Der Westen muss sich eingestehen, dass er nicht gegenhalten kann – und das auch nicht will. Wirtschaftssanktionen ja, militärischer Beistand nein. Die Politik übt sich in Empörungsroutine, während wir fassungslos hinnehmen müssen, dass es mitten in Europa wieder einen Krieg gibt. So ängstlich wie ohnmächtig schauen wir dem Gräuel in der Ukraine zu. Der Westen ist machtlos, er konnte den Krieg weder verhindern, noch kann er ihn jetzt beenden.
Bis wohin fliegen russische Raketen?
Die bange Frage, die sich Europa und die Nato-Staaten jetzt stellen, ist so einfach wie furchterregend: An welchem Punkt werden die russischen Panzer ihren Vormarsch stoppen, bis wohin lässt Putin seine Raketen fliegen? Anders gefragt: Was kommt als nächstes?
Die größten Sorgen machen sich, leider völlig zu Recht, die baltischen Staaten. In Lettland, Litauen und Estland leben starke russischstämmige Minderheiten. Putin lässt ihnen seit Jahren unter der Hand russische Pässe zukommen. Die Regierungen in Vilnius, Riga und Tallin schauen dem Treiben zu, ohne etwas unternehmen zu können.
Auch um das Baltikum herum lagern russische Truppen. Anders als bei der Ukraine würde ein Angriff dort den Bündnisfall bedeuten, das heißt die militärische Beistandspflicht aller Nato-Staaten, und damit den dritten Weltkrieg auslösen.
Schwache Bundeswehr
Es kann nur die Furcht vor der Stärke der Nato sein, die Putin davon abhält, auch das Baltikum zu annektieren. Doch wie groß ist seine Furcht? Ist das westliche Verteidigungsbündnis stark genug, um ihm Angst zu machen, ihn abzuschrecken? Deutschland und eine Reihe anderer Mitgliedsstaaten weigern sich seit Jahren beharrlich, entsprechend dem Zwei-Prozent-Ziel einen vertraglich vereinbarten Beitrag zu den Verteidigungsanstrengungen zu leisten. Die Bundeswehr ist inzwischen bestenfalls zur Hälfte einsatzfähig, wie die militärische Spitze selbst einräumt. Und es sah bislang nicht so aus, als ob SPD, Grüne und auch FDP bereit wären, daran etwas wesentliches zu ändern. Es gibt viel Streit innerhalb der Nato, viele divergierende Ziele. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat das Bündnis deshalb vor nicht allzu langer Zeit einmal als „hirntot“ bezeichnet. Die entscheidende Frage lautet jetzt: Fürchtet sich Putin vor einem „hirntoten“ Gegner?