Das internationale literaturfestival berlin (ilb) ruft zu einer weltweiten Lesung des Werkes von Salman Rushdie auf. Einzelpersonen, Schulen, Universitäten, Kulturinstitutionen und Medien sind eingeladen, am 29. September aus Salman Rushdies Texten zu lesen. Die Lesungen können überall stattfinden, auch privat im kleinen Kreis, in einer Schule, in einer Kultureinrichtung oder im Radio.
„Mit der Lesung soll ein Zeichen für die Freiheit der Literatur und des öffentlichen Wortes sowie für die Solidarität mit dem Autor gesetzt werden, der Opfer eines grausamen Attentats wurde“, heißt es in dem Aufruf, der von vielen Autorinnen und Autoren aus aller Welt unterstützt wird.
Die Autorin Madame Nielsen schlage außerdem vor, „dass wir bis zum 29. September überall im öffentlichen Raum Die Satanischen Verse mit uns tragen sollten, dass wir das Buch überall aufschlagen und lesen, in Cafés, Parks und der U-Bahn“, teilt Festivaldirektor und Programmleiter Ulrich Schreiber mit. Elfriede Jelinek rege Autoren an, Auszüge davon auf den eigenen Websites zu platzieren, falls die Rechte hierfür jeweils erworben werden können.
Der Aufruf im Wortlaut:
„Das internationale literaturfestival berlin [ilb] lädt Einzelpersonen, Schulen, Universitäten, Kulturinstitutionen und Medien ein, am 29. September 2022 an einer „Weltweiten Lesung“ aus Salman Rushdies Werken teilzunehmen – von Mitternachtskinder, Die satanischen Verse, Joseph Anton bis zu seinen neuesten Büchern Sprachen der Wahrheit und Victory City. Mit der Lesung soll ein Zeichen für die Freiheit der Literatur und des öffentlichen Wortes sowie für die Solidarität mit dem Autor gesetzt werden, der Opfer eines grausamen Attentats wurde.
Auch wenn die konkreten Hintergründe des Attentats und das Motiv des Täters noch nicht geklärt sind, scheint klar, worauf sie vermutlich zurückgehen: auf die Fatwa, die der iranische „Revolutionsführer“ Ayatollah Khomeini 1989 gegen Rushdie erlassen hat. Sie forderte die Tötung des in Indien geborenen, britischen Schriftstellers, weil er mit den Satanischen Versen angeblich den Islam, den Koran und den Propheten Mohammed beleidigt habe. Bis heute hat das iranische Regime den Aufruf zur Ermordung des Autors nicht zurückgenommen, ebenso wenig wie das Kopfgeld, das es damals auf ihn ausgesetzt hatte. Die wichtigen Medien im Iran applaudieren derzeit dem Attentäter.
Salman Rushdie musste deshalb jahrelang unter intensivem Polizeischutz leben. Mehr als 20 Jahre lang ging man davon aus, dass keine Gefahr mehr für sein Leben bestehe. Doch diese Annahme hat sich durch das blutige Attentat in New York auf schockierende Weise als trügerisch erwiesen. Es macht deutlich, dass die Bedrohung der elementaren Menschenrechte und Freiheiten virulent ist. Der Anschlag auf Rushdie fällt in eine Zeit, in der die demokratische Welt von immer aggressiveren autoritären Mächten unterschiedlichster Prägung in die Defensive gedrängt, wenn nicht – wie in der Ukraine – durch offenen Krieg und ein unglaubliches Ausmaß an Gewalt mit Tod und Zerstörung überzogen wird.
Es ist daher dringend geboten, entschlossen aufzustehen und Recht und Menschenwürde zu verteidigen. Mit der Lektüre seiner Romane und Essays können freiheitsliebende Menschen in aller Welt ein Zeichen setzen, dass sie sich von Gewaltandrohungen nicht einschüchtern lassen und sich keinem Versuch beugen, Gedanken in Wort, Schrift und Bild zu unterdrücken oder auszulöschen.
Die Lesungen können überall stattfinden, auch privat im kleinen Kreis, in einer Schule, in einer Kultureinrichtung oder im Radio. Personen und Institutionen, die sich mit einer Lesung am 29. September beteiligen möchten, werden gebeten, uns folgende Informationen zukommen zu lassen: Organisatoren, Ort, Zeit, teilnehmende Akteure, Veranstaltungssprache, ggf. Link zu Ihrer Website. Die E-Mail-Adresse lautet: worldwidereading@literaturfestival.com. Wir bitten die Veranstalter, die Rechte für Lesungen selbst zu klären.“
Man kennt das Munk`sche Bild eines schmählich, schmachvoll Gealterterten. Oder dies: Die Augen erloschen, haschen sie anderswo nach den spärlich applaudierenden Händen, der Rücken will sich nicht mehr beugen, doch man möchte meinen, sie leckten vom Bühnenboden noch den letzten fahlen Schein des ausblendenden Scheinwerferlichts auf. Quälende Erinnerung an den herrlichen Theatermagier Minetti, der seinen Text vergessen hat. An die androgyne Celluloid-Fee Marlene Dietrich, die im schauerlichen „Gigolo“-Film eine Karikatur ihrer selbst bot und nur am einst berühmten Piano lehnend sich noch aufrecht halten konnte. Faltige Münder, die den allerletzten Beifall aufschlabbern. Aufhören zur rechten Zeit muss sehr schwer sein. Und wir, die Schreiberlinge? Oft genug hurtig heruntergeladene und etwas „ins Heute versetzte Artikel“ von früher, solche freilich die nicht mehr so in der Zeit sind, als dass es einem dabei freudig zumute sein könnte. Selbst ein Gigant wie Thomas Mann mochte sich und uns am Ende seines Lebens jene fatale Erzählung „Die Betrogene“ nicht ersparen.
Türken sind mediterrane Menschen, daher ihr Temperament, was ihnen nachzusehen sei.
Seit eh und je sieht ihr Puls wie auch ihr Ärger nicht anders aus als ihr EKG. Schnell sind sie begeistert, schnell betrübt und regen sich in der Regel ebenso schnell auch auf.
588 der 705 Parlamentarier stimmten am Dienstagmittag für die Verhandlungs – Ergebnisse zum DMA, 539 für den Kompromiss zum DSA – womit Europa eine neue Ära der Techregulierung einläutet, in der künftig der Grundsatz gilt: Was Offline nicht erlaubt ist, ist künftig Online auch verboten.“ So jedenfalls freute sich der deutsche CDU-Abgeordnete Andreas Schwab, der für das Parlament Verhandlungsführer für den DMA war, bei der Aussprache im Straßburger Plenum am Montagabend.
Ich wollte schon immer mal ein U-Boot sein!
Deutsche Archäologen haben eine 3400 Jahre alte Stadt am Tigris ausgegraben.
Die Überreste der bronzezeitlichen Stadt waren zuvor einige Jahrzehnte lang im irakischen Mosul-Stausee versunken gewesen, dessen Wasserstand auf Grund von extremer Trockenheit zuletzt stark gesunken war.
In einer Glasschale auf dem Wohnzimmertisch lag ein wenig Gras. Wie sich später herausstellt: ganze 0,2 Gramm. Eigentlich kein Grund zur Panik. Doch eine Frau aus Bayern sollte sich deswegen vor Gericht verantworten. Ihre Nachbarin hatte die Polizei gerufen, weil sie einen „verdächtigen Geruch“ wahrgenommen hatte. Die Polizei entschied, es bestehe Gefahr im Verzug. Sie drang in die Wohnung der Frau ein und fand das Marihuana im Wohnzimmer. Später schickte die Staatsanwaltschaft einen Brief: 900 Euro sollte die Frau zahlen. Sie bezieht Hartz IV und hat monatlich 403 Euro für Essen, Kleider, Bücher.
Die Staatsanwaltschaft hätte entscheiden können, die Akten dazu wegzuheften und das Verfahren einzustellen. Denn wer in Deutschland geringe Mengen Cannabis besitzt, ohne andere zu gefährden, muss nicht strafverfolgt werden. So hat es das Bundesverfassungsgericht 1994 entschieden. Was eine geringe Menge ist, kommt drauf an, wo man kifft: In Berlin sind es 15 Gramm, in Nordrhein-Westfalen 10 Gramm und in Bayern 6 Gramm. Die 0,2 Gramm lagen in jedem Fall darunter. Eigentlich hätte der Vorfall den Behörden egal sein können. Zumal die amtierende Bundesregierung Cannabis sowieso legalisieren will.
Mehr Cannabis-Delikte sind besser für die Polizei-Statistik
Mit einer anderen Drogenpolitik könnte der Staat viel sparen: Steuern spülten Geld in den Haushalt. Außerdem würde die Polizei weniger kontrollieren, die Staatsanwaltschaften weniger ermitteln, Gerichte weniger verurteilen und Gefängnisse weniger Menschen verwahren. Denn Drogendelikte sind Kontrolldelikte: Nur wer aktiv nach Tatverdächtigen sucht, findet sie. Wo keine Kontrolle, da kein Delikt, weil niemand Interesse an einer Anzeige hat. Außer die Polizei. Denn wenn sie mehr Cannabis-Dealer und -Besitzer erwischt, ist das besser für die Statistik. So kann sie mehr „aufgeklärte Fälle“ an die Staatsanwaltschaft und auch an die Öffentlichkeit melden. Als aufgeklärt gilt ein Delikt, wenn Polizisten eine tatverdächtige Person ermittelt haben.
Giftiges Chemiegras überschwemmt Deutschland
Würde man Cannabis legalisieren, könnte die Polizei richtig viel Geld sparen. Zeit, Muße und Personal womöglich auch. Der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor Justus Haucap hat in einer Studie ausgerechnet, dass es zwischen 1 und 1,6 Milliarden Euro wären. Das ist allerdings eher eine grobe Schätzung. Haucap hat die registrierten Cannabisdelikte der Polizeilichen Kriminalstatistik hochgerechnet auf die Gesamtkosten der Polizei. Die Rechnung geht davon aus, dass alle Cannabisdelikte einen gleich hohen Ermittlungsaufwand auslösten, sei es die Abgabe an Minderjährige oder der bandenmäßige Handel. Doch die benötigten Ressourcen können sich von Delikt zu Delikt stark unterscheiden. „Wir haben keine besseren Daten“, rechtfertigt Haucap sein Vorgehen. „Ich hätte gern genauere Zahlen. Doch die kann nur die Polizei selbst produzieren.“
Angenommen die Polizei hätte nach der Legalisierung tatsächlich 1 bis 1,6 Milliarden über, vielleicht etwas mehr oder weniger. Was geschieht mit dem Geld?
Um das herauszufinden, hat VICE alle 16 Bundesländer, das Bundeskriminalamt und den Zoll gefragt, was sie mit dem Geld machen werden. Hier sind einige Antworten:
- „Wir gehen mit Blick auf die […] Cannabis-Legalisierung in der Summe von keiner Entlastung der Bayerischen Polizei aus. Denn eine Cannabis-Freigabe schafft aus unserer Sicht mehr Probleme als sie löst.“ – Innenministerium Bayern
- „Grundsätzlich gehen wir […] davon aus, dass durch die Legalisierung von Cannabis eher keine Ressourcen bei der Polizei frei werden, weder personell noch monetär.“ –
Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern - „Die Polizei [möchte] bisher noch keine Einschätzung zu eventuellen bzw. hypothetischen Folgen einer möglichen Legalisierung von Cannabis abgeben. Die Rahmenbedingungen einer möglichen Legalisierung sind ja noch völlig unklar, sowohl was die strafrechtliche Einordnung angeht, also auch die zukünftigen Möglichkeiten einer legalen Abgabe von Cannabis.“ – Polizei Hamburg
- „Die von Ihnen gewünschten Zahlen lassen sich tatsächlich nicht berechnen.“ – LKA Sachsen-Anhalt
Eine Einschätzung sei nicht möglich, heißt es aus vielen Ländern. Wer fragt, trifft auf eine Mischung aus Nichtwissen, Nicht-Spekulieren-Wollen und Nicht-Gutheißen des Gesetzvorhabens der Ampelkoalition. Einige Polizeien glauben, dass sie durch eine Legalisierung gar mehr Aufwand und Kosten haben. Das Bayerische Innenministerium rechnet mit mehr Verkehrsunfällen, mehr kiffenden Jugendlichen und schreibt auch: „Noch völlig unklar ist, wie die Polizei bei einer Kontrolle feststellen kann, aus welcher Quelle das Cannabis stammt.“ Aber das dürfte womöglich egal sein, wenn der Besitz legal ist. Die Sprecherin des Innenministeriums von Mecklenburg-Vorpommern sagt, dass die Polizei sich – trotz Legalisierung – weiterhin mit Cannabisdelikten beschäftigen müsse, etwa mit illegalem Verkauf, Anbau, Beschaffungskriminalität. Sie verweist auf die Niederlande, wo „sich kriminelle Netzwerke rund um den Bereich von Coffeeshops gebildet“ haben. Die Sprecherin kommt zu dem Schluss: Nach der Legalisierung verlagere sich die Polizeiarbeit in andere Bereiche und bedürfe gar zusätzlicher Ressourcen. Allerdings will Deutschland ein anderes Modell aufsetzen als die Niederlande. Und es steht noch nicht fest, ob tatsächlich die Polizei den Anbau kontrollieren wird oder nicht etwa Ämter für Lebensmittelüberwachung.
Ein Grund für die Zurückhaltung: der fehlende Gesetzentwurf
Nur wenige Länder haben konkrete Überlegungen angestellt: In Nordrhein-Westfalen plant die Polizei, freiwerdende Ressourcen in die Bekämpfung von internationalem Kokainschmuggel zu investieren. Außerdem auf der Liste: Labore, die synthetische Drogen herstellen, und der Drogenhandel übers Internet. In Hessen will man mehr gegen organisierte Kriminalität kämpfen und die Prävention stärken.
Die vielerorts zurückhaltenden Äußerungen der Polizei könnten damit zu tun haben, dass es im Interesse der Behörden liegt, sich selbst zu erhalten. Freiwerdende Ressourcen stehen dem entgegen. Aber es gibt einen weiteren plausiblen Grund: In Deutschland fehlt bisher ein Gesetzesentwurf. Diesen würde das Gesundheitsministerium vorlegen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte aber schon, dass er bei der Legalisierung keinen Zeitdruck sehe. Zuerst komme die Coronapandemie, die Pflege, die Krankenhausfinanzierung. Auf die Frage von VICE, ob an einem Gesetzentwurf gearbeitet werde, antwortete sein Ministerium, es könne noch keine Aussage treffen. Denn das Vorhaben sei umfangreich, betreffe mehrere Ressorts und Bereiche: Anbau, Produktion, Handel, Verkauf, Verbraucher-, Jugend- und Nichtraucherschutz, Steuer-, Straßenverkehrs-, Straf- und Ordnungswidrigkeiten, Völker- und Europarecht.
Egal wie das Gesetz am Ende aussieht: Die Polizei und der Zoll werden weiterhin mit Cannabisdelikten zu tun haben. Denn in einem Punkt sind sich Polizei, Innenministerien, Gewerkschaften und Wissenschaft einig: Der Schwarzmarkt wird bleiben.
Wer geht auf den Schwarzmarkt, wenn Cannabis legal ist?
Frank Buckenhofer ist Zollbeamter und Vorsitzender der Gruppe „Zoll“ in der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der Zoll nimmt in Deutschland auch polizeiliche Aufgaben wahr, etwa bei der Überwachung der Grenzen. Seit 1983 kontrolliert und fahndet Buckenhofer für den Zoll in Nordrhein-Westfalen. Er hat drei Gruppen identifiziert, die auf dem Schwarzmarkt Cannabis kaufen werden – auch wenn es legal ist: Jugendliche, Menschen, die sich legale Produkte nicht leisten können, und jene, die Angst um ihren Ruf haben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird legales Cannabis mehr kosten als illegales, weil der Staat Steuern damit einnimmt. Dafür kontrolliert er die Qualität.
Der Ökonom Justus Haucap schreibt in seiner Studie hingegen, dass der Schwarzmarkt fast verschwinden könnte. In Kanada und in 18 US-Staaten ist Cannabis seit mehreren Jahren legal erhältlich. Der illegale Handel blieb dennoch.
Bis die Schwarzmärkte austrocknen, wird einige Zeit vergehen, erklärt Haucap im Gespräch mit VICE. Außerdem müssen bestimmte Bedingungen erfüllt werden: „Das legale Cannabis muss flächendeckend verfügbar sein. Nur dann kann der Schwarzmarkt verschwinden. Wenn ich bis zur nächsten Abgabestelle 30 Kilometer fahren muss, ist es natürlich einfacher, etwas auf dem Schwarzmarkt zu kaufen.“ Hinzu kommt: Das Angebot muss die Nachfrage abdecken. Als die Menschen in Kalifornien 2018 Cannabis legal kaufen konnten, habe der Staat zu langsam Anbauer lizensiert, sagt Haucap. So hatten die Verkaufsstellen nicht genug Cannabis. Konsumierende wendeten sich wieder an den Dealer ihres Vertrauens.
Doch bringt ein kleinerer Schwarzmarkt dem Staat mehr Geld? Ja, durch Steuern. Dass es Einsparungen bei den Behörden gibt, bezweifelt der Zollbeamte Buckenhofer: „Es ist naiv zu glauben, durch die Cannabis-Legalisierung würde der Zoll oder die Polizei Geld sparen.“ Für seine Kollegen und ihn bliebe die Arbeit wie bisher. Denn: Die Grenzabschnitte, die der Zoll überwacht, bleiben gleich lang und gleich frequentiert – selbst wenn weniger Cannabis geschmuggelt werden würde. Aber würde nicht Arbeit wegfallen, weil der Zoll weniger Menschen erwischen würde? Buckenhofer räumt ein, dass zumindest kleine Eigenbedarfsmengen, die dann womöglich legal seien, für den Zoll keine Arbeit mehr nach sich ziehen würden. „Aber selbst das könnte noch Kontrollen hinsichtlich der bestehenden Verbrauchsteuerpflicht auslösen – ähnlich wie zum Beispiel bei Zigaretten.“
Sorge um bekiffte Autofahrer und gefährdete Jugendliche
Die großen Polizeigewerkschaften in Deutschland sprechen sich seit Jahren gegen die Cannabis-Legalisierung aus. Eigentlich ist die Polizei ausführende Behörde. Sie setzt die Gesetze durch, die Parlamente beschließen. Polizeigewerkschaften sind also die Arbeitnehmervertreter eines Exekutivorgans. Dennoch versuchen sie legislative Prozesse zu beeinflussen. Die Vorsitzenden von DPolG und GdP, den beiden größten Gewerkschaften, warnen regelmäßig vor der Legalisierung.
Die Standpunkte in den Innenministerien und Polizeibehörden einiger Länder gleichen mitunter denen der Gewerkschaften. Das LKA Niedersachsen veröffentlichte etwa das Positionspapier „Zehn gute Gründe, Cannabis nicht zu legalisieren“. Die Bayerische Polizei befürchtet: „Es werden viel mehr Leute ‚auf den Geschmack‘ kommen und sich dann günstig mit Cannabis eindecken wollen. Das wäre ein Konjunkturprogramm für den Schwarzmarkt.“ Der Ökonom Haucap hält das für völlig unplausibel. „Wenn jemand wegen der Legalisierung auf den Geschmack käme, hieße das ja, die Person kaufe Cannabis legal ein. Das wäre ein Argument gegen den Schwarzmarkt“, sagt er.
Legalisierungsgegner bringen vor allem zwei Argumente: mehr Unfälle durch bekiffte Autofahrer und die Gefährdung Jugendlicher. Hartnäckig hält sich die Behauptung, Cannabis sei eine Einstiegsdroge. Dabei widerlegen Studien die Annahme seit Jahrzehnten. Was allerdings stimmt: Wer als Jugendlicher Cannabis regelmäßig konsumiert, hat ein mindestens doppelt so hohes Risiko an einer Psychose zu erkranken. Und seit Jahren steigt die Zahl Jugendlicher, die bei Befragungen angeben, schon einmal Cannabis geraucht zu haben.
Prävention mit Cringe-Faktor
Wie Prävention so aussehen kann, wenn man sie der Polizei überlässt, zeigt das Landeskriminalamt (LKA) in Niedersachsen. Es hat 2016 eine Kampagne gestartet mit dem Namen „DIE RAUCHMELDER – GRASS, ODER WAS?!“ In sechs Videos machen zwei Jungen namens Chris und Nik, genannt die Rauchmelder, den „Cannabis-Check“. In Karohemd und Hoodie treffen sie Ex-Konsumierende und Gefangene, die erzählen, wie der Cannabiskonsum ihr Leben zerstört habe.
Dazu erklärt Rauchmelder Chris Video für Video, wie Cannabis das Gehirn schrumpfen lasse und abhängig mache. Er spricht darüber, wie Konsumierende ihre Schulabschlüsse nicht mehr schaffen, echte Freunde verliere und später keine Jobs bekommen. Dazu sagt Chris Sätze wie: „Cannabis kann dann übelste Auswirkungen haben. […] Hört sich nicht so geil an, oder? Kiffen ist halt nicht so harmlos, wie viele denken!“ Mit dem Material arbeiten Präventionsteams der Polizeiinspektionen in Niedersachsen. Das hat den Landeshaushalt bisher 40.000 Euro gekostet.
Die Videos sollen vor allem abschrecken. Wie zielführend das ist, kann man anzweifeln. Suchtforscher sind sich schon lange einig, dass Angst machen höchstens kurzfristig hilft. Moderne Prävention konzentriert sich darauf Ursachen für Sucht zu erklären.
Kleinste Polizeigewerkschaft will alle
Drogen entkriminalisieren
Trotz all der Legalisierungsskepsis – innerhalb der Polizei begrüßen auch einige Gruppen die Absichten der Ampelkoalition. Die kleinste Polizeigewerkschaft, der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), fordert schon länger eine Entkriminalisierung. Und nicht nur von Cannabis: Der BDK will, dass der Genuss keiner einzigen Droge strafverfolgt wird. „Der hedonistische Kiffer, der es sich am Wochenende gutgehen lässt, ist doch kein Straftäter“, sagt Dirk Peglow, Vorsitzender des BDK und Polizist in Frankfurt am Main. „Portugals Drogenpolitik ist ein gutes Beispiel. Dort steht der Mensch im Mittelpunkt.“ In Portugal darf jeder bis zu 25 Gramm Cannabis besitzen. Wer mit mehr erwischt wird, begeht eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat und bekommt Hilfs- und Therapieangebote. Peglow findet diesen Ansatz löblich: „Menschen, die konsumieren, bleiben dabei. Auch wenn Restriktionen und Strafverfolgung drohen. Man muss sich doch fragen: Warum konsumieren Menschen? Und was können wir tun, damit sie einen guten Umgang finden?“
Doch was machen die Polizeibeamten, die jetzt Dealer jagen, wenn Cannabis legal ist? „Ich würde mir wünschen, dass mehr Ressourcen für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität frei werden“, sagt Peglow.
Auch der Verein Polizeigrün setzt sich seit Jahren für eine Entkriminalisierung von Cannabis ein. Der Vorsitzende Armin Bohnert, Polizist in Freiburg, sagt: „Die repressiven Maßnahmen der vergangenen Jahrzehnte haben nichts gebracht. Wahrscheinlich wurde noch nie so viel Cannabis konsumiert wie jetzt. Man riecht das ja überall, wenn man durch Großstädte geht.“ Er sieht freiwerdende Mittel bei der Bekämpfung von Kinderpornografie, Cybercrime und Hasskriminalität besser aufgehoben. „Baustellen haben wir genug.“
Bis Cannabis legal ist, gibt es in Deutschland noch eine Menge zu regeln: Wer darf es anbauen? Unter welchen Bedingungen? In welchen Mengen? Wer darf damit handeln? Supermärkte, Apotheken, Coffeeshops? Ab welchem Alter darf man Cannabis kaufen? Wer überprüft die Qualität?
Dazu gibt es konkrete Ideen: Die Grünen haben schon 2015 einen Gesetzentwurf für ein Cannabiskontrollgesetz vorgelegt. Auch die FDP forderte im vergangenen Jahr – noch in der Opposition – die schwarz-rote Regierung auf, einen Entwurf für die kontrollierte Cannabis-Abgabe vorzulegen. Nun regieren Grüne und FDP – gemeinsam mit der SPD, der Partei des Gesundheitsministers. Wenn er das Thema priorisiert, werden wohl Millionen Menschen entkriminalisiert. Dann dürften keine Hartz-IV-Empfängerinnen mehr wegen 0,2 Gramm Marihuana angeklagt werden. Übrigens: Einen Tag vor der Verhandlung der Frau klingelte das Telefon ihres Anwalts. Der Richter war dran. Er sagte dem Anwalt, dass die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl zurückgenommen habe. Die Verhandlung fiel aus. Vielleicht war der öffentliche Druck zu groß.
(Un)Glücksfall für die Wissenschaft
Es ist der 13. September 1848. Phineas Gage, ein Vorarbeiter einer nordamerikanischen Eisenbahngesellschaft arbeitet zusammen mit seinen Arbeitskollegen, so wie an jedem anderen Tag auch. Es ist eine schwere und nicht ganz ungefährliche Arbeit. Die Männer müssen tiefe Löcher ins Gestein bohren, diese mit Schießpulver und Sand stopfen, um die Felsen zu sprengen.
Politiker der Ampel-Regierung befürchten, dass steigende Gas- und Lebensmittelpreise zu sozialen Unruhen im Herbst führen könnten. Die Sorge dahinter: Die Demonstrationen könnten – ähnlich wie bei den Protesten gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen – erst von Extremisten unterwandert und die Demonstranten dann gegen den Staat aufgehetzt werden.
Ganz ähnlich klingt der Aufruf zu Protesten in Berlin. Am Montag konnten sich Interessierte je nach Uhrzeit verschiedenen Demos anschließen: um zehn Uhr „Revolte“, um 14 Uhr „Aufstand“ und um 18 Uhr „Bürgerkrieg“.
Pia Lamberty, Geschäftsführerin des Think Tanks „Cemas“ nennt das „Umsturzfantasien“. An sich nichts Neues, doch die Verfassungsfeinde hofften, die multiple Krisenlage – Krieg, Klima und Corona – lasse sich besonders gut ausnutzen.
Differenzierte Betrachtung
Armin Schuster, Innenminister von Sachsen, bereitet sich in seinem Bundesland auf verschiedene Szenarien im Herbst vor. Für ihn sei dabei wichtig zu differenzieren: Auf der einen Seite gebe es Bürger, die Existenzängste haben – etwa, weil sie nicht wüssten, ob sie ihren Job behielten und wie sie am Ende des Jahres ihre Rechnungen begleichen sollten. Hier müsse der Staat helfen.
Auf der anderen Seite habe Schuster „Gruppierungen, Aktivisten, Parteien“ wahrgenommen, die die aktuelle Situation für ihre Zwecke ausnutzen wollten. Diejenigen, die „mobilisieren und verhetzen“ habe seine Behörde schon jetzt „im Blick“.
Die Gegendemonstranten sprachen sich lautstark für die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2 und gegen Russland-Sanktionen aus. Anders ausgedrückt: Sie zeigten sich solidarisch mit Putin, mit dessen autoritärem System – brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine hin oder her. Habecks Politik hingegen nannten sie zum Beispiel „Ökosozialismus“.
Forderungen an die Politik
Die Politik müsse Räume für Proteste schaffen, die den demokratischen Spielregeln folgen, fordert Lamberty. Als Vorbild für solche Räume nennt sie die sogenannten Klimaräte, in denen Bürger möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen repräsentierten und gemeinsam Lösungen erarbeiteten.
Wichtig ist nach Ansicht von Quent, dass die Politik ehrlich erklärt, warum sich Deutschland in eine Energieabhängigkeit von Russland begeben hat. Dazu gehört für ihn auch das unmissverständliche Eingeständnis, Fehler gemacht zu haben.
Darüber hinaus müsse die Bundesregierung für soziale Gerechtigkeit sorgen, so Quent. Und dabei auch im Blick haben, dass die materiellen Folgen in Ost und West unterschiedlich sein würden. So sei die wirtschaftliche Kapazität im Osten schwächer, das Ausmaß der Krise entsprechend größer.
In der Tat tüftelt die Bundesregierung seit Wochen an einem weiteren Entlastungspaket. Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD hat zudem angekündigt, noch stärker gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien vorzugehen – auch durch präventive Maßnahmen.
Konkret meint sie damit eine stärkere Förderung von politischer Bildung und gesellschaftlichem Engagement. Dafür soll künftig die Abteilung Heimat zuständig sein.
Zeitdruck für Präventionsprojekte
Da Mobilisierung nicht immer nach dem gleichen Muster ablaufe, sondern je nach Region unterschiedlich, sei es richtig, Projekte vor Ort zu fördern, so Lamberty. Eine Expertise, die oft vor Ort bereits existiert, gebraucht wird und gefördert werden müsse. Die Frage sei allerdings, ob die Projekte schnell genug wirkten.
Diejenigen, die zu einem Dialog bereit sind, könne man mit solchen Projekten durchaus erreichen, sagt auch Quent. Harte Ideologen aber sicherlich nicht.
Forderung nach Krisenstab
Schuster fordert zudem einen Ressort-übergreifenden Krisenstab – ähnlich wie in der Corona-Pandemie. Die Krisenlage könne schließlich alle Bereiche der Politik treffen, zum Beispiel auch Familien und Schulen. Was, wenn etwa im Winter Sporteinrichtungen geschlossen werden müssten?
Dann gelte es, gemeinsam abgestimmte Lösungen zu erarbeiten. Und zwar zwischen Bund und Ländern. „Die Qualität des Krisenmanagements der Bundesregierung wird für das Ausmaß der Existenzängste und damit möglicher sozialer Proteste mitentscheidend sein“, so Schuster. Sollte es nicht gelingen, zu helfen, könnte in der Tat eine große Protestbewegung auf Deutschland zukommen.
Herr Dreier, Sie erforschen das Gehirn zwischen Leben und Tod. Wie, glauben Sie, fühlt es sich an zu sterben?
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Das hängt natürlich stark davon ab, warum man stirbt. Haben wir keine Schmerzen, merken wir den Übergang vielleicht gar nicht. Möglicherweise ist es dann so wie beim Einschlafen. Oder wir besitzen noch eine Art Bewusstsein und befinden uns vorübergehend in einem traumähnlichen Zustand, den wir aber für die Wirklichkeit halten. Das wäre so etwas wie eine Nahtoderfahrung.
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zum Todeserleben?
Unser Wissen dazu basiert ausschließlich auf Interviews: Menschen, die dem Tod nur knapp entgangen sind, etwa weil sie reanimiert wurden, berichten von ihren Erlebnissen. Allerdings haben nur die wenigsten solche Erinnerungen, weshalb die Datenlage relativ dünn ist. In der Forschung gibt es Skalen, anhand derer man bestimmt, ob etwas eine Nahtoderfahrung war oder nicht. Ich finde das jedoch nicht ganz unproblematisch, weil die Erlebnisse nur bedingt standardisierbar sind. Wenn jemand von seinen Erfahrungen berichtet, sollte man das meiner Meinung nach erst einmal so zur Kenntnis nehmen.
Es gibt einige wiederkehrende Muster, etwa das Gefühl, sich gleichzeitig in verschiedenen Epochen und an verschiedenen Orten zu befinden. Häufig entstehen auch abstrakte Sinneseindrücke, zum Beispiel ein helles Licht oder eine Verengung des Sichtfelds – als würde man durch einen Tunnel laufen. Manche erzählen zudem von außerkörperlichen Erfahrungen.
Außerkörperliche Erfahrungen, ein helles Licht am Ende des Tunnels: Darüber, was Menschen erleben, wenn sie sterben, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur spekulieren. Was kurz vor dem Tod im Gehirn passiert, ist inzwischen hingegen gut untersucht. Der Neurologe Jens Dreier erklärt im Interview, wie man die physiologischen Vorgänge während des Sterbens erforscht – und was sie mit Schlaganfällen und Migräneauren gemeinsam haben.
Herr Dreier, Sie erforschen das Gehirn zwischen Leben und Tod. Wie, glauben Sie, fühlt es sich an zu sterben?
Das hängt natürlich stark davon ab, warum man stirbt. Haben wir keine Schmerzen, merken wir den Übergang vielleicht gar nicht. Möglicherweise ist es dann so wie beim Einschlafen. Oder wir besitzen noch eine Art Bewusstsein und befinden uns vorübergehend in einem traumähnlichen Zustand, den wir aber für die Wirklichkeit halten. Das wäre so etwas wie eine Nahtoderfahrung.
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zum Todeserleben?
Unser Wissen dazu basiert ausschließlich auf Interviews: Menschen, die dem Tod nur knapp entgangen sind, etwa weil sie reanimiert wurden, berichten von ihren Erlebnissen. Allerdings haben nur die wenigsten solche Erinnerungen, weshalb die Datenlage relativ dünn ist. In der Forschung gibt es Skalen, anhand derer man bestimmt, ob etwas eine Nahtoderfahrung war oder nicht. Ich finde das jedoch nicht ganz unproblematisch, weil die Erlebnisse nur bedingt standardisierbar sind. Wenn jemand von seinen Erfahrungen berichtet, sollte man das meiner Meinung nach erst einmal so zur Kenntnis nehmen.