Zwei Leute fahren im Auto durch ein Dorf. Da vorne sehen sie einen Hund. Die eine Person sagt zur anderen: Schau mal da vorne, ein hübscher Hund! Die andere Person antwortet, stimmt, ein besonders hübscher Hund.
In einem anderen Auto sitzen zwei andere Leute, die ein anderes Tier sehen, eine Katze.
Sie äußern sich in gleicher Weise über dieses Tier.
Hat jemand etwas darüber gesagt, ob das Tier ein Männchen oder ein Weibchen ist? Nein.

 

Die Aussage „ein Hund“ oder „eine Katze“ enthält keine Aussage über das biologische Geschlecht des Tiers. Die sprechenden Personen mussten sich darüber auch bislang keine Meinung bilden. Ein Missverständnis darüber, ob es sich um jeweils ein männliches oder weibliches Tier handelt, existiert nicht.
In einem Restaurant wird ein Gast ohnmächtig. Jemand ruft dem Personal zu: Rufen Sie bitte gleich einen Arzt! Ist damit etwas gesagt oder gemeint in Bezug auf das biologische Geschlecht der zu rufenden Personen? Nein.
Das war alles ganz einfach und selbstverständlich, nicht nur im Bereich der deutschen Sprache. Jetzt ist es ein Politikum. Die neue Regel heißt:
– Wer das Wort Hund benutzt, äußert sich weiterhin nicht zum biologischen Geschlecht.
– Wer das Wort Arzt benutzt, meint angeblich nur einen männlichen Berufsangehörigen.
Die Behauptung ist, dass Wörter, mit denen Gruppen von Menschen mit übereinstimmender Eigenart bezeichnet werden, in der bisherigen Grundform nur Männer bezeichnen; Frauen seien mit einer Abwandlung der männlichen Form zu bezeichnen. Der Satz „Alle Arbeitnehmer haben am Betriebsausflug teilgenommen“ bedeutet angeblich, dass die im Betrieb tätigen Frauen zu Hause blieben. Damit wird ein Missverständnis behauptet, das es bislang nicht gab.

Darüber, nach welcher Regel es weniger Missverständnisse gibt, wurde umfangreich debattiert. Interessant ist beispielsweise folgende Konstellation: Wer sagt: „Frau Merkel war die bislang beste Bundeskanzlerin“, macht die gemeinte Person lächerlich, denn sie war bislang die einzige Bundeskanzlerin; die Aussage ist nur als Abwertung zu verstehen. Weitere Beispiele kann man den zahllosen Artikeln und Leserbriefen (falsch, Leser- und Leserinnenbriefen!) entnehmen, die in den bürgerlichen Tageszeitungen zu diesem Thema veröffentlicht sind.

Im Roman „1984“, der schon 74 Jahre alt ist, gibt die Obrigkeit unter der Bezeichnung „Neusprech“ neue Sprachregeln vor, um damit ideologische Politik zu machen. So kommt mir die neue Sprachbewegung vor. Sie dehnt sich über den Bereich des Unterschiedes zwischen sexus und genus auf den Wortschatz aus. Inzwischen haben scheinbar unverdächtige Gegenstände wie das Rednerpult (korrekt: Redner- und Rednerinnenpult oder Redepult!) den Namen geändert bekommen.

Diese neue Sprachregelung hat sich gut durchgesetzt. Kein renommierter Verlag kann auf seiner Homepage die Gruppe der Schreibenden (brav, brav!) mit „Unsere Autoren“ angeben. Er muss schreiben: „Unsere Autoren und Autorinnen“ oder eine der neuen Schreibarten verwenden wie Autor*innen.
Das soll auch geschehen, wo es – „Deutsche und Deutschinnen“ – ziemlich tumb einher kommt.  Es gibt die Abgeordnetin (obwohl das Wort „Abgeordnete“ sowohl männlich als auch weiblich benutzt werden kann; dasselbe gilt für Mitgliederin) und Vorständin (obwohl das Wort „Vorstand“ nicht die Person bezeichnet, sondern das Gremium; die Person heißt Vorstandsmitglied).

Wer sich nicht an diese neue Sprachregelung hält, wird mit schlechten Eigenschaften belegt; er (falsch! er oder sie!) sei ein „male chauvinist“, ein starrhalsiger Alter; die Liste der abwertenden Begriffe kann fortgesetzt werden.

Die Gesetzgebung wird nachziehen. Einen schüchternen Anfang hat das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz von 2004 gemacht, es heißt im kompletten Titel: „Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte“, aber die Rechtsanwältinnen kommen nur in § 1 Satz 1 vor.
Es ist eine interessante soziologische Fragestellung, wie solche an privaten Schreibtischen ausgedachte Vorgaben zur quasi-offiziellen Sprechweise werden, an die man sich gefälligst zu halten hat.

Ich habe im Deutschlandfunk eine Diskussion gehört, wie die dort arbeitenden Journalisten (falsch! Journalisten und Journalistinnen!) mit diesem Thema umgehen. Die Antwort war, dass jeder (falsch, jeder und jede!) das nach eigener Auffassung handhaben dürfe. Auf den Einwand eines Diskussionsteilnehmers, dass ausnahmslos alle im Deutschlandfunk an entsprechender Stelle Tätigen den neuen Sprachregeln folgen und dass damit ein deutlicher Verhaltensdruck belegt sei, kam keine Antwort.

Obrigkeitliche Eingriffe in die Sprachesind abzulehnen. Die fälschlich so genannte Rechtschreibreform war ein schwerer Schlag gegen die deutsche Kultur. Die Moralisierung einer Sprachgewohnheit ist – zurückhaltend formuliert – unangemessen. Wäre ich aber Politiker, so hielte ich mich dennoch strikt an die neuen Sprachregeln, um mich keinen Angriffen auszusetzen. Der Anpassungsdruck, der hier ausgeübt wird, ist mir ebenfalls unangenehm.

Inzwischen glaube ich, dass der Zug abgefahren ist. Es gibt Umfragen, deren Verlässlichkeit ich nicht einschätzen kann, die eine Mehrheit von zwei Dritteln gegen Neusprech behaupten. Das kann sein, bewirkt aber nichts, weil jeder (begreife endlich, es heißt jeder und jede!), der (und die, bitteschön!) die neue Regelung ablehnt, unter peinlichem Anpassungsdruck steht.
Es gibt für mich ein Argument, das ich zu Gunsten der Neuregelung erwäge. Ich habe mit vielen Frauen über das Thema diskutiert. Die Meinungen, die ich dabei kennenlernte, sind extrem unterschiedlich. Ein nicht kleiner Teil meiner Gesprächspartnerinnen (na endlich!) hält die Verwendung männlicher Bezeichnungen für Frauen für eine sublime Kränkung. Das kann ich zwar nicht verstehen, aber ich habe es zu respektieren, so wie ich das angestammte deutsche Wort für dunkelhäutigen Menschen mit afrikanischem Herkommen nicht mehr benutze, weil ich nachvollziehen kann, dass die betroffenen Personen dahinter – neuerdings –  eine Kränkung oder eine Taktlosigkeit vermuten.
Inzwischen hat die Angelegenheit neues Volumen gewonnen. Im Internet kann man sich helfen lassen:
„Hast du in deinem Text richtig gegendert? Lade dein Dokument hoch und erfahre, ob du konsequent richtig gegendert hast. Du erhältst sofort Vorschläge und Alternativen für alle potentiell kritischen Formulierungen.

Gendern kann auch einfach sein!“

Und schon ist die Sprachkontrolle einen Schritt weiter gegangen:
Man kann ein Wörterbuch der neuen Bezeichnungen benutzen: (https:// geschicktgendern.de/). Aus Obmann wird Obmensch, der Camper wird zeltende Person und so weiter. Alle Studentenwerke wurden umbenannt in Studierendenwerke, auch die, die als GmbH betrieben wurden und folglich die Satzung ändern mussten.
Man durfte schon erwarten, dass Wörter wie Muttersprache als ungehörig abgeschafft werden.
Das Wort Mutter ist von der Neusprech-Bewegung aus dem Sprachschatz aussortiert. „Vaterland“ ist schon längst aus dem Sprachgebrauch gekommen. Es geht also keineswegs nur um Sprache, sondern um Inhalte. Dass es Vater und Mutter gibt, soll sprachlich verdeckt werden. Säuglinge müssen sich drauf einstellen: Es soll keine Muttermilch mehr geben, sondern jetzt Elternmilch. Ob das Säugende (korrekt so?) satt wird, wenn die Ex-Mutter Gleichberechtigung, also gleiche Säugepflicht reklamiert?

Wikipedia sagt zu Neusprech:

„Durch Sprachplanung sollen sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten beschränkt und damit die Freiheit des Denkens aufgehoben werden. Der fiktive totalitäre Staat Ozeanien entwickelt diese Sprachform, um die Ideologie von „Ingsoc“ im Unterbewusstsein der Menschen zu verankern.“

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Deutsche Nationalhymne gendern ?

 

Apr. 2022 | Allgemein, Essay, Feuilleton, Gesundheit, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Senioren, Theater | Kommentieren