„Die spinnen, die Römer!“ ist der Lieblingsspruch von Obelix. Doch hat dieser Ausruf heute auch noch Gültigkeit? Ich habe das – jeweils im Sommer in Rom – viele Jahre überprüft und habe fünf Beweise aus der Neuzeit zusammengetragen, welche diese These – mehr oder weniger – glaubhaft untermauern. In Rom begegnet man an jeder Ecke dem Signum SPQR. Das war das Hoheitszeichen des antiken Roms; heute ziert es das Stadtwappen, öffentliche Schrifttafeln und die Gullydeckel in der italienischen Hauptstadt.
Offiziell steht es für das lateinische Senatus Populusque Romanus („Senat und Volk von Rom“). Ich bevorzuge die Variante „Sono pazzi questi romani“, was zu Deutsch so viel heißt wie: „Die spinnen, die Römer!“ Obelix verwendet diesen Spruch in den bisher erschienenen Asterix-Heften 22-mal, wenn ich richtig gezählt habe – und ich finde, er hat recht.
Die Römer haben immer ein Handy am Ohr
Weil die Welt immer unübersichtlicher wird, ist es gut, ein paar Dinge zu wissen, die unumstößlich sind. Dazu gehört: Wasser ist nass, Pizza ist flach, der Papst hat immer recht und, ganz sicher, die Römer haben stets ein Mobiltelefon am Ohr. Und zwar ein ausklappbares.
Wissen Sie, warum solche Handys in Rom viel beliebter sind als in Deutschland? Die allgemeine Begeisterung des homo sapiens für das Aufklappen (man denke an Austern, Pizzakartons, Adventskalender) reicht als Erklärung nicht aus. In Rom gelten andere Maßstäbe: Mit einem aufklappbaren Handy kann man beim Motorino-Fahren telefonieren. Man setzt den Helm auf, wählt die Nummer eines Freundes, stopft das ausgeklappte Handy zwischen Ohr und Helm – und fährt los. Mit einem normalen Handy können Sie das vergessen, das rutscht aus dem Helm.
Noch praktischer: der „Squillo“, wörtlich übersetzt „das Klingeln“
Das ist der geniale Weg der Römer, sich der Freundin oder Mamma mitzuteilen, ohne etwas zu bezahlen. Ein Beispiel: Lara, die zauberhafte Bedienung in meiner Espressobar„Papagallo“, will Barmann Dino mitteilen, dass sie sich verspätet: „Dino, komme in 15 Minuten, Ciao, Lara“, schreibt sie in einer SMS. Dino will kein Geld für einen „Kein Problem“-Rückruf ausgeben. Deshalb greift er zum Telefonino, wählt Laras Nummer, es klingelt – und dann legt Dino sofort auf. Lara sieht Dinos Nummer auf dem Display und weiß: „Kein Problem“. Dieses Klingeln, das eine Botschaft in sich trägt, die nur der Empfänger interpretieren kann, das ist der „Squillo“.
Die Römer haben das System perfektioniert und machen „Squilli“ den ganzen Tag. Vor allem Verliebte lassen es mehrmals täglich beim anderen anklingeln. Mancher Geizhals hat die Technik mit den „Squilli“ derart perfektioniert, dass er für das Telefonieren gar kein Geld mehr ausgibt. Mein Freund Davide ist so einer. Wenn er mich anruft, lässt er es genau einmal klingeln. Das heißt dann: „Ruf du mich an. Ich will sparen.“
Die Römer reden stets vom Essen
Weil Römer nicht allein sein wollen und nie schweigen können, wird man in der Stadt pro Tag Dutzende Male Zeuge fremder Gesprächsinhalte. Ungelogen: Dabei geht es immer ums Essen, um Restaurantkritiken, Menüfolgen, Antipasti-Rezepte, Beilagenempfehlungen, Hochzeitstorten, Käsesorten. Kürzlich erlebt: Zwei Jogger im Park hasten vorbei, ich höre den einen hechelnd sagen „ …Bucatini all‘ Amatriciana“. Hierbei handelt es sich, natürlich, um eine Speise, eine ziemlich gehaltvolle Pasta. Nirgendwo sonst auf der Welt würde jemals auf die Idee kommen, ausgerechnet beim Joggen über diese Kalorienbombe mit Specksoße zu sprechen. In Rom ist das nichts Ungewöhnliches.
Vorhin, im Pressesaal des Vatikans: Dort sitzt Francesco am Empfang, eine Art Obelix im Anzug, und redet über Hühnchenfleisch und darüber, dass die das sehr gut zubereiten könnten. Worum es geht, frage ich. „Um die chinesische Küche“, antwortet Francesco. Aber eigentlich sei er doch Vegetarier, entgegne ich. Das zumindest hatte er mir neulich noch erzählt. „Stimmt“, sagt er, „ich esse keine Wurst. Nur Steaks, Burger, Salami und Hühnchenfleisch.“
Die Römer sind schrecklich romantisch
Vor meinem Haus hat ein Unbekannter heute Nacht drei Wörter auf den Asphalt gesprüht, in goldener Schrift: „Mi manchi Niko“ – „Du fehlst mir, Niko“. Wie schön, dass nun jeder weiß, dass Niko vermisst wird, wenn auch nicht dabeisteht, von wem. Die Römer sprühen für ihr Leben gern ihre Gefühle auf die Straße. Jeden Morgen laufe ich mindestens an einem „Ti amo“ („Ich liebe dich“), einem „Ti amo principessa“ („Ich liebe dich, Prinzessin“) und einem „Sei la mia vita“(„Du bist mein Leben“) vorbei. Kürzlich sah ich in der Nachbarschaft einen Hausmeister, der versuchte, ein ganzes Liebesgedicht vom Bürgersteig zu schrubben.
An der Liebesschwur-Mode in Rom ist der Römer Federico Moccia nicht ganz unschuldig. Er ist Bestseller-Autor und reimt sich allerlei zusammen, wenn es darum geht zu beschreiben, was verliebte Teenager angeblich so alles für die Liebe tun. Das Problem: Er hat eine große Fangemeinde in Rom, die ihm glaubt. Wenn seine Romanhelden also „Ti amo“ an Hauswände sprühen, dann machen das kurz darauf auch die römischen Teenager. Die neueste Masche aus seinen Büchern: Verliebte kaufen sich ein Vorhängeschloss, schreiben darauf ihren Namen und den des Geliebten, befestigen das Schloss am Geländer der Tiberbrücke Ponte Milvio und werfen den Schlüssel anschließend in den Fluss – in der Hoffnung, dass die Liebe dadurch ewig halten möge. Mittlerweile sieht die Ponte Milvio aus wie ein Fachgeschäft für Vorhängeschlösser.
Als ich am Nachmittag nach Hause komme, sehe ich eine Nachbarin, eine ältere weißhaarige Dame, die das „Mi manchi Niko“ auf dem Straßenpflaster betrachtet. Ich rechne mit Kopfschütteln und Kommentaren wie „Schmierer!“ und „Diese Jugend!“. Doch weit gefehlt, die Nachbarin findet solche Graffiti gut. Es sei doch wunderbar, wie großartig „l’amore“ sei.
Die Römer fahren wie die Verrückten
Wenn Sie das nächste Mal mit dem Auto den Corso Vittorio Emanuele hinunterdüsen, achten Sie mal darauf, was passiert, wenn eine Ampel auf Rot schaltet. Erst stehen Sie allein ganz vorne. Dann quetscht sich links ein Moped an Ihnen vorbei und stellt sich vor Ihren Wagen. Dann rechts ein Motorroller. Und links wieder einer. Und rechts. Links. Rechts. Wo Sie eben noch einen freien Blick auf die Straße hatten, stehen nun Mopeds. Jede kleine Lücke wird erobert: Wie eine Flipperkugel, die durch alle Hindernisse nach unten jagt, wie Sand, der durch ein Sieb rieselt, sickern die Zweiräder zwischen den wartenden Autos nach vorn.
Das Durchsickern an der roten Ampel folgt nicht der deutschen StVO, sondern der römischen SdinPfmVO, der „Schnell, da ist noch Platz für mich“-Verordnung. Der gehorcht hier jeder. Folglich biegen die Römer links ab, wo ein Geradeaus-Pfeil die Richtung vorgibt – was soll’s, es ist ja Platz. Sie fahren über rote Ampeln – die Kreuzung ist schließlich leer. Sie fahren falsch herum durch Einbahnstraßen – weil es doch sinnvoll ist, kühn die Fläche zu nutzen.
Nur: Darf ich als Gaströmer auch so fahren wie die Römer? Der Polizist, der mich neulich aus dem Verkehr zog, meinte: Nein. „Sie sind gerade 100 Meter gegen die Einbahnstraße gefahren. Machen Sie das in Deutschland auch?“ „Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Der Polizist denkt jetzt sicher von mir, ich sei einer, der Rom und die Römer nicht achtet, einer der meint, in Rom die Sau rauslassen zu können, um dann in Deutschland darüber zu lästern, wie chaotisch Rom doch sei. Falsch. Ich mache vor Ort bloß gern das, was die Einheimischen auch tun. Deshalb blinke ich in Deutschland sogar, wenn ich in eine Garageneinfahrt abbiege.
Die Römer frieren von Oktober bis April
Schade eigentlich, dass die Römer die Karthager doch noch besiegt haben. Denn hätte damals Hannibal Rom geschleift, dann wäre Karthago die Herrin des Mittelmeers geworden. Dann wären Petrus und Paulus nach Karthago gegangen, dann säße dort der Papst. Und dann würde ich heute dort leben – im warmen Nordafrika. Stattdessen muss ich jetzt wieder den ganzen Winter frieren. In Rom.
Es ist mir ein Rätsel, wie Menschen, die sich von März bis Oktober im T-Shirt bewegen, akzeptieren können, in den Monaten dazwischen zu frieren wie Schnittlauch im Gefrierfach. Ende Oktober geht es los. 19 Grad zeigt dann abends mein Zimmerthermometer. Von Tag zu Tag wird es kälter: 18 Grad. 17,5 Grad. Der Rekord waren 16,7 Grad. So kalt war es selbst im kommunistischen Rumänien zu Ceausescus Zeiten nicht.
Ich bin kein Weichei, aber: Warum darf in Rom laut Gesetz erst ab 1. November geheizt werden, obwohl es schon im Oktober sehr kalt werden kann? Und: Warum darf die Heizung auch dann maximal zwölf Stunden pro Tag laufen? Übertreten kann man diese Vorschrift leider nicht, denn allein der Hausverwalter schaltet die Heizung an – und vor allem aus. Das Gesetz, welches diese absurden Heizregeln vorgibt, ist die „Legge 412/93“. In Kraft getreten ist sie am 26. August 1993, an einem Tag also, an dem die Durchschnittstemperatur in Rom bei 25 Grad lag.
SPQR, kann ich da nur sagen.