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Mit Mona Neubaur, (Grüne), würden sowohl Thomas Kutschaty (l.) von der SPD als auch Ministerpräsident Wüst (r.) gern regieren.
Wer die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – zumindest prozentual – gewonnen hat, ist zwar klar: Die CDU wird deutlich stärkste Kraft. Nur, ob sie auch regieren wird, bleibt offen.
Schwarz-Grün hat eine Mehrheit. Rot-Grün fehlt in ersten Prognosen ein Sitz.
Auch eine Ampel ist denkbar, sollte die FDP oberhalb von fünf Prozent bleiben.
Die Grünen haben sich ihren Platz erkämpft als zentrale Figur im Parteiengefüge. Bei vielen Landtagswahlen und ebenso nach der Bundestagswahl zeigte sich, was sich jetzt in NRW fortsetzt: Es gibt derzeit selten vernünftige Regierungsoptionen ohne die Grünen. Und: Würden sich die Grünen sperren, bliebe häufig nur die große Koalition.
Auch wenn das Herz sie in Richtung SPD zieht: Die Grünen haben in Hessen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg bewiesen, dass sie mit der CDU vertrauensvoll arbeiten können. Eine Verhandlungsgrundlage für Schwarz-Grün ist also da.
Vorläufiges Ergebnis
In NRW spricht einiges dafür, dass die Grünen eine Koalition mit der CDU erwägen könnten. Die hat dazugewonnen, die SPD verloren. Sieben Punkte trennen Ersten und Zweiten. Dem Verlierer zur Mehrheit verhelfen, dafür braucht es starke Argumente. Plus: Eine Koalition mit den Sozialdemokraten wäre entweder ein Wackelbündnis mit knapper Mehrheit oder ein Dreierbündnis mit der FDP – so die überhaupt im Landtag bleibt. Beides ist womöglich weniger verlockend als eine satte Mehrheit mit der CDU.
Die CDU ist zurück
Auch wenn sich das manche Mitbewerber gewünscht haben dürften: Die CDU wird ihnen nicht den Gefallen tun und den Weg vieler christdemokratischer Parteien in Europa gehen – und wie die Republikaner in Frankreich mit dem Abschied von der Macht einfach verschwinden.
Vor der Bundestagswahl schlurfte die CDU ziemlich matt durch die Gegend, so knackfrisch wie die Brötchen vom Vortag. Aber ganz offensichtlich steckt in ihr noch Leben, das zeigt die Aufholjagd im bevölkerungsreichsten Bundesland. Vor wenigen Monaten lag sie in Umfragen in NRW bei 20 Prozent. Jetzt sind es laut erster Prognose 35.
An Ideenüberschuss leidet die CDU zwar nach wie vor nicht. Zwei Dinge haben für sie die Wahl entschieden. Erstens der Ministerpräsident Hendrik Wüst. Der hat zwar nur durchschnittliche Beliebtheitswerte und ist erst seit sieben Monaten im Amt. Aber gerade Zweites spricht für ihn. Anders als im Bund, wo die Union mit einer ziemlichen Mängelliste aus 16 Jahren ihrer Regierungsarbeit in die Opposition geschickt wurde, kann er glaubhaft sagen: Ich war’s nicht.
Und zweitens: Man sieht seit einigen Wochen bei der CDU eine Partei, die das erste Mal seit Langem wieder mit sich im Reinen ist. Das spüren auch die Wählerinnen und Wähler. Wenig Zwischentöne, keine Richtungs- und Personalstreits. Dafür ab und an einen eigenen Akzent. Das reicht schon, um wieder eine Wahl zu gewinnen. Und das ist das Verdienst von Parteichef Friedrich Merz.
So wird das nichts mit dem sozialdemokratischen Jahrzehnt
Krisen sind gute Zeiten, um Profil zu gewinnen. Was Angela Merkel in der Corona-Krise gelang, was jetzt Annalena Baerbock und Robert Habeck schaffen, das hat Olaf Scholz sichtbar nicht hinbekommen. Obschon das eine Landtagswahl war, hat die SPD hier auch ihren Kanzler zur Abstimmung gestellt. Und das nicht nur indirekt. Olaf Scholz schaute in NRW von zahlreichen Wahlplakaten, der Kanzler sollte dem unbekannten Kutschaty eine Unterstützung sein. Dieser Nichtsieg ist insofern auch seine Niederlage.
Die SPD könnte sich zwar noch an die Macht koalieren. Aber es bleibt dabei: Sie hat historisch schlecht abgeschnitten. Das „sozialdemokratische Jahrzehnt“, das die Parteiführung nach dem Sieg bei der Bundestagswahl ausgerufen hat, siecht schon in den ersten Monaten dahin.
Regieren zahlt sich für die FDP nicht aus
Den Amtsbonus kennt die FDP nur vom Hörensagen. Sie sind der große Verlierer dieser Wahl – und der ersten Ampel-Monate. In Schleswig-Holstein haben die Liberalen fünf Jahre Jamaika hinter sich und dann vor einer Woche bei der Landtagswahl als einziger der drei Koalitionäre deutlich verloren. Ähnlich in NRW: Fünf Jahre Wunschkoalition mit der CDU haben den Liberalen ein Minus von sieben Prozentpunkten gebracht. Die FDP hat ihr Ergebnis mehr als halbiert. Ein Desaster.
Es ist nicht das erste Mal, dass die FDP fürs Regieren abgestraft wird. Aus knapp elf Prozent im Jahr 2006 wurden etwa in Baden-Württemberg 2011 knapp über fünf. Im Bund ging es 2013 aus der Regierung direkt in die außerparlamentarische Opposition. In Bayern dasselbe: Erst fünf Jahre Staatsregierung bis 2013, dann raus aus dem Landtag. Im Saarland startete die FDP 2009 als Jamaika-Partner. Nach dem Aus der Koalition folgte 2012 die außerparlamentarische Opposition. Ähnlich in Hessen 2013, in Sachsen 2014 … Die Liste ließe sich fortführen. Und es bleibt die Erkenntnis: Regieren zahlt sich für die FDP sehr oft nicht aus.
Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder sind liberale Ministerinnen und Minister grosso modo unfähig. Im Einzelfall mag das zutreffen. In NRW etwa dürfte ein großer Teil der Rechnung an Schulministerin Gebauer und ihren chaotischen Corona-Kurs gehen. Aber in Summe ist das als Erklärung doch eher unzureichend.
Oder, viel plausibler: Es liegt an ihrer Rolle im Parteiensystem. Die Liberalen sind eine klassische Korrektivpartei, die die Übergriffigkeitsgelüste ihrer Koalitionspartner einhegt – sei es die Steuererhöhungspläne von links oder die Sicherheitsfantasien von rechts. Das Dilemma: Wenn ein Korrektiv wirkt, merkt man im besten Fall nichts davon. Regierungsbilanz heißt für die FDP also zu einem guten Teil zu sagen, was alles nicht passiert ist. Schön und gut. Aber da hilft im Wahlkampf auch die knalligste Werbeagentur nichts. Eine Leerstelle ist eben keine Botschaft, für die man automatisch wiedergewählt wird. Viele liberale Stimmen gingen diesmal an die CDU.
Der Westen ist, wo die Ränder nichts zu melden haben
Die Stärke der beiden Volksparteidinos in NRW hat einen Nebeneffekt: Die Ränder sind marginal. Die Linke bleibt mit zwei Prozent weit unterhalb der Proporzklausel. Und die AfD zieht mit mageren fünf Prozent ein, ein Minus von zwei Punkten.
Es ist also an der Zeit, das etwas in Verruf geratene Demokratiehufeisen wieder herauszukramen. Die Ränder links und rechts haben eben doch ein paar Dinge gemein. Nicht nur inhaltlich – beide sind im selben Maß russlandfreundlich wie amerikakritisch. Sondern auch strukturell: In Westdeutschland haben sie nichts zu melden.
Vor einer Woche ist die AfD aus dem Landtag in Schleswig-Holstein geflogen. Jetzt muss ihr mitgliederstärkster Landesverband eine weitere Niederlage einstecken. Der Stimmverlust lässt sich in Zahlen fassen. Viel stärker hat sie aber an Diskursmacht verloren. Sie findet mit ihren Themen, ihrem Personal und der Ansprache keinen nennenswerten Zugang mehr außerhalb des eigenen Milieus. Und das wohnt eben nicht in NRW. Die AfD ist auf dem Weg zur reinen Lega Ost.
Und die Linke ist nach ihren Wahlniederlagen im Bund wie bei den vergangenen Landtagswahlen auf dem Weg in eine ganz tiefe Sinnkrise. Wer soll die denn eigentlich noch wählen? Die Industriearbeiter im Ruhrgebiet? Halten den Sozialdemokraten die Treue. Urbane Akademikerinnen wählen grün. Wütende Ossis längst die AfD. Und die Landbevölkerung mit Fleiß, Carport und Mittelständlerstolz war ihre Sache ohnehin nie.