Quelle: dpa

Die Abzocke mit überteuertem Mineralwasser aus dem Süden Europas in vielen Restaurants muss ein Ende haben. Das klappt wohl erst, wenn die Gäste aufbegehren. Mit einem Appell an Fairness und Umweltbewusstsein.

Nein, wir haben keinen Anspruch auf Leitungswasser in deutschen Restaurants. Anders als etwa in Frankreich. Hier bei uns läuft die Weigerung nämlich unter dem Label Vertragsfreiheit. Es sei doch schließlich die Sache der Gastronomen, was sie den Gästen anbieten.

Dass das hingebogene Rhetorik ist, zeigen die vielen anderen Services, die Gastronomen den Gästen anbieten müssen, etwa den kostenlosen Zugang zu sanitären Anlagen. Da diskutiert auch niemand über einen pauschalen Aufpreis pro halbem Meter Papier. Am Wasser aus der Flasche lässt sich allerdings gutes Geld verdienen. Viele Gastronominnen und Gastronomen geben das unverhohlen zu. Und Geld verdienen ist einer der großen Zwecke in diesem wie in jedem Beruf. Es sei uns allen gegönnt. Aber so?

Im Großhandel bekommen die Profis die 1-Liter-Flasche Perrier in diesen Tagen für 1 Euro 06 brutto, die 0,75-Liter-Flasche San Pellegrino zurzeit für 67 Cent, die 1-Liter-Flasche Vittel für 89 Cent. Wo kriegen wir Gäste eine solche Flasche schon für unter 4 Euro 50 weitergereicht? Ein Preis vom Vier- bis Sechseinhalbfachen. Und ich habe schon Flaschenpreise von 8 bis 10 Euro auf der Rechnung erspähen müssen. Eben mal so on top: „Noch ´ne Flasche Wasser? Mit oder ohne?“, Griff in den Kühlschrank. Fertig.

Das im Gastgeber-Gast-Verhältnis so Ungastliche daran ist:

Es steckt keinerlei erwähnenswerte Dienstleistung dahinter, die den saftigen Aufpreis rechtfertigen würde. Beim Essen werden die Rezepte erprobt, die Zutaten ausgesucht, die Gerichte müssen punktgenau zubereitet und serviert werden. Danach wird Geschirr gespült, Tischwäsche gewaschen, und bald schon wieder an der neuen Wochenkarte gearbeitet. Und trotz der vielen Arbeit mehrerer Leute wird aus den Zutaten mit einem Einkaufswert von (nageln Sie mich nicht fest) vielleicht fünf bis acht Euro am Ende nicht mehr als zwölf bis dreißig Euro. Selbst den guten Wein beim Einkauf auszuwählen, die Gäste zu beraten, vielleicht auch mal probieren zu lassen, ist aufwändiger als die hausinterne Logistik dieser einen Flasche Wasser.

Wasser bereitet uns die Grundlage dafür, die Dienstleitungen der Gastgeber erst genießen zu können, die wir am Ende mit der Rechnung bezahlen. Wer Leitungswasser als verflossene Einnahmequelle sieht, der dreht auch die Heizung auf 1 und verdünnt die Seife im Waschraum so sehr, dass sie noch nicht einmal mehr schäumt.

Und erlauben Sie mir vorsorglich noch den Widerspruch auf den möglichen Einwand: Das Stillen von Hunger ist auch eine körperliche Notwendigkeit. Und für die zahlen Sie im Restaurant doch auch gerne. Stimmt. Ich würde es aber nicht gerne tun, wenn mir zum Stillen meines Hungers allein zwei, drei Plättchen Traubenzucker zur Grundversorgung hingelegt würden.

Ich weiß, es gibt Posten auf Rechnungen, die sind aus Dienstleistersicht Cashcows ohne Aufwand. Völlig okay. Bestes Beispiel ist der Late Checkout für vierzig Euro Aufpreis im Hotel, der einem erlaubt, zwei Stunden länger zu residieren, auch wenn das Zimmer eh erst am späten Mittag für die nächsten Übernachtungsgäste hergerichtet worden wäre. Der höhere Preis muss für den Kunden eben mit einem spürbaren Vorteil einhergehen. Das tut er für viele beim Flaschenwasser im Vergleich zum Leitungswasser aber nicht.

Würde mir in einem Restaurant das Leitungswasser verwehrt, ich würde wahrscheinlich direkt nach dem Aperitif freundlich bezahlen, mich höflich verabschieden und dann dort hin gehen, wo man Freude daran, wenn es mir körperlich gut geht. Glücklicherweise sind mittlerweile sehr viele Gastronominnen und Gastronomen längst so menschenfreundlich, dass sie sogar von sich aus Leitungswasser anbieten. Hier zeigt sich übrigens auch, wie wertvoll die Inspiration durch kulturelle Vielfalt ist. Sogar in einfachen Dönerläden gibt es oftmals seit jeher kostenlosen Tee, in italienischen Cafés das kleine magenschonende Wässerchen zum Espresso. Oder direkt einen Wasserhahn zum Selberzapfen an der Wand.

Das Unangenehme für Leitungswasser bestellende Gäste ist leider das mangelnde Gefühl von gesellschaftlichem Rückhalt im Großen und Ganzen. Anders gesagt: Sie gelten in gastronomischen Kreisen oftmals als geizig. Und damit muss Schluss sein!

Denn es gibt ein wirklich durchschlagendes Argument: Leitungswasser wird nicht hunderte Kilometer über die Autobahn heran gekarrt oder gar mit dem Flugzeug aus Asien hergeholt. Es lässt sich sogar an Ort und Stelle filtern (meist gar nicht nötig) und mit Kohlen-säure versetzten. Wer würde noch Flaschenbier kaufen, wenn er einen Zapfhahn mit angeschlossener Pipeline zur Brauerei bei sich in der Küche hätte? Wer kauft Schnittlauch im Supermarkt, wenn der doch im Balkonkasten wächst? Warum wollen wir Wasser aus Flaschen, wenn es direkt vor uns frisch und kühl aus der Leitung kommt?

Ich habe schon in kleinen feinen Mittagstisch-Läden gegessen, die sich zurecht mit regionaler Küche brüsten, die dann aber Acqua Morelli auf den Tisch knallen, wahrscheinlich, weil die Flasche so schön königsblau ist. Das ist klarster Weit-weg-Wasser-Wahnsinn.

Trinken wir Leitungswasser, weil es uns guttut, und weil es dem Klima guttut. Und es tut zusätzlich gut, wenn ein neues Argument uns obendrein vom Geizvorwurf entlastet, der immer schon unfair war.

Das gesparte Geld lässt sich ja völlig unsparsam anders investieren, und wenn es nur ein zweites gutes Glas Wein, ein Petit Four zum Espresso oder eine Rose vom fliegenden Rosenverkäufer ist.

Okay, ich vermute Grummeln auf der Seite derer, die das mit den 4 Euro 50 pro Flasche für eine gelebte Tradition zu ihren Gunsten halten. Deshalb mein Kompromissvorschlag: Leitungswasser in Hülle und Fülle kostenlos für alle, die zusätzlich ein Getränk von der Karte ordern, sei es Wein, Bier, Gin Tonic, Tee, Kaffee oder Fanta Mandarine.

Ich jedenfalls verzichte im Gegenzug – und zwar gerne – auf den Schnaps aufs Haus vorm Trinkgeldgeben.

Aug 2022 | In Arbeit | Kommentieren