Gendern hat einen schlechten Ruf. Warum wird das Ziel: „Mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache“ so falsch verstanden?das Gendersternchen dazu gekommen.

Das ursprüngliche Anliegen feministischer Sprachkritik hatte sich da längst ausgewirkt: Die Häufigkeit von Paarformen – Studentinnen und Studenten – hatte deutlich zugenommen und Partizipialformen als geschlechtsneutrale Varianten wurden ausprobiert. Das Wort Studierende ist seit mindestens zehn bis fünfzehn Jahren an deutschen Hochschulen sehr verbreitet. Auch feminine Berufsbezeichnungen wurden schon gezielter in Texten eingesetzt, z.B. die Ärztin.

Das alles geschieht auf der Ebene der vorhandenen sprachlichen Mittel. Das Genus-System des Deutschen ist grundsätzlich dafür ausgelegt, die Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Personen zu signalisieren.

Anders verhält es sich mit dem Genderstern. Er will über die Sprache hinausweisen, als typographisches Zeichen gehört er jedoch nicht zur Sprachsystematik. Dieses Symbolhafte, dieses Verweisen auf ein gesellschaftliches Anliegen, das ist neu in der Schriftsprache.

 

Von Zeitung bis Fernsehen wird das Genderthema als Konflikt inszeniert. Geht es nur um Klickzahlen und Einschaltquoten? Was steckt wirklich dahinter?

Der Konflikt wird immer so dargestellt: Auf der einen Seite stehe die linke Identitätspolitik mit ihrem Anliegen, gendergerecht oder politisch korrekt zu formulieren. Das würde von einer kleinen, ideologisierten Gruppe verfolgt, was bei einer allgemeinen Öffentlichkeit keine Anerkennung finde. Dieser Gruppe stehe der gesunde Menschenverstand gegenüber.

Ich sage: Der eigentliche Konflikt wird noch gar nicht verstanden. Tatsächlich haben wir auch auf der Gegenseite eine organisierte Gruppe, der es sehr gut gelungen ist, die vorgeblich linkspolitische Gruppe als einseitig engagiert in den Medien darzustellen. Stattdessen muss man sich vergegenwärtigen, dass diese Gegnerschaft mit Interessen verbunden ist, vertreten vom Verein Deutsche Sprache (VDS). Das ist ein Interessensverein für die deutsche Sprache, für eine bestimmte Auffassung von Sprache. Diese Auffassung zu vertreten ist natürlich das gute Recht der hier organisierten Menschen.

Buchcover Sprachkampf von Henning Lobin

erschienen im Dudenverlag

In meinem Buch „Sprachkampf“ weise ich allerdings nach, dass die AfD den Streitgegenstand Sprache aufgegriffen hat als etwas, womit sie sich gut positionieren kann. Mit diesem Gegenstand lockt sie gewissermaßen ein gemäßigtes, kulturaffines Bürgertum an und versucht auf diese Weise die Auseinandersetzung um die deutsche Sprache für sich zu instrumentalisieren.

Mit meinem Buch will ich diese Polarisierung überhaupt erst mal beschreiben, um deutlich zu machen, dass wir auf der einen Seite nicht nur eine durchgeknallte Gruppe von Genderideologinnen und -ideologen haben, wie es immer dargestellt wird.

Wenn es mit dieser Erkenntnis gelingt, die auf der einen wie auf der anderen Seite vorhandenen Interessen auszuklammern, die über das Sprachliche hinausgehen, dann hätten wir endlich eine Basis, uns sachgerechter über die eigentlichen sprachlichen Anliegen zu verständigen.

 

Nehmen die Medien den Verein Deutsche Sprache zu ernst?

Der gut organisierte Verein macht eine geschickte Pressearbeit und ist erfolgreich darin, sich in der politischen Sphäre zu vernetzen. Mit vielerlei Aktionen, Umfragen, Aufrufen und Veranstaltungen frischt er seine Bekanntheit immer wieder auf. Bei einem Bericht mit Bezug zum VDS wäre es gut, sich mit den Positionen des Vereins und dem Kontext, in dem er agiert, genauer auseinanderzusetzen und nicht nur einzelne Aussagen der Pressemitteilung zu zitieren. Bei anderen Interessensverbänden wird ja journalistisch auch näher hingeschaut. Sich für Sprache zu engagieren ist mit Interessen verbunden, es ist keine unschuldige Angelegenheit mehr. In meinem Buch sage ich nicht, wo der VDS politisch steht oder dass er gar als rechtslastig einzuordnen ist. Was ich aber sage, ist, dass sich die AfD des Sprachthemas angenommen hat und sich dabei in Diktion und Stil am VDS orientiert.

 

Gießen manche Medien absichtlich Öl ins Feuer?

Meine Hoffnung ist, dass wir nach und nach ein differenzierteres Diskursniveau erreichen. Zunehmend gibt es redaktionelle Beiträge in den Zeitungen und nicht mehr nur Gastbeiträge, die als Wechselspiel endlos Position auf Position präsentieren, mit den immer gleichen Argumenten. Es wäre einerseits nötig, mit journalistischen Mitteln und auch mal investigativ hinter die Kulissen zu schauen, bei allen Beteiligten, anderseits mit einer vernünftigen Darstellung des sprachwissenschaftlichen Pro und Kontras eine Basis für Bewertungen und Entscheidungen zu schaffen.

 

Fehlt es an Stellungnahmen aus der Linguistik?

Eigentlich sind schon eine ganze Reihe von Artikeln und Stellungnahmen publiziert worden, vielleicht zu oft nur in wissenschaftlichen Publikationsorganen. Ich meine, man sollte sich nicht zu fein sein, auch abwegigen und grob entstellenden Argumenten öffentlich entgegenzutreten, damit sie nicht unwidersprochen im Internet herumwabern. Also zum Beispiel die Behauptung: Genus habe nichts mit Sexus zu tun. Das ist eine falsche, undifferenzierte Aussage, die selbst solche Germanistinnen und Germanisten, die gendergerechte Sprache ablehnen wie etwa Peter Eisenberg, nicht unterschreiben würden. Genus ist ein Indikator für Sexus in einigen Gebrauchszusammenhängen. Man sollte sich hier einbringen, wie es etwa die Linguistinnen Gabriele Diewald und Damaris Nübling zu dieser Frage getan haben. Auch in einer öffentlichen und aufgeheizten Diskussion ist es wichtig, sich mit Fachwissen zu positionieren.

 

Der Spiegel hat am Wochenende vorm Frauentag mit einem Titel im Dudendesign provoziert: „Ist das noch Deutsch?“

Bei der Titelgeschichte zur gendergerechten Sprache war es interessant zu sehen, dass sich der Spiegel einer Positionierung enthalten hat, auch wenn der Titel etwas anderes anzudeuten scheint. Der Gewinn war die Darstellung des sehr komplexen Panoramas – mit vielen beteiligten Personen, den Firmen, Verbänden und Agenturen und auch denjenigen, die das Gendern vielleicht aus rein praktischen Gründen ablehnen. Und das alles außerhalb dessen, was in der Sprachwissenschaft dazu gesagt wird. Auch die Süddeutsche hat mit einem Artikel am Wochenende damit begonnen, das Thema redaktionell ausführlicher zu bearbeiten. Das alles bringt das Thema auch den Menschen nahe, die es für sehr sperrig halten.

 

Umfragen zufolge halten die deutschen Frauen nichts vom Gendern. Veröffentlicht wird aber nie, welche Fragen gestellt wurden.

Die Befragungsmethodik ist immens wichtig und ja selbst ein Forschungsgegenstand in der Psychologie. Ergebnisse einer vom VDS in Auftrag gegebenen Umfrage mit missverständlichen Fragen wurden sogar auf der Titelseite der FAZ gemeldet und vielfach zitiert. Wie es dazu gekommen ist, habe ich in meinem Buch dargestellt. An meinem Institut wurden in Verbindung mit dem Sozioökonomischen Panel selbst auch Umfragen durchgeführt, und diese haben ergeben, dass 79,5 Prozent aller Befragten andere Formen als das generische Maskulinum bevorzugen. Formen der geschlechtergerechten Sprache wie z.B. die Beidnennung oder das Partizip waren sehr willkommen, nur 17 Prozent waren mit dem generischen Maskulinum zufrieden. Wir haben zu diesen Sprachformen anhand von konkreten Auswahlentscheidung gefragt und nicht pauschal nach der Meinung zum „Gendern“.

 

Ein Kritikpunkt ist stets: „Sprachpolizei! Uns werden Vorschriften gemacht, wie wir zu sprechen und zu schreiben haben.“

Wir haben gar keine Institutionen, die Sprache vorschreiben. Behörden oder Firmen haben dagegen immer schon Regularien für Formulierungen in Standardbriefen gehabt, das erstreckt sich nun auch auf die geschlechtergerechte Personenkennzeichnung. Wer nun ein Schreiben und sei es eine Wahlbenachrichtigung mit Genderstern erhält, empört sich vielleicht darüber. Es wird eine Perspektive eingenommen, dass allein schon die Konfrontation mit einer solchen sprachlichen Form als etwas Übergriffiges bewertet wird. Dabei müssen wir in sprachlicher Hinsicht immer aushalten, wie andere sich ausdrücken, selbst wenn uns das nicht gefällt. Einen Stadtrat kann man abwählen, Produkte eines Versandhändlers, der gendert, muss man nicht kaufen. Aber eine Sprachpolizei gibt es nicht.

 

Könnte denn der Rat für deutsche Rechtschreibung nicht endlich mal das Gendersternchen akzeptieren?

Meine persönliche Meinung: Er sollte es nicht tun. Die Frage des Gendersterns ist eine Frage des Sprachgebrauchs. Der Stern gehört nicht zum Bereich der Standardisierung von sprachlichen Formen und nicht zum Kernbestand der deutschen Orthographie, da haben wir nur Punkt, Komma, Semikolon, Binde- und Trennungsstrich, Apostroph, Anführungszeichen, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Schrägstrich, Klammern. Sie haben eine bestimmte rein sprachliche, geregelte Funktion. Es gibt daneben viele andere Zeichen, die typographische Funktionen haben oder Texte gliedern. Die sind ebenfalls nicht im orthografischen Regelwerk erfasst, aber eben auch nicht falsch.

 

Im Textlabor von Genderleicht merken wir, dass sich viele klare Regeln für Gendersternchen & Co wünschen.

Wir müssen uns im Rechtschreibrat darüber verständigen, dass es auch Formen schriftsprachlicher Konventionen gibt, die außerhalb der Orthografie eher im Bereich der Typographie liegen. Es gibt hier eine Art Zwischenebene, die nicht gleichbedeutend ist mit einem orthographischen Fehler. Wie wir diese Zwischenebene erfassen und vielleicht doch mal Hinweise geben können zu einer geeigneten Verwendung des Gendersterns, das werden wir im Rechtschreibrat diskutieren.

 

Sie nennen Ihr Buch Sprachkampf. Wann kommt es zum Waffenstillstand?

Ich bin da ganz optimistisch. Zurzeit ist noch viel Druck im Kessel, auch durch die Auseinandersetzung rund um den Duden und höchstrichterliche Rechtsprechung zuvor. Aber eine derartige Intensität der Auseinandersetzung wird nicht aufrechtzuhalten sein. Momentan vergeht kaum ein Tag ohne Erwähnung des Themas in den Medien, aber das Interesse wird wieder abflauen.

Wir werden uns daran gewöhnen müssen: Einige werden den Genderstern nie einsetzen und andere werden dagegen sehr konsequent mit Sternchen schreiben. Auch diese Texte müssen wir lesen, wenn wir miteinander im Kontakt bleiben wollen. Das ist eine Situation der Vielfalt, der Diversität in der Sprache, auf die müssen wir uns einfach einstellen.

 

 Gendern im Journalismus, Sprachpolitik

von | 11. März 2021 | Gendern im Journalismus, Sprachpolitik

Sprachkampf von Henning Lobin
Reihe: Duden-Sachbuch
ISBN: 978-3-411-74004-8

 

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