
Jeder meint die Habsburger zu kennen, doch über ihre Anfänge weiß man wenig. Speyer ändert das mit einer großen Landesausstellung Rheinland-Pfalz zu den ersten 250 Jahren der Dynastie
An den Habsburgern kommt man in Europa bis heute nicht vorbei. Im belgischen Antwerpen, Teil der ehemaligen Habsburgischen Niederlande, läuft man vom Stadtpark aus in die Straße Maria-Theresialei; in gottvergessenen spanischen Käffern in Navarra, in denen zuletzt Leben in den Siebzigerjahren war, weil dort Spaghettiwestern gedreht wurden, findet sich über dem Rathausportal das Habsburgerwappen Kaiser Karls V., Herrscher über Spanien und plus ultra, weit darüber hinaus. Dabei stammt das so eng mit Österreich und anderen Ländern assoziierte kleine Grafengeschlecht ursprünglich aus der Schweiz.
Doch warum findet die erste große Ausstellung in Deutschland zu dieser Dynastie (nach solchen zu den Karolingern, Ottonen, Saliern und Staufern) im Historischen Museum von Speyer statt, das man gefühlt zuallerletzt mit Habsburg verbinden würde?
Speyer ist in seiner Symbolpolitik genauso wichtig, wie dieser deutsche König Rudolf I. von Habsburg noch für die Stadt bedeutsam werden sollte. Und nicht nur für Speyer. Auch viele weitere heute rheinland-pfälzische Städte wie Landau, Neustadt an der Weinstraße, Kaiserslautern, Alzey, Bergzabern oder Kreuznach verdanken ihr Stadtrecht Rudolf. Diese Stadtgründungen sind nicht gering zu achten, vielmehr äußert sich darin das weitsichtige, konsequente Setzen auf die im dreizehnten Jahrhundert erstarkenden Städte, deren Luft frei und deren Bürger den deutschen König reich machten.
Stadtluft macht den König reich
Hier setzt die Ausstellung an und zeigt, wie ein Schweizer Geschlecht aus einer selbst für dortige Verhältnisse kleinen Stammburg im Aargau derart aufsteigen und bis zur Auflösung des Reichs im Jahr 1806 zahlreiche deutsche Könige und Kaiser stellen konnte. Im elften Jahrhundert erstmals mit „Werner von Habsburg“ in der Burg an der Aare namentlich in Erscheinung tretend, waren deren Grafen noch lange keine Flächenherrscher – selbst die konkurrierenden Nachbargeschlechter der Kyburger und der Zähringer besaßen weit mehr Territorium. Man muss sich das vorstellen wie eine herbstliche Obstwiese: Räumlich getrennt von der Stammburg auf einem Gipfelgrat lagen die goldenen Äpfel in der heutigen Eidgenossenschaft verstreut, im grünen und weinreichen Elsass (die Habsburger waren glückliche und begüterte Vögte von Murbach, einem von nur vier Reichsklöstern, sowie im elsässischen Ottmarsheim), im Südwesten das Reichs und bald auch im heutigen Österreich.
Durch geschickte Heirats- und Expansionspolitik – Markenzeichen des Geschlechts, das bis zu seinem „Ende“ 1918 anhalten und geradezu zu einem Heirats- statt Kriegsgebot werden sollte („Tu felix Austria nube“) – gelingt es den Habsburgern in den nächsten zweihundert Jahren, immer weitere solvente Gebiete hinzuzugewinnen. Am 1. Oktober 1273 (die Speyrer Ausstellung läuft konsequent bis Mitte April des Jubiläumsjahres), wird der wohlhabende, aber machtarme Graf – kein Herzog! – Rudolf überraschend zum deutschen König gewählt.
In Speyers Historischem Museum beginnt der „Aufstieg einer Dynastie“, so der Untertitel der Schau, daher mit einer perfekt gefakten TV-Wahlsendung mit Bettina Schausten, in der die Nachrichtensprecherin vor der Kulisse der modern neogotischen Bankentürme vom Wahltag aus Frankfurt am Main berichtet, wie sich Rudolf wider jede Erwartung gegen den wesentlich mächtigeren Ottokar II. Přemysl von Böhmen durchsetzte. Dies ist ein Kennzeichen der Ausstellung: Neben den für eine historische Präsentation unabdingbaren Urkunden, die die Geschichte nachzeichnen, aber selbst im Fall der Goldenen Bulle mit der Kodifizierung des Wahlrechts durch die sieben Kurfürsten als eines von nur vier erhaltenen Exemplaren meist etwas für Spezialisten bleiben, wartet Speyer immer wieder mit den prächtigsten Schatzobjekten auf, die man aus vielen Ländern und Museen geliehen bekam, und zwar nicht unmotiviert als bunt auflockernde Bebilderung für Historisches, sondern vielmehr intrinsisch. Denn was sich spätestens seit Rudolf als Charakteristikum der Habsburger wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, ist die überdurchschnittliche Stiftertätigkeit und Kunstpatronage, für die sie über die Reichweite der Schau in Renaissance und Barock hinaus sprichwörtlich werden sollten.
Schon im Auftaktsaal leuchtet elfenbeinweiß der Olifant Albrechts III., ein kunstvoll in Süditalien beschnitztes Horn aus der Stoßzahnspitze eines Elefanten, das dieser dem habsburgischen Hauskloster Muri 1199 als Reliquienbehälter für den Hochaltar gestiftet hatte. Von den Stiftungen für das neu errichtete Kloster Königsfelden sind unter anderem Glasfenster vertreten. Von Albrechts I. Frau Elisabeth prangt das sagenhaft gut erhaltene Gebetbuch in einer Vitrine, das selbst auf seinem Einband feinste Buchminiaturen unter dünn wie Glas geschliffenen Hornplättchen aufweist. Doch damit nicht genug: Aus dem immensen Klosterschatz von St. Blasien im Schwarzwald, der vor der Säkularisierung in das österreichische Sankt Paul im Lavanttal gerettet wurde, sind Preziosen wie einer der kostbarsten Edelmetallbucheinbände des gesamten Mittelalters sowie weitere von den Habsburgern gestiftete Schätze wie Kreuze und Handschriften zu sehen. Besonders anschaulich wird die Kunstverliebtheit des Geschlechts im Saal zu Rudolf IV. „dem Stifter“, wo aus der Zeit um 1360 von der Singertorhalle des Wiener Stephansdoms der Abguss einer Statue dieses Multi-Mäzens mit zeitgenössisch modischer Wespentaille, ein eindrucksvoller Südturm-Wasserspeier und Schlussstein sowie tiefrot leuchtende Glasmalereien der Zeit und sogar eine Risszeichnung der Dombauhütte präsentiert werden.
Selbst bei dem über fünfzig Jahre lang regierenden Kaiser Friedrich III., den bereits Zeitgenossen aufgrund seiner Tendenz zum Helmut-Kohl-haften Aussitzen von Entscheidungen als „Reichserzschlafmütze“ verhöhnten, bewährt sich die Speyrer Balance aus Geschichtsdokumenten und Bildzeugen. Des Kaisers Porträt des Malers Hans Burgkmair, die Guckkastenblicke in das 2013 spektakulär untersuchte Kaisergrab in Wien und eines der prachtvollen Stundenbücher seines Erzkonkurrenten Matthias Corvinus von Ungarn sowie Bilder des osmanischen Heerführers Mehmed II., gegen den Friedrich glücklos blieb, werden der Dokumentation seines größten Coups gegenübergestellt: Das „burgundische Erbe“ rundete die Ländereien der Habsburger ab. In seinem Notizbuch sammelte er neben diversen Alphabeten auch unterschiedliche Auflösungen für sein berühmtes Vokal-Herrscher- und Besitzsymbol „a.e.i.o.u.“ von Austriae est imperare orbi universo (Es ist Österreich bestimmt, die Welt zu beherrschen) bis zu Austria erit in orbe ultima (Österreich wird bestehen bis ans Ende der Welt).
Für Maximilian, den „letzten Ritter“ am Ende der Schau, sprechen zwei besonders aufwendige „burgundische“ Prunkrüstungen sowie seine von Albrecht Dürer und Zeitgenossen ausgestatteten Prachthandschriften „Theuerdank“ und „Weißkunig“ sowie das atemnehmende, sechs Meter hohen Habsburger-Monument des Bildhauers Hans Valkenauer für den Speyrer Dom. Der letzte Saal schließt mit den 1865 vom Sterzinger Bildhauer Sebastian Steiner miniaturisiert geschnitzten „schwarzen Mander“ der Innsbrucker Hofkirche, der mit viel Phantasie ausgestalteten Genealogie der Habsburger von Caesar über König Artus und Gottfried von Bouillon bis eben zu Maximilian. Was dieser im Herbst des Mittelalters an typisch habsburgischer Repräsentation und Prunkentfaltung vorführte, sollte im Wesentlichen bis 1918 andauern.
Die Habsburger Im Mittelalter. Aufstieg einer Dynastie.
Historisches Museum, Speyer; bis 16. April 2023.
Der Katalog kostet im Museum 27,90 Euro.