588 der 705 Parlamentarier stimmten am Dienstagmittag für die Verhandlungs – Ergebnisse zum DMA, 539 für den Kompromiss zum DSA – womit Europa eine neue Ära der Techregulierung einläutet, in der künftig der Grundsatz gilt: Was Offline nicht erlaubt ist, ist künftig Online auch verboten.“ So jedenfalls freute sich der deutsche CDU-Abgeordnete Andreas Schwab, der für das Parlament Verhandlungsführer für den DMA war, bei der Aussprache im Straßburger Plenum am Montagabend.

 

Vor allem große Plattformen mit Sitz in den USA werden von beiden Gesetzen stark betroffen sein. Auf sie kommen unter anderem neue Aufgaben bei der Inhaltekontrolle zu. Nur wenige EU-Unternehmen wie etwa Booking.com können unter den DMA fallen; Anbieter aus anderen Weltregionen wie Telegram oder Tiktok werden absehbar dem DSA-Regime und damit der Aufsicht durch die EU-Kommission unterliegen. Doch unter der Biden-Regierung ist auch die US-Debatte um eine mögliche schärfere Regulierung der Marktmacht in vollem Gange.

Die dänische Sozialdemokratin Christel Schaldemose hatte mit Mitgliedstaaten und Kommission den DSA verhandelt. „Viel zu lange hat es viel zu wenig Regeln in unserer Onlinewelt gegeben“, sagte sie im Straßburger Plenum. „Das Digitale hat sich wie Wildwest entwickelt und die größten und stärksten bestimmen die Regeln. Aber jetzt gibt es mit dem DSA einen neuen Sheriff in der Stadt.“

Weitere Wildwest-Vergleiche verkniffen sich die meisten Abgeordneten und auch die beiden anwesenden EU-Kommissionsmitglieder am Montagabend. Das Parlament war nicht zusammengekommen, um sich selbst für die beiden Gesetze nur auf die Schultern zu klopfen. Denn auch die Abgeordneten hatten bei den Verhandlungen mit Mitgliedstaaten und Kommission einige Zugeständnisse machen müssen – und waren aus Sicht mancher Parlamentarier von vornherein zu zurückhaltend.

Der tschechische Piratenabgeordnete Mikuláš Peksa etwa kritisierte, dass für Bürgerrechte im digitalen Raum zu wenig erreicht worden sei. „Viele Gelegenheiten wurden verpasst, aber die schlimmsten Probleme wurden vermieden“, begründete Peksa, warum er dennoch DSA und DMA zustimme. Ähnlich argumentierte der deutsche Sozialdemokrat Tiemo Wölken. Ausspionierende Werbung etwa sei leider trotz DSA weiter möglich.

In diese Kerbe etwa schlugen auch die Linken im EP. Der Ko-Vorsitzende der Linkspartei und Europaparlamentarier Martin Schirdewan begrüßte den DMA dennoch, denn es sei höchste Zeit: „Das traditionelle Wettbewerbsrecht sowie die Selbstregulierung der Unternehmen haben auf dem digitalen Markt versagt.“ Die EU-Regulierungsbehörden hätten „verträumt zugeschaut, wie Facebook, Google und Co. das Internet nach ihren Profitinteressen ausrichten“, so Schirdewan.

Grundsatzkritik kam hingegen von den nationalistischen Gruppen im Europaparlament, die der Kommission den Aufbau eines Zensur-Regimes vorwerfen. „Die Grenze der Meinungsfreiheit bildet allein das Strafrecht, wir brauchen keine zusätzliche EU-Zensur“, sagte der FPÖ-Abgeordnete Roman Haider. Der DSA werde durch die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit entwertet.

Deutliche Kritik kam auch vom Kultur- und Medienausschuss, der gefordert hatte, dass professionelle Medieninhalte dem Kontrollregime des DSA ausdrücklich entzogen werden müssten, dafür im Parlament keine Mehrheit gefunden hatte. „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“, meinte die SPD-Abgeordnete Petra Kammerevert. „Die Rechte der Kommission im Bereich der Inhaltekontrolle gehen unter dem Gesichtspunkt der Staatsferne entschieden zu weit. Beides ist aus medienpolitischer Sicht eine mittelschwere Katastrophe.“

„Dies ist nicht das Ende. Es ist nicht perfekt. Aber es ist gut, stark und ambitioniert“, sagte die für Digitalpolitik zuständige EU-Vizekommissarin Margrethe Vestager. DMA und DSA seien ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu demokratischer Regelsetzung für das digitale Zeitalter. „Geschäftsmodelle werden sich ändern müssen“, sagte die dänische Liberale.

Es werde „in unserer Geschichte ein vor und ein nach DSA und DMA geben“, sagte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton voraus. Ihn erinnere die Debatte um beide Gesetzeswerke an die Bankenregulierung, bei der es früher geheißen habe: „Too big to fail“, zu groß um zu Scheitern. Bei Technologieunternehmen habe es bislang ein „too big to care“, zu groß um sich zu kümmern geheißen. Das werde mit DMA und DSA beendet, meint Breton.

Für den Verband der Internetwirtschaft (eco) weist der DSA grundsätzlich in die richtige Richtung. „Als Verband der Internetwirtschaft begrüßen wir, dass er die Grundsäulen der Ecommerce Richtlinie beibehält, beziehungsweise auf diesen aufbaut“, sagte Geschäftsführer Alexander Rabe. Damit meint der Verband vor allem die Haftungsprivilegien für Anbieter, die erst ab Kenntnis möglicherweise illegaler Inhalte tätig werden müssen und das Verbot allgemeiner Überwachung.

Der IT-Verband Bitkom begrüßte, „dass Verbraucherinnen und Verbraucher online künftig besser vor Desinformation, Hassrede und Produktfälschungen geschützt werden“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Auch den DMA begrüße der Verband, da er für mehr Wahlfreiheit sorgen könne.

Etwas Wasser goss der IT-Verband jedoch in den Wein: Es komme jetzt darauf an, dass die Mitgliedstaaten ihren Teil der Verordnungen einheitlich umsetzten und Deutschland die zuständigen Behörden schnell benenne. Außerdem müsse das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) nun schnell überarbeitet werden, damit dieses nicht mit dem DSA in Konflikt komme.

Aug 2022 | Allgemein, InfoTicker aktuell, Politik, Wirtschaft, Zeitgeschehen | Kommentieren