Ein Hauch von Absurdistan: Wladimir Putin empfängt Olaf Scholz am 15. Februar an einem übergroßen Tisch

Am 15. Tag des Krieges stellt sich mehr denn je die Frage: Wofür all das Blutvergießen, all das Leid, all die Zerstörung? Nach unseren Maßstäben gibt es darauf keine plausible Antwort.
Es spricht zwar einiges dafür, dass Russland diesen Krieg militärisch irgendwie gewinnt. Aber es deutet inzwischen eben auch vieles darauf hin, dass Wladimir Putin politisch nicht wird triumphieren können. Sein Ziel nämlich lautete, Russland durch einen schnellen Sieg zu alter Stärke zurückzuführen – und den Westen einzuschüchtern. Inzwischen kann der Autokrat froh sein, wenn die schlecht geplante Invasion nicht dazu führt, dass am Ende seine Macht implodiert. Denn die basiert vor allem auf Angst – vor ihm und dem Militär.

 

Putin verachtet Michail Gorbatschow, weil mit dessen Ära die Sowjetunion endete. Doch nun riskiert Er hingegen riskiert soeben den Zerfall Russlands. Die Folgen der westlichen Sanktionen sind schon jetzt so schlimm, dass das Riesenreich ökonomisch um Jahrzehnte zurückgeworfen werden könnte. Und in vielen Teilen der Welt hat sich ein derart tiefes Misstrauen eingenistet, dass es noch 2050 die Haltung gegenüber Moskau prägen dürfte.

Beträchtliche Fehlkalkulationen, verheerende Folgen

Putins Ukraine-Invasion könnte sich dereinst als einer der größten Irrtümer der Weltgeschichte erweisen. Häme darüber verbietet sich. Dafür ist das menschliche Leid zu groß. Und der Krieg zu sinnlos. Trotzdem suchen wir natürlich nach Erklärungsmustern für Putins Handeln. Manch einer glaubt, der Herrscher im Kreml sei einfach verrückt, nicht mehr zurechnungsfähig.

Ob das stimmt, kann außerhalb des innersten Zirkels kaum jemand wirklich beurteilen. Dass viele dennoch der „Mad Man in Moscow“-Theorie anhängen, ist nachvollziehbar. Putin aus der vernunftgeleiteten Gedankenwelt auszuschließen, macht diesen Krieg zumindest ein klein wenig erklärbarer. Aber es kann eben auch sein, dass CIA-Direktor William Burns recht hat. Er sagte am Dienstag, der russische Präsident sei zunehmend isoliert und in seinen Ansichten verhärtet. Das mache ihn jedoch nicht zu einem Verrückten.

Gut möglich also, dass Putin nicht im Sinne einer psychischen Krankheit verrückt ist, aber eben verrückt nach mehr: mehr Einfluss in Osteuropa, mehr Macht in Russland, mehr Respekt des Westens. Er hätte sich in diesem Fall zwar mit dem Ukraine-Krieg noch immer grob verkalkuliert. Aber nicht wegen seines vermeintlichen Irrsinns, sondern aufgrund von gedanklichen Fehlern, die durchaus verbreitet sind.

Dazu gehört, dass Menschen gern aus der Vergangenheit oder Gegenwart auf die Zukunft schließen. Vereinfacht gesagt gehen sie häufig davon aus, dass es schon immer so weitergehen wird, wie es ist und war.

Wer einen anderen provoziert, ohne dass es eine wirkliche Gegenwehr gibt, neigt eher dazu, seine Attacken zu verschärfen. An einem gewissen Punkt kommt es aber zu einer abrupten Gegenreaktion. Denn irgendwann reicht es jedem. Bei Putin und dem Westen dürfte es ähnlich gewesen sein. Aus dem Kaukasuskrieg 2008 hielten sich die Europäer und Amerikaner heraus, aus dem Syrien-Konflikt ebenfalls. Auch die Sanktionen nach der Annexion der Krim 2014 waren überschaubar. Der Bau von Nord Stream 2 startete sogar erst danach.

Warum also nicht die Lage weiter eskalieren?

Dass die Reaktion auf eine Invasion der Ukraine heftiger ausfallen würde, wird Putin klar gewesen sein. Was ihn allerdings überrascht haben dürfte, ist das Ausmaß. Binnen weniger Tage wurde Russland zum am meisten sanktionierten Staat der Welt.

Hinderlich für eine realistische Einschätzung der Lage war sicherlich auch, dass Putin derzeit der prominenteste Verschwörungstheoretiker ist. Das Gedankengebilde, auf das er sich versteift hat, lässt sich grob so beschreiben: Der Nationalstaat Ukraine hat kein Existenzrecht, weil es ihn eigentlich gar nicht gibt. Zum Leidwesen der Bevölkerung wird der Pseudostaat auch noch von Drogenabhängigen und Nazis regiert. Entsprechend sind die Ukrainer höchst erfreut, wenn das russische Brudervolk sie von diesem Schrecken erlöst.

Menschen, die sich, ihr Land und ihre Freiheit verteidigen, kommen in dieser Welt natürlich nicht vor. Und es gab vermutlich auch in Putins Umgebung niemanden, der nachhakte. Wahrscheinlich, weil seine Entourage die Erfahrung gemacht hat, dass sie am besten durch den Tag kommt, wenn sie brav nickt. Fragen mit einem Bezug zur Realität gibt es dann natürlich nicht. Etwa: „Chef, bist Du sicher, dass der jüdische Präsident der Ukraine ein Nazi ist?“

Dass offenbar niemand widersprach, hat sicherlich mit zum Krieg beigetragen. Und wohl auch, dass Putin nicht der einzige Mensch auf dieser Welt ist, dem es schwerfällt, eine zentrale Lebensweisheit zu befolgen: Was auch immer du tust, handle klug und bedenke das Ende!

Mach dir stets die Konsequenzen deines eigenen Handelns klar

Den meisten dürfte bewusst sein, dass dies eine kluge Arbeitsanweisung ist, um halbwegs unbeschädigt durchs Leben zu kommen. Aber es ist eben leichter, anderen diese Handlungsmaxime mit auf den Weg zu geben, als sie selbst zu befolgen.

Bedenke das Ende …

… zu diesem Ratschlag gäbe es angesichts von Putins Krieg allerdings auch viele Fragen an Merkel. Es waren ihre Regierungen, die einen Nato- und EU-Beitritt der Ukraine blockierten. Es waren ihre Regierungen, die dachten, der russische Präsident lasse sich mit diplomatischer Rederei schon einfangen. Und es waren ihre Regierungen, die Deutschlands Abhängigkeit von russischer Energie eher noch steigerten als reduzierten.

All das ist natürlich nicht in böser Absicht passiert. Aber es gab so offensichtliche Berliner Fehlkalkulationen, dass diese den Autokraten in Moskau mit dazu veranlasst haben dürften, seine eigene Lage völlig falsch einzuschätzen. Das ist die triste, bittere Ironie dieser Geschichte.

März 2022 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Politik, Sapere aude, Zeitgeschehen, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren