Im Streit um einen möglichen Importstopp für russisches Gas und Öl versteigen sich Politiker zu der Behauptung, Putin brauche die Hunderte Millionen von Euro, die ihm täglich aus dem Westen überwiesen werden, gar nicht.
Tatsächlich hängt sein Finanzsystem an diesen Einnahmen.
Selbst unter dem Eindruck der Bilder und Berichte schwerster Kriegsverbrechen stemmt sich die Bundesregierung gegen einen sofortigen Energieboykott gegen Russland. Die russischen Deviseneinnahmen aus dem Export hauptsächlich von Öl und Gas dürften sich allein seit Kriegsbeginn auf rund 20 Milliarden Euro summieren. Russland-Experte Janis Kluge rechnete jüngst vor, dass die russischen Exporterlöse dieses Jahr sogar auf einen neuen Rekordwert steigen dürften – es sei denn, Russland würde mit einem Energieboykott belegt.
„Wunschdenken“
Tatsächlich ist es so, dass Russlands Militär aufgrund seiner Größe und einer seit Jahren auf Autarkie setzenden Wirtschaftsstruktur, weitgehend aus dem Inland versorgt wird. Das bedeutet, nicht nur den Sold, sondern auch wichtigen Nachschub an Sprit, Verpflegung und Munition bezahlt der Kreml in Rubel, die ihm theoretisch in unbegrenzter Menge zur Verfügung stehen. Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben also nicht dieselbe unmittelbare Wirkung wie auf die militärischen Fähigkeiten kleinerer Staaten, die Waffen und Ausrüstung im Ausland mit Devisen kaufen müssen.
Die Forderung nach einem sofortigen Importstopp für russisches Öl und Gas basiere also „auf einer Reihe schwerwiegender Missverständnisse“, schreibt etwa der Ökonom Andrew Watt vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im „IPG-Journal“. Ein Embargo hätte seiner Ansicht nach zwar schwerwiegende langfristige Auswirkungen auf die russische Wirtschaft insgesamt. Um Putin zu einem möglichst schnellen Stopp seines Angriffskriegs zu bewegen, sei es aber kaum geeignet.Der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum stellte fest: „Natürlich helfen unsere Devisen Putin.“ Aber ein Embargo würde ihn auch nicht in einer Weise treffen, dass er ein paar Wochen später den Krieg beenden müsste, weil ihm das Geld ausgeht. „Das ist leider Wunschdenken“. Südekum sieht eher mittelfristige Auswirkungen eines möglichen Embargos – und zwar vor allem auf die „einfache Bevölkerung“, die „sich immer weniger leisten könne“, viele westliche Importgüter würden wegen Devisenmangels aus den Regalen verschwinden und die Oligarchen, die in der Energiewirtschaft an der Spitze stehen, würden an Einfluss verlieren. „Der Krieg würde aus meiner Sicht weitergehen“, so Südekum.
Andere Wirtschaftsexperten sehen das allerdings anders. Rund ein Drittel des russischen Staatshaushalts, das aus dem Rohstoffexport stammt, wäre auch für kurze Zeit kaum verzichtbar oder einfach zu ersetzen. „Das System Putin hängt daran“, schreibt der Bonner Wirtschaftsprofessor Moritz Schularick auf Twitter.
Wert des Rubels würde einbrechen
Bei einem Ausfall der Öl- und Gasexporterlöse müsste Putin also zum Beispiel die Steuern drastisch erhöhen oder die Zentralbank eine so große Menge neuer Rubel drucken lassen, dass die Inflation extrem angeheizt würde. So könnte Putin seinen Soldaten und anderen Staatsbediensteten zwar nominal den Lohn weiterzahlen, der reale Wert dieser Einkommen dürfte jedoch schnell einbrechen. Russlands Wirtschaft würde in eine Krise geraten, die die Bereitstellung von ausreichend Nachschub für das Militär in einem umfassenden Krieg erheblich erschwert – egal wie viele Rubel die Notenbank nachdruckt.