Der Unmut über den Coup der AfD ist verständlich, doch die entscheidende Frage lautet: Wie gut kannte die CDU ihren Pappenheimer?
Parteipolitisch mag er eine Randfigur sein, doch im geistigen Transitbereich zwischen konservativem Bürgertum und der rechten Alternative für Deutschland ist. Der Mann ist nicht nur Ökonom und Fondsmanager, sondern auch ein belesener, programmatisch denkender Intellektueller; er möchte den abgemagerten deutschen Konservatismus mit Kernmotiven der Weimarer Rechten anfüttern und ihn für neue Milieus öffnen.
Otte schätzt zum Beispiel Sahra Wagenknecht und inszeniert sich gelegentlich selbst als linker Mann von rechts. In seinem 2006 erschienenen Buch Der Crash kommt sagte er das Weltfinanzdesaster zu einer Zeit voraus, als seine selbstverliebte Zunft im neoliberalen Schlummer noch von der stabilen Rationalität freier Märkte träumte. Bei einer Attac-Veranstaltung forderte Otte 2017 eine Finanztransaktionssteuer sowie das Verbot ungedeckter Leerverkäufe. Zuvor hatte er 2009 schon bei einem Vortrag auf dem Evangelischen Kirchentag betont, der Finanzmarkt müsse streng reguliert werden und die Kapitulation der Politik vor einem verwilderten, nur für Superreiche funktionierenden „Raubtierkapitalismus“ ein Ende haben.
„Raubtierkapitalismus“? Liest der Crashprophet Max Otte etwa heimlich Karl Marx? Nein, er liest unheimlich intensiv den Philosophen Oswald Spengler. Otte, und das macht seinen Fall interessant, ging nämlich nicht nur bei der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung ein und aus, sondern gründete zusammen mit dem belgischen Rechtsintellektuellen David Engels und anderen eine Oswald-Spengler-Gesellschaft. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden, denn die Lektüre des Universalgelehrten ist auf brutale Weise immer noch lohnend. Wer sich für den Demokratieverrat des deutschen Bürgertums interessiert, für den sind Spenglers Schriften anhaltend ergiebig.
Der Philosoph Theodor W. Adorno bescheinigte ihm ein abgründiges Gespür für die Tendenzen seines Zeitalters; Spengler sei nach 1945 in Vergessenheit geraten, weil die bürgerliche Gesellschaft ihren eigenen Untergang – die Auslöschung der Juden – habe vergessen wollen. Mit „spähendem Jägerblick“ durchstreifte Spengler „erbarmungslos die Städte der Menschheit, als wären sie die Wildnis, die sie sind“. Er hat „von den Geheimnissen der Kultur kaum weniger ausgeplaudert als Hitler von denen der Propaganda“.
Untergründig aber war Spengler (1880-1936) nie ganz verschwunden. Der 2018 erschienene Sammelband Spenglers Nachleben (zu Klampen Verlag) zeigt etwa, welche Spuren sein Denken in das Werk des Medientheoretikers Friedrich Kittler gefräst hat, wie der Philosoph Heinz Dieter Kittsteiner sich (kritisch) mit ihm auseinandersetzte und welche Verbindungen Spenglers Denken zu postmodernen Analysen aufweist. Der Regisseur Jean-Luc Godard zitiert Spengler zustimmend am Schluss seines Films Deutschland Neu(n) Null und dass Michel Houellebecq ein Faible für ihn hat, ist auch keine Neuigkeit. Max Otte weiß das und er weiß es zu schätzen: Der erste Preis, den seine Gesellschaft verlieh, ging an: Houellebecq.
Was fasziniert die Konservativen an dem Hamburger Oberlehrer Oswald Spengler, dessen maßlose Belesenheit ihn nicht davor bewahrte, den Weimarer Parlamentarismus („Biertisch höherer Ordnung“) mit glühendem Hass zu verfolgen? Was gedenken sie mit dem Autodidakten anzustellen, der seine metallisch rasselnden Sätze ausrollte wie Panzerketten? Zum Beispiel diesen: „Es handelt sich in der Geschichte um das Leben und immer nur um das Leben, den Triumph des Willens zur Macht und nicht um den Sieg von Wahrheiten.“
In einem 2018 auf Englisch gehaltenen Vortrag befasst sich Max Otte ausgiebig mit Spenglers Großgeschichtsdeutung. Der Ton ist akademisch ausgekühlt, doch kein Wort darüber, wie Spengler zusammen mit der faschistischen Intelligenz Hitler geistig den Boden bereitete. Otte erklärt, wie die Weltkulturen nach Spengler einem organischen Ablauf folgen, wie sie in ihrer Jugend auf- und dann, in ihrer Spätphase, wieder absteigen und vergehen. „It makes sense for me„, bekräftigt Otte mehrmals, wobei er besondere Genugtuung dabei empfindet, dass Soziobiologen wie Edgar O. Wilson Spenglers Zentralthese (angeblich) bestätigen. Auch in einem längeren Aufsatz lobt er Spengler dafür, wie „konsequent ‚darwinistisch'“ er in allen Bereichen des Lebens argumentiert habe. Konkurrenz sei nun einmal die allgegenwärtige Natur der Gesellschaft: „Der Wettbewerb ist sowohl in der Natur als auch in der menschlichen Gesellschaft. Er hört nicht mit dem Tierreich auf, sondern setzt sich in der menschlichen Gesellschaft fort.“ Übrigens würde Spengler von Auslese gesprochen haben.