiedefizite im eigenen Land zu verdecken, findet der stellvertretende Chefredakteur Bent Winther im Dagbladet Information. Er kritisiert aber auch den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen. „Der Ministerpräsident hätte sich auf das von den Botschaftern arabischer Länder gewünschte Treffen einlassen sollen, wo er ihnen die Position der dänischen Regierung hätte darlegen können… Bekanntlich stärkt der Dialog das gegenseitige Verständnis, und die Diplomatie ist das letzte Ventil, bevor der Kessel überkocht und der Krieg ausbricht. Heute steht Anders Fogh Rasmussen in einer Ecke. Seine Dialog-Möglichkeiten sind erschöpft. Wenn er handelt, ist jedem klar, dass dänische Exportinteressen über Prinzipien stehen; wenn er nicht reagiert, wird sich der Boykott dänischer Waren vermutlich auf die ganze muslimische Welt ausweiten.“
19. Januar 2006
Dänemark. Die Zeitung Kristeligt Dagblad wehrt sich gegen Vorwürfe der schwedischen und deutschen Presse, die die Integrationspolitik der dänischen Regierung und auch die Mohammed-Karikaturen kritisiert hatten. Der Autor bemerkt, gerade in Schweden werde jegliche Diskussion über Integrationspolitik und eventuelle Fehlentwicklungen tabuisiert. „Eine offene und ab und an heftige Debatte kann dazu beitragen, zu verhindern, dass Frustrationen im Verborgenen heranwachsen. In Schweden, das derzeit eine Welle neonazistischer Gewalt erlebt, gibt es sehr viel mehr rassistisch motivierte Gewalt als in Dänemark. Das gleiche gilt für Deutschland, wo die offene Debatte um die durch die Zuwanderung geschaffenen Probleme ebenfalls lange verdrängt wurde.“
17. Januar 2006
Schweden. Wenig Verständnis hatte der schwedische Kommentator Tor Billgren in Sydsvenskan, als die norwegische Zeitung Magazinet die umstrittenen Mohammed-Karikaturen nachdruckte: Eine Provokation, findet Billgren, denn bei der Diskussion der vergangenen Monate sei es nicht allein um Meinungsfreiheit gegangen, sondern auch um Respekt vor anderen Religionen und Kulturen: „Es ist die gleiche Taktik, die die Rote Armee Fraktion in den siebziger Jahren in Westdeutschland anwandte. Mit ihren Terrorhandlungen wollte sie die Konfrontation mit der Polizei und den Behörden verschärfen, um so das ‚wahre faschistische Gesicht‘ hervorzukehren, auf dass die Proletarier der Nation sich erheben und revoltieren würden. Auf die gleiche Weise versucht die fundamentalistische Christenheit das ‚wahre Gesicht des Islam‘ zu provozieren, um den Widerstand des Volkes gegen den Islam zu schärfen.“
11. Januar 2006
Schweden. Seider schreibt im Tagesspiegel über den Islam und den Westen und das Versprechen der Freiheit: „Europa hat mit seinen über 20 Millionen muslimischen Migranten den Konflikt mit dem Islam ins eigene Haus geholt und ist jetzt gefordert, seine Wertvorstellungen und Prinzipien nach innen wie nach außen zu verteidigen. Die inneren Konfliktlinien, die in den aktuellen Debatten über Integration, Zwangsheirat, Gesprächsleitfaden und Karikaturenstreit sichtbar wurden, lassen sich durch drei Themen markieren: Es geht um die Gleichberechtigung beziehungsweise um die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen und der Homosexuellen, um die Meinungs- und Pressefreiheit und um die Rechte der weltlichen gegenüber der sakralen Sphäre. Der Streit betrifft mit einem Wort einige der wichtigsten Errungenschaften der Aufklärung, die Fundamente der säkularen westlichen Gesellschaften. Bei Strafe, seine Seele zu verleugnen, kann der Westen in diesen Fragen nicht mit sich handeln lassen.“ Und Schneider schließt: „Der Islam braucht nicht eine neue Schutzklausel gegen Karikaturen und Kritik, sondern vielmehr eine Öffnungsklausel, eine Bereitschaft, sich der modernen Welt zu öffnen, in der längst auch die Muslime leben – und eine beherzte Erinnerung an die Helden seiner eigenen verratenen Renaissance.“
Dagens Nyheter beschied der dänischen Regierung, sie habe richtig gehandelt, als sie sich weigerte, Jyllands-Posten zu einer Entschuldigung zu zwingen, wie dies verschiedene muslimische Organisationen gefordert hatten. „Dafür sollte sie Anerkennung und Unterstützung von ihren EU-Kollegen erhalten. Die sehr viel schwierigere Herausforderung aber, die offene Gesellschaft bei allen Bürgern Dänemarks zu verankern, hat sie nicht bewältigt. Genauso wenig wie ihre EU-Kollegen. Denn ein Teil der Moslems in den europäischen Ländern findet sich in der offenen Gesellschaft nur schwer zurecht.“
9. Dezember 2005
Dänemark. In Skandinavien wurden die Karikaturen und die Reaktionen bereits im Winter heftig diskutiert. Jyllands-Posten wurde dabei nicht nur gelobt. Berlingske Tidende reichte es allerdings, als sich die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), die 56 moslemische Staaten repräsentiert, wegen der Karikaturen beim UN-Menschenrechtskommissar über Dänemark beschwerte: „Mit dieser Kampagne der OIC ist die Grenze des Akzeptablen überschritten“, kommentiert die Zeitung. „Die Uno in diese Angelegenheit zu verwickeln, ist ein klarer Missbrauch der Organisation. Natürlich ist es für einige Mitglieder der OIC bequem, sich über Karikaturen in einem fernen Land aufzuregen. Schließlich lenkt das ab von den Problemen, die diese Staaten mit dem Respekt für Menschenrechte und der Religions- und Meinungsfreiheit haben.“
Wie alles begann:
Am 30. September 2005 veröffentlichte die dänische Zeitung Jyllands-Posten zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed. In Auftrag gegeben hatte sie der Feuilletonredakteur Flemming Rose, nachdem er erfahren hatte, dass der Kinderbuchautor Kare Bluitgen keinen Illustrator fand für ein neues Buchprojekt: das Leben des Propheten Mohammed, erzählt für Kinder. „Er habe in Erfahrung bringen wollen, sagt Rose, ‚wie weit die Selbstzensur in der dänischen Öffentlichkeit geht'“, zitiert die Zeit Rose in einem ausführlichen Hintergrundartikel. Muslimische Organisationen protestierten heftig gegen die Karikaturen und organisierten eine Rundreise durch arabische Länder, um die Karikaturen dort vorzuführen. Dabei sollen sie jedoch „nicht nur die zwölf inkriminierten Karikaturen aus der Jyllands-Posten“ herumgezeigt haben, sondern „auch zusätzliche Schmähzeichnungen, die ungleich heftiger und geschmackloser sind – und deren Herkunft unklar ist“, berichtete gestern Spiegel Online. Kaare Quist, Journalist bei Ekstra Bladet, erklärte Spiegel Online, dass „in dem Dossier zum Beispiel auch Karikaturen enthalten (sind), die den Propheten als Pädophilen und als Schwein darstellen und einen betenden Muslim zeigen, der von einem Hund vergewaltigt wird.“