
Wie engagiert ermitteln die Behörden gegen die kalabrische Mafia in Stuttgart und Umgebung? Die SPD im Landtag hat Zweifel am Eifer der Ermittler
Warum ermittelt die Staatsanwaltschaft in Württemberg so zurückhaltend und warum wird ein Mafia-Ermittler versetzt?
Der ehemalige Stuttgarter Gastwirt Mario L. sitzt nun schon seit mehr als zweieinhalb Jahren in einem italienischen Gefängnis.
Ein Gericht in Kalabrien verurteilte ihn und 65 andere Mafia-Mitglieder aus Italien und Deutschland im September 2019 zu langen Haftstrafen.
Und doch beschäftigt L. die deutschen Behörden noch immer.
Warum, so will die SPD im Stuttgarter Landtag in einem Antrag vom baden-württembergischen Innenministerium wissen, liefen die Ermittlungen damals so schleppend? Diese Frage hatte der Vorsitzende des Vereins Mafia Nein Danke, Sandro Mattioli, in einer Sendung des SWR aufgeworfen. Die SPD griff das Thema daraufhin auf. Die Partei wundert sich, warum nach L.s Festnahme nicht dessen Vermögen unter die Lupe genommen wurde. Auffällig außerdem: Der Mafia-Fachmann beim Landeskriminalamt wurde kurz nach L.s Festnahme an eine andere Stelle versetzt. Es ist eine Frage, die nicht explizit in dem Antrag steht, aber mitschwingt: Wollte jemand, dass man bei der italienischen Mafia in Stuttgart nicht so genau hinschaut?
Dabei wäre es dringend nötig gewesen: Baden-Württemberg ist einer der wichtigsten Standorte der italienischen Mafia in Deutschland. Das stellte das baden-württembergische Innenministerium schon im Jahr 2019 selbst fest. In einer Stellungnahme zu einem Antrag der Grünen hieß es damals: „Baden-Württemberg gilt aufgrund seiner geografischen Lage als ein Rückzugsgebiet für Angehörige der italienischen Organisierten Kriminalität (IOK). Im Jahr 2015 lebten in Baden-Württemberg rund 150 Personen, die mutmaßlich der IOK zuzurechnen sind.“ Das sei ein Drittel aller in Deutschland bekannten Mafiosi. Zahlenmäßig sei vor allem die kalabrische Mafia ‚Ndrangheta stark vertreten, und zwar am Bodensee, im Rhein-Neckar-Raum und rund um Stuttgart, heißt es in dem Papier.
Die ‚Ndrangheta agiert wie ein modernes Unternehmen
Um zu verstehen, wie die kalabrische Mafia dort agiert, hilft es, sich die ‚Ndrangheta wie einen Mischkonzern vorzustellen. Es gibt verschiedene Geschäftszweige an unterschiedlichen Standorten. Das sind beispielsweise Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Subventionsbetrug, Steuerhinterziehung oder Geldwäsche. Auch die Arbeitsteilung funktioniert wie in einem Unternehmen, wie der Ermittler aus dem Landeskriminalamt in Baden-Württemberg dem Stern erzählte. Es gibt Kuriere, die legale und illegale Waren transportieren und Depots dafür anlegen. Es gibt Helferinnen und Helfer vor Ort, die mit ihren Familien in Deutschland leben und die Kuriere unterstützen. Und es gibt Geschäftsleute, häufig Restaurantbesitzer, die gut vernetzt sind und das freundliche Gesicht nach außen geben. Organisiert sind diese Gruppierungen wie in der Heimat in sogenannten locale oder ndrine, wie das Innenministerium in Baden-Württemberg schreibt.
Ein weiterer Geschäftszweig: Die Mafia zwingt italienischen Restaurants in Deutschland ihre Waren auf. Das können Käse, Tomatensoße oder Wein sein. Wenn sich die Gastwirte weigern, reicht der kurze Hinweis, dass man aus Kalabrien stamme, und die Ware würde aus Angst vor Konsequenzen gekauft, sagt der Konstanzer Oberstaatsanwalt Hans-Georg Roth, der selbst aktuell in einem ‚Ndrangheta-Fall ermittelt. Es ist eine moderne Art, Schutzgeld zu erpressen. Als Dreh- und Angelpunkte dienen dabei Restaurants, die in der Hand der Mafia sind. Hier werden Kontakte angebahnt, Drogen gelagert, sie dienen als Treffpunkte, aber auch als Tarnung. Es lässt sich der Schein wahren, Teil der Gesellschaft zu sein.
So war es auch bei Mario L., Spitzname Mariuzzo. 1956 in Kalabrien geboren, taucht er 1971 das erste Mal im Stuttgarter Raum auf und arbeitet dort in der Gastronomie. Später betreibt er ein Restaurant in Weilimdorf bei Stuttgart. Er gilt bald als erfolgreicher Unternehmer mit einer Ferienanlage in Kalabrien und mehreren Restaurants rund um Stuttgart. Der damalige CDU-Fraktionschef im Landtag Günther Oettinger ist in den Neunzigern Stammgast, es gibt Fotos, auf denen beide nebeneinander zu sehen sind. L. spendet an die CDU, die lässt ihn wiederum kalabrische Abende für die Fraktion ausrichten. Schon damals werfen die Ermittler einen Blick auf L. Er steht im Verdacht, Geld zu waschen und für die ‚Ndrangheta den Drogenhandel im Stuttgarter Raum zu organisieren. Die Ermittlungen wegen der Mafia-Bezüge wurden jedoch bald eingestellt. Stattdessen erhält er in einem anderen Verfahren eine Bewährungsstrafe wegen Steuerhinterziehung.
Oettinger mied nach eigenen Angaben fortan das Restaurant, und um L. wurde es ruhiger. Einmal, im Jahr 2000, beschwerte sich L. noch in einem Leserbrief beim Spiegel. Er sei mitnichten ein Mafioso, wie das Blatt berichtet habe. Ein Gericht in Kalabrien habe ihn von diesem Vorwurf freigesprochen.