Schweinefleisch verschwindet aus Schulbüchern, die Moschee von der Seifenpackung – die Selbstzensur des Westens treibt absurde Blüten. Zwar werden Presse- und Meinungsfreiheit beschworen, aber Terror wirkt:
Nach Anschlägen wird hier und da gefordert, man müsse Blasphemie stärker unter Strafe stellen … Muss man wirklich?
Müssen wir Verständnis dafür haben, dass „besonders Fromme“ besonders reizbar sind? Wollen wir die Freiheit opfern für die Illusion, dadurch die Freiheitsfeinde zu besänftigen?
Alexander Kisslers Buch ist ein entschiedener Aufruf, die Meinungs- und Religionsfreiheit selbstbewusst zu stärken; dennoch gehört Kissler keineswegs zu den Eiferern, hingegen will er für bestimmte Absurditäten im Toleranzdiskurs sensibilisieren:
Falsch verstandene Toleranz ist leicht erkennbar, etwa, wenn Kissler von drei jungen Palästinensern berichtet, denen ein Gericht nach einem Brandanschlag auf eine Synagoge explizit keinen Antisemitismus anlasten wollte.
Gleiches Thema, aber: Auf den, aber freilich nur den ersten Blick, wirkt das Papier, als ob es nur völlig Selbstverständliches vorschlage. Es stammt vom Europäischen Rat für Toleranz und Versöhnung (ECTR), einer einflussreichen Nichtregierungsorganisation, die praktische Empfehlungen für Regierungen und Organisationen in Fragen der Toleranz abgibt. Sie berät auch die Europäische Kommission und hat gerade die Endfassung eines Papiers vorgelegt, das ursprünglich gut gemeint hätte gewesen sein können. Bei genauerem Hinsehen jedoch beinhaltet es einen Toleranz-Zwang (wir hingegen empfehlen die Lektüre des Titels im Cover), der das Ende jeglicher offen geäußerter Kritik bedeuten würde, sollte die Europäische Kommission eine darauf basierende Gesetzesvorlage einbringen, und diese vom EU-Parlament sowie vom Rat beschlossen werden:
Womit wir uns auf den Weg in den totalitären Staat durch Zwang begeben haben würden … Der Text kommt zwar einher als „Europäisches Rahmenstatut zur Förderung“ (klingt ja erst mal ganz gut) „der Toleranz“ – birgt aber einigen Sprengstoff. In der Einleitung nämlich heißt es: „Zweck dieses Gesetzes ist es, einen wirkungsvollen Mechanismus bereitzustellen, um in europäischen Gesellschaften Toleranz zu fördern und Intoleranz zu unterdrücken.“
Zu unterdrücken! In diesem Text gipfelt diese Absicht dann gar in der Formulierung: „Es ist nicht nötig, tolerant gegenüber den Intoleranten zu sein.“ Das mag etwa in Hinblick auf radikale und fundamentalistische Gruppen plausibel klingen, ist jedoch nicht näher definiert und insofern hoch problematisch.
Überhaupt fallen sowohl die unklaren Begriffsbestimmungen, wie auch die nicht näher benannten „Gruppen“ auf, die vor Intoleranz geschützt werden sollen. Der Begriff Toleranz ist weit gefasst als „Respekt vor und Akzeptanz gegenüber dem Ausdruck, der Erhaltung und der Entwicklung der besonderen Identität einer Gruppe.“ Ein weiterer Passus besagt, der Zweck der Richtlinie sei es, „alle Erscheinungsformen der Intoleranz, die aus Voreingenommenheit, Fanatismus und Vorurteilen herrühren, zu verurteilen.“ Wie allerdings Voreingenommenheit festgestellt werden soll, ist schwammig und kann nur bedeuten, dass es keine Kritik an irgendwelch-solchen Gruppen geben dürfe, die sich dadurch auch nur intolerant behandelt fühlen könnten – was fraglos ein Ende jeglicher Debatte und kritischen Auseinandersetzung bedeudeuten müsste! In einer Erklärung dazu heißt es: „Unter religiöse Intoleranz fällt auch Islamophobie“. Womit ja aber ein an sich bereits per se problematischer und von Fundamentalisten als Kampfmittel gebrauchter Begriff ins Spiel gebracht worden wäre.
Eine Kommission und eine im Justiz- oder Innenministerium angesiedelte Stelle sollen – so das Papier weiter – über die Durchsetzung der geforderten Richtlinien wachen. Opfer vermeintlicher Intoleranz können klagen und erhalten einen vom Staat finanzierten Rechtsbeistand. Es ist ein Zug der Zeit, dass heute alle Opfer sein wollen, jeder fühlt sich irgendwie diskriminiert oder nicht toleriert. Es ist also zu erwarten, dass bei der Umsetzung so aalig formulierter und gleichzeitig so umfassender Bestimmungen eine Klageflut entsteht.
Jugendliche, die sich eines „Hassverbrechens“ schuldig gemacht haben, sollen ein Umerziehungsprogramm absolvieren müssen. Als schwere Straftat wird dann übrigens schon die „Diffamierung einer Gruppe“ gelten. In den Schulen soll es „Toleranz-Unterricht“ geben. Natürlich hat man auch an die mediale Umerziehung gedacht: Die Regierungen müssen die öffentlich-rechtlichen TV- und Radiostationen auffordern, einen vorgeschriebenen Anteil der Programme der Toleranz zu widmen. Private Massenmedien sollen finanzielle Förderungen erhalten, wenn sie Themen zur Toleranz bringen. Und natürlich sollen alle Inhalte im Internet, die Intoleranz fördern könnten, entfernt werden.
Lesen und nehmen wir das alles zur Kenntnis, steht zu befürchten, dass dies nicht in eine tolerantere und offenere Gesellschaft mündet, sondern in das Ende der Meinungsfreiheit, dem Gesinnungsterror nicht näher definierter Gruppen, in den Überwachungsstaat und in Gehirnwäsche: in den totalitären Staat.
Hoffen wir mal, zumindest noch hoffen zu dürfen, dass eine solche Idee für ein solch absurdes Rahmengesetz rasch im Papierkorb versenkt wird und die Europäischen Institutionen sich mit politischen Themen beschäftigen, statt den Bürgern in kontraproduktiv-übler Weise eine solche Moral verordnen zu wollen.