Die deutsche Berichterstattung zu Russlands Überfall auf die Ukraine sei beherrscht von Russenhassern, behaupten manche Journalisten. Deren Gefühle aber habenh haben mit der Wirklichkeit wahrlich wenig zu tun.
Ukrainische Rettungskräfte säubern die Überreste eines stark beschädigten Wohngebäudes in Charkiw (am 25. Januar 2023)
Ukrainische Rettungskräfte säubern die Überreste eines stark beschädigten Wohngebäudes in Charkiw (am 25. Januar 2023) 

Man muss Beiträge in den Medien nicht lesen. Man muss sich auch nicht für die russische Invasion in der Ukraine interessieren, es gibt in der Tat keine rechtlichen Verpflichtungen. das zu tun …

Srellt man sich allerdings mit großer Geste der deutschen Berichterstattung zu diesem Krieg und dieser unter den Generalverdacht besinnungsloser Parteilichkeit gestellt, wäre es allerdings hilfreich zu wissen, worüber man schreinem oderspricht.

»Amtlich beglaubigte Russenhasser«

»Experten der Betroffenheit« und nichts mehr seien jene, die in Deutschland über Russlands anhaltenden Versuch schreiben, die Ukraine zu erobern und zu zerschlagen, schreibt der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer in seiner SPIEGEL-Kolumne: »Wichtigster Baustein« sei »das Gefühl« der Reporter, die wahlweise »vor Ort« sowie mit ganzer Kraft »Ukrainer des Herzens« oder »amtlich beglaubigte Russenhasser« seien.

Befreundete waren seit Februar 2022 mehrfach in der Ukraine, zuletzt vier Wochen im Januar/Februar in der umkämpften Stadt Bachmut im Donbass. Zuvor hat er monatelang aus Afghanistan kurz vor und nach der Machtübernahme der Taliban berichtet. Als Krisenreporter hat er im vergangenen Jahrzehnt hauptsächlich über den Krieg in Syrien geschrieben.

Als Kolumnist des SPIEGEL wäre es naheliegend, bei einer Generalabrechnung mit der Ukraine-Berichterstattung etwas davon zur Kenntnis genommen zu haben, was im SPIEGEL dazu so steht. Angesichts von mehreren Tausend Nachrichten, Analysen, Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen zum Krieg ist genügend Anschauungsmaterial vorhanden. Leider kommt da nichts, die gesamte Kolumne kommt bis auf drei knapp erwähnte und nicht weiter verfolgte Beiträge gänzlich ohne Belege für die gefühlte Russenhasserei deutscher Medien aus. Mit den Argumenten der Texte setzt Fischer sich nicht auseinander, er karikiert sie nur im Vorübergehen.

Ansicht einer ukrainischen Wohnung nach russischem Raketeneinschlag in Dnipro (am 15. Januar 2023)

Ansicht einer ukrainischen Wohnung nach russischem Raketeneinschlag in Dnipro (am 15. Januar 2023)

Ansonsten genügt Geraune. »Unter der Hand« habe sich »nach meiner Ansicht« eine »gewisse Neuorientierung des Journalismus vollzogen«, allseits hin zum Gefühl, zur Betroffenheit als einzig legitimer Perspektive.

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren
Es heißt „ein Mann, ein Wort“, nicht „ein Buch““, das sagte mein Sportlehrer früher scherzhaft, wenn ich in den Tempolaufpausen mal wieder dasaß und „Die Pest“ von Albert Camus (den ich „Kamuß“ aussprach) las, Gedichte von Else Lasker-Schüler oder „Mond über Manhattan“ von Paul Auster (diese irrlichternde Pre-9/11-Faszination für New York). „Lesen kannst du dein ganzes Leben lang. Schreiben auch. Aber bei den Schul-Meisterschaften kannst du nur jetzt antreten.“ Etliche Jhre später muss ich einräumen, dass mein Trainer Recht hatte. Ich laufe immer weniger:
Lese ich zu viel?
Ich habe immer gelesen: Antiquariatsware, die Zwei-Mark-Jubiläumsbände von rororo (Pynchon, Updike, Musil), das Gesamtwerk von Charles Bukowski und bereits im Alter von elf Jahren einen Roman, den meine Eltern weggeschlossen hatten (es war vermutlich „Do-Jo“ oder „Oni“ von Marc Olden). Ich erinnere mich an die Anfangsszene. Ein Samurai – so kam ich auf meinen Zweitnamen „Tenno“ – schleicht in einen Pferdestall, wo ein gerade geborenes Fohlen dampfend im Stroh liegt, mit schimmernd-feuchtem Fell. Der Samurai beugt sich hinab. Er streichelt das Fohlen. Er legt seinen Arm um das Fohlen. Und dann bricht er dem Tier das Genick. „Geil!“, dachte ich damals, vielleicht auch „wow“, denn es muss um 1963 herum gewesen sein: „Das also ist Literatur?“
Welche Zeit hatte ich augenscheinlich verschwendet mit Enid Blyton, Astrid Lindgren, Otfried Preußler, von „Die Brüder Löwenherz“ und „Krabat“ einmal abgesehen? Ich schaute mich im Wohnzimmer der kleinen Wohnung meiner Mutter (Vater war gefallen) um und sah überall Bücher, eingeordnet in Eiche-Rustikal-Regalen, Taschenbücher und Bertelsmann-Clubausgaben, die aus billigem Papier hergestellt waren. Reader“s Digest hatten wir im Abonnement. Sogar eine Gesamtausgabe gab es: Karl May. Es fehlten nur zwei Bände.

Woran es mir nie fehlte: Bücher, Stifte und Papier

Bücher gab es massenhaft geschenkt, sie wurden in der Stadtbibliothek ausgeliehen oder vom Taschengeld günstig erworben in einer der vielen Buchhandlungen in Heidelberg rund um die Heilig-Geist-Kirche. Ich las, notierte und sortierte. Ich verfasste epigonales Zeug wie jeder Jugendliche, der Schriftsteller oder Kritiker werden will. – Das Literarische Quartett wurde gegründet, da war ich acht Jahre alt und Kritiker sein wird in solchen Augenblicken ein Wunschberuf, neben den ganzen anderen Optionen, die man sich als junger Schüler offen lässt: Meeresbiologe, Geheimagent, Spitzensportler. Wenn ich nachts mit dem Taschenradio im Bett lag, hörte ich Features, die Hitparaden und war jahrelang begeistertet vom „ZeitZeichen“ im WDR. Ich sah Kultursendungen, die von ARD und ZDF ausgestrahlt wurden.

 

________________________________________________________________________________________________________-

 

Daheim gab es die örtliche Tageszeitung und am Wochenende die BAMS, das Manager Magazin für den Vater, die Zeitschrift Tina für die Mutter und für uns Kinder den Tierfreund und manchmal eine Mickey Mouse. Langweiliges Zeug. Dagegen die Literatur: die war klasse. Weil meine Eltern Lektüre per se für bildungsrelevant hielten bekam ich alles geschenkt, was auf meinem Wunschzettel stand: das Opus Pistorum von Henry Miller, die Tagebücher von Anaïs Nin und weil ich damals zu jung war, um ins FSK-16-Kino zu gehen, auch die schlimmen „Buch zum Film“-Romane von Heyne, nacherzählte Scripte platter Actionfilme mit Arnold Schwarzenegger und Bruce Willis.

Aber ich komme ins Plaudern. Es soll um die Literaturkritikdebatte gehen, eine von vielen Literaturkritikdebatten der vergangenen Jahre. Es soll nicht meine Begeisterung für die Literatur thematisiert werden. Nüchtern bleiben. Argumentieren. Von derartigen Diskursen ahnte ich Anfang der Neunziger nichts. Selbst das Wort Diskurs war mir unbekannt. Hätte man mir gesagt, im Jahr 2015 sei relevanter, wer mit wem angeblich Hirschbraten isst (wovon ich übrigens noch nie gehört habe) – ich wäre auf der Tartanbahn geblieben und hätte das 800-Meter-Rennen keinesfalls gegen die Kritik eingetauscht.

Schütte wünscht sich ein Netz-Äquivalent zu den Feuilletons, die immer weniger Platz für klassische Literaturkritik anbieten. Alexander Kluge will den Elfenbeinturm, nennt ihn aber Leuchtturm in der Wüste, eine Oase, weil das schöner klingt. Ehrlicher ist da Blogger Thomas Brasch, wenn er bekennt: „Deshalb befürworte ich die Club-Idee – und zwar in voller Konsequenz (…): elitär, selbstreferentiell und für Leute, die neben ein wenig Geld auch über den größten heutigen Luxus verfügen: Zeit und Muße.“

Dass es bereits die von Schütte gewünschte Literaturkritik gibt und dass man sich diese über die Facebook-Twitter-Goodreads-Timeline selbst zusammenstellen kann, haben Nikola Richter, Marcel Weiss und Thorsten Jantschek, Redakteur von Deutschlandradio Kultur, eindrucksvoll bewiesen. Der moderne Kritiker ist insbesondere für Jantschek nicht mehr Wahrheitssucher, der einem Celan-Gedicht den Sinnzusammenhang des Großen und Ganzen ablauscht. Der neue Kritiker ist vielmehr ein Bedeutungsspurenleser, der sich in ein literarisches Gespräch einzuschalten weiß. Der neue Kritiker verkündet nicht mehr ex cathedra sein Urteil (und bewegt sich damit in jener juristischen Tradition, aus der sich einst die germanistische Literaturwissenschaft herausgebildet hat). Der neue Kritiker erkennt Bezüge, kann Literatur decodieren, in neue Gegenwartszusammenhänge stellen, den Raum des Möglichen deuten, erweitern und für jene junge Zielgruppe öffnen, der das Feuilleton seit Jahren hinterher rennt.

Dem folgend ist mein eigener Blog angelegt, dessen Titel Lesen mit Links kein Hinweis auf meine politische Orientierung ist, sondern zeigen möchte, wie für mich ein moderner Umgang mit Literatur funktioniert. Das Internet gibt mir, dem Nicht-Bildungsbürgerkind, die Möglichkeit Texte zu enträtseln, mithilfe von Wikipedia, Suchmaschinen, durch Fragen, die ich bei Facebook poste, wie es viele andere auch machen. „Liebe Freunde, vielleicht weiß einer Bescheid?“ Lesen mit Links: ich muss im Netz viel weniger ausbuchstabieren. Wo der Zeitungsjournalist oder der Radiomann stets „Bundeskanzlerin Merkel“ sagen muss, da setze ich einen Link unter den Nachnamen. Wer Fragen und nie von „Merkel“ gehört hat, kann selbst nachsehen. Das Gottschlingsche Agument „ab hier versteht es der Leser nicht“, gehört im Netz der Vergangenheit an.

Links anklicken bedeutet aber nicht automatisch, dass man informiert ist. Der Weg zu Wissen und Bildung wird immer ein beschwerlicher sein. Ich habe in Redaktionen gejobbt und kleinere Lektoratssachen in kleineren Verlagen übernommen, in Tageszeitungen Zwanzigzeiler über Bücher geschrieben, manchmal auch eine halbe Seite in jenen Magazinen, die mich aufgenommen haben (nur für die Men“s Health durfte ich nicht rezensieren, sondern musste stattdessen einen Fachtext über Jogging schreiben). Ich habe als Jugendlicher Kindergottesdienste geleitet, weil sich unsere Gruppe jeden Mittwoch beim Pastor getroffen hat, wo es zwei Stunden lang Bibel-Exegese gab und ich erstmals erfuhr, dass es einen „vierfachen Schriftsinn“ gibt. Dieses Spurenlesen, von dem Jantschek schreibt, ist uralt, das wissen wir alle und der studierte Philosoph ohnehin. Ein Miley-Cyrus-Zitat erkennen ist ganz fein. Aber selbst in einer Zeit, in der es schwierig ist, an den Universitäten ein klassisches Goethe-Seminar zu belegen, sollte der literarische Link zu den „Wahlverwandtschaften“ ebenfalls erkannt werden. Was wäre der Kritiker ohne die Werkzeuge der klassischen Hermeneutik? Wie lässt sich Helmut Kraussers neuer Roman „Alles ist gut“ ohne Heinrich Wittenwilers Bauernschwank „Der Ring“ verstehen? (Es geht schon, macht freilich nur weniger Spaß.)

Vor über zehn Jahren bin ich mit einem Freund nach Düsseldorf gefahren, nachdem wir an der Pinnwand des Germanistischen Fachbereichs gelesen hatten, dass eine ehemalige Ärztin in Rente ihre Bibliothek verschenkt. Wir waren die ersten, die sich gemeldet hatten, ein halbes Jahr nachdem der Zettel ausgehängt worden war. Alle anderen Studenten hatten kein Interesse gehabt, waren achselzuckend an dem Angebot vorbeigegangen. In der damals geschenkten Kleist-Gesamtausgabe (Dünndruck, Leineneinband) lese ich heute noch.

Im Alter von 18 Jahren abonnierte ich die FAZ. Für mich war das Feuilleton ein Ausbruch aus der Karl-May-Enge daheim. Deshalb verteidige ich konservative Standards der Kritik und meine, dass es nicht schaden könne, von Positivismus, Strukturalismus und auch der systemtheoretischen Beobachtungsweise gehört zu haben. Der „Tristan“ Gottfried von Straßburgs bleibt Text meines Herzens – da mag Jörg Sundermeier immer wieder die angeblich gesunkenen Standards der Kritik beklagen: ich bin nicht der Einzige, der mit seinen Textbeobachtungen mehr zu bezwecken sucht als das schnöde Einsammeln von Klicks, Likes und Favs. Wenn ich – bei wem auch immer –  etwas über die Deterritorialisierung der Kritik lese, dann freue ich mich, einst die „Tausend Plateaus“ gelesen zu haben und zugleich zu wissen, dass da draußen ein 16-Jähriger wie ich einst sitzt und durch eine Kritik des SDR angelockt wird, den Kosmos Literatur weiter zu erkunden, bis er irgendwann bei Deleuze und Guattaris „Kriegsmaschinen“ angelangt ist. Ich bin mir sicher, dass es beides braucht, den ernst gemeinten Bildungsauftrag und den flott-subjektiven Blog, die Tweets zum Bachmannpreis, die Talks auf den Facebook-Timelines neben Netzangeboten wie IASLonline, wo Literaturwissenschaftler zwanzigseitige Rezensionen veröffentlichen. Alles, was angeblich fehlt ist längst da – die hohe Kritik und die niedrigere, die Publikationsorte und die lebhafte Debatte über Literatur.

Vieles ist anders als früher. Gewöhnt euch dran!

Die Stadtbibliotheken machen dicht und sparen ihr Sortiment ein. Qualitätszeitungen veröffentlichen immer seltener Artikel wie jene, die mir damals den Einstieg in die literarische Bildungswelt ermöglichten. Jaja. Jetzt höre ich auch noch, dass irgendwo Hirschbraten gegessen wird und muss mich fragen, weshalb ich nicht eingeladen werde (obgleich wir alle genug zu essen bekommen auf den Buchmeessepartys, auch bei den Pressetreffen zur Vorstellung neuer Verlagsprogramme, die man zu guter Letzt dann doch ausschlägt).
Mein Futterneid ist antrainiert. Ich habe mehrere Brüder.

Ich möchte mit alledem (wirklich) nur sagen und schreiben,
dass es vollkommen egal ist, wo Kritik stattfindet …

… und dass es unwichtig ist, ob eine wie auch immer geartete Dachmarke die Berichterstattung einzäunt (sollte das von mir an anderer Stelle  bereits vorgeschlagene Digitalmagazin in Anlehnung zu Ray Bradburys Roman betitelt werden, schlage ich ohnehin Fahrenheit 2577 vor – der Schmelzpunkt von Silicium). Es braucht(e) weiterhin die FAZ und das Deutschlandradio Kultur, den Freitag und die Literaturhauslesungen, die Sendung „Druckfrisch“ im Fernsehen und Veranstaltungen wie das Wettlesen um den Bachmannpreis in Klagenfurt. Gleichzeitig braucht es machtferne und nicht vom Kapitalismus berührte Inseln, Ecken, Oasen, Elfenbeintürme und private Marktplätze, die einen stets daran erinnern, dass Literatur(kritik) mehr ist als Arbeit, Broterwerb, Wettkampf um den nächsten Preis, die kommende Pressereise, die Legitimation, sich beim LCB-Sommerfest neben diesen oder jenen Großkopferten zu stellen. Es braucht mehr von diesen Orten. Mein Ort heißt Lesen mit Links. Ich habe ihn als Absicherung gegen die Fährnisse des Kritikerdaseins angelegt. Lesen mit Links wird es selbst dann noch geben, wenn ich mein Geld als Rentner oder Softeisverkäufer verdienen muss. Keinesfalls braucht es mithin eine weitere Institution, die im Netz Geld ausschüttet und meiner Begeisterung einen monetären Wert verleiht, die aus Lesen mit Links ein Produkt macht, das automatisch Erwartungen weckt (Regelmäßigkeit beispielsweise). Institutionen bündeln Macht und Macht bedeutet, dass am Ende nur über Hirschbraten diskutiert wird.
Wie langweilig, geistlos und klein wird in solchen Situationen das, wofür wir brennen – und immer schon gebrannt haben.

alle Artikel der Debatte.
Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Kunst

Erasmus Francisci: Der Wunder-reiche Uberzug unserer Nider-Welt. Staatsbibliothek zu Berlin


Bildnisse der Weltraumvorstellungen der frühen Neuzeit lernt Gunda Bartels in der Ausstellung „Ufo 1665. Die Luftschlacht von Stralsund“ in der Berliner Kunstbibliothek kennen. Über Flugblätter und Kupferstiche werden ihr unheimliche Phänomene wie die titelgebende Luftschlacht präsentiert, erzählt sie im Tagesspiegel . „Aus Vogelschwärmen am Himmel formieren sich Kriegsschiffe, die sich heftige Kämpfe liefern. An Deck wimmeln gespenstische Gestalten. Es ist ein bizarrer Anblick, den sechs Fischer am 8. April 1665 um 14 Uhr beim Heringsfang vor Stralsund erleben. Und als gegen Abend auch noch eine fliegende Scheibe über dem Turm der Kirche Sankt Nikolai erscheint und die Fischer, allesamt respektable Stralsunder Bürger, anderntags über Unwohlsein klagen, ist die Mediensensation perfekt. … Die Bereitschaft, den Menschen als unerklärlich geltende Phänomene für göttliche Warnzeichen zu halten, war bis weit in das 17. Jahrhundert hinein allgegenwärtig. ‚Man lebte permanent in apokalyptischer Paranoia‘, sagt [Kurator] Moritz Wullen und beschreibt den Himmel in der Wahrnehmung jener Zeit als ‚Screen, über den Gott mit der Menschheit kommuniziert‘.“

Weiteres: Die Welt hat ihr Gespräch mit Katharina Grosse online nachgereicht. Besprochen werden die Ausstellung „1923. Die Gesichter einer Zeit“ in der Hamburger Kunsthalle (Tsp), die Ausstellung „Chemistry and Physics in the Household“ des israelischen Künstlers Itamar Gov in der Berliner Zilberman-Galerie (Tsp)  und die Ausstellungen von Elisabeth Wild im Wiener Mumok sowie die ihrer Tochter Vivian Suter in der Wiener Secession (Standard).

Archiv: Kunst
Stichwörter: Ufos

Musik

Der Popstar Ed Sheeran hat also doch nicht bei Marvin Gaye abgekupfert. Dies hat ein New Yorker Gericht in einem mit viel Aufmerksamkeit beobachteten Prozess nun abschließend festgestellt. Gottlob, findet Jakob Biazza in der SZ, denn „hätte Ed Sheeran den Prozess verloren, wäre der Pop, der Dramatik angemessen salopp gesprochen, wenn nicht völlig am Arsch, dann doch in einer Position gewesen, die einen absolut prächtigen Ausblick auf selbigen gewährt hätte.“ Schließlich ging es „es hier nicht um womöglich geklaute Melodien. Es ging um Harmonien, um Akkorde. Konkret: D-Dur, fis-Moll, G-Dur, A-Dur.“ Und diese Harmonie-Folge ist im Pop allgegenwärtig: „Harmonische Innovation ist im Pop im Grunde unmöglich. Schon qua Definition. Damit etwas POPuläre Musik wird, muss es bestimmte harmonische Konventionen bedienen, sonst wird es Jazz oder auf andere Art gefährlich. … Einem Komponisten zu sagen, diese oder jene Harmonien hintereinander seien schon vergeben, ist in etwa so, als würde man einem Architekten mitteilen, rechteckige Fenster wären fürderhin leider tabu.“

Diedrich Diederichsen schreibt in der taz einen Nachruf auf Burkhard Seiler, einen Freak und Musikenthusiasten, der 1979 „den einflussreichsten Schallplattenladen des alten Westberlins gründete: den Zensor.“ Seiler kannte alles, „gerne extreme Musik, früher Industrial, aber auch Soul, und vor allem liebte er den langjährigen Hobo, Instrumentenbauer und -entwickler und mikrotonalen Autodidakten Harry Partch. … Als Zensor konnte und wollte Burkhardt Seiler apodiktisch sein. Er wusste und lebte, was die Deppen, die immer noch über Cancel Culture quengeln, nie begreifen werden: Ein guter Kulturvermittler muss ein Zensor sein. Kaum ein Theater ist dafür so gut geeignet wie der Schallplattenladen.“

Außerdem: Sinem Kılıç berichtet auf ZeitOnline von ihrer Begegnung mit türkischen Sängerin Selda Bağcan, die seit über 50 Jahren das türkische Leben kritisch begleitet. Michael Stallknecht wirft für die NZZ einen Blick auf die Musik, die bei der Krönung von König Charles III. laufen wird. Corina Kolbe erzählt im Tagesspiegel von ihrem Besuch in Sergej Rachmaninows Villa am Vierwaldstättersee. Hugh Morris spricht für VAN mit dem Geiger und Dirigenten Pekka Kuusisto. Josephine Bastian blickt für das VAN-Magazin auf ein gemeinsames Projekt des Bundesjugendorchesters mit  Schülern des Bildungs- und Beratungszentrums für Hörgeschädigte in Stegen. Dass Missy Elliott als erste Rapperin in die RocknRoll Hall of Fame aufgenommen wird, findet Karl Fluch vom Standard „schön und es ist weniger absonderlich, als es sich liest“. Claudius Böhm erzählt im VAN-Magazin des Geschichte des Gewandhausorchesters während der Nazi-Zeit: „Die meisten Musiker gehörten der NSDAP an.“ Reinhard Brembeck porträtiert für die SZ die Sopranistein Fatma Said. Arne Löffel plaudert für die FR mit DJ Carl Cox. In seiner VAN-Reihe über Komponistinnen widmet sich Arno Lücker in dieser Woche hier Marguerite Casalonga und dort Fredrikke Egeberg. Jeffrey Arlo Brown lehnt sich mit einer VAN-Playlist gegen die „meteorologische Mittelmäßigkeit“ auf, die der Monat Mai zumindest in Berlin bislang ist, und ruft mit den besten Aufnahmen von Robert Schumanns Dichterliebe op. 48 den Frühling wenigstens musikalisch aus. Und Rose-Maria Gropp schreibt in der Frankfurter Pop-Anthologie über Françoise Hardys Chanson „Tous les garçons et les filles“:

Besprochen werden ein Konzert von Daniil Trifonov und Sergei Babayan im Wiener Konzerthaus (Standard), ein Konzert des Zafraan Ensembles im Berliner Kammermusiksaal (Tsp), ein Auftritt des Pianisten Andrey Shabashev (FR), ein neues Album von The National (SZ), das Debütalbum von Kinzua (tazler Lars Fleischmann spürt gerne der „Chimärenhaftigkeit“ dieser Musik nach) und Jessie Wares Discopop-Album „That! Feels! Good!“, auf dem Standard-Popkritiker Christian Schachinger eine „neue Hymne der Verheißungentdeckt:

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren

« Vorherige Seite