Überall in Nordrhein-Westfalen waren Plakate mit den Gesichtern von Christian Lindner – und seinem Nachfolger im Landtag Joachim Stamp – zu sehen

Der Niedergang der deutschen Liberalen bei den jüngsten Landtagswahlen ist kein Zufall. Als Teil der Bundesregierung macht die Partei von Christian Lindner bisher noch den grössten steuerfinanzierten Unfug mit.  Als «desaströse Niederlage» hat der FDP-Chef Christian Lindner (links) das Abschneiden seiner Partei bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen bezeichnet. Mit einem Ergebnis von 5,9 Prozent der Stimmen ist die Partei nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen.

Zur Erinnerung: 2017 kam die FDP im bevölkerungsreichsten Bundesland auf 12,6 Prozent. Das jetzige Ergebnis entspricht einem Einbruch von mehr als 50 Prozent. Und es ist nicht das einzige Desaster. Im hohen Norden der Republik kam die Partei vor zwei Wochen auf 6,4 Prozent – nach 11,5 Prozent bei der vorangegangenen Wahl.

Natürlich lassen sich hinterher immer landesspezifische Probleme benennen. In Nordrhein-Westfalen etwa galt der FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp als blasse Figur. Auch die dortige Bildungsministerin der Partei, Yvonne Gebauer, hat in der Pandemie viel Kritik geerntet und mit Änderungen der Corona-Regeln im Hauruckverfahren Verwirrung gestiftet.

Aber wenn eine Partei binnen weniger Wochen in zwei sehr verschiedenen Bundesländern – dünn besiedelt und ländlich hier, gedrängt und multikulturell dort – und als Mitglied unterschiedlicher Regierungskonstellationen – einmal mit CDU und Grünen, einmal allein mit der CDU – derart auf die Nase fällt, muss es noch andere, relevantere Gründe geben.

Lindners verhängnisvolle Worte

«Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.» Mit diesen Worten hatte Lindner 2017 sein Nein zu einer Koalition mit der Union und den Grünen im Bund begründet. Vier Jahre später löste sich diese Sorge nicht nur in Luft auf. Lindner glaubte plötzlich sogar, als kleinster Partner in einer Regierung mit zwei linken Parteien mehr liberale Politik durchsetzen zu können als zuvor an der Seite der Union. Die FDP werde aus der sogenannten Ampelkoalition mit SPD und Grünen ein Bündnis der «Mitte» machen, versprach er. Pustekuchen.

Fünf Monate nach Arbeitsbeginn ist die FDP in der Regierung weitgehend unsichtbar. Und wenn sie Entscheidungen verantwortet, handelt es sich nicht nur nicht um liberale Politik, sondern um Steuerverschwendungspopulismus der finstersten Sorte. Das milliardenschwere «Entlastungspaket», das Lindner als Finanzminister seit Wochen wortreich verteidigt, enthält neben einer einmaligen «Energiepreispauschale» von 300 Euro für Erwerbstätige unter anderem eine befristete «Spritpreisbremse» und ein deutschlandweit für 90 Tage auf 9 Euro im Monat reduziertes Nahverkehrsticket für alle. Allein die Bürokratie wird Hunderte Millionen verschlingen. Und alles für einen verpuffenden «Geldregen».

Davon abgesehen macht die Partei wenn, dann durch Projekte von sich reden, für die es die FDP gar nicht gebraucht hätte, zumindest nicht in der Regierung: die geplante Cannabis-Legalisierung etwa oder die Reform des Familienrechts, weg vom Modell «Vater, Mutter, Kind» und hin zur «Verantwortungsgemeinschaft» mit Freunden und Mitbewohnern. Von solchen Reformen träumen die linken Parteien ebenfalls schon lange; hier kann die FDP kaum punkten, zumal bei älteren Wählern, die der bemüht flippig-digitalen Partei jüngst in Scharen davongerannt sind.

Je älter die Wähler, desto weniger Stimmen für die FDP

FDP-Stimmanteile in Altersgruppen bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 2022 im Vergleich zu 2017
5-Prozent-Hürde
18-24 Jahre
13%
−1
25-34 Jahre
10%
−3
35-44 Jahre
7%
−6
45-59 Jahre
5%
−7
60-69 Jahre
4%
−8
70 und älter
3%
−10

Wirtschaftsliberalismus, Haushaltsdisziplin, Bürokratieabbau: Das wären Alleinstellungsmerkmale. Dafür wurde die FDP von vielen gewählt. Juniorpartner in einer links-links-liberalen Regierung? Ja, aber dann als erkennbares Korrektorat.

Ein liberaler Finanzminister mit Rückgrat würde den Kanzler – nur mal eben als Beispiel – angesichts des Krieges in der Ukraine und der galoppierenden Inflation auffordern, überall dort im Koalitionsvertrag den Rotstift anzusetzen, wo die beiden linken Parteien teure Klientelpolitik hineingeschrieben haben. Bis jetzt wird keine Mehrausgabe im sogenannten Ergänzungshaushalt des Ministers über Einsparungen an anderer Stelle gegenfinanziert.

Aber, wie auch immer: Lindner hat immerhin erkannt, dass die Lage seiner Partei desaströs ist (anders als bei der SPD, die in Schleswig-Holstein und ihrem einstigen Stammland Nordrhein-Westfalen regelrecht abgeschmiert ist und deren Generalsekretär Kevin Kühnert trotzdem «viel Zuspruch» für den Kanzler herbeiphantasiert). FDP-Wähler, die tapfer sein wollen, können sich aus dem neuen Problembewusstsein des Parteichefs ihr ganz eigenes Entlastungspäckchen basteln.

Mai 2022 | Allgemein, In vino veritas, Politik, Zeitgeschehen | Kommentieren