Wladimir Putin droht der Welt unverhohlen mit seinen Atomwaffen.

Für den russischen Präsidenten ist auch deren Einsatz ein probates Mittel zur Durchsetzung seiner Politik. Wenngleich, so schränkt er ein, dabei nicht die Welt vernichtet werden muß.
Aber kann es überhaupt einen „kleinen Atomkrieg“ geben?

Noch im Januar dieses Jahres betonten die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, China, Frankreich, Russland, Großbritannien und die USA, „dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf“. Atomwaffen, so hieß es weiter in einer gemeinsamen Erklärung, dürften nur dem Ziel der Verteidigung, der Abschreckung und der Vermeidung von Kriegen dienen. International wolle man mit allen Staaten zusammenarbeiten, um eine Welt ohne Atomwaffen zu erreichen.

Das war im Januar. Im Monat darauf hat Russlands Präsident Wladimir Putin nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, einen Krieg mitten in Europa angezettelt, er droht der internationalen Staatengemeinschaft auch offen mit seinen Atomwaffen. Und das ist kein kleines Arsenal. Nach den aktuellen Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) in Stockholm verfügte Russland Anfang 2021 über 6255 Atomwaffen. Das ist knapp die Hälfte der insgesamt 13.080 Atomsprengkörper weltweit. Die USA kamen zum gleichen Zeitpunkt auf 5550 solcher Waffen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Putin in einem Krieg mit dem Einsatz von Atomwaffen droht. Bereits 2015, ein Jahr nach der Annexion der Krim, sagte der russische Präsident im russischen Fernsehen über den Einsatz von Atomwaffen: „Wir waren bereit, es zu tun.“ Die russische Führung sei willens gewesen, sich der „schlimmsten Wendung zu stellen, welche die Ereignisse hätten nehmen können“. Allerdings dachte der Kreml-Chef schon damals an einen beschränkten Einsatz, eben an einen „kleinen Atomkrieg“ in begrenztem Ausmaß, der vor allem Europa schrecken sollte.

Im Jahr 2020 ging man noch einen Schritt weiter. In einer neuen Nukleardoktrin behält Russland sich das Recht vor, „Nuklearwaffen anzuwenden als Antwort auf den Einsatz der Nuklearwaffen und/oder anderer Arten von Massenvernichtungsmitteln gegen sie und/oder ihre Verbündeten, sowie im Fall einer Aggression gegen die Russische Föderation mit Einsatz herkömmlicher Waffen, wenn die staatliche Existenz selbst bedroht wurde“. Damit gibt sich Russland das Recht, in einem bewaffneten Konflikt nicht nur mit dem Einsatz von Atomwaffen zu drohen, sondern diese auch einzusetzen.

Putins „kleiner Atomkrieg“ wäre also im besten Fall ein Krieg abseits der Vernichtung der Welt. Rein theoretisch könnte die russische Armee dafür tatsächlich ihr Arsenal an sogenannten Iskander-Raketen einsetzen. Diese Raketen haben im Mittel- und Langstreckenbereich eine Reichweite von 500 bis 2000 Kilometern, die sie mit sechsfacher Schallgeschwindigkeit zurücklegen. Zudem sind diese Raketen fahrzeuggebunden und damit beweglich, können also von fast jedem beliebigen Punkt abgefeuert werden. In der Ukraine sollen Iskander mit herkömmlichen Sprengköpfen bereits im Einsatz sein. Es wäre ein Leichtes, sie auch mit atomaren Sprengköpfen zu bestücken.

Eine Rakete startet von der Plesetsk-Anlage im Nordwesten Russlands im Rahmen eines bodengestützten Interkontinentalraketentests im Jahr 2020.

Interessant ist, dass die Iskander-Raketen mit ihrem relativ kleinen Sprengkopf von 20 bis 25 Kilogramm als sogenannte Mini-Atombomben oder auch Mini-Nukes bezeichnet werden. Das US-Militär hatte in einem Planspiel wohl schon vor zwei Jahren das Zünden einer solchen Bombe auf ein NATO-Mitgliedsland durchgespielt. Die Antwort der USA wäre eine entsprechende gewesen, hieß es seitens eines hochrangigen US-Offiziers. Statt also mit großen strategischen Atomraketen, deren Reichweite 10.000 Kilometer überschreiten kann, wird der kleine Atomschlag der Russen mit einem ebensolchen vergolten.

Natürlich handelte es sich hierbei nur um eine Simulation, und im Rahmen der momentanen Drohkulisse von Putin werden noch ganz andere Möglichkeiten erörtert. Während strategische Nuklearwaffen ganze Landstriche zerstören, ließe sich mit kleinen, taktischen Atomsprengkörpern auch ein psychologischer Krieg führen.

Durch deren wesentlich geringere Sprengkraft könne Putin, so die Theorie des Abrüstungsexperten Hans Kristensen von der Federation of American Scientists, eine Nuklearbombe über der Ostsee oder dem Schwarzen Meer zünden. Dass dabei nur die Umwelt in großem Maß verseucht würde, aber Menschen nicht zu Schaden kämen, scheint allerdings eine Rechnung zu sein, die nicht aufgeht. Zwar würde Putin damit ein klares Signal an den Westen senden, aber am Ende wäre das nicht größer als ein offizieller Atombombentest.
Putin braucht ein starkes Signal

Putin bräuchte also in jedem Fall ein stärkeres Signal. Das dürfte auch der Kreml-Chef wissen, dessen Situation sich zusehends verschärft, da die Invasion in der Ukraine momentan nicht so läuft, wie er sich das vermutlich vorgestellt hat. Glaubt man Berichten der US-Geheimdienste, soll Putin gegenüber seinen Mitarbeitern „ungewöhnliche Wutausbrüche“ wegen des schleppenden Verlaufs der Annexion zeigen. Ein Bild, das nicht dafür spricht, dass sich Putin unter Kontrolle hat.

Erschwerend kommt hinzu, und das ist auch den Aussagen Putins im Hinblick auf einen regional begrenzten Einsatz von Atomwaffen zu entnehmen, dass die Hemmschwelle zum Einsatz von Mini-Atombomben sinkt. Das wiederum würde aber eine Kettenreaktion auslösen.

Der Gedanke der nuklearen Abschreckung, der seit Jahrzehnten funktioniert, wäre damit obsolet. Dass Putin, der im Käfig seiner Politik gefangen ist, bewusst ist, dass ein Atomkrieg, egal ob er mit kleinen oder großen Waffen geführt wird, nicht zu gewinnen ist, bleibt nur zu hoffen.

März 2022 | Allgemein, Essay, Gesundheit, Junge Rundschau, Politik, Zeitgeschehen | Kommentieren