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Ukrainische Artillerieeinheit bei Bachmut: Die Soldaten klagen schon länger über Munitionsmangel.

Erneut tagen die Unterstützerländer der Ukraine in Ramstein. Die Offensive von Selenskyjs Truppen könnte jederzeit beginnen. Wie kann der Westen jetzt noch helfen?

Ein Waffensystem hat es Vitali Klitschko besonders angetan. „Trefferquote 100 Prozent“ besitze das Luftabwehrsystem Iris-T SLM, das Deutschland an die Ukraine geliefert hat. Das System habe die Sicherheit in der ukrainischen Hauptstadt Kiew deutlich erhöht, sagte deren Bürgermeister kürzlich der „Süddeutschen Zeitung.“

Nicht nur Klitschko, einst Profiboxer, dürfte sich daher gefreut haben, dass Deutschland dem Land in dieser Woche ein zweites solches System geliefert hat. Doch damit nicht genug: Auch ein zweites Patriot-Luftabwehrsystem sei mittlerweile eingetroffen, verkündete die Bundesregierung am Mittwoch. „Eine effektive Luftverteidigung ist die Lebensversicherung der Ukraine“, betonte Oberstleutnant Markus König, der für die Ausbildung ukrainischer Soldaten an dem System verantwortlich war.

Eine effektive Luftabwehr wird die Ukraine auch nötig haben, wenn die Frühjahrsoffensive beginnt: In dem Land ist die Hoffnung groß, dass die ukrainischen Soldaten auf dem Schlachtfeld gegen Russland die Oberhand gewinnen können. Wann der Großangriff genau beginnt, weiß offiziell zwar niemand. Möglicherweise aber könnte die heute beginnende Konferenz der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein dazu dienen, sich in großen Rahmen noch mal abzustimmen. Was können die westlichen Partner jetzt noch tun, um die Offensive zu unterstützen

„Dazu reicht die Zeit nicht“

„Es macht jetzt keinen Sinn, neue Waffensysteme zu liefern. Dazu reicht die Zeit nicht“, sagte Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations im Gespräch mit t-online. Ähnlich sieht es auch Burkhard Meißner vom German Institute for Defence and Strategic Studies: Grundsätzlich würde der Ukraine zwar jede Waffe helfen, allerdings sei das nicht alleine entscheidend, sondern, „dass alle Systeme auch in der richtigen Art zusammenwirken“, sagte Meißner t-online.

Das scheint auch die Marschroute der Bundesregierung zu sein: „Was jetzt erforderlich ist, ist im Kern mehr vom selben“, hatte auch Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt bei seinem Besuch in Portugal zu dem Thema gesagt.

Die Ukraine braucht aktuell vor allem mehr Artilleriemunition. Doch gerade dort seien auch die Reserven im Westen nicht sonderlich groß, sagt Rafael Loss. „Bei Munition kommen wir langsam an die Schmerzgrenzen, was geliefert werden kann.“ Das liege auch daran, dass man es in den vergangenen Monaten versäumt habe, die Kapazitäten der Industrie weiter auszubauen.

Neue Munition aus den USA

Gänzlich blank sind die westlichen Staaten allerdings noch nicht: Vor der Konferenz hatten die USA neue Waffenlieferungen im Wert von umgerechnet 297 Millionen Euro angekündigt. Hauptsächlich soll das Paket Artilleriegeschosse und Munition für den Mehrfachraketenwerfer Himars enthalten.

Gleichzeitig wollen sich die Niederlande und Dänemark an zwei Munitionsinitiativen mit jeweils 130 Millionen Euro beteiligen. Eine geht dabei von Deutschland aus, eine von der gesamten EU. Eine Million weitere Geschosse wolle man für die Ukraine besorgen, hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Ende März angekündigt. Allerdings könne man die Munition erst im Verlauf der kommenden zwölf Monate auftreiben. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow klagte, sein Land benötige die entsprechende Menge umgehend.

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Alain Berset und Olaf Scholz: Der Schweizer Präsident machte bei seinem Besuch in Deutschland erneut deutlich, dass man keine Munition oder Waffen an die Ukraine liefern werde

Munitionsmangel herrscht auch beim deutschen Flugabwehrpanzer Gepard: Zuletzt hatte Bundeskanzler Olaf Scholz sich um Nachschub aus der Schweiz bemüht. Allerdings bleibt die dortige Regierung hart. Die Schweizer Neutralität verbiete es, eine Seite in dem Krieg militärisch zu unterstützen, betonte Präsident Alain Berset bei einem Besuch in Berlin.

Hoffnung auf F-16

Bleibt die Lieferung neuer Waffensysteme also bei der Konferenz gänzlich aus? Auch wenn sie kurzfristig wohl weniger helfen, sollte die mittel- und langfristige Perspektive beachtet werden: Das ukrainische Verteidigungsministerium pocht schon länger auf die Lieferung von weiteren Kampfjets. Aus den westlichen Unterstützerstaaten haben bisher lediglich Polen und die Slowakei MiG-29-Jets aus Sowjetzeiten geliefert.

In der vergangenen Woche lieferte Polen fünf weitere Jets aus ehemaligen DDR-Beständen. Die Bundesregierung hatte zuvor die Erlaubnis für den Deal erteilt. Anfang dieser Woche erhöhte dann die Slowakei seine Lieferung auf insgesamt 13 Kampfflugzeuge, wodurch das Land alle ihm verfügbaren Jets abgegeben hat. Von den Nato-Staaten besitzt nur noch Bulgarien Jets dieses Typs. Allerdings brauche man die Flugzeuge, um den eigenen Luftraum zu sichern, hieß es aus der Regierung.

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F-16-Jet der USA: Die Ukraine würde gern das Kampfflugzeug nutzen. (Archivfoto) (Quelle: Tsgt. Timothy Dischinat/U.S. Air/imago images)

Deshalb rücken Jets aus westlicher Produktion immer mehr in den Fokus, vor allem die amerikanische F-16. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte sich bis zuletzt skeptisch gezeigt, die Kampfflugzeuge abzugeben. Allerdings besitzen zahlreiche andere Nato-Staaten den Kampfjet, etwa Polen, Griechenland, die Türkei oder die Niederlande.

Die Bundeswehr hat den Jet nicht in ihren Beständen. Und Olaf Scholz hatte eine deutsche Lieferung von Kampfjets bereits ausgeschlossen.

„Umstieg deutlich komplizierter“

„Es wird wohl keine Entscheidung zu den F-16 getroffen werden“, meint Rafael Loss. Die ukrainischen Piloten sind mit dem Flugzeug nicht vertraut und bräuchte wie bei anderen westlichen Systemen zunächst eine längere Ausbildung. Zudem sei eine Umschulung alles andere als einfach: „Der Umstieg für die Piloten ist deutlich komplizierter als vom T-72-Panzer auf den Leopard.“

Trotzdem sei eine zeitnahe Entscheidung bei dem Kampfflugzeug sinnvoll, betont der Militärexperte. Denn mittel- und langfristig werde die Ukraine ihre Luftwaffe wohl auf westliche Systeme umrüsten müssen. Denn wie viele Kampfjets aus sowjetischer Produktion nach der Offensive noch übrig sein werden, wisse aktuell niemand.

Apr. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Vor 170 Jahren marschierte die Revolution durch Südbaden. Aus verschiedenen Richtungen und mit verschiedenen Routen zogen die Kolonnen unter der Führung von Friedrich Hecker, Gustav Struve sowie Emma und Georg Herwegh im April 1848 an den Hochrhein. Warum das Militär die Bewegung blutig niederschlug, erfahren Sie hier.
 nach Barrikadenkämpfen am 18./19. März 1848 in der Breiten Straße in Berlin.

In ganz Europa wackelten vor 170 Jahren die Throne. Von Sizilien bis Schleswig, von Paris bis Budapest ging das Volk auf die Barrikaden. Eine der Hochburgen der deutschen Demokraten war Baden, das Nachbarland Frankreichs und der Schweiz, damals Europas einzige Republiken. In Baden gehörten der Hochrhein und der Südschwarzwald zu den Hauptschauplätzen der Revolution. Im April 1848 machten plötzlich Orte wie Lottstetten, Bernau oder Steinen deutsche Geschichte.

Volksherrschaft schien überall möglich, seit die Franzosen am 22. Februar 1848 ihren König Louis Philippe gestürzt und die zweite Republik ausgerufen hatten. Die Menschen tanzten ausgelassen auf den Straßen und sangen die Marseillaise.

Überall in Deutschland wurden Volks- und Vaterlandsvereine gegründet, Gesangs- und Turnvereine. Viktor von Scheffel berichtet, die Volksversammlungen seien „in Form von einer Art Sonntagsvergnügen“ gewesen, wo auch derjenige, dem die Politik „ungeheuer egal“ war, die Gewissheit gehabt habe, „sich an einem frischen Trunk in frischer Gesellschaft laben zu können“.

Umsturz und „Fürstenjagd“

Doch die Revolution war mehr als politischer Karneval. In vielen Teilen Deutschlands litten Arbeiter und Tagelöhner nicht nur Armut sondern Hunger. Missernten und Abgaben bedrängten die Bauern. Die Forderung nach Umsturz fand offene Ohren. Lieder wie die „Fürstenjagd“ erklangen: „Hallo zum wilden Jagen auf jedes Kronentier! Seht es beginnet schon zu tagen im ganzen Jagdrevier! Herab du treue Büchse von stiller Hüttenwand! Zum Schuss auf Fürstenfüchse, im großen Vaterland!“

Die deutschen Könige und Fürsten machten Zugeständnisse. In Frankfurt trat sogar eine provisorische Nationalversammlung zusammen. Doch bei der Frage konstitutionelle Monarchie oder Republik setzten sich die Gemäßigten durch. Dies verbitterte die Demokraten, die in Baden besonders stark waren.

In Offenburg und Freiburg bejubelten Ende März 1848 über 30 000 Menschen die Forderungen der radikalen Demokraten Friedrich Hecker und Gustav Struve. Sie wollten die Fürstenherrschaft in 34 souveränen Staaten durch die Volksherrschaft in einer deutschen Republik ersetzen. Und wenn dieses Ziel nicht über das Parlament erreichbar war, dann eben durch Revolution.

Friedrich Hecker ruft zur Erhebung auf

Der Volksaufstand sollte im Seekreis beginnen, wo die Demokraten besonders viele Anhänger hatten. Am 11. April 1848 traf Hecker in Konstanz ein und rief zur Erhebung auf: „Sieg oder Tod für die deutsche Republik!“ Doch statt der erwarteten Tausende marschierten am 13. April nur 48 Bewaffnete mit Hecker durchs Stadttor. Die badische Hauptstadt Karlsruhe war ihr Ziel.

Auf Volksversammlungen warben Hecker und Struve für die Revolution. Kurz vor Donaueschingen zählte ihre Streitkraft 1000 mit Jagdflinten und Musketen, oft aber nur mit Sensen bewaffnete Kämpfer. Aus Konstanz rückte am 15. April Franz Sigel, ein ehemaliger Leutnant, mit 250 Mann Bürgerwehr nach.

In Lottstetten brach am 16. April der „Engel“-Wirt Joseph Weißhaar mit einer Truppe Klettgauer Bauern auf. Und bei Straßburg wartete jenseits der Grenze die Demokratische Legion, 700 exilierte Deutsche und andere Europäer mit dem Dichter Georg Herwegh und dessen Frau Emma an der Spitze.

Großherzog von Baden fordert militärische Unterstützung aus dem Ausland

Gegen die revolutionäre Gefahr forderte der Großherzog von Baden beim Deutschen Bund militärische Unterstützung aus den Nachbarländern an. Badische und hessische Einheiten wurden auf der 1840 begonnenen und damals von Mannheim bis Schliengen fertiggestellten Bahnstrecke nach Süden verlegt. Von Osten überquerten bei Villingen württembergische Truppen die Grenze und waren Richtung Donaueschingen im Anmarsch.

Der bei Pfohren stehende Hecker-Zug wich dem überlegenen Militär südwärts über den Randen ins Wutachtal aus. „Schnee bedeckte Sonntag den 16. April Berge und die Thäler“, erinnerte sich Hecker, „die Stimmung war gedrückt, viele bekamen Durchfall und wurden auf Wagen nachgeführt.“ Von Stühlingen wollten die Demokraten zunächst über Bonndorf und Lenzirch Freiburg erreichen.

Doch weil ein feindliches Truppenaufgebot das Höllental blockierte, schwenkten sie über Schluchsee, Aha und Menzenschwand nach Bernau. Hier erhielten sie nicht nur Nachtquartier und Essen, sondern auch 17 Gewehre, die die Bernauer aus der Waffenfabrik St. Blasien entwendet hatten. Verstärkt durch 200 Mann Bernauer Bürgerwehr zogen sie weiter über Präg nach Schönau und dem Fluss Wiese entlang südwärts.

Rückzug auf den Bergpass Scheideck

Hecker wollte sich mit den anderen Kolonnen zusammenschließen. Doch statt Weißhaar und Sigel erwarteten ihn bei Kandern 2200 hessische und badische Soldaten. Die 1200 Freischärler zogen sich am 20. April auf den Bergpass Scheideck zurück. Das Militär rückte unter dem Kommando des Generals Friedrich von Gagern nach.

Die Republikaner versuchten die Soldaten zum Überlaufen zu bewegen: „Kein Bürgerblut vergießen, ihr seid unsere Brüder, es lebe die Freiheit, tretet ein in unsere Reihen!“ Doch Gagern ließ schießen. Beim anschließenden Gefecht fielen er, 50 Soldaten und elf Freischärler. Doch die militärisch kaum geübten Revolutionäre hielten dem Angriff nicht stand, flüchteten oder wurden versprengt.

Nur wenige Kilometer vom Kampfort entfernt standen 800 Freischärler unter Führung von Josef Weißhaar und Gustav Struve. Sie waren drei Tage zuvor von Lottstetten über Jestetten, Dettighofen, Grießen, Lauchringen und Waldshut gezogen. „Am 19. rückte die Colonne über Kleinlaufenburg und Säckingen, an welchen Orten Gustav Struve Anreden an das Volk hielt und die öffentlichen Kassen mit Beschlag belegten, nach Nollingen“, berichtete Struve. Die Schar erfuhr bei Steinen von Heckers Niederlage. Als von der Scheideck Soldaten anrückten, zogen die Freischärler sich nach einer kurzen Unterhandlung nach Rheinfelden in die Schweiz zurück. Dort wurden ihnen die Waffen abgenommen.

Marsch auf Freiburg

Am selben Tag brach in St. Blasien die Kolonne Sigels nach Todtnau auf und marschierte entlang der Wiese südwärts. Bei Schopfheim traf der Zug auf Reste von Heckers Truppe. Verstärkt durch diese Versprengten und andere Zuzügler machte Sigel kehrt und marschierte mit 4000 Mann auf das von Militär bedrohte aufständische Freiburg. Am 23. April erreichten sie den Gießhübel bei Horben. Eine Richtung Freiburg entsandte Freischärlerabteilung unterlag bei Günterstal den Regierungstruppen. Sigel versuchte am 24. April nochmals mit rund 400 Mann Freiburg zu erreichen. Doch auch er wurde geschlagen. Die Stadt fiel.

Davon wusste Herwegh nichts, der mit 700 Männern am 24. April bei Kleinkems auf die badische Rheinseite übersetzte. „Die erste Nachricht, die wir nach dem Übergange erhielten, war die von dem tags zuvor bei Kandern vorgefallenen unglücklichen Gefecht“, so einer der Kämpfer. Nun wollte die Legion zu Sigel stoßen. Als die Freischärler am 25.April in Wieden von dessen Niederlage erfuhren, beschlossen sie den Rückzug nach Süden in die Schweiz. Am Morgen des 27. April begegneten sie nach durchmarschierter Nacht bei Dossenbach kurz vor der rettenden Grenze einer Abteilung von 300 Württembergern. Das Gefecht wurde zum Gemetzel. 30 Aufständische starben. Die Revolution am Hochrhein war zu Ende. Vorerst.

Lebenswege nach der Revolution

  • Friedrich Hecker (1811 – 1881) rettete sich nach dem verlorenen Gefecht auf der Scheideck in die Schweiz. Im Juni wählten die Wahlmänner von Tiengen den in Muttenz bei Basel lebenden Exilanten ins Paulskirchen-Parlament. Die großherzogliche Regierung erklärte die Wahl des wegen Hochverrats Angeklagten für ungültig. Die Tiengener wählten Hecker im Oktober nochmals, da war er bereits in die USA emigriert. Im Mai 1849 rief ihn die badische Revolutionsregierung zurück, doch Hecker traf zu spät in Europa ein. Ab 1850 lebte er als Farmer im US-Staat Illinois. Im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfte er für die Union.
  • Gustav Struve (1805 – 1870) wurde nach der Niederlage auf der Scheideck in Säckingen beim Übertritt in die Schweiz gefasst. Gesinnungsgenossen pressten ihn frei. Von der Schweiz aus schlug sich Struve zur Kolonne Sigels nach Horben durch. Nach Sigels Niederlage flüchtete er über Murg erneut in die Schweiz. Mit 50 Freischärlern fiel er schon im September von Basel aus in Lörrach ein und proklamierte die Deutsche Republik. Nach Niederschlagung des Aufstands wurde Struve auf der Flucht in Wehr gefasst und wegen Hochverrats verurteilt. Bei der Revolution im Mai 1849 kam er frei. Nach deren endgültiger Niederlage emigrierte Struve in die Schweiz, nach England und 1851 in die USA. Im amerikanischen Bürgerkrieg war er Offizier der Union. Nach seiner Amnestierung zog er 1863 nach Coburg und 1869 nach Wien. Struve engagierte sich bei der Demokratischen Volkspartei und für den Vegetarismus.
  • Emma Herwegh (1817 – 1904) und Georg Herwegh (1817 – 1875) entgingen bei Dossenbach dem Tod durch Hilfe eines Gastwirts aus Karsau. Er schickte die beiden zur Tarnung in Arbeitskleidern aufs Feld und transportierte sie abends auf einem Mistwagen nach Rheinfelden in die Schweiz. 1851 bis 1866 lebten die Herweghs in Zürich. 1863 war Georg Herwegh für den Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins aktiv. Nach einer Amnestie zogen beide 1866 nach Baden-Baden. 1869 trat Georg Herwegh der Sozialdemokratischen Partei bei.

Apr. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Zentrale Anliegen der Aufstandsbewegungen waren die Schaffung von Nationalstaaten sowie die Veränderung der dynastischen Herrschaftssysteme und der sozialen Ordnung.

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Apr. 2023 | Allgemein, Essay, Junge Rundschau, Zeitgeschehen | Kommentieren

Polemiker, Unruhestifter und die Unruhe überhaupt haben hierzulande einen denkbar schlechten Ruf. Zu Unrecht meinen wir, denn Unruhestifter – womit wir nicht Neinsager auf  Teufel komm raus meinen – haben dafür gesorgt, dass demokratische Strukturen eingeführt oder verbessert wurden, ihr Unruhegeist gelte uns als demokratisches Elixier! (mehr …)

Apr. 2023 | Allgemein, Essay, Feuilleton, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Zeitgeschehen | Kommentieren

Sie verschaffen sich über den Scheinwerfer Zugang zum Fahrzeug und können es unbemerkt entwenden, wie ein Fall in London zeigt. Dahinter steckt eine ausgeklügelte Masch

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Apr. 2023 | Allgemein, Senioren, Zeitgeschehen, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren

Speditionen suchen verzweifelt Lkw-Fahrer. Udo Skoppeck ist seit über 40 Jahren Berufskraftfahrer und erzählt, warum er bei Amazon seine Verdi-Weste trägt und wie der vorgeblich unattraktive Arbeitsplatz wirklich ist. Deutschland fehlen Kraftfahrer: Bei Lkw- und Busfahrern ist der Anteil älterer Erwerbstätiger besonders hoch – und wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. 36 Prozent der Erwerbstätigen sind 55 Jahre oder älter, wie der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen jüngst mitteilte. Zur Einordnung: Im Branchenschnitt liegt der Wert bei 25 Prozent. Zusätzlich fehlt der Nachwuchs: Der Anteil der Einsteiger unter 25 Jahren beträgt lediglich 3 Prozent, während er über alle Branchen hinweg bei 10 Prozent liegt.

 

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Apr. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Ein Whistleblower hat tausende Seiten geheimer Dokumente der Moskauer IT-Firma NTC Vulkan nach außen gespielt. Sie bieten erstmals tiefe Einblicke in das Innere des russischen Cyberkriegs

Die Vulkan-Files geben zum ersten Mal einen Einblick in den militärisch-industriellen Komplex rund um Russlands Hacking-Aktivitäten.
Foto: Vulkan Files Foto: 2 Imago, AP Collage: derStandard / Friesenbichler

Wenige Tage nach Kriegsbeginn meldet sich der Whistleblower zum ersten Mal. „Ich bin wütend über die Invasion der Ukraine und die schrecklichen Dinge, die dort geschehen“, schreibt er. Russische Panzer rücken gerade weiter in Richtung Kiew vor, etliche Städte sind bereits in russischer Hand, hunderte Raketen sind schon auf ukrainischem Staatsgebiet eingeschlagen. Die Lage scheint aussichtslos, hunderttausende Menschen flüchten, im Gepäck der russischen Invasoren sind derweil angeblich sogar die Paradeuniformen für die erwartete Siegesparade in Kiew.

Morgensport

In dieser Zeit also fasst jemand einen folgenreichen Entschluss und übermittelt strenggeheime Dokumente, die den bislang tiefsten Einblick in den russischen Cyberkrieg bieten. Es geht um eine Tarnoperation, um Russlands Krieg im Netz – und da vor allem um eine Firma, die russische NTC Vulkan mit Sitz in Moskau. „Das Unternehmen tut falsche Dinge, und die russische Regierung ist feige und im Unrecht“, schreibt der Whistleblower. Die Menschen sollten wissen, welche Gefahren das birgt: „Ich hoffe, dass Sie diese Informationen nutzen können, um zu zeigen, was hinter verschlossenen Türen geschieht.“

Die Vulkan-Files sind Dokumente aus dem Inneren der russischen Cyberkriegsführung und Überwachung. Mehr als 50 Journalisten aus acht Ländern haben die Daten monatelang ausgewertet
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Wer auch immer diese Dokumente weitergegeben hat, hat sich damit allerdings selbst in Lebensgefahr gebracht. In Putins Russland gibt es für Verräter – und als solcher wird der Whistleblower unweigerlich gelten – keine Gnade. „Sollte die Person aus Russland kommen, hat sie hoffentlich mittlerweile das Land verlassen“, sagt der russische Geheimdienstexperte Andrej Soldatow. „Was sie getan hat, ist extrem gefährlich.“ Auch deswegen ist die Quelle äußerst vorsichtig, hinterlässt keinen Namen, kein Geschlecht, keine Nationalität. Die erwähnte Firma NTC Vulkan gibt dieser Recherche einen Namen: die Vulkan-Files.

Die erste Nachricht der Quelle war im anonymen Hinweisgebersystem der „Süddeutschen Zeitung“ gelandet. Der Journalist, der mit dem Whistleblower damals Kontakt aufnahm, ist Hannes Munzinger, der heute für den STANDARD, das ZDF, den „Spiegel“ und die Schweizer Tamedia-Gruppe arbeitet. Das Münchner Investigativ-Start-up Paper Trail Media und der „Spiegel“ koordinierten anschließend eine weltweite Recherche, an der sich elf Medienhäuser aus acht Ländern beteiligten, darunter neben dem STANDARD die „Washington Post“, „Le Monde“ in Frankreich, das ZDF und der britische „Guardian“.

Tools zur digitalen Kriegsführung

Ein Beispiel aus den geleakten Dokumenten. Hier wird ein Subsystem zur „Vorbereitung von speziellen Materialien“ vorgestellt. Dessen Aufgabe ist die massenhafte Verbreitung von Falschinformationen. Weiter unten sind auch konkrete Tipps für zu verwendende Tools zu finden, die allerdings recht unaufregend sind und etwa LibreOffice oder auch Adobe Photoshop enthalten.

So beginnt im Frühjahr 2022 die bislang wohl detaillierteste journalistische Recherche zu Russlands Krieg im Netz – basierend auf tausenden Seiten geheimer Dokumente, die von mehreren westlichen Geheimdiensten als authentisch eingestuft wurden. Diese Dokumente und hunderte E-Mails – die Vulkan-Files – enthüllen, wie Russland Fähigkeiten ausbildet und Ressourcen einsetzt, um gezielt Falschinformationen verbreiten, ganze Regionen vom Internet abschneiden und Millionen Menschen überwachen zu können.Bei alldem sollen die Hacker der Firma Vulkan behilflich sein. Die aus deren Bestand geleakten Dokumente beschreiben eine Reihe von Softwareprogrammen und -konzepten mit Namen wie Fraction, Edison, Crystal-2V, Amezit oder Scan-V. Darunter sind Programme, deren maßgebliche Komponenten von Expertinnen und Experten als offensiv eingeschätzt werden – also geeignet zur Vorbereitung von Cyberangriffen. Die Vulkan-Files datieren auf die Jahre 2016 bis 2021. Ob die in dieser Phase entwickelten Programme letztendlich teilweise oder zur Gänze eingesetzt wurden oder in Schubladen geendet sind, lässt sich nicht endgültig klären. Dass sie nicht nur konzipiert, sondern entwickelt, getestet und präsentiert wurden, ergibt sich aus den geleakten E-Mails und Aussagen ehemaliger Vulkan-Mitarbeiter. Zudem beobachteten IT-Experten mit Russland-Fokus in den vergangenen Jahren immer wieder Vorgänge, die sich mit den in den Unterlagen beschriebenen Einsatzszenarien in Einklang bringen lassen.

Auf eine ausführliche Anfrage des Recherchekonsortiums ließ die Firma Vulkan mitteilen, sich nur zu melden, wenn die Fragen von Interesse seien – dies war bis zum Redaktionsschluss offenkundig nicht der Fall. Der Kreml wollte sich gleich gar nicht äußern.

In über 17.000 Überweisungsvorgängen der Firma NTC Vulkan, die dem Rechercheteam in der Folge zugespielt wurden, finden sich eindeutige Belege für diese Programme. Demnach erhielt Vulkan ratenweise Zahlungen in Höhe von mehreren Millionen Euro, in deren Betreff dezidiert die Namen der Programme zu finden sind. Die Zahlungen wiesen Institute an, die eng mit Geheimdiensten und dem Militär verbunden sind.

Überwachen und zensurieren

Wer sich durch die durchwegs in Russisch und in Fachduktus gehaltenen Unterlagen arbeitet, erkennt das Bild eines Staates, der in vier Bereichen massiv aufrüsten will. Erstens sollen Desinformationskampagnen erleichtert werden, indem die Sicherheitsvorkehrungen von Instagram, Facebook, Twitter und Co umgangen werden, um Unmengen von Fake-Profilen in sozialen Netzwerken zu erschaffen. Zweitens soll der Internetverkehr bestimmter Regionen umgeleitet und damit der Zugang zu Internetseiten zensuriert werden. Eine Praxis, die offenbar in Teilen der Ukraine, vor allem auf der besetzten Krim – wo NTC Vulkan eine Filiale unterhält -, nach Aussagen von Experten schon zu beobachten ist.

Drittens sollen Internetnutzer überwacht werden, etwa auf Facebook und Twitter, aber auch bei russischen Netzwerken wie Vkontakte und Odnoklassniki. Es ist „ein System“, so steht es in den Vulkan-Files, „um Aktionen in sozialen Netzwerken zu monitoren und zu identifizieren“. Ein Firmeninsider schildert detailreich, wie dafür Daten vor allem aus sozialen Medien gesammelt, analysiert und visualisiert wurden – offenbar im Auftrag des Inlandsgeheimdiensts FSB. Dieses Tool richtet sich laut dem Insider etwa gegen Menschen, die Proteste planen, mit kritischen Berichten ein größeres Publikum erreichen und dem Kreml so gefährlich werden könnten.

Bei diesen Bildern handelt es sich zwar nur um Mock-ups und keine realen Ziele, im Zusammenspiel mit den Ambitionen, kritische Infrastruktur anzugreifen, fällt trotzdem auf, dass ein Atomkraftwerk in der Schweiz als Beispiel genommen wird.
Grafik: Vulkan-Files

Viertens – und dies ist der wohl gefährlichste Part – sollen gezielt Schwachstellen in der Infrastruktur feindlicher Staaten aufgespürt werden, um staatliche Hackerangriffe zu erleichtern. So zeigt ein Schaubild unter anderem das mittlerweile stillgelegte Atomkraftwerk Mühleberg in der Schweiz. Ausgerechnet bei diesem AKW hatten Experten zuvor Sicherheitslücken festgestellt. Ein andermal wird in den Dokumenten das Schweizer Außenministerium genannt, eine Markierung deutet auf jene Gegend hin, wo die ukrainische Botschaft in Bern ihren Sitz hat.

Angriffe auf Infrastruktur

Mit überwältigender Wahrscheinlichkeit sind alle drei Ziele lediglich Platzhalter für Ziele, die von höherer Stelle festzulegen wären. Einiges spricht allerdings dafür, dass diese den Platzhalterzielen ähneln könnten – auch weil es an anderen Stellen in den Vulkan-Files um Angriffe auf Zuglinien, Flughäfen und weitere wichtige Infrastruktur geht.

„Das ist die Architektur von Russlands neuem Cyberkrieg“, so beschreibt die ukrainische Sicherheitsforscherin Marina Krotofil, der der STANDARD ausgewählte Dokumente aus den Vulkan-Files zur Prüfung vorgelegt hat, die Informationen aus dem Leak.

Um die Erklärungen des Whistleblowers, die Dokumente, die E-Mails und Überweisungsdaten unabhängig bestätigen zu können, kontaktierte das Vulkan-Files-Team aktuelle und ehemalige Vulkan-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in zahlreichen Ländern. Die Kontaktaufnahme erfolgte in den meisten Fällen per Telefon oder E-Mail, insbesondere in Russland. Das Rechercheteam konnte aber auch etliche vormalige Vulkan-Mitarbeiter, die das Land inzwischen verlassen haben, persönlich ausfindig machen. In einer Reihe von Gesprächen bestätigten ehemalige Vulkan-Leute Kernaussagen aus den Dokumenten. Ein Ex-Mitarbeiter sprach insbesondere von engen Verbindungen der Firma zu den russischen Geheimdiensten.

Schon seit einigen Jahren beobachtet die Fachwelt, wie Russland immer weiter für den Krieg im Netz aufrüstet. Zudem scheint Putins Regierung kaum Hemmungen zu kennen, ihre Cyberwaffen tatsächlich auch einzusetzen. Russischen Hackern werden eine ganze Reihe von Angriffen zugeschrieben: auf die Olympischen Winterspiele in Südkorea etwa, aber auch auf das österreichische Außenministerium oder den deutschen Bundestag. „Russland ist in unseren Netzen“, warnte daher unlängst der Vizepräsident des deutschen Bundesnachrichtendiensts (BND).

Besonders häufig geriet die Ukraine ins Visier. Die Angriffe hatten teils dramatische Folgen, einmal mussten sogar Elektrizitätswerke vom Netz genommen werden, Daten des Finanzministeriums verschwanden, und die Netzwerke von hunderten Behörden, Banken, Flughäfen und Ministerien wurden zerstört. Sogar das System zur Messung der Radioaktivität im AKW Tschernobyl war betroffen.

Dann kommt der 24. Februar 2022: der von Putin befohlene Überfall auf die Ukraine.

Von Beginn an attackiert Russland die Ukraine auch digital. Der US-Cyberexperte John Bateman spricht von der „größten Salve zerstörerischer Cyberattacken, die die Welt je gesehen hat“. Die ukrainische Regierung zählte allein 2022 hunderte Angriffe etwa auf den Energie-, den Telekom- und den Finanzsektor.

Nicht immer lässt sich genau sagen, wer die Angreifer sind. Russlands Cyberkrieger sitzen im Inlandsgeheimdienst FSB, dem Militärgeheimdienst GRU, dem Auslandsgeheimdienst SWR, aber auch in der Präsidialverwaltung: dem Kreml. Hinzu kommen dutzende Privatfirmen, an die Militär und Geheimdienste outsourcen. Es ist ein gängiges Modell, ähnlich wie in den USA.

Auch der Whistleblower Edward Snowden – der die Überwachungsexzesse des US-Abhördiensts NSA öffentlich machte – war streng genommen gar kein NSA-Whistleblower. Snowden arbeitete für den privaten Dienstleister Booz Allen Hamilton, der seinerseits der NSA zuarbeitete. Analog dazu arbeiten auch in Russland eine Reihe privater Firmen wie NTC Vulkan den staatlichen Diensten zu. Etliche dieser Firmen – darunter auch Geschäftspartner von Vulkan – hat die US-Regierung sanktioniert, Vulkan selbst allerdings noch nicht.

„Die Welt zum Besseren verändern“

Wer sich aufmacht, NTC Vulkan zu suchen, findet das Unternehmen in einem mehrstöckigen grauen Bürogebäude im Nordosten Moskaus, im Bezirk Sokolinaja Gora. Insgesamt arbeiten etwa 135 Personen für die Firma, in einem Internetvideo wirbt Vulkan um neue Mitarbeiter und lässt dabei eine moderne Atmosphäre entstehen – junges Team, Sportangebote, Segelausflüge. Garniert wird das Video mit dem Claim „Das Bedürfnis, diese Welt zum Besseren zu verändern“.

Dass Vulkan die Welt tatsächlich zu einer besseren macht, daran glaubt außerhalb von Putins Reich vermutlich kaum jemand. Zwar bedient die 2010 von zwei Männern mit auffälliger Nähe zu Geheimdiensten gegründete Firma auch militärisch eher unverdächtige Kunden wie die Moskauer Börse und die Sberbank, aber häufig sind die Auftraggeber eben Militäreinheiten und Forschungszentren – Letztere dienen in Russland oft als Tarnung für Geheimdienste. Ein europäischer Geheimdienstler präzisiert, Vulkan „ermöglicht dem GRU seine Cyberoperationen“ und arbeite schon seit 2013 mit dem Militärgeheimdienst.

Tatsächlich findet sich in den Vulkan-Files auch E-Mail-Kommunikation von mehreren Vulkan-Mitarbeitern über einen Arbeitsbesuch in Chimki, einem Vorort von Moskau. Dort sollen sie eine eigene Software installieren, testen und präsentieren. Die Beschreibung dieser Software in den Vulkan-Files bewerten Experten als „offensiv“. Ebendort, also in Chimki, befindet sich der „Turm“, ein Wolkenkratzer mit gewölbter Glasfassade, der nach einhelliger Meinung von IT-Experten und Nachrichtendiensten die Zentrale einer der gefährlichsten Cybereinheiten beherbergt, die für den russischen Militärgeheimdienst GRU arbeiten: einer Gruppe, die unter dem Label Sandworm bekannt wurde.

Die Spur zu Sandworm

Über die Verbindung der Sandworm-Hacker zu Vulkan hatte bereits 2020 ein anonymer Twitter-Account berichtet – wenn auch ohne Belege zu präsentieren. Diese liefern nun erstmals die Vulkan-Files: Auf einem geleakten Softwareprotokoll prangt links oben die „Genehmigung“ eines Militärvertreters der Einheit 74455 – der internen Identifikationsnummer der Sandworm-Einheit. „Die Nummer einer solchen Einheit wird nicht einfach so auf ein Dokument gesetzt“, sagt ein Mitarbeiter eines westlichen Geheimdiensts im Gespräch mit dem STANDARD. Erst im Jänner entdeckten Sicherheitsforscher einen erneuten Cyberangriff auf die Ukraine, der Sandworm alias GRU-Einheit 74455 zugeschrieben wird.

Der für die Cyberabwehr zuständige ukrainische Regierungsbeamte Wiktor Schora bestätigte im Gespräch mit dem STANDARD, dass die ukrainische Regierung das Unternehmen im Blick habe.

Auch eine Reihe von großen internationalen IT-Sicherheitsfirmen kennen Vulkan, einzelne haben die Firma sogar schon seit 2012 auf dem Radar. Damals ist das Unternehmen Experten von Google in Zusammenhang mit einem Angriff von Cozy Bear aufgefallen, einer Hackinggruppe, die wohl zum Auslandsgeheimdienst SWR gehört. Cozy Bear ist eine der beiden russischen Gruppen, die sich kurz vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 in das Netzwerk von Hillary Clintons Demokratischer Partei gehackt haben sollen – und Donald Trump damit womöglich zum Wahlsieg verhalfen.

Wer in den Wochen vor der Veröffentlichung der Vulkan-Files auf den gängigen professionellen Plattformen wie Linkedin nach ehemaligen Vulkan-Leuten suchte, konnte nach den Kontaktversuchen des internationalen Rechercheteams eine schleichende Dezimierung feststellen: Aus immer mehr Lebensläufen ehemaliger Mitarbeiter verschwand die Firma nach und nach.

Der Whistleblower, der die Vulkan-Files aus dem Verborgenen holte, hat einen vermutlich weitergehenden Schritt getan. Er – oder sie – brach nach einiger Zeit den Kontakt zu den Journalisten ab – mit der Ankündigung, er werde untertauchen. Er werde leben „wie ein Geist“. (Sophia Baumann, Christo Buschek, Maria Christoph, Max Hoppenstedt, Carina Huppertz, Dajana Kollig, Hannes Munzinger, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Marcel Rosenbach, Hakan Tanriverdi, 30.3.2023)

Apr. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Es war einmal – es war einmal ein Verfassungsschutzpräsident der im Gespräch vor einer Zunahme russischer Spionageaktivitäten in Deutschland warnte. Seine Behörde geht davon aus, Russland werde dabei auch vermehrt auf Cyberangriffe setzen – für Spionage und Sabotage.
Alsdann, … und „russische Geheimdienste könnten in Deutschland künftig aktiver werden“ – das jedenfalls sagte der „Oberste Verfassungsschützer“ Thomas Haldenwang dem ARD-Politikmagazin Kontraste: „Russland wird alle Methoden nutzen, um seinen Einfluss zu vergrößern, um Erkenntnisse zu gewinnen und um sich Produkte zu beschaffen, die es für seine Rüstung braucht.“ Daher sei damit zu rechnen, dass es seine Spionageaktivitäten ausweiten werde. „Darauf müssen wir eingestellt sein“, so Haldenwang. „Wir befinden uns auf einem Niveau wie zu Zeiten des Kalten Krieges.“

 

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Apr. 2023 | Allgemein, In vino veritas, Politik, Wirtschaft, Zeitgeschehen | Kommentieren

Mit „Take On Me“ hat die norwegische Band (Morten Harket, Magne ­Furuholmen, Pål Waaktaar-Savoy) eine bis heute erfolgreiche Achtzigerhymne geschaffen. Der Film von Thomas Robsahm lässt die drei Musiker selbst ihre Geschichte erzählen

Exakt vier Wochen brauchen a-ha, um von null auf eins zu kommen: Am 14. Oktober 1985 hat das Video zum Song „Take On Me“ Premiere in der Musik­sendung „­Formel Eins“. Zehn Tage später posiert der Sänger der Band, Morten ­Harket, zum ersten Mal auf dem Cover der Bravo. Und am 11. November erklimmen die Norweger mit ihrer Debüt-Single die Spitze der deutschen Charts. Sie verdrängen dort „Cheri Cheri Lady“ von ­Dieter ­Bohlen und ­Thomas ­Anders, aka Modern Talking. Willkommen in den 1980ern: einem Jahrzehnt, in dem junge Leute in bunt bedruckten Zeitschriften blätterten, statt durch Instagram und TikTok zu scrollen (mehr …)

Apr. 2023 | Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau | Kommentieren

Februar 1886 in einem Dorf nahe Prag. Ein Monsieur aus Paris im mittleren Alter hat sich hier eingefunden, ein gewisser Herr de Saint-Saëns. Im Dorf ahnt niemand, dass er eigentlich ein berühmter Pianist ist, der auf großer Konzerttournee in Deutschland weilen sollte. Doch sämtliche Konzerte wurden abgesagt, nachdem er im Januar 1886 während eines Konzerts in Berlin deutschfeindliche Äußerungen von sich gegeben habe und das Gerücht kursiert, Monsieur habe sich am Pariser „Lohengrin-Boykott“ beteiligt. Wie auch immer: Nach ein paar Konzerten in der Donaumonarchie zieht sich Saint-Saëns – der eigentlich auf den Namen eines Mönches, des Heiligen Sidonius (Sanctus Sidonius heißt: Saint Saëns) hört – gekränkt für einige Tage zurück. Fern von allem und dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, erlaubt sich der gestrenge und gelehrte Herr mit dem Bart nun einen tierischen Jux: eine „große zoologische Fantasie“, den „Karneval der Tiere“ – eine Kammerorchester-Suite, die er auf der privaten Karnevalsfeier in Paris beim Cellisten ­Charles ­Joseph ­Lebouc, zu der er im März 1886 geladen ist, zum ersten Mal aufführen will.

Er ist gespannt, was die Menschen diesmal sagen werden. Denn auch zu Hause, in Paris, ist er nicht populär. Er kreiere „unverständliche Zukunftsmusik“, hatten ihm Kritiker noch 1872 vorgeworfen, „algebraische Formeln ohne jegliches Gefühl“. Ein „talentloser Autor“ sei Saint-Saëns, schimpft der Schriftsteller ­Octave ­Mirbeau, „gestrandet am Ufer der ewigen Minderwertigkeit, aus der er sich nicht erheben vermag; dieser groteske Zwerg, der seine Mittelmäßigkeit unbedingt aller Welt zur Schau stellen will!?“ Saint-Saëns’ mehr als 600 Werke, darunter Kammerkonzerte und Oratorien, Opern, Ballette, will man nicht aufführen, weil Opern- und Konzerthaus-­Direktoren besonders in Frankreich leere Häuser befürchten. Eines aber streiten ihm selbst die größten Gegner nicht ab: seine universelle Bildung, die Vielfalt seiner künstlerischen und wissenschaftlichen Interessen, die er als wortgewaltiger Literat, Naturwissenschaftler, Musikwissenschaftler, Philosoph und Archäologe unter Beweis stellt.

Der Karneval der Tiere: Ein Musikstück erzählt

Bereits im Alter von sieben hat ­Camille lateinische und griechische Texte übersetzt und mit 18 Jahren seine erste Symphonie präsentiert. „Du bist weit über dein Alter hinaus“, sagt der Komponist ­Charles ­Gounod und ermahnt ihn: „Mach’ weiter so, aber vergiss nie, dass du mit dieser Aufführung die Verantwortung übernommen hast, ein großer Meister zu werden.“ Er wird es in jederlei Hinsicht und gilt bald als ausgezeichneter Pianist und Dirigent, der die Werke ­Beethovens, ­Schumanns und ­Wagners gegen die Vorurteile des französischen Publikums durchsetzt. Dazu als Meister der Orgelimprovisation an der Église de la ­Madeleine, die einst Napoleon erbauen ließ. Und als Meister der Parodie, wie nur seine Schüler, unter ihnen ­Gabriel ­Fauré, an der École ­Niedermeyer wissen und wie sich in seiner Spottkomposition „Karneval der Tiere“ nun einmal mehr zeigt.

Saint-Saëns, der Unergründliche

Die 14 kleinen Musiken der Suite als harmloses Salonstück oder gar nur für Kinder zu spielen, heißt, die böse Satire zu verkennen. Neben den mit Instrumenten imitierten Tierstimmen – wie Hühnergackern, Eselsgeschrei und Kuckucksrufe – bekommt so manche zeitgenössische Gestalt ihr Fett ab. ­Jacques ­Offenbach etwa. Eine „Komponier-Maschine“, so nennt ihn Saint-Säens verächtlich und nimmt sich dessen berühmten Cancan aus „Orpheus in der Unterwelt“ vor. Statt kreischender Tänzerinnen, die juchzend ihre Beine zu schmissiger Musik hochreißen, schleichen in „Karneval der Tiere“ lahme Schildkröten im Zeitlupentempo dahin. Ein Elefant trampelt – im Takt wohlbemerkt – zum lieblich säuselnden Sylphen-­Tanz und fährt mit schwerem Tanzbein durch die leichte Stimmung zwischen Puck und den Elfen in Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Musik. Saint-Saëns, der bei der Uraufführung am Klavier saß, beweist aber auch Sinn für Selbstironie. Im elften Satz des Stückes zeigt er, dass Pianisten nichts weiter als eine „Tierart“ sind, die stupide Tonleitern auf und ab spielen. Komponisten wie er gehören laut dem zwölften Satz zu den Fossilien, weshalb er das „Gebein-Motiv“ aus seiner symphonischen Dichtung „Danse macabre“ von 1876 zitiert, auf das die Knochen zu „hölzernem (Xylofon)-Gelächter“ ordentlich klappern. Dazu das Kinderlied „Ah! vous dirai-je maman“, dessen Anfangstakte Mozart zum Thema seiner Klaviervariationen (KV 265) inspirierte und eine Rossini-­Arie aus dem „Barbier von Sevilla“.

Du hast die Verantwortung […], ein großer Meister zu werden
Charles Gounod, Komponist

Musikalischer Scherzbold

Die Uraufführung von „Karneval der Tiere“ am Faschingsdienstag, dem 9. März 1886, ist ein Erfolg. Alles lacht. Doch Saint-Saëns will nicht als Scherzbold in die Musikgeschichte eingehen. Er verbietet weitere Aufführungen. Nur für die vorletzte Nummer seines „Karnevals“ macht er auf Bitten der russischen Primaballerina Anna Pawlowa eine Ausnahme und löst sie aus dem Werk. Im weißen Tellertutu und einer Kappe aus Schwanenfedern gleitet sie zu einer Cellokantilene dahin und wird weltberühmt als „Sterbender Schwan“ – und mit ihr der Komponist. 1921 stirbt Saint-Saëns in Algier. Tausende Menschen begleiten den Trauerzug, als er am 24. Dezember 1921 auf dem Cimetière Montparnasse bestattet wird. Erst nach seinem Tod wird sein „Karneval“ wieder aufgeführt und zu einem der bekanntesten Stücke des Komponisten.

Apr. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

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