Vom Kampf gegen die Atomkraft aber, von dem wollen sie partout nicht lassen, egal, was auch passiert: Die ehemalige Grünen-Vorsitzende Simone Peter menetekelt gar, wir sollten froh sein, dass wir von der „teuflischen Energiequelle“ Atomkraft befreit wurden. Ich finde es schön, dass in unserer gegenwartsfixierten Zeit noch jemand so redet. Selbst die Kirche hat aufgehört, vom Teufel zu sprechen. Mir gefällt das. Ich hatte immer schon eine Schwäche für Volksfrömmigkeit. Ich bin nur skeptisch, ob sich damit die viertgrößte Industrienation der Welt durch die Krise steuern lässt. Die Welt des Glaubens und die Welt der Politik sind bei uns seit der Aufklärung aus gutem Grund getrennt. Lassen wir´s dabei bewenden …

Schicksalswoche für Deutschland: Kippt der Atomausstieg, kippt er nicht? Seit Dienstag großes Aufatmen in der grünen Gemeinde: Ritter Robert erstickt die Flamme des Höllenfeuers, Gasnotstand hin. Oder her:

Kein sogenannter Streckbetrieb, bei dem man versucht, aus den Brennstäben mehr rauszuholen, als eigentlich vorgesehen war. Schon gar keine Laufzeitverlängerung, wie sie der FDP vorschwebt. Das Atomkraftwerk im Emsland wird zum Jahreswechsel ganz abgeschaltet. Im Oktober wird in Niedersachsen gewählt, da will man im Bundesvorstand der Grünen keine Irritation an der Basis. Die beiden verbliebenen Kraftwerke im Süden gehen in die Reserve. Also, soll heißen, sie sind noch da, aber praktisch halt eben auch nicht.

Seit Monaten lassen die Grünen nichts unversucht, den Deutschen einzureden, dass ein Weiterbetrieb der letzten Atommeiler ihre Energieprobleme nur vergrößern würde. Die Atomkraft würde die Netze für die Erneuerbaren verstopfen, erklärt der Parteivorsitzende Omid Nouripour. Das hat zwar wissenschaftlich so viel Substanz wie der grüne Glaube an Globuli.  Aber bei „Maybrit Illner“ wird dennoch fleißig genickt.

Der Vorsitzende der Grünen Jugend versucht es mit dem Argument, dass der Beschuss des ukrainischen Kernkraftwerks Saporischschja zeige, wie gemeingefährlich Atomkraft sei. Auch der Hinweis hinkt auf allen Füßen. Wenn russische Truppen Isar 2 umstellt haben, dann haben wir ganz andere Probleme als die Sicherheit unserer Nuklearindustrie, würde ich sagen. Aber mei, wenn’s dem eigenen Wohlbefinden dient, dass man sich zum Trottel macht.
» Viel ist in diesen Tagen vom Egoismus der Boomer die Rede. Der verstockteste Boomer von allen ist der grüne Boomer «

Das Wort der Stunde ist „Hochrisikotechnologie“. Kein Auftritt, bei dem das Schreckenswort fehlen darf. Das Problem ist nur: Beim Blick auf die neuen Abschlagszahlungen auf ihrer Stromrechnung hätten viele Deutsche gerne ein bisschen mehr Hochrisikotechnologie, wenn es denn das finanzielle Hochrisiko mindern würde. Bei Saturn haben sie – wie ich gelesen habe – die Rolltreppen abgestellt. Treppensteigen fürs Stromsparen – und im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin sagen sie, dass wir Atomstrom nicht länger brauchen. Mal sehen, wie weit das Argument trägt.
Es ist schon eigenartig: Die Grünen haben sich in ihrer Geschichte schon von allem Möglichen verabschiedet. Sie haben die Ideen zur Vergesellschaftung aller Produktionsmittel über Bord geworfen. Sie haben der freien Liebe abgeschworen und der antiautoritären Erziehung. Sogar dem unbedingten Pazifismus haben sie Adieu gesagt. Nur am Kampf gegen die Atomkraft halten sie eisern fest. Den Grünen stünde ihre Ideologie im Wege, heißt es zur Erklärung. Ich weiß nicht, ob es das Wort „Ideologie“ wirklich trifft. Das emotionale Band zwischen Grünen und dem Feuer der Kernkraft scheint mir tiefer zu reichen. Hier sind Gefühlsschichten berührt, die sich normaler Erklärung entzieht. Man müsste mit einem Experten für heidnische Glaubenswelten sprechen, um der Sache näherzukommen. Die klassische Politologie oder Psychologie ist hier jedenfalls mit dem Latein am Ende.

Vergangene Woche habe ich mir die ersten beiden Folgen der neuen Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ angeschaut. Da kam mir die Eingebung: Simone Peter und die Grünen würden perfekt nach Mittelerde passen. Ist für sie ein besserer Platz denkbar als die bukolische Welt, in der nichts mehr raucht und lärmt außer dem Herdfeuer der Hütten und dem sanften Flügelschlag des Windrads und wo hinter jedem Baum eine Fee und Elfe hervorlugt? Der Bewohner von Mittelerde weiß: Versündige dich nicht an Mutter Erde, sonst kommen die Orks aus dem Boden und verschlingen dich!

Der Kampf gegen die Atomkraft ist für die Teilnehmer der grünen Erlebnisgeneration ein übermenschliches Ereignis, ein Mythos. Ich weiß es, ich war dabei. Oder? Naja, fast jedenfalls …

Okt. 2022 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren