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Zu Putins brutalsten Soldaten gehören tschetschenische Spezialeinheiten. |
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Seit Menschengedenken wiederholt sich die Geschichte der Gewalttätigkeit: Skrupellose Herrscher schicken ihre Schergen los, um Länder zu erobern, Reichtümer zu erbeuten, ihre Habgier, ihren Machthunger oder ihre Geltungssucht zu befriedigen. Die Motive wechseln, die Taten ähneln sich. Slobodan Milošević, Saddam Hussein, George W. Bush, nun Wladimir Putin, die Liste ließe sich fortsetzen. Die Massengräber in Srebrenica, die Giftgasopfer in Kurdistan, die Häftlinge im Folterknast Abu Ghuraib, nun die ermordeten Zivilisten in der Ukraine. |
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Der Anblick der Bilder aus Butscha ist unerträglich
Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir bald ähnliche Bilder aus Mariupol und dem Donbass sehen könnten. Ebenso unerträglich sind die Lügen der Kreml-Clique. Ob Präsident Putin oder sein Außenminister Lawrow, ob die Propagandaröhre Peskow oder der UN-Gesandte Nebensja, ob die Generäle im Staatsfernsehen oder die Offiziere auf dem Schlachtfeld: Alle leugnen sie die russischen Verbrechen und verbreiten Lügengeschichten, ohne mit der Wimper zu zucken. |
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Tschetschenische Kämpfer vor ihrer Abreise: Einheiten von „Putins Bluthund“ Ramsan Kadyrow sollen Massaker angerichtet haben |
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Damit sind sie leider erfolgreich.
Während wir nämlich in Westeuropa, wo es unabhängige Medien, rechtsstaatliche Kontrolle und demokratische Regierungen gibt, den Kopf über die Fake News aus Moskau schütteln, scheint die Mehrheit der russischen Bevölkerung den Lügen zu glauben. Was Wunder, wenn die Leute von morgens bis abends mit Propaganda beschallt werden und so gut wie alle freien Informationsquellen verboten sind. Die Mischung aus Repression, Einschüchterung und Desinformation zeigt offenbar Wirkung in Russland – Im Westen hätte wohl kaum jemand erwartet, dass eine derartige Massenmanipulation in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal möglich ist.“
Putin hat aus Russland einen Orwell-Staat gemacht
Und wie in dem dystopischen Roman radikalisiert sich der real existierende Totalitarismus immer weiter. Konnte man in Russland noch vor fünf Jahren auf der Straße seine Meinung sagen, riskiert man damit heute Kopf und Kragen. Russland ist ein Imperium der Angst geworden. |
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Polizisten in Moskau nehmen eine Frau fest, die gegen den Krieg demonstriert hat |
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So ein Land passt nicht in unsere Zeit
Die Menschheit hat eigentlich ganz andere, größere Aufgaben, als sich mit einem mittelalterlichen Despoten herumzuschlagen. Es geht jetzt darum, wie wir die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten erhalten und das Artensterben stoppen. Es geht darum, das Zusammenleben von acht Milliarden Menschen so zu organisieren, dass die Natur dabei nicht kollabiert. Wir haben eigentlich weder die Zeit noch die Ressourcen, uns mit Kriegen zu beschäftigen: Ein Satz, der wahlweise zynisch oder idealistisch klingen mag, in Wahrheit aber die nüchterne Realität beschreibt. |
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Putins Verbrechen zwingen Regierungen, sich ständigum kaum etwas anderes zu kümmern |
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Das können wir uns nicht leisten. Deshalb muss das Regime im Kreml so schnell wie möglich ausgetrocknet werden – durch immer härtere Wirtschaftssanktionen, politische Isolation, konsequente Bestrafung seiner Günstlinge, Unterstützung seiner Gegner. Gleichzeitig dürfen freie Länder wie Deutschland nicht den Fehler begehen, sich selbst so stark zu schwächen, dass sie manövrierunfähig werden. Ein sofortiger Stopp der russischen Gasimporte würde zentrale Teile der deutschen Industrie lahmlegen, den Mittelstand in die Knie zwingen und wohl Hunderttausende Arbeitsplätze kosten. Verarmung, soziale Konflikte und noch mehr Schulden im Corona-klammen Haushalt wären die Folge. Im Übrigen würde Putins Soldateska wohl kaum das Morden einstellen, nur weil Deutschland den Gashahn zudreht. So sehr es schmerzt: Das Runterfahren der Gaskäufe erfolgt klugerweise im selben Maße, in dem man andere Quellen erschließt. |
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Mariupol ist das Stalingrad unserer Zeit, in der zerstörten Stadt wird immer noch gekämpft |
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Deutschland muss seine Abhängigkeit von Despoten reduzieren, dabei aber stark bleiben:
Das ist die gewaltige Aufgabe, vor der die Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitiker in den kommenden Jahren stehen. Die Kehrtwende im Verhältnis zu Russland nach dem jahrelangen Schmusekurs von Schröder/Merkel/Steinmeier ist dabei nur die erste Aufgabe. |
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Die nächste liegt noch weiter östlich, und sie ist noch viel größer
Deutschland hängt wirtschaftlich am Tropf Chinas, das von ebenso brutalen Typen beherrscht wird wie Russland. Die Bundesregierungen der vergangenen Jahre hat das nicht gestört; das Geschäft war immer wichtiger als die Menschenrechte der Uiguren, die Demokratie in Hongkong oder die Unversehrtheit politischer Gefangener. So kann das nicht bleiben. Nicht nur aus moralischen, sondern auch aus realpolitischen Gründen. Das Risiko ist zu groß, im Fall einer chinesischen Aggression gegen Taiwan oder einen seiner Nachbarstaaten in eine noch viel größere Bredouille zu geraten als jetzt mit Russland. Zu harten Sanktionen gegen China wären sowohl Deutschland als auch die gesamte EU gegenwärtig außerstande. |
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′China ist längst stärker als wir
Auch die Bosse in Peking sind auf den gemeinsamen Handel angewiesen, na klar, aber sie sitzen am längeren Hebel, und ihre Bevölkerung ist widerstandsfähiger. Chinas neue Mittelschicht würde es verkraften, ein paar Jahre lang keine VW, Mercedes und BMW zu kaufen. Doch ohne das Geld für all die Autos sowie ohne Computer, Smartphones, Billigklamotten, seltene Erden, Metalle und chemische Grundstoffe aus China gingen in Deutschlands Wirtschaft schnell die Lichter aus. |
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Einseitige Abhängigkeit ist ein existenzielles Risiko
Sie macht uns verwundbar, sie zeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem unser Wohlstand ruht. In einer Welt, in der die Demokratien auf dem Rückzug sind und die Despoten erstarken, kann sich kein Staat so ein Risiko dauerhaft erlauben. Deshalb lautet das wichtigste Motto für die Außen- und die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre:
Wir müssen unabhängiger wrden
Das bedeutet, ausgelagerte Produktionsstätten nach Europa zurückzuholen, mehr in demokratische Länder statt in Diktaturen zu investieren. Und wo das nicht geht, weil Gas und Öl nun mal dort liegen, wo sie eben liegen, auf fünf, sechs, sieben verschiedene Lieferantenländer zu setzen statt auf ein, zwei große. Nach der Eurokrise, der Flüchtlingskrise und der Corona-Krise hätte man denken können, die größten Herausforderungen unserer Zeit lägen schon hinter uns. Leider falsch gedacht.
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