Jede dritte Kirche, Gemeinde- und Pfarrimmobilie wird bald überflüssig sein. Das sind 40.000 Immobilien. Was geschieht dann mit den Gotteshäusern? Beispiele für kreative Umnutzungen – wenn der Denkmalschutz mitspielt. Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, folglich werden sie immer leerer. Ist eine Gemeinde zu stark geschrumpft, wird sie mitunter mit einer Nachbargemeinde zusammengelegt. Die Kirche im eigenen Ort bleibt dann ungenutzt und wird irgendwann profaniert, also entweiht. Damit wird sie für nichtreligiöse Zwecke freigegeben. Mehr als 1000 Kirchengebäude sollen die Evangelische und Katholische Kirche in den vergangenen 30 Jahren aufgegeben haben.

 

Und die Zukunftsprognose sieht auch eher düster aus: Bundesweit wird jede dritte Kirche, Gemeinde- und Pfarrimmobilie bald überflüssig sein. Das berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Was geschieht mit den leeren Kirchen? Kirchenrecht und Denkmalschutz reglementieren die Nutzungen. Manche werden daher einfach abgerissen. Anderswo klappt es mit der Nachnutzung und spannende Orte können entstehen. Ein paar Beispiele.

Auf eine „Erstiparty“ in die Kirche in Hannover

In der 1963 errichteten Gerhard-Uhlhorn-Kirche am Leineufer in Hannover-Linden wohnen heute Studentinnen und Studenten. Es ist das erste Studentenwohnheim in einer ehemaligen Kirche in ganz Deutschland. Die Kirche wurde schon 2013 entwidmet. Verkauft wurde sie allerdings erst 2016 und ab 2018 umgebaut zum Studentenwohnheim. Grund für den langen Leerstand waren die Vorlagen des Denkmalschutzes. Der Umbau zum Studentenwohnheim gelang nur durch ein Haus-in-Haus-Konzept, das den Charakter der Kirche auch innen bewahrt und den Ansprüchen des Denkmalschutzes genügt.

Hier hat die Umnutzung funktioniert – aber auch erst nach jahrelangen Versuchen: Die zum Studierendenwohnheim umgebaute Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover-Linden mit dem Kirchturm als „Zeigefinger Gottes“.

Hier hat die Umnutzung funktioniert – aber auch erst nach jahrelangen Versuchen: Die zum Studierendenwohnheim umgebaute Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover-Linden mit dem Kirchturm als „Zeigefinger Gottes“.

Zur Universität sind es nur wenige Minuten mit dem Fahrrad. Es gibt 27 Einzel-und Doppelzimmer und vier Sozialwohnungen. Dazu zwei Gemeinschaftsküchen und eine Dachterrasse. Der ehemalige Mittelgang der Kirche dient nun als Flur, an seinem Ende steht noch der Altar. Eine Gemeinschaftsküche befindet sich auf der ehemaligen Orgelempore. Als Sitzgelegenheiten dienen die alten Kirchenbänke. Das Christuskreuz an der Giebelwand ist noch vorhanden, wurde aber mit Tuch verhüllt.

Hoch hinaus in Mönchengladbach

Klettern statt knien? Das geht in Mönchengladbach. In der ehemalige Pfarrkirche können sich Kletterbegeisterte auf 1300 Quadratmetern austoben. Da, wo vorher die Kirchenorgel stand, ist zudem ein Boulderbereich. Dort können Menschen in Absprunghöhe ohne Sicherung klettern. Im Kletterbereich zwischen Kirchenschiff und Sakristei sind die Wände bis zu 13 Meter hoch

Die 2009 umgewidmete Kirche ist nicht verkauft, sondern in Erbpacht überlassen worden. Die Kirche kann also, wenn sie das Gebäude doch wieder benötigt, die Umbauten rückgängig machen. Bis dahin bleibt sie aber die erste Kirche, die in Deutschland vollständig zur Kletterkirche umgebaut worden ist.
Bücher kaufen in Maastricht, Bier trinken in Haarlem
Eines der bekanntesten Beispiele für umgenutzte Kirchen ist die ehemalige Dominikanerkirche im niederländischen Maastricht. Sie wurde bereits 1796 entweiht und seitdem vielfältig genutzt, zum Beispiel als Bar, oder sogar als Boxring. Heute ist die mittelalterliche Kirche eine Buchhandlung. Im Boekhandel Dominicanen gibt es mehr als 20.000 Bücher, die Bücherregale türmen sich viele Meter hoch auf in dem gotischen Bau.

In den Niederlanden ist jede fünfte Kirche ungenutzt. Es gibt also sehr viele Beispiele für andere Nutzungen. In Haarlem etwa gibt es eine alte Kirche, die heute eine Brauerei beherbergt. Das Jopenkerk. Äußerlich ist die Kirche unverändert, im Inneren befinden sich heute Bierkessel und Barhocker wo sich einst Kirchenbänke reihten

Kino statt Kirche in Göttingen

In Göttingen ist eine ehemalige Baptistenkirche zum kleinen Programmkino umgebaut worden. Ein Investor hatte das Gebäude von der Stadt übernommen und zusammen mit der Film- und Kinoinitiative Göttingen in ein Kino verwandelt. Davor stand das 1905 eingeweihte Gebäude seit den Achtzigerjahren leer. Das Méliès hat nur 106 Sitzplätze und wurde im Herbst 2020 eröffnet.

 

Das Méliès an der Bürgerstraße ist eines von zwei Programmkinos in Göttingen.

Das Méliès an der Bürgerstraße ist eines von zwei Programmkinos in Göttingen.

Mit Fingerspitzengefühl zur Moschee in Hamburg

 

Nachdem die Kapernaumkirche in Hamburg jahrelang leerstand, kaufte ein islamischer Moscheeverein die ehemalige evangelische Kirche. Sie ist die erste Kirche der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die zur Moschee wurde. Derartige Verkäufe finden nur selten statt, weil das Konfliktpotenzial so groß ist. Bei der Kapernaumkirche ist es zum ersten Mal gelungen.

Das liegt wohl auch daran, dass der Umbau mit viel Fingerspitzengefühl durchgeführt wurde. Das Miteinander von Kirche und Moschee prägen die Architektur und Inneneinrichtung der Al Nour Moschee. Statt eines islamischen Halbmonds, ist oben auf dem Turm beispielsweise nur der arabische Schriftzug „Allah“ zu lesen.
Tanzen im Gattopardo in Mailand
Feiern in einer alten Kirche? Das geht im Il Gattorpardo in Mailand, Italien. Die in den Siebzigern entwidmete Kirche ist seit 2001 ein Discoclub. Die Marmorböden, Säulen und der übergroße Kronleuchter geben dem Ort einen barocken Charme. San Giuseppe della Pace wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut und wurde Anfang der 1970er Jahre entweiht. Nach langem Leerstand von über 20 Jahren, wurde sie erst Ende der 90er Jahre in das umgewandelt, was wir heute noch sehen können.
Mai 2023 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude | Kommentieren