Nach einem ersten Rundgang muss die Antwort dezidiert lauten:
Nein!
Wahrscheinlich lag es in der Tat lediglich am „katastrophalen Krisenmanagement“ der Documenta-Direktion, dass der Streit darüber so hochgekocht ist:
„Journalisten wurde von der Documenta-Leitung allen Ernstes (!): untersagt, den Kuratoren Fragen zum BDS und Israel zu stellen.
Und, falls doch wer „solche Fragen“ gestellt hat, wurden Antworten mit dem Verweis auf die zu hohe Komplexität des Themas verweigert, das bei einem Kongress mit dem Titel „We need to talk“ in Berlin verhandelt werden sollte. Der wurde dann aber abgesagt. Dafür fand wenig später eine Tagung zum Holocaust und der Neuen Rechten statt, bei dem die problematische Haltung der alten Linken zu Israel ausdrücklich nicht das Thema war. Schon davor hatte Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann sich schützend vor den BDS gestellt … Während von Ruangrupa tatsächlich keine einzige antisemitische Bemerkung zu hören war, muss man sich fragen, was von einer Generaldirektorin zu halten ist, die Antisemitismus als Nebenprodukt der ‚vielfältigen‘ Ausprägungen von Kunst- und Meinungsfreiheit abhakt, aber bei Diskussionen den Zentralrat der Juden lieber nicht dabeihaben will.“
https://www.monopol-magazin.de/kulturschaffende-unterstuetzen-kritik-bds-resolution-der-bundesregierung
Kunst als gemeinschaftlicher Prozess, keine Inszenierung von Künstlerpersönlichkeiten, „das meiste hier ist tatsächlich noch im Entstehen“, beobachtet (taz)-Kritikerin. Doch als Besucher bleibt man außen vor, stellt sie fest: „Prozess sei hier die Aktion der anderen.“ Dabei würde man gern mit einzelnen Künstlern über ihre Werke diskutiert, zum Beispiel mit Mohammed Al Hawajri über die Frage, wie frei seine Kunst eigentlich sei, wenn er „so politisch instrumentalisierbare Bilder macht, wie seine hier ausgestellten Fotocollagen? In die Reproduktionen einer Bauernidylle des Barbizon-Malers Jean-François Millet platziert er die Fotos hoch ausgerüsteter junger Soldaten. Trifft auf dieser Arbeit mit dem Titel ‚Guernica Gaza‘ etwa das israelische Militär auf die unschuldig schlummernden Kleinbauern in Gaza? – Wie 1937 die Nazi-deutsche Legion Condor auf die baskische Kleinstadt Guernica?
Hier werden giftige Parallelen aufgemacht, die kaum mit der Phrase von der ‚Freiheit der Kunst‘ zu legitimieren sind. Im Treppenaufgang leuchtet es islamistisch: ‚Kabul – Graveyard of Empires‘, Freude über das Scheitern der Demokratie in Afghanistan. Seltsam wie hier vieles postkolonial zusammengemixt wird.“
Sandra Danicke (FR) steuerte völlig unbeeindruckt vom Kollektivgedanken Ruangrupas erst mal aufs Naturhistorische Museum zu: „Naturgemäß raune man sich an den ersten Besichtigungstagen, an denen jeder und jede damit beschäftigt war, sich Orientierung zu verschaffen, vor allem diesen Namen zu: Hito Steyerl. Die deutsche Filmemacherin ist seit Jahren eine Star*In (!) der Kunstszene – und ihr Werk, eine Filminstallation mit dem Titel ‚Animal Spirits‘ ist so abgedreht, faszinierend und überfordernd, dass man völlig beseelt hinaus geht – auch wenn man den ganzen Quatsch (der natürlich allemal mehr ist als bloßer Quatsch) nicht so richtig verstanden hat.“ Danicke gibt dann aber doch noch einen kursorischen Überblick über die ausstellenden Kollektive.
In der FAZ blickt Stefan Trinks angewidert auf Mohammed Al Hawajiris „Harvesters Resting – Jean-François Millet (1850)“. Aber dann ist er doch überwältigt von dieser Documenta: „32 Standorte! – Eine Woche in Kassel würde nicht ausreichen, um alles zu entdecken. Zu den vertrauten Austragungsorten Fridericianum, Documenta-Halle, Naturkundemuseum und Karlsaue kommen diesmal etliche bislang unentdeckte Perlen wie das prächtige Gloria-Kino von 1954 mit der Installation einer gerechteren Topografie der südafrikanischen Kooperation MADEYOULOOK im prächtigen, original erhaltenen Fünfzigerjahre-Ballsaal mit Empore oder ein Bauhaus-Bad hinzu. Klar ist aber auch, dass Ruangrupa diese Erweiterung in die Peripherie ebenfalls politisch verstanden wissen will: Der alte Kampf zwischen reichem, zumindest repräsentativem Zentrum und abgehängter Peripherie wird durch diese Ausweitung der Kampfzone allein schon durch die Anfahrt über trostlose Straßenschneisen plausibel.“
Außerdem: In der FAS erliegt Niklas Maak dem Charme des entspannten Abhängens auf der Documenta, irritierend findet er weniger die Kunst als die Tatsache, dass VW als Sponsor einer westliche Ausbeutung kritisierenden Kunstschau gewonnen wurde. In der SZ ist Jörg Häntzschel glücklich, dass auf der Documenta vor allem Künstler zu sehen sind, die – wie er – der Kunst keinen autonomen Status zuerkennen, sondern sie als „Bestandteil eines gemeinsamen Kampfes um Leben, Anerkennung, Freiheit“ bewerten. Daneben stellt Catrin Lorch „acht der wichtigsten Werke“ auf der Documenta vor (in Wirklichkeit sind es acht Künstler oder Künstlerkollektive): The Nest Collective, Hamja Ahsan, Richard Bell, Taring Padi, Cao Minghao & Chen Jianjun, Sada (Regroup) und Tania Brugueras „Instar“. In der NZZ berichtet Philipp Meier. Lisa Berins besucht für die FR den australischen Künstler Richard Bell in seinem „Tent Embassy“. Das wars dann erst mal …