Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht auf der Festveranstaltung „100 Jahre Übersee Club“ Hamburg

„Russlands grausamer Angriffs- und Vernichtungskrieg“ markiere einen radikalen Bruch mit der europäischen Friedensordnung nach dem Ende des Kalten Krieges, konstatierte Scholz.

Der russische Präsident Wladimir Putin „und sein Regime“ würden zugleich „auch in zivilisatorischer Hinsicht einen Bruch“ vollziehen.
Es handle sich um „einen mutwilligen Ausstieg aus der Weltgemeinschaft, wie ihn nur wenige im 21. Jahrhundert für möglich hielten“.

Scholz verwies darauf, dass „sehr viele kluge Köpfe“ eine derartige Eskalation wegen der engen internationalen Verflechtungen nach 1989 für unmöglich gehalten hätten. „Rational betrachtet macht die enge Verflechtung der Volkswirtschaften kriegerische Konflikte längst so kostspielig, dass kein Akteur auf die Idee kommen dürfte, zu diesem Mittel zu greifen.“

Scholz will an Globalisierung festhalten

Jede „rationale Kosten-Nutzen-Logik“ laufe aber dort „auf Grund, wo irrationale Akteure aus ideologischer Verblendung die Idee der Kooperation in den Wind schlagen“, sagte Scholz. „Genau das ist jetzt eingetreten.“ Putins „imperialistische und revanchistische Ideologie von russischer Macht und russischer Größe“ bedeute dem russischen Präsidenten „mehr als das Wohlergehen des eigenen Volkes“.

 

Abermals hob Scholz die Solidarität der Bundesregierung mit der Ukraine hervor. „Wir leisten der Ukraine jegliche Unterstützung, die wir geben und zugleich verantworten können“, sagte er – auch mit Waffen, damit sich die Ukraine verteidigen könne. „Vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte ist das einerseits alles andere als selbstverständlich – andererseits aber auch folgerichtig.“

„Putin darf diesen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gewinnen – und er wird diesen Krieg auch nicht gewinnen“, sagte Scholz. „Kommt Putin damit durch, dann droht internationale Regellosigkeit. Schon allein deshalb darf Russland nicht die Oberhand behalten.“

Der Kanzler warnte zugleich davor, den Krieg zum Anlass zu nehmen, um die Globalisierung zurückzudrehen und sich abzuschotten. Deutschland profitiere von der Globalisierung: „Handel schafft Arbeitsplätze“, und zwar auch hierzulande. „Deshalb sage ich mit aller Klarheit: Die ‚Deglobalisierung‘ funktioniert nicht.“

Nötig sei allerdings eine „klügere“, eine „nachhaltige“ und „solidarische“ Globalisierung. Es müssten klare Regeln gelten, es müsse Rücksicht „auf die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen und auf künftige Generationen“ genommen werden und die Globalisierung müsse „allen Bürgerinnen und Bürgern überall“ zugute kommen. Auch beim Klimaschutz sei mehr Kooperation notwendig und nicht weniger.

Der Übersee-Clubs, auf deren Veranstaltung sich Scholz äußerte, feiert sein 100. Jubiläum. Der Hamburger Verein versteht sich als Forum für den Austausch von Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft.

Fernsehansprache des Bundeskanzlers

Anlässlich des 77. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai hält Scholz eine Fernsehansprache. Wie die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag in Berlin mitteilte, soll die Erklärung am Sonntagabend ausgestrahlt werden. Sie verwies auf die Besonderheit des Gedenktags in diesem Jahr. Der 8. Mai stehe wie kein anderer Tag für das „Nie wieder“ eines Weltkriegs, sagte Hoffmann. Darum werde es in der TV-Ansprache gehen. Mit der Kapitulation des damaligen Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa.

Wie Hoffmann weiter mitteilte, wird sich Scholz an diesem historischen Datum zunächst auch in einer Video-Konferenz mit den weiteren G7-Staaten über die Lage in der Ukraine austauschen. Zugeschaltet wird den Angaben zufolge auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Russland begeht den Tag des Sieges der damaligen Sowjetunion gegen das Hitler-Regime am 9. Mai. Die Sicherheitsbehörden haben für diesen Tag auch ein besonderes Auge auf Veranstaltungen in Deutschland, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte. Es seien vielfältige Veranstaltungen und Demonstrationen angemeldet.

Scholz hatte sich auch am ersten Tag des russischen Angriffs am 24. Februar per Fernsehansprache an die Bevölkerung gewandt. Dem Bundeskanzler war zuletzt vorgeworfen worden, die Haltung der Bundesregierung unter anderem zu Waffenlieferungen an die Ukraine nicht deutlich genug öffentlich zu erläutern. Scholz sucht jedoch häufiger als seine Amtsvorgängerin Angela Merkel (CDU) TV-Auftritte. Außerhalb der jährlichen Neujahrsansprache äußerte sich Merkel nur einmal zu Beginn der Corona-Pandemie zusätzlich in einer Fernsehansprache. Scholz war in den ersten fünf Monaten seiner Amtszeit als Kanzler auch häufiger in TV-Interviews zu sehen als Merkel in vergleichbaren Zeiträumen.

Mai 2022 | Allgemein, Essay, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude | Kommentieren