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Kunderas „Ruhm gründet auf der einmaligen Verbindung von leichter Erzählkunst und Reflexion, an denen er seine Leser zu beteiligen schien, als hole er nur Bauklötze aus der Kiste und schaffe mit ein paar Bewegungen aus dem Handgelenk ein Dorf, ein Schlafzimmer, einen Fluss“, schreibt Paul Ingendaay in der FAZ. „Die Energie, die er brauchte, sich vom kommunistischen Regime zu lösen, macht einen Gutteil der befreienden Kraft seines Schreibens aus“, hält Arno Widmann in der FR fest. „Er konnte seinen Leserinnen und Lesern die Augen öffnen dafür. Und – vielleicht wichtiger noch – ihren Geist.“ Etwa bei der Entdeckung Mitteleuropas: „Wer nach dem Krieg in der zweigeteilten Welt aufwuchs, der unterschied zwischen West und Ost. Alles, was unter der Herrschaft der Sowjetunion stand, war für mich Osteuropa. Dagegen rebellierten aufmüpfige Intellektuelle auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs seit den 60er Jahren immer lauter. … Sie weigerten sich, sich als natürliche Bundesgenossen der Sowjetunion zu betrachten.“
Kundera „lehnte aus Prinzip alle Prinzipien ab„, schreibt Gregor Dotzauer im Tagesspiegel: So blieb Kundera sich im steten Wandel treu. „Literarisch reihte er sich ein in eine Tradition, als deren frühe Höhepunkte er Miguel de Cervantes‘ ‚Don Quijote‘ und Denis Diderots ‚Jacques der Fatalist und sein Herr‘ verehrte, um dann Franz Kafkas Schuldgebirge und Hermann Brochs Irrationalitätslabyrinthe zu durchqueren.“ Ulrich Rüdenauer hält auf ZeitOnline Kunderas „Buch vom Lachen und Vergessen“ hoch: Das ist „ein Roman, der in einer virtuosen musikalischen Komposition und in verschiedenen Variationen Niederlagen und Verwerfungen durchspielt; die Handlung ist aufgesplittert, muss erst vom Leser zusammengesetzt werden. … Gerade die formale Freiheit, die in diesem Buch liegt, die episodenhafte Verknüpfung reflexiver und erzählerischer Passagen, scheint einen noch größeren Affront darzustellen als sein mit totalitären Mechanismen abrechnender Inhalt. Schon einzelne Sätze in diesem Roman hätten Kundera in der kommunistischen Tschechoslowakei zur Persona non grata machen können.“ Weitere Nachrufe schreiben Karl-Markus Gauss (NZZ) und Alexandra Mostyn (taz).
Nur am Rande erwähnt wird in einigen Nachrufen die Kundera–Affäre, die Adam Hradilek 2008 im tschechischen Magazin Respekt bekannt machte, nachdem er einen Polizeibericht von 1950 über eine Anzeige gefunden hatte, die in einem Polizeirevier in Prag gemacht wurde: Kundera, damals Student, hatte laut diesem Bericht einen Kurier des amerikanischen Geheimdienstes, Miroslav Dvoracek, an die Polizei verraten. Dvoracek büßte dafür 14 Jahre in einem Arbeitslager. Kundera bestritt die Anzeige (siehe auch unser Dossier zur Kundera-Affäre). „Der individualistische Bonvivant also als eilfertiger Denunziant, der spätere Ideologieverspotter als lebenslanger Verdränger?“, fragt Marko Martin in seinem Kundera-Nachruf in der Welt. „Kundera stritt eine Verwicklung in den Fall ab, bekannte sich jedoch zu seiner parteigläubigen Frühphase. Prager Intellektuelle, die ihm nicht gewogen waren, erinnerten allerdings daran, dass auch zu Beginn der Siebzigerjahre Kundera vor allem an sich selbst gedacht und das Petitions- und Bürgerrechtlerengagement eines Václav Havel aus kalter olympischer Distanz betrachtet hatte. Dennoch: Wer außer Kundera hatte die ästhetischen und moralischen Zumutungen, mit denen der Alltagstotalitarismus seine Bürger kujonierte, derart präzise beschrieben und in wissendem Gelächter einen möglichen Ausweg skizziert?“