Dies, nachdem es still geworden war um die ehemalige Vorsitzende der Linksfraktion – die sich zudem 2019 aus den Spitzenämtern der Partei zurückgezogen hat.
Wagenknecht ist auch damit wieder in den Schlagzeilen.
Frau Wagenknecht, was werden Sie am Montag tun?
Sahra Wagenknecht: Ich werde nach Berlin fahren. Da beginnt die Haushaltswoche im Bundestag.
Werden Sie dennoch die angekündigte Demonstration gegen die Gasumlage in Leipzig verfolgen?
Ich halte Demonstrationen und Protest gegen die Politik der Bundesregierung für dringend notwendig. Die Gasrechnungen explodieren, die Kosten für Sprit, Strom und Lebensmittel ebenso und die Regierung unternimmt nicht nur nichts dagegen, sondern setzt noch die Gasumlage obendrauf. Gegen diese soziale Ignoranz müssen die Menschen sich wehren.
Nichts? Gerade wird über das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung geredet.
Jede Entlastung ist eine Hilfe, aber das vorgeschlagene Paket wird der Bevölkerung noch nicht mal einen Bruchteil der Mehrkosten abnehmen. Eine seriöse Studie schätzt, dass ein älteres, gasbeheiztes Einfamilienhaus im nächsten Jahr bis zu 12.000 Euro für Heizung und Warmwasser kosten könnte, eine normale Wohnung über 5.000 Euro. Wer soll das bezahlen? Inzwischen ist klar, dass die Wirtschaftssanktionen hauptsächlich Deutschland und Europa schaden, während Gazprom Rekordgewinne macht.
Neben der für Montag angesetzten Demonstration, die von Ihrer Partei mitorganisiert wird, haben auch Rechtsextreme angekündigt zu demonstrieren. Ist es Ihnen egal, mit wem die Linken eventuell auf die Straße gehen?
Wir machen keine gemeinsamen Kundgebungen mit Rechtsextremen, die Leipziger Linken haben Anzeige gegen die Organisation erstattet, die diesen Eindruck erwecken will. Rechtsextreme Symbole oder Reichsbürger-Flaggen haben auf unseren Kundgebungen nichts zu suchen. Aber selbstverständlich machen wir keine Gesinnungsprüfung für Demonstranten. Und wir sollten uns auch nicht davon abhalten lassen, die richtigen Forderungen zu stellen, nur weil die AfD bestimmte Dinge auch fordert. Wenn die AfD sagt: „Der Himmel ist blau“ und alle anderen behaupten deshalb, er sei grün, dann machen sie die AfD stark. Denn dann gewinnen die Leute den Eindruck, die Einzigen, die die Wahrheit aussprechen, seien die Rechten.
Also wäre die sogenannte Hufeisen-Theorie, nach der politisch extreme Positionen von links und rechts nah beieinanderliegen, kein Blödsinn?
Selbstverständlich ist das Blödsinn. Wirtschaftspolitisch könnte man mit gleichem Recht CDU und FDP als AfD-nah bezeichnen; wie die AfD unterstützen sie Privatisierungen und einen schwachen Sozialstaat. Keine vernünftige Partei sollte ihre Positionen davon abhängig machen, was die AfD gerade fordert. Wir können denen doch nicht die Macht geben, das zulässige Meinungsspektrum zu definieren. Durch diese Dummheit hat man die AfD schon in der Flüchtlingskrise großgemacht.
Annalena Baerbock sagte kürzlich in Richtung der Ukraine: „Wir stehen so lange an eurer Seite, wie ihr uns braucht, dann will ich auch liefern, egal, was meine deutschen Wähler denken.“ Der Satz wurde aus dem Kontext geschnitten, AfD-Chefin Alice Weidel twitterte, Baerbock sei es „egal“, was die Bürger in Deutschland denken. Die Ukraine stehe für Baerbock „an erster Stelle“. Sie selbst erklärten, dass Baerbock „die Interessen der Ukraine vertritt“ und sie sei deshalb „eine Gefahr für unser Land“. Wo liegt da noch der Unterschied?
Wenn Baerbock Mist redet, werde ich nicht darauf verzichten, das zu kritisieren, weil es auch Frau Weidel tut. Was ist das für eine bescheuerte Diskussion? Die Aussage von Baerbock war sinngemäß: Auch wenn die Wähler in Deutschland etwas anders wollen, werde ich die Ukraine unterstützen. Mein Verständnis demokratischer Politik sieht anders aus.
Warum? Die gewählten Abgeordneten sind laut dem Grundgesetz „nur ihrem Gewissen unterworfen“.
Eine demokratische Regierung sollte sich in erster Linie dem Auftrag ihrer Wähler verpflichtet fühlen. Warum sollen die Leute sonst überhaupt zur Wahl gehen? Und die Grünen wären wohl kaum an die Macht gekommen, hätten sie plakatiert, wir werden Millionen Menschen in Armut stürzen und die Industrie in Deutschland zerstören, um vermeintlich Putin zu bestrafen. Die Wirtschaftssanktionen ruinieren uns, nicht Russland, deshalb muss der Wirtschaftskrieg beendet werden.
Wladimir Putin dürfte sich freuen
Freuen dürften sich wohl eher Millionen Menschen in Deutschland, wenn ihre Energiekosten wieder sinken. Der russische Konzern Gazprom macht aktuell Rekordgewinne. Und klar ist, dass die Sanktionen den Krieg in der Ukraine nicht beenden.
Aber sie schwächen Russland langfristig enorm, wenn sie durchgehalten werden. Da sind sich diverse Wissenschaftler einig.
Ach so? Was passiert denn gerade? Gazprom nutzt seine Rekordgewinne, um mehr Gaspipelines nach China zu bauen. Die Ölexporte nach Asien haben sich bereits vervielfacht. Russland braucht den Westen nicht, um seine Rohstoffe zu verkaufen. Aber die deutsche Industrie geht ohne preiswerte Energieträger kaputt. Und wer ist der lachende Dritte? Die USA, deren Frackingindustrie mit jedem Flüssiggastanker aktuell 200 Millionen Dollar Gewinn einstreicht und die eine Re-Industrialisierung erleben, weil immer mehr Unternehmen Arbeitsplätze aus Europa nach Übersee verlagern, weil Gas und Strom um ein Vielfaches billiger sind. Wir zerstören unsere Industrie und unsere Mittelschicht, das ist doch Wahnsinn!
Lieber einen Deal mit Russland beim Gas machen — und halt mal abwarten, welches Land Putin als Nächstes überfällt?
Lieber einen Deal mit der Türkei, Saudi-Arabien oder den USA machen, die ebenfalls in anderen Ländern völkerrechtswidrig bomben und morden, ohne dass diese Verbrechen je mit Sanktionen bestraft werden? Wir ruinieren uns und Russland verdient dank der Preisexplosion mehr als vorher. Putin lacht sich doch tot über uns.
Was schlagen Sie vor?
Der Ukraine-Krieg lässt sich nur mit Verhandlungen beenden. Putin sollte unter Druck gesetzt werden, einem vernünftigen Kompromiss zuzustimmen. Aber der Westen und die Ukraine streben das ja gar nicht an.
Weil Putin offensichtlich gar nicht verhandeln will.
Bei den Weizenlieferungen hieß es auch, Verhandlungen bringen nichts. Dann ergriff ausgerechnet der türkische Präsident Erdoğan die Initiative und jetzt können wieder Weizenschiffe durchs Schwarze Meer fahren. Es wäre Aufgabe Europas und auch der Bundesregierung, eine diplomatische Initiative zur Beendigung des Krieges zu starten. Oder wollen wir da auch warten, bis Erdoğan das macht?
Man richtet sich im Westen nach der Ukraine. Und der ukrainische Präsident Selenskyj hat sich seit Kriegsbeginn offen für Verhandlungen unter bestimmten Bedingungen gezeigt.
Ja, klar. Und seine Bedingung ist, dass die Krim befreit wird.
Die ukrainische Krim, die völkerrechtswidrig von Russland annektiert wurde.
Das stimmt. So wie viele andere Regionen in dieser Welt auch! Die Türkei besetzt völkerrechtswidrig Gebiete in Syrien und dem Nordirak, die USA besetzt bis heute die syrischen Ölfelder. Moralisch kann und muss man das alles scharf verurteilen. Der russische Krieg in der Ukraine ist ein Verbrechen. Aber wenn man will, dass das Sterben aufhört, braucht es Kompromissbereitschaft von beiden Seiten.
Also müsse man die Annexion der Krim eben aushalten, finden Sie?
Die Frage ist doch, welche Ziele realistisch sind. Russland ist eine Atommacht, das sollten wir nicht vergessen. Und wenn man darauf pocht, die Russen von der Krim zu vertreiben, dann wird dieser schreckliche Krieg ewig weitergehen. Die Russen haben seit Jahrzehnten ihre Schwarzmeerflotte auf der Krim, die werden sie nicht aufgeben. Will man für ein völlig unrealistisches Ziel noch Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Menschenleben opfern?
Ist es nicht die Entscheidung der Ukrainer, ob sie überhaupt Land einfach so Russland überlassen wollen, wenn diese sie überfallen?
Es liegt schon auch an uns, bis zu welchem Punkt wir die ukrainische Führung unterstützen. Europa hat kein Interesse an einer weiteren Eskalation des Krieges, das sollten wir auch Selenskyj klarmachen. Es braucht Verhandlungen.
Auch dafür gibt es keine Indizien, dass Russland daran interessiert wäre.
Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Ex-General Harald Kujat sagt, dass die Russen nach seiner Einschätzung verhandlungsbereit sein könnten. Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der ja offensichtlich gute Kontakte in den Kreml hat, kam zurück aus Moskau und sagte, Putin wolle verhandeln. Ich selbst spreche nicht mit Putin.
Sie glauben dann lieber Gerhard Schröder.
Ich wünsche mir, dass unser Bundeskanzler öfter mit Putin reden würde und dass er auslotet, was möglich ist. Wir müssen doch alles tun, um einen Waffenstillstand zu erreichen.
Reden wir noch zum Schluss über Ihre Partei. Die Linke ist zuletzt unter Druck geraten, unter anderem wegen Sexismus-Vorfällen und auch parteiinternen Machtkämpfen. Wie sollte man dem begegnen?
Eigentlich sollte eine soziale Oppositionspartei aktuell zweistellig sein. Millionen Menschen fühlen sich von der Ampel im Stich gelassen und verzweifeln an deren Politik. Aber eine Opposition, die Angst vor der eigenen Courage hat und sich nicht wirklich traut, die Sanktionen zu kritisieren und in Teilen sogar Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet, überzeugt viele Wähler nicht.
Zwischen Ihnen und der Linken-Spitzegibt es immer wieder erhebliche Spannungen. Werden Sie in der Partei bleiben?
Aktuell bin ich Mitglied der Linken. Wenn sich daran etwas ändert, werden Sie es rechtzeitig erfahren.
Solche Fragen lieben Journalisten … Ich wünsche mir, dass Millionen Menschen, die sich eine Politik sozialen Ausgleichs, einen Verhandlungsfrieden für die Ukraine, ein Ende der Hochrüstung und eine vernünftige Wirtschaftspolitik im Interesse unseres Landes wünschen, bei der nächsten Bundestagswahl auf dem Wahlzettel eine Partei finden, die ihre Interessen vertritt und die sie guten Gewissens ankreuzen können.