Per Ticketsystem sollen Sichter „verdächtige Inhalte“ entdecken und zur Anzeige bringen. Aber das Vorhaben bereitet Bauchschmerzen. Als von alledem erstmals zu hören war, konnte man lächelnd denken: Das, das ist doch der Stoff, aus dem Komödien gemacht sind. Da gibt es diesen monströsen Gegner, teils organisierte Gruppen aus Trollen, Propagandisten und Rechtsextremen. Mal verbreiten sie im Netz nur Gemeinheiten, mal machen sie Menschen das Leben zur Hölle. Sie schlüpfen durch Löcher in Community Guidelines und feuern mit mehreren Accounts parallel. Sie verursachen Wellen aus Hass und Hetze. Das Ticketsystem heißt KIVI, und die deutsche Medienaufsicht durchforstet damit das Netz – seit dem Frühjahr 2022 deutschlandweit.

Das Tool soll unter anderem Websites, Telegram, TikTok, YouTube und Twitter durchleuchten und dabei allerlei „verdächtige Inhalte“ aufspüren. Dabei kommen Text- und Bilderkennung zum Einsatz – wobei das Problem ist, dass derzeit vor allem private Konzerne Inhalte im Netz regulieren. Die Grundlage dafür sind meist Community Guidelines, entwickelt ohne demokratische Kontrolle, angewandt ohne Transparenz. KIVI ist ein Gegenentwurf. Inhaltskontrolle auf demokratisch legitimierter Grundlage. Im Visier sind unter anderem Volksverhetzung, Hakenkreuze, Gewaltdarstellungen, Suizidverherrlichung. Aber auch frei zugängliche Pornografie soll KIVI finden, das ist ein Thema für sich. Amtliche Sichter sollen die Funde im Ticketsystem abarbeiten und gegebenenfalls Anzeigen erstatten, es gibt einen direkten Draht zur Staatsanwaltschaft. Nur, wohin soll das führen?

Schutz vor Insektenstichen

Die Medienaufsicht in Deutschland ist öffentlich-rechtlich, sie bekommt 35 Cent aus dem monatlichen Rundfunkbeitrag. Damit kann man einiges machen, um etwa die „Demokratie in den Medien zu schützen“, wie es der Chef der Landesmedienanstalt NRW, Tobias Schmid, zusammenfasst. Es ist zu befürchten, dass KIVI genau dort Energie reinsteckt, wo sie am schnellsten verpufft. Egal, wie fleißig die Sichter das Ticketsystem bearbeiten: Ihr Beitrag bleibt klein.

Aber aus einer derzeit niedrig zweistelligen Anzahl Sichtern könnten auch Hunderte werden. Die text- und bildbasierte Suche ließe sich problemlos erweitern, um auch beliebige andere Online-Inhalte zur Anzeige zu bringen. Keine Demokratie ist gegen grundrechtsfeindliche Gesetze immun.

Feb. 2023 | Allgemein, Junge Rundschau, Sapere aude | Kommentieren