Der Nazi-onale Politiker und Führer der AfD Björn Höcke gibt mit der Veröffentlichung eines knapp 300 Seiten langen Protokolls eines „Gespräches“, das Stichwortgeber Sebastian Hennig mit ihm geführt hat („Nie zweimal in denselben Fluss“), die Gelegenheit, dass seinen Ansichten genau „auf den Zahn gefühlt“ wird. Das soll im Folgenden solcherweise geschehen, wie die beiden „Gesprächs“-Partner das so wahrscheinlicherweise nicht gewollt haben würden.
Höcke trägt nicht nur seine politischen Auffassungen vor. Seine Ausführungen wollen nicht nur argumentieren sondern Stimmung machen.
Hingegen verkörpern sie eine bestimmte Lebensart und subjektive Gestimmtheit. Von deren Durchsetzung in der ganzen deutschen Bevölkerung erwartet sich der AfD-Politiker offensichtlich und lesbar „Großmächtiges“.
Zwar möchte dieser Beitrag auf gar keinen Fall eine Buchempfehlung für dies Machwerk sein!
Aber: Franziska Schreibers„InsideAfD“ in der Mitte dieses Beitrages will das schon…
Alsdann: Höcke kaufen: Nein! Lesen: Unbedingt!
Später mal soll nämlich – wie bei Hitler:“Mein Kampf“ – ja schon mal gehabt – niemand sagen können: „Das habe ich nicht gewußt“ aber, vielleicht reicht es ja schon, diesen Beitrag gelesen zu haben:
(Und, bevor Sie der Rundschau Rezension dieses Höckeschen Machwerks lesen – (was wir uns angetan haben, damit Sie, was wir ausdrücklich empfehlen, es nämlich nicht kaufen müssen), hier ein Link zu unserer 2005 geschriebenen Kolumne, weshalb wir, im Gegensatz zum damaligen Bundesinnenminister Schily meinen, dass und weshalb
es richtig war , die NPD nicht verboten zu haben.
Wenn Sie das nun hinter sich haben: Hier geht es weiter zum aktuellen Rechten Höcke und Co):
Das „Gesprächsprotokoll“ präsentiert die von Höcke gewollte politische u n d psychische Transformation in schonungsloser Offenheit.
Die Ablehnung des Grundgesetzes
Höcke hält faktisch wenig von Grund- und Menschenrechten sowie von Gewaltenteilung und Parlamentarismus. Für Höcke sind die „westlichen Werte“ „aufgeblasener Werteschaum“ (199). „Der Parteiengeist muss überwunden, die innere Einheit hergestellt werden“ (288), sagt er.
Schluss mit dem „westlich-dekadenten Liberalismus und der ausufernden Parteienherrschaft“!(285)
An deren Stelle soll „eine fordernde und fördernde politische Elite, die unsere Volksgeister wieder weckt“, treten (286).
Mit Machiavelli bezweifelt er, dass „ein Volk überhaupt in der Lage ist, sich selbst aus dem Sumpf wieder herauszuziehen“ (286). „Es braucht eine starke Persönlichkeit und eine feste Hand an langer Leine, um die zentrifugalen Kräfte zu bändigen und zu einer politischen Stoßkraft zu bündeln“ (231).
Bei dieser Aussage handelt es sich um eine Kompromissbildung zwischen Höckes Votum für „die feste Hand“ und dem Versuch, das Plädoyer für die autoritäre Lösung nicht als ganz so hart erscheinen zu lassen, wie es faktisch ist. Herauskommt hierbei die unfreiwillig komische Formulierung von der „festen Hand an langer Leine“.
Inmitten dieses faschistoid-braunen Sumpfes möchten wir Ihnen dies Buch einer AfD-Aussteigerin empfehlen →
Und hier gehts weiter mit Höcke:
Der Ausschluss der Opposition aus dem „Volk“
:
Er schreibt und macht deutlich: Der von ihm angestrebte Ausschluss von Teilen der Bevölkerung aus dem „Volk“ betrifft nicht allein die Migranten. Höcke belässt es nicht dabei, in offen rechtsradikalem Ton für den Kampf gegen den vermeintlich „bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“ (216) zu agitieren. Er plädiert auch in Bezug auf die Menschen mit reindeutscher Abstammung für einschneidende Maßnahmen. Höckes Gesprächspartner meint – von Höcke unwidersprochen – diesbezüglich: „’Brandige Glieder können nicht mit Lavendelwasser kuriert werden’, wusste schon Hegel“ (254).
Höcke stellt zur von ihm angestrebten Umwälzung fest, dass „wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind“ mitzumachen (257).
Höcke denkt an einen „Aderlass“ und deutet an, dass diejenigen Biodeutschen, die seinen politischen Projekten nicht zustimmen, aus Höckes Deutschland ausgeschlossen werden. Auf welche Art und Weise dies geschehen soll, bleibt der Phantasie überlassen.
Wahlweise treten die Optionen Migration, Entrechtung, Kriminalisierung oder Liquidierung vors innere Auge.
„Die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden.
Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen“ (257f.).
Die Ausblendung von Realität und das Lob eines faschistischen Regimes
Angesichts dieser Ansagen stellt der Gesprächspartner Hennig eine von ihm ganz und gar nicht kritisch gemeinte Frage. Ob Höcke denn „eine Lanze für den (italienischen – Verf.) Faschismus brechen“ wolle? (141) Höcke antwortet: „Wir haben Preußen als positives Leitbild“ (142). Hennig hakt nach: „Man kann den Faschismus ja auch als den Versuch einer ‚Preußifizierung’ Italiens verstehen“ (142). Höcke findet das einen „interessanten Gedanken“ (142) und fügt hinzu: „Das ‚unbequeme Leben’, das Mussolini seinen Landsleuten abforderte, erinnert zumindest ein bisschen an die kratzige, aber wärmende preußische Jacke, von der Bismarck sprach“ (142). Höcke weiß vom italienischen Faschismus nur Gutes zu berichten („gute Straßen und pünktliche Züge“ (142)).
Auffallend ist, dass Höcke zu alledem beredt schweigt:
Zur Einparteiendiktatur, zum Verbot anderer Parteien und der Gewerkschaften,
zur Verfolgung aller, die oppositionelle Aktivitäten oder abweichende Meinungen zeigen,
zu den italienischen Eroberungskriegen in Afrika,
zur Entrechtung der Juden und ihrer Deportation in KZs.
Es ist schon ein Zynismus sondergleichen, angesichts der Opfer des italienischen Faschismus vom „unbequemen Leben“ (Mussolini) zu sprechen und von einer „ein bisschen kratzigen, aber wärmenden preußischen Jacke“ (Höcke).
Die italienischen Faschisten übten bereits vor ihrer Machtausübung Terror aus gegen die Selbstorganisation von Landarbeitern, gegen Genossenschaften, gegen Gewerkschaften und gegen linke Parteien.
Selbst der von Rechten verehrte Ernst Nolte arbeitet heraus, dass die Gewalt der Faschisten von weit größerem Ausmaß und „von ganz anderer Natur war“ als die Gewalt von links in Italien:
Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. München 1984, S. 258 f :
In der faschistischen Gewalt „lebt etwas von urtümlich Bösem, von zynischer Menschenverachtung und diabolischer Freude an der Erniedrigung der anderen Menschen, von lichtloser Liebe zur Gewalt um ihrer selbst willen“ (Ebd., S. 260).
„Schon früh sprach Mussolini vom faschistischen Leoparden, der mit dem trägen Vieh der sozialistischen Massen nach Belieben verfahre“ (Ebd., S. 253).
Die neue Elite – Höcke tritt ein für
die Reinigung und Führung Deutschlands durch eine Elite.
„Mit starkem Besen“ sollen die „feste Hand“ (231) und der „Zuchtmeister“ (286) „den Saustall ausmisten“. Das ist Höckes politisches Credo. Dessen einzelne inhaltliche Ziele bleiben mit einer Ausnahme im Dunkeln.
Zur Besessenheit, mit der das Migrationsthema ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit gerückt und nicht zu anderen Themen ins Verhältnis gesetzt wird (Klimawandel, schlechte Personalausstattung von Schulen und Krankenhäusern, Mangel an bezahlbaren Wohnungen), passt der Verlust an Augenmaß.
Zum Beispiel beklagt Höcke die Verwendung von „150 Millionen Euro Steuergeld“ in „Bundestags- und Landesprogramme‚ für Demokratie, die in ihrer Hauptstoßrichtung ‚gegen Rechte’ gerichtet sind“ (137).
Urteilskraft erfordert unter anderem: Einen Sachverhalt in seinem realen Stellenwert im Verhältnis zu anderen Sachverhalten angemessen gewichten zu können. Höckes Urteil über die Ausgabe von 150(!) Millionen(!) Euro in der Bundesrepublik Deutschland 2017: „Da bleibt am Ende, wie wir alle leidvoll spüren können, kaum noch Energie, um die eigentlichen Probleme anzupacken“ (137f.).
Religion
Höcke spricht von der „Notwendigkeit einer religiösen Wiederverankerung“ als „einer der entscheidenden Aufgaben der Zukunft“ (269). Wie die überwiegende Mehrheit der AfD-Mitglieder verbindet Höcke nichts mit dem Christentum. Die Religion kommt nicht wegen ihres Inhalts ins Spiel, sondern aus einer politischen Wirkung, die sich Höcke von der Stärkung der Religion verspricht:
Freisetzung „innerer Kräfte der Menschen“ „für die grundlegende Erneuerung unseres Landes“ (162).
Der Kyffhäuser-Mythos als Leitbild
Höcke möchte „unserem Volkscharakter“ (156)
zur Regeneration und zum Durchbruch verhelfen. Dieser Begriff bleibt nebulös.
Der AfD-Politiker spricht von „inneren Substanzen, aus denen der Genius des Volks seine Kraft schöpft und den es zu erhalten gilt“ (291). Bei diesen „inneren Substanzen“ handele es sich um Mythen.
Ihnen schreibt Höcke eine „belebende und identitätsstiftende Wirkung auf Menschen und Völker“ zu (159).
Höckes ökologisches Patentrezept
Das Thema des Klimawandels und der Schädigung der für menschliches Leben relevanten ökologischen Bedingungen kommt bei Höcke kaum vor. Im Gespräch heißt es: „Allein die größten fünfzehn von ihnen (Containerschiffe – Verf.) stoßen jährlich mehr schädliche Schwefeloxide aus als alle 760 Millionen Autos weltweit!“ (278) Die Botschaft ist klar: Legt fünfzehn Schiffe an die Kette und das Umweltproblem ist schon so gut wie gelöst.
Besonders am Herzen liegt Höcke der „Kyffhäuser-Mythos der Deutschen:
Bekanntlich schläft der alte Kaiser Barbarossa in einer Höhle des Kyffhäuserberges, um eines Tages mit seinen Getreuen zu erwachen, das Reich zu retten und seine Herrlichkeit wiederherzustellen“ (159). Diese Legende passt haargenau zum politischen Projekt von Björn Höcke. Vermutlich stellt er sich vor, er sei der zweite König Barbarossa. Immerhin wohnt er schon mal in der richtigen Gegend. „Die mitteldeutschen Refugien, das sagenumwobene ‚Dunkeldeutschland’ könnte als Überlebenskern unserer Nation eine elementare Bedeutung bekommen“ (183). Warum aber rangiert die Kyffhäusersage an vorderster Stelle unter den „deutschen Mythen“? Wie viele kennen diese Sage überhaupt? Und wem bedeutet sie heute etwas?
Der „deutsche Volkscharakter“
Wir haben es zusammengefasst mit folgendem Gedankengang zu tun: Der deutsche Volkscharakter nähre sich von Mythen. Das Besondere an den Deutschen sei, dass sie einen starken inneren Bezug zu diesen Mythen haben („romantische Tiefenhellsichtigkeit der Deutschen“ (158)).
Diese Mythen wirken sich auf die Deutschen dann „stärkend und heilbringend“ (158) aus, wenn die Deutschen ihre Identifikation mit ihren Mythen verstärken.
Dafür, dass die Deutschen dies tun, brauche es eine Führung durch eine solche Elite, die die Mythen wertschätzt. Geführt von dieser Elite wachse dem deutschen Volk eine Macht und Herrlichkeit zu, der nichts widerstehen könne.
Der Glaube versetze Berge.
Der Kitsch als Zentrum der von Höcke propagierten Lebensart
Die inhaltliche Armut seines politischen Projekts versucht Höcke zu kompensieren. Wenn man der Bevölkerung faktisch nicht mehr als „Ausländer raus“ und „eine starke Hand“ zu bieten hat, dann muss man sich wenigstens als denjenigen empfehlen, der ihnen ein neues Selbstbewusstsein verschaffe. Die subjektive Aufwertung des kleinen Ichs durch ein pompöses Größenselbst bildet das Angebot von Höcke für die Deutschen. In dem Gesprächsprotokoll wird deutlich, wie Höcke selbst jedes einzelne Moment seiner Existenz adelt, indem er es unmittelbar auf das große Ganze und Allgemeine bezieht. Wie in vielen Lebensmitteln heute die Geschmacksverstärker dominieren, so dominieren im Kitsch die stimmungsvollen Effekte. Kitsch besteht in der Vortäuschung einer Tiefe der Erkenntnis oder des Gefühls, ohne dass diese existiert. Höcke badet im Kitsch: „Und in dieser Ländlichkeit, wo die Welt noch groß und der Tag noch lang ist, liegt meine eigentliche Heimat, und dort wird sie auch bleiben“ (33). „Im dahingleitenden Geschichtsstrom – der Rhein! – verschwinden die menschlichen Werke nach und nach – die Burgruinen!“ (30)
Sich und anderen die eigene Bedeutsamkeit einreden
Der Übereifer, mit den Höcke ein bestimmtes Bild von sich aufdrängen will, wirkt penetrant. Höcke und sein Gesprächspartner zitieren unablässig aus dem philosophischen und literarischen Bildungsgut. Diese Zitate wirken wie ausgerupfte Federn. Höcke zitiert zwei Mal „den Lebenskunstphilosoph Wolfgang Schmid“ (48) und zwei Mal Wilhelm Schmid, ohne zu wissen, dass alle vier Zitate von Wilhelm Schmid stammen. Höcke hat es auf bedeutungsgravitätische Effekte und Selbstverwichtigung abgesehen. Er bietet in Serie unstimmige Bilder, missglückte Metaphern sowie sentimentale Phrasen. Seine Aufladung mit Größe – (da denken wir an die großartige Frederike Kemptner, von der Brecht mal gesagt hat, würde es die nicht geben, müsse man sie erfinden) funktioniert um den Preis unfreiwilliger Komik. „Tatsächlich bleibt mir gegenwärtig oft nur das Schwelgen in Erinnerungen, wenn ich spätabends zu Hause vor dem Kaminfeuer sitze“ (80). Ein Angeber kann es nun mal nicht dabei belassen mitzuteilen, er sei abends müde und sitze im Sessel. Er leidet unter dem Drang, sich größer darzustellen als er ist. Unter einem „Schwelgen“ vorm „Kaminfeuer“ macht er es nicht.
Des Größenwahns Sinn
Höcke versteht die Darstellung seiner Gefühlswelt nicht privat, sondern normativ. Der AfD-Politiker will eine Transformation der Gesellschaft, die über das Politische weit hinausgeht. Er hat klare Vorstellungen, zu welcher Lebensart seine Barbarossa-Elite die Deutschen umerziehen soll. Man fühlt sich an die Scherzpostkarte erinnert, auf der es heißt: „Ich leide nicht an Realitätsverlust. Ich genieße ihn.“ Die von Höcke angestrebte Mentalität steht im Gegensatz zum Satz „Reif ist, wer auf sich selbst nicht mehr hereinfällt“ (Heimito von Doderer). Hingegen predigt der AfD-Politiker die Ergriffenheit von der eigenen Hingabe an selbstwertdienliche Illusionen. Höcke empfiehlt das Primat des Scheins über das Sein nicht allein den einzelnen Individuen, sondern dem ganzen deutschen „Volk“. Die dauernde Anrufung weihevoller Bedeutungen soll eine Stimmung von „Herrlichkeit“ erzeugen. Wer sich an ihr berauscht, „erhebt sich subjektiv über die Wirklichkeit und ordnet diesem euphorischen Zustand auch die Aufmerksamkeit für die menschlichen Härten und unschönen Szenen“ (254), die Höcke ankündigt, unter.
Gegen die Moderne
Höcke empfiehlt sich als Retter und leader, der die eigentliche und wesentliche Mission der Deutschen wahrnimmt und ihnen nahebringt. Er tritt auf als Verkünder des infolge seiner vermeintlichen Ewigkeit Unwidersprechlichen, das alles moderne Argumentieren überbiete. Gemeint sind angeblich fundamentale Seinsschichten: „Die Moderne“ (258ff.) wolle – so Höcke – von ihnen nichts wissen. Er kann sich nicht entscheiden, ob die Moderne diese vermeintlich übergeschichtlichen Fundamente zerstöre, oder ob letztere den nie versiegenden Kraftquell des anzustrebenden AfD-Deutschlands bilden. Höckes Mission lautet jedenfalls: „Es geht nicht nur darum, ein Gemeinwesen gut zu organisieren. Es geht auch um die Wiederverzauberung der Welt“ (163). Höcke attackiert „die Moderne“, um rationales Argumentieren zu entwerten. Die Aufmerksamkeit für die eklatanten Widersprüche seiner Aussagen könnte seiner Stimmungsmache schaden.
Widersprüche
Einerseits findet Höcke den „NS-Imperialismus, der eine Missachtung des Selbstbestimmungsrecht der Völker war„, aus ungenannten Gründen nicht gut (283). Andererseits hebt er die seines Erachtens positiven Leistungen der Kolonialmächte hervor. „Möglicherweise besteht die größte Schuld der Kolonisten in ihrem oft kampflosen Rückzug“ (190f.). Der AfD-Politiker kritisiert die Moderne, andererseits bezieht er sich positiv auf „faustische Menschen“ (272). Höcke benutzt wie betriebsblinde Mitwirkende der „Erlebnisgesellschaft“, die keine Unterschiede zwischen Geltungsmaßstäben der Erkenntnis, der Praxis und des Krimis kennen, den Begriff „spannend“: „Letztlich ist das Vorhandensein von Grenzen auch die Voraussetzung für das äußerst spannende Abenteuer, diese zu überschreiten. Das sollten wir uns nicht nehmen lassen. Als faustische Menschen sind wir Europäer dafür prädisponiert“ (272).
Der Hinweis auf Widersprüche, in die sich ein Denken nicht verwickeln sollte, gilt Höcke als äußerst unromantisch. Zugleich beklagt er die „finale Auflösung“ aller „Identitäten“ (261).
Einerseits beschreibt Höcke die Gegenwart apokalyptisch. Er möchte tabula rasa schaffen, um dann ‚Tischlein deck dich’ spielen zu können. „Wir erleben die finale Auflösung aller Dinge: von den Identitäten der Geschlechter und Ethnien, den Familien, den religiösen Bindungen über die kulturellen Traditionen“ (261).
Andererseits hat „die finale Auflösung aller Dinge“ Höcke zufolge den Kyffhäusermythos und den „deutschen Volkscharakter“ verschont. „Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert, davon bin ich überzeugt“ (161).
Die „Vergangenheitsbewältigung“
Auf die Behauptung, man relativiere den Holocaust nicht, folgt in Höckes Gesprächsprotokoll eben diese Relativierung. Höckes Gesprächspartner Hennig meint: „Ohne etwas zu relativieren, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass damals in Kriegszeiten überall haarsträubende Dinge passiert sind“ (71).
Diese Andeutung lässt glauben, alle Kriegsparteien hätten sechs Millionen Juden in industriellem Massenbetrieb ermordet. Höcke rückt dieses Verbrechen in die Nähe von Fehltritten, die im Leben nun einmal unvermeidbar seien: „In der irdischen Welt sind Licht und Schatten wild miteinander verwirbelt“ (62).
Denkt Höcke an 1933-45, gilt seine Aufmerksamkeit zunächst und zumeist der „katastrophalen Niederlage von 1945“ (63).
Schlimm am Nazional-Sozialismus (das „z“ – ein wenig Vergnügen muß sein dürfen – hat der Leser got * tno gerade erfunden) sei also gewesen, dass er den Weltkrieg verloren hat. Aber: „Es gibt neben all dem Elend und Schrecken auch einen ‚Vorsprung der Besiegten’“ (64). Höckes Gesprächspartner bringt eher der Pflicht als der Neigung gehorchend den naheliegenden Einwand: „Es fällt nicht leicht, angesichts der Millionen Toten und der gigantischen Zerstörungen einen ‚Vorsprung’ zu erkennen“ (64).
Höcke zeigt, wem seine Empathie gilt.
Anlässlich des Themas „angeblicher Millionen Tote“ durch Holocaust und deutsche Angriffskriege kommt Höcke gleich wieder auf „den Verlierer“ (64). Und das sind für ihn was Wunder … die schwer geprüften Deutschen.
Auch an dieser Stelle weiß Höcke einen seiner salbungsvollen Kalendersprüche anzubringen:
„Carl Gustav Jung hat einmal gesagt: ‚Da, wo wir stolpern, finden wir reines Gold.’“ (63).
Höcke lehnt jede Vergangenheitsbewältigung ab, die „unser nationales Selbstwertgefühl unterminiert“ (69). Er teilt mit, wie die Deutschen stattdessen die erlittenen „schweren Prüfungen“ beantworten sollen: mit Reifeprüfungen (Bild) (63) und „innerer Stärkung“ (69).
Die Höckeschen drei Botschaften
Erstens die üblichen rechten Positionen (zur Migration als vermeintliche „Mutter aller Probleme“ und zur „Vergangenheitsbewältigung„).
Zweitens das Plädoyer für kollektives überkompensatorisches Selbstbewusstsein. Höcke wartet zusätzlich mit dem Protokoll seiner individuellen Versuche auf, sein Selbstbewusstsein zulasten seines Bewusstseins zu steigern.
Die Menschen sollen nicht wahrnehmen, wie es ihnen infolge der Umsetzung von Höckes Vorschlägen schlecht ergehen wird, sondern sich der grandiosen Vorstellung hingeben, Teil eines Volkes voller Macht und „Herrlichkeit“ zu sein.
Selbst die überwiegende Mehrheit der AfD belächelt Höckes Kyffhäuserfimmel.
Er tut in dem Gespräch – wie gezeigt – auch einiges dafür, nicht ernst genommen zu werden. Anders verhält es sich mit Höckes Agitation für einen Umsturz:
Höcke tritt ein:
Für den gewaltsamen Ausschluss aller Opposition aus der von einer Elite mit „starker Hand“ geführten Nation, er befürwortet die Umerziehung der Bevölkerung zum „deutschen Volkscharakter“ durch die „Zuchtmeister“.
Dieses brutale politische Projekt bildet
Die dritte Botschaft von Höcke.
Es formuliert eine trotz allen verquasten Überbaus unmissverständliche Ansage: Höcke macht bekannt (und das macht auch dieser „Monitor“-Beitrag auch:), was die Bevölkerung zu erwarten hat, wenn er und seinesgleichen nicht nur an die Regierung, sondern an die Macht kommen.
1. Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. München 1984, S. 258
2
2. Ebd., S. 260
3. Ebd., S. 253
15.Nov..2018, 15:35
Es wird eng für die AfD und Alice Weidel. In der Affäre um dubiose Parteispenden aus der Schweiz hat sich die AfD-Fraktionsvorsitzende um allerlei Erklärungen bemüht – aber sie sind immer deutlicher Ausflüchte. Gerade ist herausgekommen, dass Weidel die Spenden in Gesamthöhe von 132.000 Euro offenbar unter anderem für ihren Internet-Wahlkampf verwendet hat: Einer ihrer Mitarbeiter soll massenhaft sogenannte “Like-Ads“ auf Facebook gekauft haben – für bis zu 10.000 Euro. pro Monat.
Ein AfD-Fraktionssprecher bestätigte einen entsprechenden Bericht der “FAZ“. Die Staatsanwaltschaft Konstanz will gegen Weidel ermitteln und hat die Aufhebung ihrer Immunität als Abgeordnete beantragt. Und nun meldet die AfD auch noch, dass bei Weidels Kreisverband offenbar eine weitere illegale Auslandsspende eingegangen ist – diesmal aus Belgien. Wieder ein enormer Betrag: 150.000 Euro.
Der Fall ist noch frisch, viele Details sind noch unklar. Trotzdem lernen wir schon jetzt zweierlei: Erstens wird klarer, wie sich die AfD-Führung, die ihre Botschaften überwiegend nicht über traditionelle Medien, sondern vor allem über Facebook verbreitet (und sich damit oft den kritischen Nachfragen von Journalisten entzieht), ihre viralen Kampagnen leisten kann. Zweitens verdichten sich die Hinweise, dass die AfD-Spitze im Bundestag, die so gern ihr Image als Anti-Establishment-Bewegung und Sammelbecken vermeintlich aufrechter Patrioten inszeniert, in mutmaßlich kriminelle Machenschaften verwickelt ist. Bestätigen sich die Vorwürfe, droht Weidel eine hohe Geldstrafe. Und jeder aufrechte Patriot in diesem Land wird nicht anders können, als den Satz zu zitieren, den die AfD-Frontfrau bei jeder Gelegenheit der Bundeskanzlerin entgegenschmettert: “Treten Sie zurück, Frau Weidel!
Der in den Fall verwickelte Mitarbeiter Weidels leitet übrigens heute das Social-Media-Team der AfD-Fraktion im Bundestag. So what? Nachtigall, ick hör dir trapsen!
Xaver Wunsidl
17.Jan..2019, 04:12
Danke für diesen Artikel, er zeigt einmal mehr, dass die Einstufung der AfD als Prüffall gerechtfertigt ist.
Der Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württembergs (LAKA BW) begrüßt die Einstufung der AfD als Prüffall durch den Verfassungsschutz, ebenso die Einstufung der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) und der rechtsnationalen Vereinigung Der Flügel als Verdachtsfälle. Die Einstufungen zeigen dieser Partei und ihren Organisationen endlich offiziell Grenzen für ihre rechtsextremistischen Äußerungen und Machenschaften auf. Die daraufhin erfolgten Relativierungen der Einstufung als „Dummheit“ und „Wettbewerbsverzerrung“ durch die Parteispitze zeigen nur, dass man auch in Zukunft nicht daran interessiert ist, rechtsextreme Ansichten und Haltungen konsequent aus der AfD auszuschließen, sondern diese zum Markenzeichen stilisiert hat.
Der LAKA ruft alle Parteien und Organisationen zur verstärkten politischen Auseinandersetzung mit der AfD auf, um die Einwohnerinnen und Einwohner von Baden-Württemberg auf diesem Weg dafür zu sensibilisieren, dass diese Partei eine Politik verfolgt, die gegen demokratische Grundwerte arbeitet und damit nicht nur allen Einwohnerinnen und Einwohnern Deutschlands, sondern auch Europas schadet.
Mit freundlichen Grüßen
LAKA, Stuttgart