Nicht alle trauern um die Monarchin – Englands koloniales Erbe wirft Schatten auf die Queen – die rührenden Bilder der ergriffenen Royals und Bürger vor den Palästen täuschen in der Tat nicht über historische – und aktuelle Gründe hinweg.
Als sich noch niemand vorstellen konnte, dass die ewige Queen Elizabeth II. irgendwann nicht mehr sein wird, sorgte eine studentische Aktion an der britischen Universität Oxford für Schlagzeilen. Studenten hatten im Juni 2021 beschlossen, ein Porträt der Monarchin in einem Aufenthaltsraum abzuhängen. Die Begründung: Das Abbild der Monarchin symbolisiere für einige „die jüngere Kolonialgeschichte“ Großbritanniens. Stattdessen solle ein neutraleres Kunstwerk aufgehängt werden, mit dem sich alle Menschen – gleich welchen Hintergrunds – wohlfühlen könnten.
Die Empörung über diese Majestätsbeleidigung war groß. Der damalige britische Bildungsminister Gavin Williamson polterte und nannte die Entscheidung der Studierenden „absurd“. Die Queen sei „das Staatsoberhaupt und symbolisiert das Beste von Großbritannien“. Sie habe sich während ihrer Regentschaft „unermüdlich“ dafür eingesetzt, „die britischen Werte von Toleranz, Offenheit und Respekt in der ganzen Welt zu fördern“. Wirklich? Betroffene und Historiker dürften das anders sehen:
Königin von Kanada und Tuvalu
Das weltweite Reich von Elizabeth II
Des Ablebens der Queen vor einigen Tagen wegen erlangen neben den Beileids- und Respektsbekundungen inzwischen auch kritische Stimmen immer mehr Gehör. Dabei geht es vor allem um das koloniale Erbe der Royals. Im Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ warf etwa der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer der britischen Königsfamilie vor, sie habe „auch ganz persönlich vom Kolonialismus profitiert“. Und weiter: „Da geht es um Werte von Millionen Euro aus Ausbeutung.“ So sei „seit Jahrzehnten bekannt, dass in den Kronjuwelen Edelsteine aus kolonialen Raubzügen verarbeitet sind“.
„Dieses Theater ist absurd“
Der Professor am Arbeitsbereich Globalgeschichte der Universität Hamburg warf der verstorbenen Monarchin vor, sie habe sich auch später „nie kritisch zum britischen Kolonialismus geäußert“. Vor allem in Malaysia, Kenia und Ägypten habe die britische Herrschaft koloniale Verbrechen begangen, erklärte der Experte für Kolonialgeschichte und fügte hinzu: „Das alles ist in ihrer Amtszeit passiert.“ Die Königin sei „entscheidend mitverantwortlich für die britische Politik“ gewesen.
In der Kolonie Malaysia habe die britische Armee Kriegsverbrechen begangen, während sie in Kenia brutal gegen die Widerstandsbewegung der Mau-Mau vorgegangen sei, erläuterte Zimmerer. Unabhängigkeitskämpfer und deren Familien seien in Konzentrationslager gesperrt und gefoltert worden. Und das alles in den Monaten nach dem Tod des Vaters der Queen, König George VI. „Dazu gibt es inzwischen auch Entschädigungsurteile von Gerichten in London“, so der Historiker. Außerdem hätten Großbritannien und Frankreich 1956 mit einer Militärintervention den Suezkanal besetzt, nachdem Ägypten ihn verstaatlicht hatte. „Das alles ist in ihrer Amtszeit passiert, und sie hat sich auch später nie kritisch dazu verhalten.“
Schnell nach Bekanntwerden des Todes von Elizabeth gab es vor allem in den sozialen Medien Kritik an ihr. „Ungefähr alle sechs Tage feiere ein Land seine Unabhängigkeit von Großbritannien, kommentierte ein Twitter-Nutzer. Dieser Anlass sei der am weitesten verbreitete Feiertag auf der Welt. „Hätte sich die Königin für Sklaverei, Kolonialismus und Neokolonialismus entschuldigt und die Krone aufgefordert, Reparationen für die Millionen von Menschenleben zu leisten, die in ihrem Namen geopfert wurden, dann würde ich vielleicht das Menschliche tun und mich schlecht fühlen“, twitterte der Uni-Professor Mukoma Wa Ngugi.
„Als Kenianer fühle ich nichts. Dieses Theater ist absurd.“
Kenia befand sich seit 1895 unter britischer Herrschaft. Im Jahr 1920 wurde es offiziell zu einer Kolonie ernannt und erlangte erst im Jahr 1963 – also elf Jahre, nachdem Elizabeth II. den britischen Thron bestiegen hatte – seine Unabhängigkeit. „Das Erbe der Königin begann mit dem Kolonialismus und ist immer noch in diesen verwickelt“, sagte Farooq Kperogi, Kommunikations-Professor an der Kennesaw State University im US-Bundesstaat Georgia, dem Sender CNN. „Keine noch so große Menge an Mitgefühl oder Sympathie, die ihr Tod hervorgerufen hat, kann das wegwischen.“
Ein Schritt in die richtige Richtung
Richtig ist auch, dass viele Staaten während der langen Regentschaft Elizabeths unabhängig wurden. Es war eine post-koloniale Ära, die die Queen mitprägte. Die früheren Kolonien aus Asien, Afrika und der Karibik gingen im Commonwealth auf, einem losen Bund, der heutzutage aus 56 souveränen Staaten besteht. Die Queen – und nun König Charles III. – sind nach wie vor Staatsoberhäupter einiger dieser Staaten, den sogenannten Commonwealth Realms. Zeit ihres Lebens setzte sich Elizabeth II. dafür ein, dass die Gruppe als Einheit bestehen bleibt.
Unbestritten ist, dass die Queen vielfach den afrikanischen Kontinent besuchte und mit den dortigen Führungspersonen sowie Bürgern ins Gespräch kam. Die Monarchin wird von einigen afrikanischen Beobachtern in diesem Zusammenhang auch als stabilisierende Kraft wahrgenommen, die einen positiven Wandel zu mehr Unabhängigkeit während ihrer Regentschaft bewirkte, berichtet CNN. Sie bekomme dafür keine Jubelstürme oder stehende Ovationen, aber immerhin sei dies ein Schritt in die richtige Richtung gewesen.
Doch der Druck, sich zu vergangenen Gräueltaten und Unrecht im Namen des Kolonialismus zu äußern, wächst. Das wurde nicht zuletzt durch die Einzelaktion an der Universität Oxford deutlich. Auch Rassismus-Vorwürfe in Bezug auf Herzogin Meghan, die von ihr und ihrem Mann, Prinz Harry, selbst hervorgebracht worden waren, heizten die Debatte an. Und es war auch der jüngste Sohn von König Charles III., der im Juli 2020 offen ansprach, dass sich die Staaten des Commonwealth mit ihrer kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen müssen.
Hinzu kommen einzelne Staaten, die sich weiter von der britischen Krone lösen. Jamaika etwa. Und auch der karibische Inselstaat Antigua und Barbuda, der erst 1981 unabhängig wurde, soll nach dem Willen des Regierungschefs zur Republik werden. Das kündigte Premierminister Gaston Browne an diesem Wochenende an. Barbados hat diesen Prozess längst hinter sich.
Die jungen Royals leisten Abbitte
Die britische Königsfamilie scheint verstanden zu haben, dass Stillschweigen nicht länger eine Lösung ist. Vor allem die jüngere Generation bemüht sich, die Wogen zu glätten. Im Frühjahr brachen William und Kate zu einer achttägigen Reise in die Karibik auf. Sie glich zeitweise einem Spießrutenlauf. Die Proteste und kritischen Zwischentöne waren in Belize, Jamaika und auf den Bahamas nicht zu überhören. Auch die Royals blieben nicht stumm.
In Jamaika, wo unter britischer Herrschaft Hunderttausende aus Afrika verschleppte Menschen auf Zuckerplantagen ausgebeutet wurden, ergriff Prinz William das Wort. Auf einem Staatsbankett nannte er die historische Rolle Großbritanniens im Sklavenhandel „abscheulich“ und bezeichnete sie als einen „Fleck in unserer Geschichte. Ich möchte mein tiefes Bedauern zum Ausdruck bringen“, sagte er, ohne sich explizit zu entschuldigen. Die Sklaverei „hätte nie passieren dürfen“. Er verwies darauf, dass sein Vater Charles die Sklaverei bereits zuvor verurteilt habe.
Zu den Kritikpunkten gehört auch, dass Großbritannien sich immer wieder damit rühme, bereits 1834 die Sklaverei abgeschafft zu haben, verschwiegen werde jedoch oft, dass damit eine massive Entschädigung für Sklavenhalter einherging, an deren Tilgung das Land noch bis 2015 zahlte. Für die ehemaligen Sklaven und ihre Nachfahren habe es bislang hingegen keine finanziellen Entschädigungen gegeben.
Sie steht für ein System
CNN nennt es eine „Komplexität des Vermächtnisses der Königin“, die trotz ihrer großen Beliebtheit in Teilen der Welt, in denen sich das britische Empire einst ausgebreitet hatte, auch als „Symbol der Unterdrückung“ angesehen wurde. Historiker Zimmerer sagte dem „Tagesspiegel“: „Ich habe den Verdacht, dass sie deshalb so beliebt war, weil sie nie jemandem auf die Füße getreten ist. Außer mit ihrer anfänglichen Weigerung, nach dem Tod von Diana ihr ein Staatsbegräbnis zu gewähren, aber da hat sie ja schnell nachgegeben.“
Die Kritik am kolonialen Erbe Großbritanniens ist indes nicht zwingend an die Person der Queen gebunden, sondern an die britische Monarchie als solche, sagte der Historiker Matthew Smith im Interview mit dem US-Sender NBC. Es gehe um die Beziehung dieser Institution zu „Systemen der Unterdrückung, der Repression und der erzwungenen Ausbeutung von Arbeitskräften, insbesondere afrikanischer Arbeitskräfte, sowie der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Erzwingung von Kontrollsystemen an diesen Orten“, so der Professor des University College London.
„Und das ist ein System, das über die Person von Königin Elizabeth hinaus existiert.“
Die Aussegnung
von Queen Elisabeth
in der Windsor-Chapel
am 19. Sept. 2022