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Machtwechsel in Afghanistan: China sieht Afghanistan im «Übergang vom Chaos zu Ordnung»

[1]In Afghanistan haben die Taliban im August 2021 die Macht übernommen. Viele Staaten haben ihre Landsleute und lokalen Mitarbeiter unter teilweise dramatischen Umständen evakuiert. Die Lage im Land ist unübersichtlich. Hunderte von Menschen versammeln sich am Flughafen von Kabul um ein Transportflugzeug am 16. August 2021. Kurz zuvor waren die Taliban in die Stadt vorgedrungen.

Die neusten Entwicklungen:

  • Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht Afghanistan an einem «kritischen Punkt im Übergang von Chaos zu Ordnung».
  • Zu Beginn der dritten Aussenministergespräche der Nachbarstaaten am Donnerstag (31. 3.) in Tunxi in der südostchinesischen Provinz Anhui hob Chinas Präsident in einer schriftlichen Botschaft an die Teilnehmer hervor, dass ein «friedliches, stabiles, sich entwickelndes und florierendes Afghanistan» der Wunsch des afghanischen Volkes und im Interesse aller Länder sei. China respektiere die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität Afghanistans und unterstütze dessen Streben nach Frieden, Stabilität und Entwicklung. An dem Treffen nahm ausser Gastgeber Wang Yi unter anderen auch sein russischer Kollege Sergei Lawrow teil.
  • Bei den seit Mittwoch (30. 3.) laufenden, zweitägigen Afghanistan-Gesprächen gibt es drei Foren:
  • China hat neben Russland die USA und zusätzlich Pakistan zu einem Treffen eingeladen. Von amerikanischer Seite soll der amerikanische Sondergesandte für Afghanistan, Tom West, teilnehmen. Die Aussenminister der Nachbarstaaten Afghanistan treffen zudem auch mit der seit August herrschenden Taliban-Regierung zusammen. Dazu ist der amtierende afghanische Aussenminister, Amir Chan Muttaki, angereist. Andere Teilnehmerländer sind der Iran, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.
  • Die Taliban haben die Ausstrahlung von BBC-Fernsehnachrichten in den drei Hauptsprachen Afghanistans verboten.
  • «Die TV-Nachrichtensendungen der BBC auf Paschtu, Persisch und Usbekisch wurden in Afghanistan abgeschaltet», teilte BBC am Sonntag mit. Die Taliban wollten internationale TV-Sendungen verhindern. Das sei eine besorgniserregende Entwicklung in einer Zeit der Unsicherheit und Turbulenzen für die Menschen in Afghanistan. Mehr als sechs Millionen Afghanen konsumierten bisher die Nachrichten der BBC. Afghanische Medien dürfen auch Programminhalte der Deutschen Welle nicht mehr für ihr TV-Programm nutzen.
  • Mehrere Dutzend Personen haben am Samstag (26. 3.) in Kabul gegen die Entscheidung der Taliban protestiert, Mädchen den Besuch weiterführender Schulen zu verwehren.Videos örtlicher Medien zeigten, wie einige Dutzend Frauen und Mädchen ihr Recht einforderten, zur Schule zu gehen und arbeiten zu können. Die Demonstration habe friedlich geendet, sagte einer der Organisatoren der Deutschen Presse-Agentur. Die Taliban hatten am Mittwoch entgegen ihrer Zusage mitgeteilt, Schülerinnen ab der 7. Klasse bliebe die Teilnahme am Unterricht untersagt.
  • Hilfsorganisationen warnen vor einer Zuspitzung der Hungersnot in Afghanistan.
  • Das Land leidet unter einer der schwersten Dürren der zwei vergangenen Jahrzehnte. Die Anbaufläche für Winterweizen sei stark zurückgegangen, teilte die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften am Dienstag (22. 3.) mit. Etwa die Hälfte der Fläche, auf der sonst im Frühjahr geerntet wird, liege brach. Schon jetzt seien fast 23 Millionen Menschen nicht in der Lage, sich täglich selbst zu ernähren. Millionen Bauernfamilien hätten bereits im vergangenen Jahr wegen Trockenheit ihre Ernte verloren. Laut den Vereinten Nationen haben inzwischen rund 95 Prozent der Bevölkerung nicht ausreichend zu essen.
  • Hunderte ehemalige Richter in Afghanistan haben die regierenden Taliban aufgefordert, sie in ihren Job zurückkehren zu lassen. 
  • Die Richter, die zwei Jahrzehnte lang auch Mitglieder der Taliban verurteilt und ins Gefängnis geschickt hatten, äusserten sich auf einer Pressekonferenz in Kabul am Sonntag (20. 3.) besorgt hinsichtlich ihrer eigenen Sicherheit. Zudem sei es schwer, seit dem Wegfall des Gehalts den Lebensunterhalt zu bestreiten. Nach ihrer Machtübernahme im August 2021 hatte die militant-islamistische Gruppe die Richter der bisherigen Judikative entlassen und durch Mitglieder aus den eigenen Reihen ersetzt.
  • Die Taliban werden Mädchen ab kommender Woche erlauben, weiterführende Schulen zu besuchen.
  • «Alle Schulen werden für Knaben und Mädchen geöffnet», sagte ein Sprecher des Bildungsministeriums, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag (18. 3.). Nach der Machtübernahme der Taliban im vergangenen August war die Regierung unter internationalem Druck gestanden, den Zugang zu Bildung für alle zu öffnen. Ganz frei ist der Zugang allerdings nicht: Schülerinnen müssten von Schülern getrennt unterrichtet werden. Und dies auch nur von Lehrerinnen. Vielerorts mangelt es allerdings an weiblichen Lehrpersonen.
  • Die Botschaft in Washington sowie die Konsulate in New York und Los Angeles müssen wegen Geldmangels schliessen.
  • Das berichtet die «New York Times». Die afghanischen Vertretungen in den USA haben seit Monaten kein Geld bekommen. Die Citibank hat afghanische Staatskonten eingefroren, um Sanktionen gegen die Taliban zu entsprechen. Die Diplomaten haben nun 30 Tage Zeit, um einen weiteren Aufenthalt in den USA zu beantragen. Wegen der Gefährdungslage würden sie allerdings nicht nach Afghanistan zurückgeschickt. Rund ein Viertel der etwa 100 Diplomaten in den USA hätten noch keinen Antrag gestellt, wie die «New York Times» weiter schreibt.

Wie kam es zur Machtübernahme der Taliban in Afghanistan?

Nach der Ankündigung des amerikanischen Truppenrückzuges haben die Taliban innerhalb kürzester Zeit sämtliche Städte und Provinzen des Landes erobern können, ohne auf nennenswerten Widerstand der afghanischen Armee zu stossen. Am 15. August drangen sie in die Hauptstadt Kabul vor, besetzten den Präsidentenpalast und übernahmen damit die Macht in Afghanistan. Präsident Ashraf Ghani war kurz zuvor ins Ausland geflohen.

Der Abzug des letzten amerikanischen Soldaten Ende August war der Endpunkt der zwanzig Jahre währenden amerikanischen Militärpräsenz in Afghanistan. Der damals amtierende amerikanische Präsident Donald Trump hatte den Taliban im Februar 2020 zugesichert, die westlichen Truppen bis zum 1. Mai 2021 abzuziehen. Sein Nachfolger Joe Biden setzte den Termin zunächst auf den 11. September fest, zog ihn aber dann auf den 31. August vor. Tatsächlich hob bereits am 30. August, kurz vor Mitternacht, unter dramatischen Umständen die letzte Maschine mit den letzten amerikanischen Soldaten und Offiziellen vom Flughafen Kabul ab.

In den vorangegangenen zwei Wochen waren über 120 000 Personen von den amerikanischen und anderen westlichen Streitkräften evakuiert worden. Allerdings konnten dabei längst nicht alle Schutzbedürftigen – also ehemalige Ortskräfte und ihre Familien, aber auch prominente Politikerinnen oder Frauenrechtlerinnen – einen Platz in den Flugzeugen erhalten. In Kabul hatte sich bis zum endgültigen Truppenabzug nur der Flughafen noch unter Kontrolle amerikanischer Soldaten befunden. Rund um den Flughafen Kabul spielten sich dramatische Szenen ab. Bei zwei Selbstmordattentaten der Terrormiliz IS wurden mehr als 170 Personen getötet, die meisten von ihnen waren afghanische Zivilisten.

Das amerikanische Aussenministerium und das Pentagon halten angeblich Informationen zu den Umständen rund um die Machtübernahme der Taliban zurück. Diese Informationen würden die Gesetzgeber und die Öffentlichkeit benötigen, um den Zusammenbruch der früheren afghanischen Regierung und des Militärs sowie den chaotischen Abzug der amerikanischen Truppen zu verstehen, sagte John Sopko, der Sondergeneralinspektor für den Wiederaufbau Afghanistans (SIGAR). Während das Aussenministerium einräumte, Informationen teils entfernt oder unkenntlich gemacht zu haben, um Personen in Afghanistan zu schützen, äusserte sich das Pentagon bisher nicht zu den Vorwürfen.

Taliban-Kämpfer haben am 15. August 2021 die Kontrolle über den afghanischen Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani war zuvor aus dem Land geflohen.

Taliban-Kämpfer haben am 15. August 2021 die Kontrolle über den afghanischen Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani war zuvor aus dem Land geflohen.

Die neue Taliban-Regierung: Wer sind sie – welche Interessen verfolgen sie?

Die Taliban gaben am 7. September an einer Pressekonferenz in Kabul bekannt, mit welchem Personal sie die Regierungsgeschäfte angehen wollen. Dabei soll es sich offiziell um eine Übergangsregierung handeln. Mullah Mohammad Hassan Akhund, der wenig bekannte Vorsitzende des Taliban-Führungsrats, wurde zum Premierminister ernannt. Der Taliban-Mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar, das wichtigste öffentliche Gesicht der Gruppe, wird sein Stellvertreter sein. Der Taliban-Chef Haibatullah Akhundzada schliesslich soll als Ober-Mullah über das neue Regime wachen. Als «Oberster Führer» soll er die Konformität der Politik mit der Scharia sicherstellen. Er trifft als sogenannter Anführer der Gläubigen die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban und soll so das Islamische Emirat Afghanistan lenken. Der religiöse Hardliner gehört zur Gründergeneration der Taliban. Hier geht es zum Porträt des mysteriösen neuen Emirs. [2]

Brisant ist die Besetzung des Innenministerpostens mit Sirajuddin Haqqani, der zugleich als einer der Stellvertreter Akhundzadas fungiert. Denn Haqqani ist Anführer des Haqqani-Netzwerks, einer von den USA als terroristisch eingestuften Organisation. Er wird für einige der grausamsten Anschläge in Afghanistan verantwortlich gemacht. Aufgrund seiner Beteiligung an Selbstmordattentaten und seiner Verbindungen zur Kaida gehört der etwa Mitte 40-Jährige zu den vom amerikanischen Geheimdienst FBI meistgesuchten Männern. Die USA haben ein siebenstelliges Kopfgeld auf Haqqani ausgeschrieben.

Ein weiterer Stellvertreter Akhundzadas ist Mullah Jakub, der älteste Sohn des langjährigen, verstorbenen Taliban-Chefs Mullah Omar. Zur Führungsriege zählen zudem Mullah Baradar Akh und Sher Mohammad Abbas Stanikzai, die an den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung beteiligt waren.

Die Taliban wollen nach eigener Aussage ein «islamisches System» aufbauen, frei von ausländischer Einmischung. In den vergangenen Monaten hatten sie stets beteuert, dabei den Frieden anzustreben. Sie lehnten allerdings das formell demokratische politische System Afghanistans ab und bezeichneten die Regierung von Präsident Ashraf Ghani als Marionette der Amerikaner.

Kontrollieren die Taliban ganz Afghanistan?

Das letzte Gebiet, in dem auch nach Anfang September noch Widerstand geleistet wurde, war die rebellische Provinz Panjshir. Nach Angaben der Taliban ist aber auch diese nach nicht einmal einer Woche Kampf gefallen. Sie posteten in den sozialen Netzwerken Bilder davon, wie sie ihre weisse Fahne im Panjshir-Tal hissen. Nach heftigen Kämpfen erklärte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid, dass diese letzte rebellische Provinz gefallen sei. Seitdem ist unklar, ob noch etwas von den Widerstandskämpfern übrig ist und ob sich deren Anführer überhaupt noch im Land befinden. Doch scheint damit festzustehen, dass die Taliban nun ganz Afghanistan kontrollieren.

Wie wollen andere Staaten mit der Taliban-Regierung umgehen?

Die internationale Gemeinschaft steht vor der Frage, inwieweit die Taliban als Gesprächs- und Verhandlungspartner akzeptiert werden sollen. Viele westliche Staaten führen zwar Gespräche mit den Taliban, erkennen sie aber – noch – nicht als legitime Regierung an. Der Uno-Sicherheitsrat hatte Mitte August Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung gefordert, der auch Frauen angehören sollten.

Die Aussenminister der EU-Staaten hatten als Bedingung für jedwede Zusammenarbeit mit den Taliban erklärt, die Taliban müssten eine Regierung unter Einbindung auch anderer politischer Kräfte im Land bilden und die Ausreise von schutzbedürftigen Menschen ermöglichen. Zudem sollen sie die Einhaltung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit gewähren, humanitäre Hilfe ermöglichen und garantieren, dass Afghanistan nicht wieder zu einer Basis für international operierende Terrorgruppen wird.

Diese Forderungen interessieren die Taliban allerdings wenig, wie sich einmal mehr mit der Bekanntgabe des Regierungspersonals zeigte. Dessen ungeachtet haben sowohl die russische als auch die chinesische Regierung jüngst die Kontakte zu den Taliban ausgebaut. Gleichzeitig wird in Peking wie auch andernorts befürchtet, dass die Taliban islamistischen Gruppierungen Unterschlupf bieten.

Wie ist die Lage für die Bevölkerung Afghanistans?

In vielen Landesteilen trauen sich die Menschen aus Angst vor den Taliban nicht aus dem Haus. Als besonders gefährdet gelten Afghanen, die als Ortskräfte für ausländisches Militär oder andere Organisationen gearbeitet haben. Menschenrechtsorganisationen berichten von gezielten Hinrichtungen und anderen Repressionen. In einigen Städten, darunter Kabul, kam es zu offenen Protesten gegen die Taliban.

Wie wird sich die Lage für die afghanischen Frauen entwickeln?

Während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 durften Frauen nur in Begleitung des Ehemannes oder eines männlichen Verwandten das Haus verlassen, mussten eine Burka tragen und durften nicht arbeiten. Die Taliban haben in öffentlichen Äusserungen betont, dass Frauen und Mädchen weiterhin zur Arbeit oder zur Schule gehen dürfen sollen. Im März 2022 bekräftigten die Taliban, dass es Mädchen erlaubt sei, weiterführende Schulen zu besuchen. Ganz frei ist der Zugang allerdings nicht: Schülerinnen müssen von Schülern getrennt unterrichtet werden. Und dies auch nur von Lehrerinnen. Vielerorts mangelt es allerdings an weiblichen Lehrpersonen.

Frauen im öffentlichen Gesundheitswesen wurden ausdrücklich aufgefordert, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Mitte September verkündeten die Taliban, dass Männer und Frauen nicht zusammen arbeiten dürften. Frauen dürften zwar studieren, doch nur in geschlechtergetrennter Umgebung. Zudem setzen die Taliban die Schulbildung für Mädchen ab der 7. Klasse «vorerst» aus. Bei der Kabinettsernennung wurden keine Frauen berücksichtigt.

Zwar wurde Anfang Dezember ein Dekret zur Wahrung diverser Frauenrechte erlassen – es handelt sich dabei um grundlegende Rechte die auch den Regeln des Islam entsprechen – jedoch machten die Taliban damals noch keine Aussagen zu Rechten von Frauen bezüglich Bildung oder Arbeit. Es handelt sich bei vielen anfänglichen Aussagen der Taliban, die Frauenrechte garantieren sollten, wohl auch um an den Westen gerichtete Propaganda, da die Taliban auf Hilfsgelder angewiesen sind und eine völkerrechtliche Anerkennung anstreben.

Seit der Machtübernahme durch die Taliban wurden in Afghanistan fast 400 Zivilisten bei Angriffen getötet – mehr als 80 Prozent davon durch eine Gruppe, die dem Islamischen Staat nahesteht. Dies geht aus einem Anfang März 2022 veröffentlichten Uno-Bericht hervor, der das Ausmass des Aufstands unterstreicht, mit dem die neuen Machthaber konfrontiert sind.

Die Bevölkerung in Afghanistan und afghanische Flüchtlinge in Nachbarländern sind auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Konkret koste die Hilfe in diesem Jahr mindestens 4,5 Milliarden Euro, wie das Uno-Nothilfebüro (OCHA) im Januar in Genf in einem Spendenaufruf mitteilte. So viel Geld brauchen die Vereinten Nationen, um mehr als 27 Millionen Menschen zu helfen. Laut Uno-Angaben dürften in diesem Jahr 4,7 Millionen Menschen in Afghanistan an schwerer Unterernährung leiden, davon 3,9 Millionen Kinder. 131 000 Kindern drohe ohne zusätzliche Hilfe der Hungertod.

Was geschieht mit den Flüchtlingen?

Manche der an Afghanistan grenzenden Länder rechnen mit einer weiteren Flüchtlingswelle. Dabei haben sie bereits mehrere Millionen Afghaninnen und Afghanen aufgenommen: 90 Prozent davon seien in Iran und in Pakistan, weitere in Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan, heisst es. Auch in europäischen Ländern wird darüber diskutiert, welche Fluchtbewegungen auf den Regimewechsel folgen und ob sie den europäischen Kontinent betreffen könnten. Wie sich die Lage tatsächlich entwickeln wird, ist bis anhin nicht absehbar.

Die Taliban haben zugesichert, dass Afghanen auch nach dem amerikanischen Truppenabzug vom 31. August das Land verlassen dürfen. Gleichzeitig betonen sie, dass das Land nur mithilfe der Bevölkerung wieder aufgebaut werden könne. Doch die will sich zu grossen Teilen nicht auf die Worte der Taliban verlassen. Tatsächlich sind viele Grenzübergänge nach wie vor geschlossen oder werden von den Taliban streng kontrolliert.

Weshalb waren die USA in Afghanistan einmarschiert, und weshalb verliessen sie das Land wieder?

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begann der «Krieg gegen den Terror» in Afghanistan. Von dort hatte die al-Kaida von Usama bin Ladin die Terrorangriffe in den USA geplant. Nach Luftangriffen der Vereinigten Staaten und Grossbritanniens, die das Taliban-Regime stürzten, beteiligten sich 42 Länder unter Führung der Nato an einer Sicherheitsmission. Die internationalen Truppen blieben zwanzig Jahre im Land, um die Sicherheitslage zu stabilisieren und ein demokratisches System zu errichten.

In den vergangenen Jahren hatte im Land eine Pattsituation geherrscht:

Den amerikanischen und den afghanischen Einsatzkräften gelang es nicht, die rund 60 000 Mann starken Taliban zu besiegen. Diese kontrollierten weiterhin rund die Hälfte des Landes oder waren dort zumindest präsent. Wiederum waren die Taliban nicht stark genug, um die Amerikaner und die Regierungstruppen zu verdrängen. Unter Donald Trump hatte Washington im Februar 2020 schliesslich erklärt, die internationalen Truppen abzuziehen.

Wie viele Personen wurden aus Kabul evakuiert?

Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten haben zwischen dem 14. August – dem Tag vor dem Fall Kabuls – und dem Abzug der letzten US-Truppen am 30. August in einer historisch einzigartigen Rettungsaktion mehr als 122 000 Personen aus Kabul ausgeflogen oder ihre Ausreise ermöglicht. Die amerikanischen Streitkräfte konnten laut eigenen Angaben auf ihren Stützpunkten in den Vereinigten Staaten zeitweise bis zu 50 000 evakuierte Afghanen unterbringen.

Ein Flugzeug der amerikanischen Luftwaffe hat laut einem Medienbericht mit einem einzigen Flug rund 640 afghanische Zivilisten in Sicherheit gebracht.

Ein Flugzeug der amerikanischen Luftwaffe hat laut Medienberichten mit einem einzigen Flug rund 640 afghanische Zivilisten in Sicherheit gebracht.

Deutschland hatte seine Evakuierungsmission bereits am 26. August nach elf Tagen abgeschlossen. Die deutsche Bundeswehr hat dabei mehr als 5300 Personen in Sicherheit gebracht. Die Schweiz schloss ihre Aktion einen Tag eher ab. Insgesamt sind 387 Personen aus Afghanistan in die Schweiz geflogen worden. Allerdings halten sich noch immer deutsche und Schweizer Staatsangehörige in Afghanistan auf.

Zwei Selbstmordattentate am Flughafen in Kabul

1
Erste Explosion: Am Abbey-Gate ereignete sich die erste Explosion. Dieser Eingang war in den letzten Tagen als Hauptzugang zum Flughafen benutzt worden.
2
Zweite Explosion: Das Hotel Baron wird von ausländischen Truppen benutzt, um Flüchtlinge vor dem Einlass in den Flughafen zu kontrollieren.

Wer ist der IS-K, der für die Anschläge auf den Flughafen verantwortlich ist?

Am 26. August detonierten vor dem Flughafen Kabul zwei Bomben. Die «New York Times» berichtete am Tag danach von bis zu 170 Toten und über 200 Verletzten, dies mit Verweis auf die lokalen Gesundheitsbehörden. Auch 13 amerikanische Soldaten und 28 Taliban-Kämpfer fielen den Anschlägen zum Opfer.

Untergruppe des Islamischen Staats (IS) wird für Anschläge verantwortlich gemacht.

Der IS in Afghanistan wird IS-K (IS Khorasan) genannt. Zur historischen Region Khorasan gehören Afghanistan und Pakistan. Der IS und die Taliban sind zwar beide islamistische Gruppen, sie gelten aber als verfeindet. Die Taliban sind traditionell in Afghanistan verwurzelt, während der Islamische Staat die Herrschaft in weiten Teilen Zentralasiens und auch in Afrika anstrebt. Der IS erachtet offenbar auch die von den Taliban praktizierte Scharia für nicht hart genug. Als die Taliban in den vergangenen Jahren Gespräche mit den USA führten, wandten sich unzufriedene Taliban-Kämpfer dem extremeren IS-K zu.