Spitzwegs „Arm hausender Lyriker“ wird „auch gern gekauft“

Mit vollmundiger Werbung locken Zuschussverlage Möchtegern-Autoren.
Die aber müssen –  wollen sie sich gedruckt sehen, ordentlich blechen.
Eine Aktivistengruppe machte jetzt die Probe aufs Exempel – und entdeckte eine Branche zwischen Geschäftemacherei und Dada.

Die Post, die sechs sogenannten Zuschussverlagen in Deutschland und Österreich   zugeht, trägt als Absender „Schriftsteller“ und den Namen Rico Beutlich.

Dieser stellt sich als Krankenpfleger aus Dresden vor, berichtet von seinem Engagement als Kostümwart im Indianerclub Winnetou im sächsischen Radebeul und davon, dass er seinen „ersten Roman“ fertiggestellt habe.

Beutlich, so scheint es, ist einer von Tausenden stiller Poeten in Deutschland. Sie reimen nach Feierabend Gedichte oder versuchen sich am großen Wurf, dem Roman. Weil die Romanciers und Verseschmiede von größeren Verlagen so gut wie nie erhört werden, wenden sich ganze Heerscharen an die sogenannten Zuschussverlage. Die bezahlen nicht oder selten nur den Verfasser, sondern kehren das Honorarprinzip um: Autoren müssen dafür bezahlen, dass ihr Text gedruckt wird – obgleich der auf dem Buchmarkt und in den Feuilletons weitgehend unbeachtet bleiben wird; Rundschau- und Spiegelleser wissen mehr …
Der Mann, der sich Beutlich nennt, hat sein Anschreiben an sechs Verlage, die im Internet und in Print-Medien mit Slogans wie „Verlag sucht Autoren“ und „Schreiben Sie?“ für sich werben, um eine neunseitige Textprobe ergänzt.

In einem Exposé stellt Beutlich sein angeblich 842 Seiten langes Werk vor. Protagonist der Handlung ist ein Kevin-Lukas, der schon als Zwölfjähriger „4000 Bücher quer durch die Beete gelesen“ habe. Der junge Mann verliebt sich in Susi, die Assistentin seines Chefs, und wird zusammen mit ihr gefeuert. Er hackt sich in den Zentralrechner der Nasa ein und schickt Hilferufe an Außerirdische.

Die All-Bewohner, so geht die Geschichte weiter, holen Kevin-Lukas samt Freundin auf den Planeten, wo „der dilettantische Professor für frühgalaktische Geschichte Blassschütter über ein Volk von vollbusigen Frauen“ herrscht. Als Titel schlägt Beutlich, je nach Verlag, „All-Es“ oder gar „Über-All“ vor.
Klar, dass der Nonsens in Größe enden muss. Am Ende kehren Kevin-Lukas und Freundin auf die Erde zurück, um nicht weniger als die Weltherrschaft zu übernehmen.
Beutlich schickt neun Seiten des Manuskripts an die Deutsche Literaturgesellschaft in Berlin, den R.G. Fischer in Frankfurt am Main, den ebenfalls dort residierenden August von Goethe Literaturverlag, den Berliner Frieling-Verlag, den Wagner Verlag im hessischen Gelnhausen und den österreichischen Novum-Verlag.
Allein: Der Hobby-Autor Rico Beutlich, der da seinen Erstling anpreist, existiert nicht. Es gibt zudem kein vollständiges Manuskript von 842 Seiten, wie Beutlich in seinem Anschreiben behauptet, sondern nur neun.

Stuss macht Arbeit

Das Ganze ist ein wahrlich fieser Gag. Hinter dem Pseudonym Beutlich nämlich verbirgt sich ein böses Trio von Literaten, das die Verlage hereinlegen will. Die drei Schriftsteller Tom Liehr, 46, aus Berlin, Michael „Kaelo“ Janßen, 52, aus Dortmund und der Dresdner Michael Höfler, 38, allesamt Mitglieder der Internet-Poetengruppe „42erAutoren“, haben sich „neun Seiten Stuss ausgedacht“ (Tom Liehr) und verschickt. Sie wollen die Zuschussverlage auf die Probe stellen. Und sie wollen den Nachweis führen, dass diesen Verlagen, die von Autoren Tausende und Abertausende Euro für den Druck von Büchern verlangen, die Qualität von Texten ziemlich schnuppe ist – trotz ihres oft vollmundig formulierten literarischen Anspruchs.

Stuss macht Arbeit – „es ist extrem schwer, schlecht zu schreiben“, sagt Liehr. Der Versuch der drei Autoren aber gelingt vorzüglich. Die Textprobe, die Michael „Kaelo“ Janßen jetzt auf YouTube verliest, ist an Banalität, Fehlerhaftigkeit, Naivität und mangelhafter Ausdrucksfähigkeit kaum zu überbieten.
Am Anfang des „Romans“ steht eine Szene, in der nervtötend einfältig beschrieben wird, wie die Hauptfigur Kevin-Lukas einen Tag beginnt: „Kevin-Lukas wachte auf. Und er kuckte aus den Fenster und was er da sah war auch nicht gut, alles voll Regen. Grosse Tropfen, kleine Tropfen und dazu sehr viele mittelgroße Tropfen sind auch da … Ziemlich nass die Sache.“ Rechtschreibfehler schon in den ersten Zeilen, dazu eine groteske Ausdrucksschwäche.

Es kommt noch schlimmer

Kevin-Lukas nimmt am Frühstückstisch Platz. Textprobe: „Jetzt sitzt er da ohne Butter. Nur das trockene Brötchen und das kalte Messer. Aber dann isst er sein Aufschnitt ebend ohne Butter auf das Brötchen. Es gibt ja ein Paar Million Menschen ohne Brötchen, da ist ohne Butter noch ganz gut. Es heisst ja auch Brot für die Welt. Nicht Brot mit Butter drauf für die Welt. Das hat er sich gedacht in dem Moment. Und er lachte weil er das echt witzig fand, Brot mit Butter für die Welt. Kuhler Spruch.“

Geburt eines analphabetischen Monsters

Platter lässt sich nicht schreiben; der eingeweihte Münchner Literaturagent Michael Meller liest den Text und bewertet ihn als „analphabetisches Monster“ eines Autors, „dem kein Lektor helfen kann“.
Nun muss nur noch ein Problem gelöst werden: Was, wenn die Verlage sich nicht mit der Seiten Textprobe begnügen, sondern die 842 Seiten des Gesamtwerks lesen wollen?
Liehr, Höfler und Janßen haben eine Idee. Sie füllen die neun vorhandenen auf 842 Seiten auf –  wofür sie  kurzerhand rechtefreie Texte von Literaten kopieren – wie Charles Baudelaire, August Strindberg und von Bertha Suttner aus der digitalen Bibliothek des Projekts Gutenberg. Sie teilen das Material in Kapitel auf und garnieren diese mit Überschriften, die mit dem Inhalt der Texte nichts zu tun haben, aber scheinbar zu Beutlichs Machwerk passen.
Nun existieren neun Seiten Wortmüll und 842 unzusammenhängendes Zeugs. Und alle (alle!) Verlage loben Beutlichs Blödsinn in höchsten Tönen.

Blödsinn, Schwarz auf Weiß

So zeigt sich der Berliner Verlag Frieling von der literarisch schaurigen Werkprobe „sehr angetan“ – „der Eindringlichkeit ihrer Darstellung und Ihrer Sprachgestaltung“ wegen. Vielleicht sehen die Lektoren genauer hin, als der gesamte Text vorliegt – der hatte ja mit den ersten zehn Seiten inhaltlich nichts zu tun. Schließlich heißt es in einem Schreiben an Beutlich, „leider“ könne der Roman nicht ins Verlagsprogramm aufgenommen werden: „Sowohl die sprachliche Gestaltung als auch die inhaltliche Konzeption Ihres Textes genügen in der vorliegenden Form nicht unseren verlegerischen Ansprüchen.“

Die scheinen bei Mitbewerbern geringer zu sein. Der (bitte nicht verwechseln mit dem renommierten S. Fischer Verlag) R.G. Fischer-Verlag schreibt über Beutlichs Blödsinn, dass der „uns ganz ausgezeichnet gefällt“. Zwar bedürfe der Text „einer intensiven Lektoratskorrektur“, heißt es aus dem Verlag. Aufgrund eines „sehr positiven internen Lektoratsgutachtens, das Ihr Thema als insgesamt hochinteressant und gut bearbeitet beurteilt“, habe die Lektoratskonferenz „einstimmig dafür votiert, Ihrem Werk einen Platz in unserem Programm einzuräumen“. Man macht ein Angebot: Auf 600 Seiten werde man Beutlich drucken, je nach Vertragsvariante koste das 15.910 bis 30.260 Euro.

Lektorat als Neufassung

Angesprochen auf das große Lob für offenkundigen Unsinn, verteidigt sich Verlagschefin Rita G. Fischer, die nach eigenen Angaben 200 der 5000 jährlich eingehenden Manuskripte zu Büchern werden lässt. Dem Verlag sei „nach Vorlage der Leseprobe natürlich klar“ gewesen, dass der Text „nicht druckreif“ sei. Deswegen habe man rund 15.000 Euro „für eine komplette Neufassung in unserem Lektorat einkalkuliert“.

Fischer gewinnt Beutlichs Quatsch im Nachhinein etwas ab. Gefallen habe dessen trockener Humor, „der – ob beabsichtigt oder nicht, sei dahingestellt – gelegentlich aufblitzt“. Würde etwa Harald Schmidt die Textpassage über „Brot mit Butter darauf für die Welt“ vortragen, glaubt die gewitzte Verlagschefin, „hätte er die Lacher auf seiner Seite“.

Während manch renommierter Verlag darbt, erfreuen sich Zuschussverlage zumeist zweistelliger Umsatzrenditen. Damit das so bleibt, wird das Geschäft mit fragwürdigen Komplimenten angekurbelt.
Der Wagner Verlag findet in Beutlichs Text „wirklich tolle Ideen“, der Autor habe es verstanden, mit seiner „lebendigen Schreibweise den Leser unmittelbar in das Geschehen eintauchen zu lassen“. Wagner bietet drei Vertragsmodelle für maximal 350 Seiten zwischen 2900 und 13.960 Euro an.

Rechnen mit der Hoffnung

Die Deutsche Literaturgesellschaft teilt Beutlich mit, die Lektorenkonferenz habe sich für das Buch entschieden, die Verlagsleitung habe dem zugestimmt. Der Verlag gibt Beutlich das Gefühl, etwas Besonderes zu sein: „Von etwa 350 monatlich eingereichten Manuskripten schaffen es letztendlich durchschnittlich vier zur Buchveröffentlichung.“ Beutlich könne wählen: 8.119,11 Euro für das Softcover oder 16.687,28 Euro für das Hardcover.

Auf neuerliche Anfrage hält der Verlag an seinem Urteil fest. „Nach wie vor“ sei der Text „veröffentlichungswürdig“, „Fehler im Text“ seien „kein Ausschlusskriterium“.
Der Frankfurter August von Goethe Literaturverlag teilt Beutlich mit, dessen Buch „alsbald auf den internationalen Markt zu bringen“ – für 16.751 und 20.711 Euro für 608 Seiten, je nach Vertragsvariante.

Dass sein Verlag einer offenkundigen Blödelei aufgesessen ist, bestreitet sein Sprecher Julius Graf von Hirschsprung – und übt sich in massiver Vorwärtsverteidigung: Beutlichs Text sei „für unsere dadaistische Buchreihe vorgesehen“ gewesen. Im Dadaismus würden „bekanntlich Versatzstücke repetitiv geschichtet, um eine Akzeleration des Textes zu erreichen und den Leser mit seinen Leseerwartungen zu konfrontieren“.

Über die so – naja – klug klingenden Worte amüsiert sich Tom Liehr. Geschichtet werden sollte, sagt er dazu, „nur die Butter auf das Brot von Kevin-Lukas“. Von Dadaismus sei in den Schreiben des Verlags „nie die Rede gewesen“.
Beim österreichischen Novum-Verlag bedauert Cheflektorin Sandra Jusinger das Vertragsangebot an Beutlich. Ihr Verlag hätte bemerken müssen, dass dessen Manuskript „für eine Veröffentlichung nicht geeignet ist“.

Abgehobene Aktion

Die Autoren sind mit der Resonanz zufrieden. Sie haben nachgewiesen, dass sogenannte Dienstleistungsverlage, die von Autoren Zuschüsse für den Druck von Büchern verlangen, „keine Verlage im Wortsinn, sondern gewiefte Firmen sind, die an Autoren Geld verdienen, selbst wenn diese die Bezeichnung Autor keineswegs verdienen“ (Liehr).
Auch Imre Török, Vorsitzender des renommierten Verbands deutscher Schriftsteller in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, hält die Aktion der 42erAutoren für hilfreich. Klargeworden sei, „dass es diesen Verlagen nicht um die Literatur oder die Autoren, sondern nur ums Geldverdienen geht“.

Nicht selten waren Autoren, die ihre Texte von Zuschussverlagen drucken ließen, tief enttäuscht darüber, dass sie außer im Bekanntenkreis kaum als Schriftsteller beachtet wurden. Manche sind aber schon überglücklich, wenn sie ein Buch, das ihren Namen trägt, in den Händen halten – und die, die Beiden hätten es ja schließlich auch geschafft :
Der Studiendirektor Hans-Martin Gruber aus dem schwäbischen Kaisersbach zählt zu dieser Klientel. Er versuchte unter dem Titel „Du kannst nicht Gottes Arbeit tun“ auf 432 Seiten althergebrachte Gegensätze wie Liebe und Hass, Geistes- und Naturwissenschaften zu versöhnen.
Zwischen 2000 und 3000 Euro investierte er beim Wagner Verlag, und er freute sich, wenn er bei einigen Lesungen in seiner Heimat mal zehn und mal 30 Zuhörer begrüßen konnte.
Immerhin tausend Exemplare des Romans wurden zum Stückpreis von 12,90 Euro verkauft. Gruber warb mit großem Aufwand dafür. Er charterte für rund 10.000 Euro ein Flugzeug, das eine 240 Quadratmeter große Bannerwerbung schleppte. Am Himmel waren der Buchtitel und sein Name gut erkennbar.
„Wenn ich das nicht gemacht hätte“, sagt Gruber, „dann wäre ich jetzt leicht im Plus.“

Juli 2023 | Heidelberg, Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton, In vino veritas, Junge Rundschau, Sapere aude, Senioren, Wirtschaft | Kommentieren