Der Deutsche Bundestag stellt die Leugnung und Verharmlosung von Grossverbrechen unter Strafe. Doch das ist der falsche Weg, um gegen Hetzer und Wirrköpfe vorzugehen.

Putin-Anhänger demonstrieren im April in Frankfurt.

Putin-Anhänger demonstrieren im April in Frankfurt.

Thomas Lohnes / Getty

«Die Befreiung von Mariupol war eine humanitäre Aktion und rettete seine Bewohner vor dem Genozid.» Wer das in Zukunft öffentlich behauptet, kann sich in Deutschland strafbar machen. Der Bundestag hat den Straftatbestand der sogenannten «Volksverhetzung» in aller Stille ausgeweitet: Er verbietet jetzt ganz allgemein die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Zumindest dann, wenn solche Äusserungen den «öffentlichen Frieden» stören.

Das ist eine einschneidende und möglicherweise folgenreiche Gesetzesänderung. Das deutsche Parlament verabschiedete sie ohne grössere Debatte, fast schon lautlos. Für die Änderung stimmten sowohl die Abgeordneten der Ampelkoalition als auch jene der CDU/CSU-Fraktion. Bloss die extremen Flügelparteien, die Linke und die AfD, waren dagegen.

Befürworter des Gesetzes betonen, es handle sich nicht um eine «Lex Putin», kein Instrument also für den Informationskrieg mit Russland. Es geht den Gesetzgebern vielmehr darum, den Straftatbestand der «Volksverhetzung» nicht mehr nur auf die Leugnung des Holocausts zu beschränken.

Der Holocaust als deutsches Tabu

Im Grunde handelt es sich um die Antwort auf eine gesellschaftliche Debatte, die die Singularität des Holocausts infrage stellt. Ihre Vertreter möchten dieses Verbrechen vergleichbar machen mit anderen: dem Genozid an den Herero und Nama in Deutsch-Westafrika etwa, den stalinistischen Massenmorden oder der Auslöschung von Ureinwohnern in Amerika.

Doch ist die Ausweitung des Gesetzes sinnvoll? Aus liberaler Sicht ist schon das Verbot der «Auschwitzlüge» problematisch. Es ist ein Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit, das etwa der angelsächsischen Idee der «freedom of speech» klar widerspricht. Anders als Grossbritannien und die USA haben sich in Kontinentaleuropa 16 Länder, darunter auch die Schweiz, Gesetze gegeben, die die Leugnung oder Verharmlosung des Holocausts strafbar machen.

Diese Verbote sollen dem Kampf gegen den Antisemitismus dienen und Reputationsschäden im Ausland vorbeugen, die durch die öffentliche Leugnung oder Verharmlosung des Mordes an den Juden entstünden. Doch im Fall der ehemaligen «Täternation» geht es noch um mehr.

Der Holocaust ist für die Bundesrepublik so etwas wie ein negatives Gründungsnarrativ geworden. Ihre Daseinsberechtigung wird massgeblich aus der Abgrenzung von diesem Verbrechen hergeleitet und der Verpflichtung, den «Zivilisationsbruch» nie zu vergessen. In diesem Sinn ist das Gedenken an den Holocaust ein Teil der nationalen Identität, der mit dem Verbot der «Auschwitzlüge» abgesichert wird.

Auf Aufklärung statt auf Richter setzen

Daraus nun abzuleiten, dass auch die Auseinandersetzung um andere Grossverbrechen unter richterliche Kontrolle gestellt werden soll, ist aber falsch. Denn die offene Gesellschaft hat wirksamere Mittel gegen Lügen und Hetze als Gerichte. Allen voran die öffentliche Debatte, die mit Argumenten und Gegenargumenten Ereignisse einordnet und bewertet. Natürlich wird man Verschwörungstheoretiker und andere Wirrköpfe damit nicht überzeugen können. Aber stete Aufklärung immunisiert einen ausreichenden Teil des Publikums gegen deren Gift.

Die historische Forschung trägt entscheidend zu diesem Diskurs bei. Ihre Aufgabe ist es gerade nicht, geschichtliche Wahrheiten ein für alle Mal festzuschreiben. Denn neue Quellen und neue Interpretationen verändern die Geschichtsbilder. Dass deutsche Richter nun gezwungen werden, bei immer mehr historischen Ereignissen Sagbares von Unsagbarem zu trennen, ist nicht gut. Die Kritikfähigkeit der offenen Gesellschaft verdient mehr Vertrauen.

 

Das Problem an Verboten ist doch, dass dann in der Öffentlichkeit kein Diskurs mehr stattfinden kann, da ja jemand der das Thema verleumden will gar nichts sagen dürfte. Dieses Gefühl der Unterdrückung ist sicher kontraproduktiv für eine offene Gesellschaft. Deshalb bin ich eher gegen Verbote. Grundsätzlich sollte man in der Öffentlichkeit über jeden „Senf“ diskutieren dürfen.

Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, ohne Ankündigung und nach ultrakurzer Debatte zu später Stunde hat der Bundestag  überraschend eine Verschärfung des Volksverhetzungs-Paragrafen 130 StGB beschlossen. Warum so heimlich? – Was wahr, was falsch ist und was man für wahr halten darf und was nicht, bestimmt zunehmend der Staat. Gesund ist das für eine freiheitliche Demokratie nicht. Das scheint auch der Regierung bewusst zu sein, sonst hätte sie die Gesetzesnovelle nicht einer Nacht-und-Nebel-Aktion durchs Parlament lanciert.

Okt. 2022 | In Arbeit | Kommentieren