Jede dritte Kirche, Gemeinde- und Pfarrimmobilie wird bald überflüssig sein. Das sind 40.000 Immobilien. Was geschieht dann mit den Gotteshäusern? Beispiele für kreative Umnutzungen – wenn der Denkmalschutz mitspielt. Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, folglich werden sie immer leerer. Ist eine Gemeinde zu stark geschrumpft, wird sie mitunter mit einer Nachbargemeinde zusammengelegt. Die Kirche im eigenen Ort bleibt dann ungenutzt und wird irgendwann profaniert, also entweiht. Damit wird sie für nichtreligiöse Zwecke freigegeben. Mehr als 1000 Kirchengebäude sollen die Evangelische und Katholische Kirche in den vergangenen 30 Jahren aufgegeben haben.

 

(mehr …)

Mai 2023 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude | Kommentieren

Berlin: Ein Motorrad-Korso der Hells Angels durch die Hauptstadt im Jahr 2019.

Sie inszenieren sich als harmlose Jungs, die gern Motorrad fahren. Doch in Wahrheit sind die Hells Angels eine brutale Organisation, die Mafia-Methoden anwendet. Ein Überblick über die bekannte Rockergruppe.

(mehr …)

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren
Ganz eins mit der Natur ist der Mann, mit allen vier Elementen: Erde reinigt die viel zu schweren Wunden des viel zu schwer vernarbten Körpers. Feuer kann ihm nichts anhaben: Wenn er sich selbst anzündet, weichen die ihn jagenden Schäferhunde zurück. Verbrannt wird er nicht, denn da ist das Wasser, in dem man sich vor den Nazis verstecken kann. In das man diese Volltrottel alle nacheinander locken kann, um sie in der dunklen Tiefe des Sees einen nach dem anderen zur Strecke zu bringen. Und wenn die Luft ausgeht, schneidet man einfach noch eine NaziKehle durch und nimmt einen Zug daraus.
Ganz eins mit der Natur ist der Mann, mit allen vier Elementen: Erde reinigt die viel zu schweren Wunden des viel zu schwer vernarbten Körpers. Feuer kann ihm nichts anhaben: Wenn er sich selbst anzündet, weichen die ihn jagenden Schäferhunde zurück. Verbrannt wird er nicht, denn da ist das Wasser, in dem man sich vor den Nazis verstecken kann. In das man diese Volltrottel alle nacheinander locken kann, um sie in der dunklen Tiefe des Sees einen nach dem anderen zur Strecke zu bringen. Und wenn die Luft ausgeht, schneidet man einfach noch eine NaziKehle durch und nimmt einen Zug daraus.

Regisseur Jamari Helander inszeniert mit „Sisu“ einen spielfilmlangen Showdown zwischen dem ehemaligen finnischen Elite-Soldaten Aatami Korpi (Jorma Tommila) und den Nazi-Schergen rund um den Obersturmführer Bruno Helldorf (Aksel Hennie). Im Jahr 1944, mitten in den scheinbar unendlichen Weiten Lapplands. Korpi hat sich dorthin mit seinem Hund zurückgezogen, mit dem Weltkrieg für immer abgeschlossen, wäscht sich in den Flüssen, schläft in den Steppen, gräbt nach Gold und findet eine leuchtende Ader im Boden. Das Problem: Die nächste Bank ist 563 Meilen weg und Nazis können auch etwas mit dem Zeug anfangen.

Warum Korpi das Geld braucht, wenn er doch eh mit der Zivilisation abgeschlossen hat, interessiert Helander herzlich wenig. Es geht hier ohnehin nicht um irgendwelche großen erzählerischen Konzepte, sondern darum, dass das Filmgetriebe in die Gänge kommt, dass Reibung zwischen dem archaischen Krieger und den hochtechnisierten Nazis mit ihren Landminen, Panzern, Maschinengewehren und Mercedes-LKWs entsteht. Helander zeigt sich weniger als ausklügelnder Regisseur, denn als grober Filmmechaniker. Daseinszweck des Films ist keine sinnstiftende Erzählung, sondern nur das nächste Aufeinandertreffen eines eigentlich unterlegenen Einzelnen mit den eigentlich viel zu starken Gegnern.

So baut sich der finnische Regisseur eine Spielwiese auf, auf der er sich technisch austoben darf. Auf der er zeigen kann, welche Einfälle er für den David-gegen-Goliath-Kampf vorbereitet hat, wobei die eingangs beschriebene Szene rund um Feuer, Wasser, Erde, Luft den Höhepunkt der Kreativität darstellt. Meist dominiert ein kaum origineller Trash-Humor, wenn sich mit einer Spitzhacke an ein startendes Flugzeug gehangen wird oder ein Nazi eine Landmine an den Kopf geworfen bekommt und sein Körper grotesk zersprengt. Manchmal genügt es für den Helander-Humor bereits, dass der härteste Mann der Welt einen Pudel mit sich führt.


Der Presseflyer vergleicht „Sisu“ mit einer Tarantino-Inszenierung von „John Wick“ und das kommt nur hin, wenn man beide Referenzen ihrer ästhetischen Tiefe entkleidet: „John Wick“ ist aus diesem Blickwinkel nicht mehr als die Aneinanderreihung brutaler Kampfszenen, während es doch tatsächlich deren virtuose, fast schon tänzerische Choreographie ist, die die Schauwerte der Filmreihe ausmachen.

Ähnlich mechanisch der Bezug auf Tarantino, den Jamari Helander kaum als Phänomen eines bestimmten Moments der 90er-Jahre begreift, aus dem sich ein Stil abgeleitet hat, der in ein postmodernes Generationengefühl gepasst und sich von dort aus weiterentwickelt und verselbstständigt hat. Tarantinofilme sind für „Sisu“ nicht mehr als ein Archiv von Techniken, die man sich aus dem Regal ziehen kann, um sie in die eigene Filmmaschinerie einzubauen. Also leiht man sich die Lust am Nazis töten und die groteske Gewalt, die Kapitelstruktur, die WesternÄsthetik samt passender Schriftart und den Trash-Film im Trash-Film, wenn Finnlands Rolle im zweiten Weltkrieg mit einer brennenden Landkarte und epischem voice over eingeführt wird. Helander ist dabei wenigstens so konsequent ein Tarantino-Epigone, dass sie die leise Hoffnung regt, das Tarantino-Epigonentum könnte mit „Sisu“ ein dumpfes Ende gefunden haben.

Wenn es überhaupt um etwas abseits von verdinglichter Technik und Form geht, dann um das Vorführen des finnischen Konzepts „Sisu“, das am Anfang (abermals wie bei Tarantino die Worte „pulp fiction“) per Wörterbucheintrag vorgestellt wird. Am ehesten lässt es sich mit „Durchhaltevermögen“ oder „eisernem Willen“ übersetzen. Helander erhebt dieses kulturelle Konstrukt seines Heimatlandes so dermaßen zum Leitprinzip, dass seine Geschichte jegliche Spannung verlässt. In der Mitte des Films wird Korpi von den Nazis gefangen und erhängt. Nur, dass sein Sisu so stark ist, dass er sich entscheidet, einfach nicht zu sterben und von nun an als „the immortal“ durch den Film berserkert. Es ist, als ginge es Helander darum, narrative Zusammenhänge mit voller Absicht vor die Wand zu fahren. Was zählt, ist, wie viele Nazi-Körper durchbohrt, zertrümmert, zersprengt, aufgeschnitten, abgestochen werden. Am Ende bleibt nur das Gold übrig und die Bank, in der man es eintauschen kann. Nicht aber um endlich in Frieden leben zu können, sondern weil Geldscheine nicht ganz so schwer zu tragen sind wie Metall. Immerhin vertritt Helander seinen hypermaterialistischen Ansatz mit genauso großem Durchhaltevermögen wie sein Protagonist.

Sisu – Finnland 2022
Regie – Jalmari Helander
Laufzeit: 91 Minuten
(mehr …)

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Während „die Kirche“ den Providenzgarten bebauen möchte, wollen die Anwohner den Freiraum erhalten.
Foto: Philipp Rothe, 12.07.2019

Stadt und Evangelische Kirche in Heidelberg sind sich (waren sie jedenfalls „im Jahr des Herrn 2019)“ noch einig über die Nutzung des „Providenzgartens“ :   Die Freifläche hinter der Providenzkirche in der Altstadt bleibt erhalten und steht den Bürgern künftig als öffentlich nutzbare Grünfläche zur Verfügung. Die Stadtverwaltung und die Evangelische Kirche in Heidelberg konnten nach konstruktiven Verhandlungen eine grundsätzliche Einigung über die Nutzung als Bürgerpark erzielen. Das Erbbaurechtsgrundstück soll eine Fläche von circa 1.200 Quadratmetern aufweisen. Die Gestaltung der Gartenfläche wird dabei eng mit den Planungen der Kirche über die Außenflächen ihres neuen Gemeindezentrums abgestimmt

 

(mehr …)

Mai 2023 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, InfoTicker aktuell, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude, Zeitgeschehen, Metropolregion Rhein-Neckar, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren

Interne Unterlagen zeigen, wie Hillsong in Deutschland agierte. Weltweit steht die evangelikale Freikirche seit Jahren in der Kritik.

 

Killsong Kirche Gottesdienst
Mehr als 100.000 Menschen besuchen wöchentlich die Gottesdienste der Pfingstkirche Hillsong, wie hier in den USA

„Deswegen wollen wir unsere Finanzen ins Reich Gottes bringen, um ihn zu ehren, was er uns anvertraut hat“, sagt Freimut Haverkamp, der Hauptpastor von Hillsong Germany, in einem Video auf der Internetseite seiner Kirche. Seine Predigt wird mit Gitarrenmusik untermalt. Der 44-Jährige, der in dem Video eine schwarze Skinny-Jeans und eine olivgrüne Bomberjacke trägt, spricht fast neun Minuten über das Spenden, zitiert dabei verschiedene Bibelverse.

Haverkamp endet mit einer Botschaft: „Ich will dir Mut machen, dass du Teil wirst von der Armee Gottes, weltweit, die sagt, wir setzen Gott an erster Stelle mit unserem zehnten Teil, unseren Opfern, mit unseren Finanzen und mit unserem gesamten Leben.“

Mit seinem Appell ist er offenbar erfolgreich. Allein im Jahr 2021 erhielt Hillsong Germany nach eigenen Angaben mehr als 4,1 Millionen Euro an Spenden.

 

 

(mehr …)

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren

 

Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian, Saudi-Arabiens Außenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud und Chinas Außenminister Qin Gang bei einem Treffen in Peking

Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian, Saudi-Arabiens Außenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud und Chinas Außenminister Qin Gang bei einem Treffen in Peking Foto: Saudi Press Agency / REUTERS

An einem Frühlingstag vor 20 Jahren stand ein tapferer irakischer Informationsminister namens Mohammed Saeed al-Sahhaf in Uniform am Mikrofon und verkündete: Die Invasion der USA sei gescheitert, der Feind werde kapitulieren oder in seinen Panzern verbrennen. Da hörte man im Hintergrund buchstäblich schon die Ketten ebenjener Panzer auf dem Asphalt von Bagdads Straßen. Sahhaf setzte wenig später sein Barett ab und verließ das Studio. Als »Comical Ali« erlangte der Mann Kultstatus – Inbegriff des Maulheldentums, welches über Jahrzehnte zu den Eigenschaften der heroischen Regime in der arabischen Welt gehörte.
Anzeige
Irakischer Informationsminister Mohammed Saeed al-Sahhaf, genannt »Comical Ali«, im März 2003: Meister im Schwingen großer Reden

Irakischer Informationsminister Mohammed Saeed al-Sahhaf, genannt »Comical Ali«, im März 2003: Meister im Schwingen großer Reden Foto: AP

Die arabische Politik scheint auf dem Weg der Besserung, was das betrifft. Heute werden Tatsachen geschaffen, bevor man große Reden schwingt. Das einst notorisch zerstrittene arabische Lager, auf welches der Westen lange Zeit herabschaute, ist zurück. Staaten im Nahen Osten machen Geopolitik. Sie schmieden Allianzen, tätigen strategische Investitionen und nutzen ihren Einfluss in einer Welt, die im Angesicht von Krisen und einer sich auflösenden Ordnung bebt. Jahrelang klagten die Europäer über die Untätigkeit der Araber. Nun stehen sie wiederholt als Zuschauer daneben – sofern sie vom Geschehen nicht gänzlich überrascht werden.
ANZEIGE
Bakterienherd: So oft solltest du deinen Schal waschen!
Ein Angebot von
Nicht der Nahe Osten ist nun das Pulverfass, sondern Europa

In einem der schwersten regionalen Konflikte, Iran gegen Saudi-Arabien, gibt es ein Rapprochement : Die Republik Irak und das Sultanat Oman vermittelten hier diskret schon seit Jahren: aus eigenem Interesse, als Leidtragende dieses Schattenkrieges. Im Jemen, wo Saudi-Arabien direkt und Iran indirekt Krieg führen, fanden Gespräche über einen Waffenstillstand statt ; Riad schickt erstmals keine Jagdbomber zu den aufständischen Huthis, sondern einen Gesandten.
Anzeige
Zum Autor
Foto:

Mahmut Koyaş

Daniel Gerlach, 45, ist Orientalist, Chefredakteur des Nahost-Magazins »zenith« (zenith.me) und Direktor des Thinktanks Candid Foundation, der sich schwerpunktmäßig mit dem Nahen Osten, Nordafrika und der muslimischen Welt befasst. Zu seinen Schwerpunkten zählen Syrien und der Irak. Gerlach ist Mitinitiator der MENA Digital School zur Förderung arabischer Talente in digitaler Transformation. Zuletzt erschien von ihm: »Die letzten Geheimnisse des Orients – Meine Entdeckungsreise zu den Wurzeln unserer Kultur« (C. Bertelsmann 2022).

Die Vereinigten Arabischen Emirate stellen sich derweil unter Israels militärischen Schutz und gehen im Zuge der sogenannten Abraham-Abkommen vielfältige Kooperationen mit dem jüdischen Staat ein. Parallel vereiteln sie erfolgreich internationale, von Europa unterstützte Mediations- und Demokratisierungsübungen in der Region. Tunesien, über Jahre das Leuchtturmprojekt Europas beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Republik, fällt zurück in autoritäre Herrschaft ; sein Präsident wendet sich dem arabischen Lager zu.

Auch zwischen Ägypten und der Türkei, den großen Rivalen im östlichen Mittelmeer, herrscht Tauwetter. Und überall mischen – mal mehr oder weniger – Russland und China mit. Bis auf wenige Ausnahmen ist die arabische Welt unbeeindruckt von der Ächtung Wladimir Putins durch den Westen. Man vernimmt geradezu Genugtuung: Endlich ist einmal nicht der Nahe Osten das Pulverfass, sondern Europa – mit dem Potenzial zum »Flächenbrand«.
ANZEIGE
powered by
Die SPIEGEL Gruppe ist nicht für den Inhalt verantwortlich.
Syrien soll zurück in die »arabische Familie«

Einige arabische Staaten versuchen, den Ölpreis hochzuhalten – für sie ist er sogar eine willkommene Folge des Kriegs in der Ukraine. Algerien und Saudi-Arabien interessieren sich lebhaft dafür, an der Seite Russlands und Chinas in die Gemeinschaft der BRICS-Staaten einzutreten, dem Gegenentwurf zu den G7-Staaten. Und unterdessen veranstaltete Katar für Hunderte Milliarden Euro ein Fußballfest, an dem sich die halbe Welt erfreute. (Mit Ausnahme Deutschlands.)

Nachdem sie jahrelang erfolglos am Sturz des Assad-Regimes mitgewirkt hatten, treiben einige arabische Staaten sogar die Wiederaufnahme Syriens in die »arabische Familie« voran. Nicht aus Reue, sondern aus strategischem Kalkül. Immerhin, so muss man sagen, haben sie eine Syrien-Politik. Und im Sudan werden die hoffnungsvollen Bemühungen der Vereinten Nationen, ein Arrangement der Machtteilung zu finden, über Nacht zunichte. Eine Reihe ausländischer Akteure, darunter die Golfstaaten, spielen dabei mit.
Anzeige
Syriens Außenminister Faisal Mikdad (2. von r.) und sein iranischer Amtskollege Hossein Amir-Abdollahian, (2. von l.) bei einem Treffen in Damaskus, Syrien

Syriens Außenminister Faisal Mikdad (2. von r.) und sein iranischer Amtskollege Hossein Amir-Abdollahian, (2. von l.) bei einem Treffen in Damaskus, Syrien Foto: Omar Sanadiki / AP

Es wäre leicht, diese Entwicklungen im Lichte des globalen Kampfes der Systeme zu betrachten und auf die Einflussnahme Russlands und Chinas zurückzuführen. Man kann es allerdings auch andersherum betrachten: Staaten der Region nutzen diese beiden Mächte dort, wo es opportun erscheint. Besonders deutlich wird das bei der Wiederaufnahme der iranisch-saudischen Beziehungen: Peking musste nur noch die Schlusszeremonie ausrichten. Die nahöstlichen Staaten überließen den Triumph Xi Jinping, der einen solchen suchte, um China als neue Friedensmacht ins Spiel zu bringen.
Kein Paralleluniversum mehr hinter Palastmauern

Welchen Zweck der neue Tatendrang der Araber verfolgt, ob er andauert und von Erfolg gesegnet wird, steht auf einem anderen Blatt. In jedem Fall hat er das Maulheldentum als Merkmal abgelöst. Man verwechselt Trägheit nicht länger mit Klugheit. Und es gilt offenbar nicht mehr als Tugend, wenn einer mashallah ruft, sich hinter seinen Palastmauern ein Paralleluniversum einrichtet und an den eigenen politischen Visionen berauscht.
Anzeige

Indes muss man sich fragen, ob das bei uns auch so ist. Seitdem auf allen Ebenen und zu jeder sich bietenden Gelegenheit getwittert wird, fällt die Diskrepanz zwischen Gestaltungswillen und Gestaltungsmacht der Europäer – und Deutschlands als europäischer Führungsmacht – besonders drastisch auf. Droht hier eine Verwechslung? Dass man das Reden über die Ziele in der Nahostpolitik bereits für deren Umsetzung hält?
Der Nahe Osten als PR-Kulisse

Der WM-Auftritt von Innenministerin Nancy Faeser in Katar mit der dort als Symbol westlicher Arroganz geschmähten »One-Love«-Binde wurde zum Sinnbild der Misere. Danach weinten die Araber der sonst in der Region durchaus beliebten »Mannschaft« nicht mehr hinterher. Deutschland hat – mitunter unbegründet – einen hervorragenden Ruf in der arabischen Welt, aus dem man Kapital schlagen könnte. Aber die arabischen Gesellschaften – unabhängig davon, ob sie für Katar sind oder die Weltsicht ihrer Herrscher teilen – haben eben auch ein Gespür dafür, ob sich jemand für ihre Rechte einsetzt oder nur das eigene, das deutsche Publikum bespielt: der Nahe Osten als PR-Kulisse. Man verstand in der deutschen Politik offenbar weder diese Dynamiken noch die Rolle, die Golfstaaten wie Katar in der Region inzwischen spielen.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (mit der »One-Love«-Armbinde) 2022 beim WM-Spiel in Doha, Katar: Symbol westlicher Arroganz

DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (mit der »One-Love«-Armbinde) 2022 beim WM-Spiel in Doha, Katar: Symbol westlicher Arroganz Foto: Matthias Schrader / AP

Die nahostpolitischen Debatten, sei es um Israel und Palästina, Menschenrechte oder Minderheiten, spielen sich, so scheint es, heute vorwiegend zwischen Politikern, Thinktankern, Journalisten und sogenannten Twitter-Aktivisten ab. Prioritäten ändern sich schnell. Die Liste dessen, was man will, wird immer länger: Demokratie und feministischer Wandel, Frieden, Russland isolieren, Kampf gegen den Klimawandel, grüne Energiequellen erschließen, Kriegsverbrecher verfolgen, den Mindestlohn am Golf durchsetzen, die vom IS massenhaft gemordete jesidische Volksgruppe im Irak aufbauen. Außenministerin Annalena Baerbock hat dabei die Social-Media-Diplomatie zur Perfektion getrieben und erweckt den Eindruck, dass sie viel tut und viel erreichen will.

Es bleiben allerdings Zweifel daran, wer die Ziele abarbeiten soll und welche Partner dafür zur Verfügung stehen – zumal im Nahen Osten, der so wichtig ist für Europa und zugleich so betreuungsintensiv, weil kulturell und politisch die Dinge dort nun mal ein bisschen anders laufen. Hinzu kommt, dass sich die Herrschenden dort immer weniger auf die als sprunghaft und als oberflächlich wahrgenommenen deutschen Umgangsformen einlassen wollen.
Mehr zum Thema

Tauwetter am Golf: Saudi-Arabien und Iran nähern sich an – und ein Dritter verliert Eine Analyse von Monika Bolliger, Susanne Koelbl und Thore Schröder
Saudi-Arabien und Iran nähern sich an – und ein Dritter verliert
Saudi-Arabien, Iran und der Konflikt im Jemen: »Riad braucht Stabilität, der Krieg ist zu teuer geworden« Ein Interview von Monika Bolliger
»Riad braucht Stabilität, der Krieg ist zu teuer geworden«
Warum im Nahen Osten plötzlich Tauwetter herrscht: Roter Teppich für den Ex-Erzfeind Eine Analyse von Monika Bolliger
Roter Teppich für den Ex-Erzfeind

Bei uns sind auswärtige Angelegenheiten ein Hybrid zweier ungleicher Komponenten: große politische Agenden und real existierende Verwaltung. Um diese überein zubringen, begnügt man sich oft damit, den Schein zu erwecken, dass sich tatsächlich etwas tut. Beide haben allerdings auch etwas gemein: Persönliche Verantwortlichkeiten für Themen und Beziehungen – welche im Nahen Osten unerlässlich sind – dauern in der Regel höchstens so lange wie eine Legislaturperiode. Dann sind die nächsten dran. In einer Region wie dem Nahen Osten, wo informelle, persönliche Kontakte zu Entscheidungsträgern ebenso wichtig sind wie eine tiefe Beschäftigung mit der Kultur, kommt man so nicht weit.

Eine andere Gewohnheit, die sich manchmal als Schwäche offenbart: Man delegiert Außenpolitik an Dritte, weil es aus anderen Gründen wichtig ist. Deutschland etwa will die Vereinten Nationen als Ordnungssystem erhalten und gegen Kritik grundsätzlich in Schutz nehmen. Man wirbt für die Uno und erwartet zugleich, dass diese politische Konflikte in der Welt löst, wozu sie unter Umständen aber weder das Personal noch die Macht hat. Das mag hier und da in der Geschichte gut gehen. Darauf verlassen aber kann man sich nicht. Jüngst sind solche Bemühungen gerade im Sudan in Schall und Rauch aufgegangen.

Die Bundesregierung hatte einen ihr vertrauten deutschen Politikwissenschaftler als Uno-Sondergesandten durchgesetzt, der ein Abkommen zwischen zwei Militärmachthabern aushandeln wollte : Volker Perthes, den ehemaligen Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. In Berlin war man stolz auf diese Personalie und fühlte sich gut informiert; Vertreter der bestens organisierten sudanesischen Zivilgesellschaft hatten dagegen monatelang davor gewarnt, dass der Plan scheitern werde, und sich über die teils sehr optimistisch klingenden Berichte an den Uno-Sicherheitsrat gewundert. Nun spüren nicht nur die Sudanesen und Nachbarn des Sudan, sondern auch Deutschland und Europa die Konsequenzen dieses gefährlichen Konflikts.
Wer als Opportunist etwas erreichen will, muss besonders taktvoll sein

Man kann umfassend debattieren, wann Deutschland und Europa ihren Einfluss in der südlichen Nachbarschaft verloren haben und ob der Verlust wettzumachen ist. Vielleicht heißt Realismus ja auch, festzustellen, dass man Einfluss gar nicht ausüben will und lieber Zuschauer sein möchte. Nicht alles muss ja schlecht sein, nur weil es nicht aus Europa kommt.

So gesehen bräuchte es auch keinen europäischen Vorstoß in Syrien. Man kann zusehen, wie das Land aus der europäischen Nachbarschaft verschwindet und die arabische Welt das Problem für sich löst, dergestalt, dass sie den – im Deutschen ja besonders negativ behafteten – »Schlussstrich« zieht: Assad hat gewonnen, also arbeiten wir wieder mit ihm, um Schlimmeres zu verhindern.

Währenddessen ist Deutschland froh, dass die europäischen Staaten sich noch zu den drei »Neins« bekennen: Nein zu Normalisierung, nein zur Aufhebung von Sanktionen, nein zu Beteiligung am Wiederaufbau, ohne dass die Regierung Assad zurücktritt oder bedeutende Konzessionen macht. Davon unbeschadet unterzeichnen einige EU-Staaten mit Syrien Absichtserklärungen; und ehemalige hohe Beamte aus Deutschland werden – nun in privater Mission – dem Vernehmen nach in Damaskus vorstellig, um ihre Hilfe beim Wiederaufbau anbieten.

Über Syrien hinaus gilt: Auch eine Nicht-Politik muss man sich leisten können. Die arabische Welt ist dafür allerdings zu wichtig. Ihr in Deutschland immer noch weit verbreitetes Image als lästiger Krisenherd entspricht nicht mehr den geopolitischen Realitäten. Der russische Angriff gegen die Ukraine müsste deutlich gemacht haben, dass man sich seine Nachbarn nicht aussuchen kann. Sie sind nun einmal da. Migration, innere und äußere Sicherheit, Folgen und Ursachen des Klimawandels, Energieversorgung – alle diese zentralen politischen Themen berühren unsere Beziehungen zur arabischen Welt.

Der Nahe Osten benötigt daher die strategische Aufmerksamkeit deutscher Außenpolitik. Sonst verfestigt sich der Eindruck, dass man die Araber nur dann anruft, wenn man sie, wie nun während des Kriegs in der Ukraine, kurzfristig braucht, aber ansonsten keinen großen Wert auf »Freundschaft« legt – ein Begriff, den man gegenüber anderen Staaten und Völkern ja fortwährend betont. Niemand hat wohl größeres Verständnis für politischen Opportunismus als die arabische Welt. Aber wer als Opportunist etwas erreichen will, muss manchmal besonders taktvoll und verbindlich sein.

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren

 

 

Nordamerikanischer Ochsenfrosch

Eingeschleppte Amphibien und Reptilien haben in den vergangenen Jahrzehnten weltweit Schäden in Höhe von mindestens 16 Milliarden Euro verursacht. Das geht aus einer aktuellen Studie eines internationalen Forscherteams hervor. Die Bekämpfung invasiver Arten und die durch sie verursachten Ernteverluste hätten zwischen 1986 und 2020 Milliardenbeträge gekostet, berichtet das Wissenschaftlerteam im Fachjournal „Scientific Reports“.

Die Forscher gehen davon aus, dass zwei Arten – der Nordamerikanische Ochsenfrosch und die Braune Nachtbaumnatter – die größten Kostenverursacher sind. Schäden in Höhe von knapp 16 Milliarden Euro könnten auf die beiden Arten zurückgeführt werden. „Das sind 96,3 bzw. 99,3 Prozent der Gesamtkosten, die invasive Amphibien und Reptilien in diesem Zeitraum verursacht haben“, erklärte Hauptautor Phillip Haubrock von der Senckenberg Gesellschaft. Er schlägt vor Maßnahmen gegen den globalen Transport deutlich zu erhöhen.

Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftler nach eigenen Angaben Zahlen aus der Datenbank „InvaCost“ ausgewertet, in der die Kosten der Arteninvasionen zusammengestellt sind. Die Daten stammen aus begutachteten Artikeln und Dokumenten von Regierungen, Hochschulen und NGOs.

Biologisches Gleichgewicht gefährdet

Invasive, also eingeschleppte Arten können das biologische Gleichgewicht in ihrer neuen Umgebung erheblich stören. Die Nachtbaumnatter ist beispielsweise auf der westpazifischen Insel Guam eingeschleppt worden. Dort hat sie sich rasant vermehrt und Vogel- und Kleintierarten ausgerottet. Davon betroffen ist wiederum die Pflanzenwelt, weil die Vögel für die Samenausbreitung wichtig sind.

Der Studie zufolge ist insbesondere Europa von den verursachten Kosten durch invasive Amphibien betroffen. Eine Amphibienart, die weltweit, aber auch nach Deutschland eingeschleppt worden ist, ist laut NABU der Amerikanische Ochsenfrosch. Der Allesfresser sei „in allen neuen Vorkommensgebieten eine große Konkurrenz zu den heimischen Amphibien und anderen Tierarten“.

Nordamerikanischer Ochsenfrosch

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Nova am 29. Juli 2022 um 10:10 Uhr.

 

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass der Vatikan den Kern des Problems noch immer nicht erfasst hat und doch wieder nur versucht, das strukturelle Problem Missbrauch mit ebendiesen Strukturen zu beheben. Eine kritische Analyse.

(mehr …)

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Petersdom_Vatikan.jpg

Das Zentrum des Katholizismus: Der Petersplatz in Rom
Petersplatz

Die katholische Kirche hat eine Handreichung zum künftigen Umgang mit Missbrauchsfällen herausgegeben. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass der Vatikan den Kern des Problems noch immer nicht erfasst hat und doch wieder nur versucht, das strukturelle Problem Missbrauch mit ebendiesen Strukturen zu beheben. Eine kritische Analyse.

 

 

(mehr …)

Mai 2023 | In Arbeit | Kommentieren

In diesem Mai feiert das Berliner Theatertreffen seinen 60. Geburtstag, und dafür macht es ganz schön auf jung. Nicht nur, dass die Berliner Festspiele mit Matthias Pees einen neuen Intendanten haben. Sondern das Theatertreffen wird nun von drei Leiterinnen organisiert, Olena Apchel, Carolin Hochleitner und Joanna Nuckowska. Dazu kommen umfängliche neue Zusatzprogramme.

Im Kern aber bleibt es bei den zehn bemerkenswerten Inszenierungen, auf die man sich doch Jahr für Jahr wieder freut. Die Festspiele wollen nach eigenem Bekunden am Auswahlgremium der Kritikerinnen und Kritiker festhalten, die entscheiden, wer eigeladen wird zur Leistungsschau der deutschsprachigen Bühnen. Doch vieles deutet auf Veränderung hin.
Das Treffen in Berlin
Das Theatertreffen findet in diesem Jahr vom 12. bis 29. Mai statt. Hauptspielort ist das Haus der Berliner Festspiele. Zehn Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum, darunter zwei aus Berlin, bilden das Hauptprogramm. Info: www.berlinerfestspiele.de
Allgemein ist das Verhältnis von Theaterkünstlern und Kritik schwieriger geworden. Die Attacke eines durchgeknallten Choreographen auf eine oft überhart einsteigende Kritikerin stieß international auf große Resonanz. Viele waren entsetzt, andere im Stillen amüsiert, aber im Grunde lenkte die Dackelkacke nur ab von nivellierenden Tendenzen hier wie dort und den tieferen Verwerfungen.
Nur keine Ironie!
Claus Peymann hat auch immer schon behauptet, Kritik sei unwichtig und würde von Theaterleuten nicht gelesen. Er wusste es besser. Einst haben Kritiker seine Karriere und die so vieler anderer damals sehr befördert, man schätzte und brauchte einander im alten Machtsystem. Der Umgang hatte etwas Sportlich-Ironisches. Aber Ironie scheint verschwunden, verlangt wird eindeutige Positionierung.

Kritik an der Kritik hört man jetzt häufiger. Vor einem Jahr haben Amelie Deuflhard, Chefin von Kampnagel in Hamburg, und der Berliner Kurator Matthias Lilienthal in einem Beitrag für die Berliner Festspiele Theaterkritik grundsätzlich relativiert. Lilienthal nimmt Kritik wahr „als ein Anschreiben gegen den Verfall und die Gewissheit, dass es so etwas wie Printmedien in fünf bis zehn Jahren praktisch nicht mehr geben wird.“ Gleichzeitig werde dem Kulturjournalismus noch der Wert zugeschrieben, den er vor einem Jahrhundert hatte. Deuflhard verweist auf die Sozialen Medien, mit denen die klassische Kritik zwar nicht hinfällig, aber längst nicht mehr so wichtig sei.
Nur nicht altmodisch wirken
Man könnte hinzufügen, dass die Theater- und Kulturberichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien stark zurückgegangen ist und es Nachwuchsprobleme gibt. Viele Medien wollen Service bieten und lieber keine Verrisse.

Deuflhard und Lilienthal haben recht – wenn man in ihrem Text „Kritik“ einmal durch „Theater“ ersetzt. Keine Frage, Printmedien verändern sich und nehmen ab zugunsten digitaler Formen; aber dort gibt es auch seriöse und professionelle Kritik. Theater war einmal die Königsdisziplin des Feuilletons. Lange her: Aber das liegt auch am Theater selbst. Es hat schreckliche Angst, altmodisch zu wirken. Es nimmt nicht mehr die selbstverständliche gesellschaftliche Stellung ein wie zu der Zeit, als das Theatertreffen blühte, in den siebziger, achtziger Jahren. Seine neuen Texte besitzen kaum mehr Sprengkraft oder wenigstens, wie Stuckrad-Barres Medienroman, das Potenzial für ein ordentliches Strohfeuer.

Theater ist die moralische Anstalt des 21. Jahrhunderts. Über ästhetische Fragen wird nicht gern debattiert, obwohl in Gesprächen mit Zuschauern und auch Theaterleuten ein tiefes Bedürfnis nach künstlerischen Fragen zu spüren ist. Im Theater arbeiten vielerorts die Guten mit der richtigen Botschaft, und Kritik steckt häufig in dem Dilemma, Gesinnung beurteilen zu sollen, und da gerät man schnell auf die falschen Seite, wenn man den missionarischen Eifer nicht teilt: Was die jüngere Kritikergeneration auch schon meist mit Überzeugung tut.

Und womöglich steht der Mediendarwinismus erst am Anfang. das Theater kümmert sich um alle möglichen gesellschaftlichen Themen, aber der eigene Spielplatz ist kleiner geworden. Theater und Kritik, ein altes Paar, misstrauen einander, weil sie den Mangel und den Verlust spüren. Kritik kann à la longue doch auch nur so gut sein wie ihr Gegenüber.

 

Mai 2023 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton | Kommentieren

« Vorherige SeiteNächste Seite »