Auf Bambusstelzen: das Green Women’s Centre in Darya Khan Sheikh von Yasmeen Lari (Bild)
Mal dauert ein Video 8 Minuten und 22 Sekunden, mal 5 Minuten und 55 Sekunden. Auftakt macht stets ein simples Grafikdesign. „Earth Lime Brick Making“ steht dort dann etwa in blockförmigen Lettern. Daneben ist eine Frau im bunten Sari vor den grünen Hintergrund collagiert.
Mit ihren Händen drückt sie grauen Lehm in eine Backsteinform. „Ich bin Yasmeen Lari, Architektin, und zeige euch hier, wie ihr euch kostengünstige, CO2-freie Häuser bauen könnt“, grüßt eine ältere Dame in der nächsten Szene.
Zu sehen sind diese Videos im Youtube-Kanal „Yasmeen Lari’s Zero Carbon Channel“. Die Plattform, auf der die pakistanische Architektin ihre Tutorials veröffentlicht, ist Teil einer Selbstbauinitiative nach dem Graswurzelprinzip. Lari hat sie 2005 gestartet, nachdem ein Erdbeben im Norden Pakistans viele Menschen obdachlos machte. Seither engagiert sie sich mit einem Freiwilligennetzwerk und ihrer Stiftung „Heritage Foundation of Pakistan“ dafür, die Landbevölkerung zur Selbsthilfe zu befähigen. Zehntausende erdbeben- und flutsichere Häuser sind so bereits entstanden. Die Pläne dafür liefert Lari, die Prototypen sind aus Bambus, Lehm oder Kalk. „Soziale Barfußarchitektur“ nennt sie diesen Ansatz
Szenenwechsel, ein Ausschnitt der Dokumentarfilmreihe „Rebel Architects“ von 2014: Yasmeen Lari steht etwas befremdet im opulenten Atrium des Hauptsitzes von Pakistan State Oil in Karatschi, hinter ihr sausen goldglänzende Fahrstühle geräuschlos rauf und runter. Auch dieser Bau, ein Koloss aus verspiegeltem Glas, Granit und Stahlbeton, ist ihr Werk. Sie hat ihn in den 1980er Jahren für den Ölkonzern entworfen. Geld spielte bei Dimension und Materialwahl keine Rolle, denn damals plante sie für die „1 Prozent“, wie sie es heute ausdrückt, die Wohlhabenden und Einflussreichen Pakistans. Die beiden Filmschnipsel illustrieren, welch radikale persönliche „Bauwende“ Yasmeen Lari vollzogen hat.
Aus der Stararchitektin ist eine ökologisch und sozial engagierte Bauaktivistin geworden. Lari gilt als Vorreiterin einer Architektur, die sich den Prinzipien von Degrowth und Materialökologie verpflichtet hat. Beides sind heute die richtigen Schlagworte, wo sich das Bauen angesichts des Klimawandels dringend selbst wandeln muss. Deswegen wird die über achtzigjährige Yasmeen Lari auch gerade weltweit gefeiert. 2019 erhielt sie in London den prestigereichen Jane Drew Prize, mit dem vor ihr schon Zaha Hadid oder Denise Scott Brown ausgezeichnet wurden. Das Architekturzentrum Wien widmet ihr nun eine große monografische Ausstellung, die erste weltweit. Mit Fotos, Videos und Texten zeichnet die Schau über sechs Jahrzehnte den Weg einer Frau nach, die zunächst konventionelle Architektur betrieb, um sie dann neu zu denken.
Im Jahr 1941 in eine einflussreiche Familie hineingeboren, gehört Lari zur Elite Pakistans, ihr Studium absolvierte sie Anfang der 1960er Jahre in Oxford. Als sie 1964, gerade einmal Mitte zwanzig, in Karatschi ihr Büro Lari Associates gründete, war sie die erste pakistanische Frau im Architekturberuf. Diese Tatsache gepaart mit einem starken familiären Unterstützungssystem habe dazu beigetragen, dass sie schnell hochkarätige Planungsaufträge erhielt und viele Türen offen standen: „Wenn ich mich mit gleichaltrigen Architektinnen in Europa vergleiche, dann hatten sie wahrscheinlich mehr Schwierigkeiten als ich“, sagt Lari in einem ihrer vielen Interviews. Als Lari ihre Berufslaufbahn begann, befand sich das 1947 nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft gegründete Pakistan mitten im Aufbau.
Was Architektur und Stadtplanung betraf, orientierte sich der junge Staat, der noch keine Ausbildungsinstitute besaß, an westlich geprägten Vorstellungen von Modernität und Fortschritt. Modernistische Betonbauten wie der in den 1950ern errichtete Kapitol-Komplex von Le Corbusier im indischen Chandigarh setzten den Maßstab – auch für Lari. „Le Corbusier war unser Gott“, erzählt sie über ihre Studienzeit in Europa. „In England wurden wir darauf trainiert, ein aufgeblasenes Ego zu haben und möglichst spektakuläre Bauten zu entwerfen.“
Das tat Yasmeen Lari mehrere Jahrzehnte lang. In Split-Leveln, mit abgestuften Terrassen baute auch sie in ihrer Heimat gemäß dem damaligen State of the Art. Ihr eigenes Haus, 1973 in Karatschi aus Beton und Ziegeln errichtet, gilt als wichtiges Beispiel des Brutalismus in Pakistan. Die unkonventionelle Stadtvilla mit dramatischer Geometrie in Form eines Polygons, aus dem bis zu 6 Meter lange Balkone ragen, schaffte es gar unter die 750 Architekturikonen des „Phaidon Atlas of 20th Century World Architecture“.
Doch diese Architektur der großen Gesten trägt gegenwärtig massiv zur Klimakrise bei, Yasmeen Lari zufolge ist sie nicht mehr zeitgemäß: „Was wir heute brauchen, sind keine imposanten Megastrukturen, sondern praktische Lösungen für Krisenzeiten“, sagt sie. Lösungen sieht sie in traditionellen Konstruktionstechniken und lokal verfügbaren Materialien. Architektur sollte an gegenwärtige klimatische Herausforderungen angepasst sein und von denjenigen mitentwickelt werden, die das Gebäude auch nutzen.
Die Ausstellung
Yasmeen Lari. Architektur für die Zukunft.
Architekturzentrum Wien. Bis 16. August 2023. Katalog (englisch) 39 Euro.