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Jeder Leopard-Panzer, auch die alten Leopard 1, seien besser als alle russischen Panzer, meint der frühere US-General Ben Hodges. Es komme vor allem darauf an, gut ausgebildete Mannschaften zu haben, so der Amerikaner im Interview.

 

Der frühere US-General Ben Hodges war von 2014 bis 2017 Kommandeur der US-Landstreitkräfte in Europa. Mittlerweile im Ruhestand, setzt der Deutschland- und Europakenner sich vehement für die Ukraine ein. Im Interview argumentiert er leidenschaftlich dafür, die Krim nicht außen vor zu lassen.

ntv.de: Herr Hodges, seit einem Jahr läuft der russische Angriff auf die Ukraine, die Menschen leben mit Luftangriffen, Mord, Kindesentführungen, Tod und Zerstörung. Trotzdem wirken sie entschlossen wie eh und je. Hatten Sie das erwartet?

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Ben Hodges, 64, war Generalleutnant der US Army. Er ist mit einer Deutsch-Amerikanerin verheiratet und lebt in Frankfurt am Main. Heute arbeitet er als Berater, beispielsweise für die Non-Profit-Organisation Human Rights First.

Ben Hodges: Das ist nur menschlich. Strategische Bombardierungen, also die Raketenangriffe auf Wohngebiete, Kraftwerke und Strominfrastruktur, haben noch nie als Mittel funktioniert, um die Bevölkerung zu unterwerfen – in keinem Krieg. Das hat im Zweiten Weltkrieg nicht in Großbritannien funktioniert und auch nicht in Nazi-Deutschland. In der Ukraine sehen wir das Gleiche. Die Menschen dort sind entschlossener als je zuvor, weil sie ihr Heimatland verteidigen. Sie wissen, was passiert, wenn Russland einen Ort besetzt. Butscha hat sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Also nein, ich bin nicht überrascht, dass die Ukrainer so entschlossen sind.

Wo befinden wir uns gerade in diesem Krieg? Wer hat gerade die Oberhand? Oder hat überhaupt jemand die Oberhand?

Lassen Sie es mich so sagen: Ich sehe kein Licht am Horizont für Russland – wenn der Westen die Ukraine entschieden unterstützt. Wenn wir den Willen aufbringen, die Ukraine entschieden zu unterstützen, wird Russland nichts durch diesen Angriffskrieg gewinnen. Deswegen ist es nicht hilfreich, wenn mein Präsident nur sagt, die Unterstützung dauere an, solange es nötig sei. Das ist eine leere, bedeutungslose Aussage. Stattdessen sollte Präsident Biden ganz klar zu sagen: Wir wollen, dass die Ukraine gewinnt!

Auch Bundeskanzler Scholz sagt das nicht.

Ja. Aber glücklicherweise verstehen andere europäische Nationen, was auf dem Spiel steht. So haben wir anderswo echte, starke Führung, die mit Taten einhergeht. Estland beispielsweise gibt alle seine Haubitzen an die Ukraine. Im Verhältnis zu ihrem Bruttoinlandsprodukt geben sie weit mehr als alle anderen. Die Esten tun das, was sie sagen.

Hat die erwartete russische Offensive bereits begonnen?

Die Tatsache, dass man sich fragt, ob sie begonnen hat oder nicht, gibt Ihnen einen Hinweis auf den Mangel an Offensiv-Qualität. Ich glaube, technisch gesehen hat sie begonnen. Es ist aber keine Offensive, die man von einer professionellen Armee erwarten würde. Die würde ihre Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Gebiet richten und dann alle Kräfte dort konzentrieren, um ihr Ziel zu erreichen. Stattdessen greifen die Russen auf breiter Front an. Bisher haben sie lediglich mehr schlecht ausgebildete, schlecht geführte und schlecht ausgerüstete Wehrpflichtige in den Fleischwolf geschickt.

Sie könnten aber Bachmut erobern.

Selbst wenn sie Bachmut heute erobern – was dann? Sie haben keine mobilen Kräfte, die nach einem Durchbruch vorstoßen könnten. Es wird mehr über die Offensive geredet, als tatsächlich stattfindet.

Reden wir über die Krim. Manche sagen, sie sollte erst einmal außen vor gelassen werden. Was halten Sie davon?

Ich halte das für eine schwache, halbherzige Aussage hochrangiger Leute, die offenbar nicht meinen, was sie sagen, wenn sie über demokratische Werte, Souveränität und die UN-Charta sprechen. Sie sind bereit, ein Gebiet aufzugeben, das seit Jahrzehnten rechtmäßiges ukrainisches Territorium ist. Deutschland würde ja auch nicht, sagen wir, Sachsen oder Brandenburg nur um des Friedens willen aufgeben. Und die USA würden nicht einfach Florida aufgeben, nur um einen Aggressor wie Putin zu besänftigen. Diese Art von Gesprächen stößt mich wirklich ab. Wir behindern uns selbst, weil wir solche Angst vor Russland haben. Es stimmt übrigens nicht, dass der Krieg vor einem Jahr begann. Der Krieg hat schon 2014 begonnen. Im vergangenen Februar hat die „spezielle Militäroperation“ begonnen. Schauen Sie sich an, an welchem Punkt wir nach neun Jahren sind. Das Beste, zu dem Russland in der Lage war, ist das, was wir sehen.

Und was ist mit dem Risiko eines russischen Atomschlags?

Das Risiko einer nuklearen Eskalation halte ich für relativ gering. Ich sage nicht, dass es gar nicht vorhanden ist. Natürlich haben die Russen Tausende Atomwaffen und es ist ihnen egal, wie viele unschuldige Menschen sterben. Aber ich glaube, dass Präsident Bidens Warnung vor „katastrophalen Konsequenzen“ bei ihnen angekommen ist. Ich glaube auch nicht, dass der Einsatz einer taktischen Atombombe ihnen einen Vorteil auf dem Schlachtfeld verschaffen würde. Sie haben nichts, mit dem sie das ausnutzen könnten. Aber genau dafür sind die taktischen Atombomben im Kalten Krieg ja entwickelt worden: Sie sollten irgendwo entlang der deutschen Grenze eine Lücke in die NATO-Truppen schlagen. In diese Lücke sollten dann sowjetische Kräfte vorstoßen, die für den Kampf in kontaminiertem Gelände ausgebildet waren. Diese Truppen haben die Russen heute nicht mehr. Es würde also keinen Sinn machen, taktische Atomwaffen einzusetzen.

Das etwas sinnlos ist, hat Putin bisher auch wenig gekümmert.

Die russischen Atomwaffen sind nur effektiv, wenn sie nicht eingesetzt werden. Wenn nun gesagt wird, die Krim sollte nicht erobert werden, weil Russland die Atombombe nutzen könnte, begrenzen wir uns selbst. Tatsächlich war es so, dass Putin jedes Mal zurückgewichen ist, wenn wir ihm die Stirn geboten haben. Das ist so wie bei einem Rüpel: Wenn man ihm auf die Nase haut, weicht er zurück. Aber nochmals: Wir müssen damit aufhören, das falsche, kriminelle Narrativ zu bedienen, die Krim sei in irgendeiner Form besonders, weil sie irgendwie fast russisches Territorium sei. Das ist absoluter Unsinn: Sie ist souveränes ukrainisches Territorium.

Auch wenn Sie die Debatte darüber nicht mögen – wir hören doch immer wieder, dieser Krieg werde mit Verhandlungen enden. Und Selenskyj selbst war am Beginn dieses Krieges noch kompromissbereit. Wäre die Krim nicht ein akzeptables Opfer für das höhere Gut, um diesen furchtbaren Krieg zu beenden?

Ich habe mehrere Probleme, mit dem, was Sie gerade gesagt haben. Erstens: Ich habe kein Problem mit der Debatte. Ich sage nur, dass ich eine vollständig andere Meinung habe als Leute, die sagen, die Krim sei ein besonderer Fall, dass sie außen vor bleiben sollte und dass Putin für seine Aggression und illegale Annexion belohnt werden sollte. Die UN-Generalversammlung hat übrigens gegen die illegale Annexion gestimmt. Niemand hat das anerkannt. Zweitens: Was soll hier das höhere Gut sein?

Frieden?

Das wäre doch kein Frieden! Also wirklich! Das kennen wir aus der Geschichte. Das würde keinen Frieden schaffen. Das ist Appeasement, das ist Beschwichtigung. Glauben Sie wirklich, dass wenn Russland die Krim behält, wir uns dann in zwei oder drei Jahren nicht wieder über eine dann neue russische Offensiven unterhalten würden? Glauben Sie wirklich, dass Russland nach einer Belohnung seines brutalen Angriffskrieges plötzlich anfangen würde, das Völkerrecht zu respektieren?

Letzten Herbst haben Sie bei ntv gesagt, dass die Ukraine bis zum Sommer ihr gesamtes Territorium kontrollieren könnte. Bleiben Sie dabei?

Wenn ich eine Vorhersage mache, nenne ich natürlich auch die Grundvoraussetzungen, die erfüllt sein müssten. Im Falle der Krim sind das Langstreckenwaffen. Wenn wir, die demokratischen Verbündeten, diese Waffen liefern, glaube ich immer noch, dass es möglich ist, die Krim bis Ende August zu befreien. Die Krim ist der entscheidende Teil, der Donbass kommt danach. Die Ukraine wird nie sicher sein, solange russische Truppen auf der Krim sind.

Was wird diesen Krieg entscheiden? Waffen? Munition? Logistik?

Wie gesagt, für Russland gibt es kein Licht am Horizont. Sie können ihre Präzisionswaffen wegen der Sanktionen nicht nachproduzieren. Sie verlieren jeden Tag Hunderte Soldaten. Es gibt diesen Mythos über die Leidensfähigkeit der Russen. Ich bezweifele, dass er in diesem Krieg so zutrifft, denn die Russen verteidigen – anders als im Zweiten Weltkrieg – nicht ihr Vaterland. Und noch ein Weiteres: Sie können sicher sein, dass es in Moskau und St. Petersburg nicht so viele Familien gibt, die wirklich leiden. Deren Kinder machen immer noch Urlaub in Doha oder arbeiten in London. Es sind vor allem die Menschen im Hinterland, die den Preis zahlen. Das kann nicht ewig so weitergehen.

Was ist mit der Logistik?

Die russische Logistik war nie für das gedacht, was die Russen jetzt tun. Sie werden das, was sie jetzt tun, nicht aufrechterhalten können. Die russische Luftwaffe war nicht ein einziges Mal im gesamten vergangenen Jahr in der Lage, auch nur einen einzigen Zug oder Konvoi zu zerstören, der Militärgüter aus Polen in die Ukraine brachte. Das sind ganz grundlegende Dinge, und sie sind nicht in der Lage diese zu tun. Die Schwarzmeer-Flotte versteckt sich geradezu in Sewastopol. Sie haben Angst, sich der ukrainischen Küste auch nur zu nähern, obwohl die Ukraine nicht einmal eine Marine hat. Denken Sie auch an den vergangenen September: Eine halbe Million Männer im wehrfähigen Alter verließ das Land, um nicht eingezogen zu werden. Sie wollen diesen Kampf nicht. Hier geht es nur um Putin. Dieser Krieg wird enden, indem die Ukraine Russland besiegt. Und je schneller das geschieht, um so mehr Menschenleben können gerettet werden.

Welchen Unterschied werden die deutschen Leopard-Panzer machen?

Als amerikanischer Soldat habe ich immer geglaubt, dass der Abrams der beste Panzer ist. Aber in diesem Fall ist der Leopard die beste Lösung. Er ist in jeder Ausführung ein exzellenter Panzer. Jeder Leopard ist besser als alles, was die Russen haben.

Auch der alte Leopard 1?

Wenn sie eine gute Crew in einem Leopard 1 haben, wird sie jeden russischen Panzer dort draußen zerstören. Eine gute Mannschaft ist das Wichtigste. Bei den Russen habe ich nichts gesehen, was darauf hinweist, dass sie wirklich gut ausgebildete Crews haben.

Braucht die Ukraine Kampfflugzeuge? Immerhin hat Russland bis heute nicht die Lufthoheit erlangt.

Der Grund für F16, MiGs oder andere Flugzeuge ist nicht nur Luftabwehr, sondern auch die Luftunterstützung der Bodentruppen. Dabei geht es darum, Munitionslager, Artilleriestellungen und Hauptquartiere zu zerstören. Moderne Flugzeuge würden Präzision in der Tiefe hinzufügen. Das würde zum Erfolg der Bodenoffensive beitragen. Diese Flugzeuge zu bekommen, hätte also einen immensen Wert.

Deutschland liefert unter den EU-Staaten die meisten Waffen, nutzt praktisch kein russisches Gas und Öl mehr, hat eine Million Flüchtlinge aufgenommen und will 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren. Erkennen Sie das Land noch wieder?

Ich bin davon sehr beeindruckt. Interessant ist, dass wahrscheinlich 90 Prozent der Deutschen nicht wissen, dass ihr Land der zweitgrößte Lieferant von Waffen und Ausrüstung für die Ukraine ist. Ich glaube, Berlin spricht nicht mit genug Selbstbewusstsein darüber, was es tut. Die Kommunikation passt nicht zu der sehr guten Arbeit der Bundesregierung, der Unterstützung des Bundestages und der Großzügigkeit der deutschen Bevölkerung, die so viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Mir ist aufgefallen, dass es kaum Proteste gibt, wenn die Bundesregierung einen großen Schritt macht. 2016 nicht, nachdem Deutschland eine Battle Group nach Litauen verlegte, und auch vor einem Jahr nicht nach der Zeitenwende-Rede von Kanzler Scholz. Oder nach der Entscheidung, Leopard-Panzer zu liefern und anderen Ländern den Export zu erlauben – da ist hier in Frankfurt niemand auf die Straße gegangen.

Etwas Protest gibt es schon. Es gab gerade wieder einen offenen Brief und am Samstag soll es eine Demo am Brandenburger Tor geben. Sie wissen, warum viele Deutsche gemischte Gefühle beim Thema Krieg haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen wir mit dem Mantra „Nie wieder“ auf. Sollten die Deutschen das hinter sich lassen?

Nein, die Deutschen sollten sich genau danach richten: Nie wieder. Denn es passiert gerade wieder: Ein brutaler Angriffskrieg und zigtausendfacher Mord an unschuldigen Menschen. Ich glaube, die meisten Deutschen verstehen, was „Nie wieder“ bedeutet. Dass man etwas tun muss, damit es nie wieder passiert. Wenn ich in Frankfurt oder Berlin und anderen deutschen Städten die Bürgersteige entlanglaufe, sehe ich immer die Stolpersteine. Was für eine beeindruckende Erinnerung daran, nicht zu vergessen! Ich glaube Deutschland hat über die Jahrzehnte eine moralische Autorität aufgebaut. Die sollten Sie schützen – indem Sie das Erforderliche tun, um das zu verteidigen, was Ihnen und allen Ihren demokratischen Verbündeten wichtig ist.

Von den 100 Milliarden Euro wurde erst spät überhaupt etwas ausgegeben und Deutschland gibt immer noch nicht zwei Prozent seines BIP für Verteidigung aus. Ist Deutschland zu langsam?

Ja, aber das sind wir Amerikaner auch. Viele Leute waren positiv überrascht, als sie die Rede des Bundeskanzlers am 27. Februar hörten. Aber Sie haben recht, es geht zu langsam. Das liegt zum Teil am politischen Willen, zum Teil an der Bürokratie. Aber auch in den USA reden wir seit einem Jahr darüber, wie viel Munition verbraucht wird und dass wir nicht genug hätten, falls es einen Konflikt mit China gibt. Trotzdem haben wir unsere Produktion noch nicht erhöht. Wenn die Regierung mehr Waffen braucht, sollte sie Geld dafür ausgegeben. Das gilt für Deutschland wie für die USA.

Waffenlieferungen sind das eine. Aber ist nicht auch die Moral entscheidend, die Bereitschaft, sein Heimatland zu verteidigen?

Auf jeden Fall. Napoleon sagte, die Moral stehe dem Physischen gegenüber wie die 3 der 1. Deswegen gibt es in der Geschichte so viele Beispiele, wie kleinere Nationen oder Einheiten gegen Größere erfolgreich sind. Das liegt am Willen, zu kämpfen und Widerstand zu leisten. Ich bezweifele, dass viele russische Soldaten in der Ukraine sein wollen. Sie werden gezwungen, dort zu sein. Die Ukrainer kennen die Russen genau. Die Ukrainer verstehen, was auf dem Spiel steht, erinnern sich an Stalin, an den Holodomor. Sie sehen, dass Tausende ihrer Kinder deportiert werden. Deswegen sagen die Ukrainer, sie leben lieber mit russischen Bomben als mit russischen Fesseln.

Erinnert das die Amerikaner an die eigene Geschichte, an den Kampf um Unabhängigkeit und Freiheit?

Es erinnert uns in jedem Fall daran, dass es das eine ist, Demokratie und Freiheit zu wollen. Aber das andere ist es, etwas dafür zu tun. Freiheit ist niemals ein Geschenk. Ich weiß, das klingt jetzt etwas banal, aber freedom is not free, die Freiheit gibt es nicht umsonst. Die Ukraine hat viele Menschen inspiriert und mich persönlich veranlasst, stärker darauf zu achten, was in meinem eigenen Land passiert. Viele Amerikaner halten die Freiheit für selbstverständlich. Viele sind zu träge geworden, die eigene Geschichte zu verstehen. Zu verstehen, dass man kämpfen muss, um die Freiheit zu verteidigen. Wenn man seine Werte verteidigen will, muss man etwas dafür tun. Das wird niemand anders für Sie übernehmen.

Feb. 2023 | In vino veritas | Kommentieren