Ich tue mich schwer mit den Attributen „totalitär“ und „verbrecherisch“ als Beschreibung heutiger Verhältnisse in Deutschland. Die Politik ist einfach schlecht und mehr von Inkompetenz geprägt als von Argwohn und flächendeckender Verschlagenheit. Das ist eigentlich schon genug der Schelte. Aber unerträglich ist, dass dieses Versagen keine Konsequenzen für die handelnden Personen hat. Bis dato. So will der Vorwurf des Totalitären also nicht in seiner vollen Wucht passen, es reicht ja schon, Dummheit generell für eine Verschwörung gegen die Vernunft zu halten.
Mir scheint eher ein anhaltend fatales Missverständnis, eine babylonische Verschiebung des Sprachverstandes stattgefunden zu haben, der den einen zur blasierten Hochsprache ihrer Machtbefugnisse, den anderen zu niederen Beweggründen einer vorrevolutionären Wut verholfen hat, die das entsprechende Vokabular gebiert. Ich meine einen Sprachverstand, der zu „normalen Zeiten“ bei härtesten Zielkonflikten das gegenseitige Verstehen durch gemeinsame, begriffliche Kategorien und eine Etikette bisher zu schützen vermochte – bis es zum Schleudergang einer von Panik und Machtgestus getriebenen Politik kam, deren Zentrifugalkräfte genau diese Verbindung zerrissen und die gesellschaftliche Auseinandersetzung infantilisierten. Getrennt durch den Graben der Politikverletzungen stehen sich nunmehr zwei unvereinbare Gegner gegenüber, die voneinander kaum mehr wissen als die gegenseitige, kindische Verachtung.
Eine Politik, die lügen muss, um überzeugend zu sein, ist genauso demokratie-untauglich wie die blinde Wut eines zum Mob degradierten Bürgertums. Ich vergesse dabei nicht, wer mit der Verächtlichmachung begonnen hat. Das waren die Volksvertreter selbst, die ihre demokratischen Widersacher schnell als Covidioten, Schwurbler, Pandemietreiber und Demokratiefeinde diffamierten. Sie wussten eigentlich aus ihren eigenen Sonntagsreden: Widerspruch kann einer Demokratie nie schaden. Doch es schmeichelte ihrer Eitelkeit, „Obrigkeit“ zu mimen, und auf die „Niederen“ einzuteufeln. Wer den Widerspruch abwürgt, ihn abwertet und letztlich kriminalisiert, eskaliert allerdings um der puren Macht willen. Eine Politik, die verächtlich über einen Teil ihres Souveräns spricht, ist schlicht selbst am Ende ihrer Legitimation. Das Fußvolk geht dann spazieren.
Inzwischen liegt eine große zentrale Lücke zwischen den an die Ränder zentrifugierten Demokratie-Interpretationen, die kaum Überschneidungen mehr aufweisen – es ist dies ein klassisches Prämissen-Problem, das die nun randständigen Sichtweisen aus der jeweilig anderen Perspektive der Gegner zur ideologisch verschwörerischen Machenschaft erklärt. Das ist keineswegs vereinbar mit dem eigenen, verschrobenen Demokratieverständnis. Die einen sagen: „Wir müssen die Demokratie schützen, das rechtfertigt durchaus ihre Aussetzung.“ Die anderen skandieren: „Das ist längst keine Demokratie mehr, wir sind das Volk und fühlen uns nicht mehr gebunden.“
Vielleicht ist es der zu langen Einübungsphase „überflüssiger Opposition“ der Merkeljahre geschuldet, sodass eine enorm engstirnige Politikergeneration nachgewachsen ist, die mit Veto und Antithese einfach nicht umzugehen weiß. Diese Politiker sind Agitatoren im Alarmismus-Modus, die Widerspruch als persönlich gemeinten Affront rechter Querulanten, alter weißer Männer und Demokratiefeinde erleben. Zur Sache fehlt ihnen meist der Sachverstand. Sie ziehen die kurze, propagandistische Beeinflussung immer der zurückhaltenden Moderation vor. Und aus dieser kann das Totalitäre entstehen, irgendwann, bald, oder – wenn die Verständigen doch noch eingreifen – nie. So hoffe ich.
Eine gefährliche „Auseinandersetzung“ im wortwörtlichen Sinn droht nur deshalb, weil die Politik nicht bereit ist, auch und gerade die gegensätzlichen Positionen zu schützen, sondern sich als Wortführer und Vorreiter eines apodiktischen Modernismus über alles hinwegzusetzen berechtigt fühlt. Das birgt im Kern bereits totalitäres Denken, ist aber noch immer an das bereits „aufgeweichte“ Korsett des Grundgesetztes gebunden.
Antifreiheitliche Tendenzen beginnen meist mit einer Schönfärberei neubegrifflicher Wortschöpfungen: „Framing“, „Fact-Checking“, „Compliance“. Bewusst wird die volle Härte der deutschen Bedeutungen vorenthalten, denn diese klingen lange nicht so „achtsam“, wie ihre Anglizismen: Eingrenzung, Überprüfung, Fügsamkeit. Das schmeckt gleich nach Gehorsams- und Gesinnungsstaat. Und es ist bereits heute wirksam als moralistischer Dreisprung, mit dem jedwedes Diskursbegehren vor seinem Entstehen geschurigelt wird. Zusammengefasst handelt es sich schon um einen Modus Operandi, der eine Kontrolle über die Meinungsfreiheit erlangen möchte. Ein solches Sprachverständnis ist ein Vexierbild unserer gesellschaftlichen Zustände, in der Ausgrenzung, Gedanken-Kontrolle und Restriktion fortschreitend zum Alltag werden. Da ist Meinungsfreiheit nur noch ein Gegenstand, der moralisch dringend kuratiert werden muss.
Eine spezifische Herrschaftssprache ist also entstanden, die sich kaum der tradierten Begrifflichkeiten unserer Philosophie und deren gewohnten Kanons bedient, sondern sich lieber aus den Bereichen der Digitalität und deren begrifflich dünnen Funktionalismus nährt. Sie ist in erster Linie eine technische Sprache, die das Emotionale floskelhaft umspült – weshalb Politikerreden gern wie Heißluftballons davonwehen.
So entsteht eine neuzeitliche „Erinnerung“ an eine Zukunft, die keine (analoge) Begriffs-Vergangenheit kennt und wenig eigene, haltbare Erinnerungsmomente auslöst. Der von ihr ermöglichte Zugriff auf Bedeutung ist direkt und wahlfrei, also beliebig und steuerbar, eine Art RAM-Baustein (Radom-Access Memory) der Sprach-Gegenwart, in dem kurzfristig benötigte Strukturen und Befehle zwischengespeichert werden, die morgen vielleicht schon wieder passé sind, oder umgedeutet werden müssen. Perfekt also für ein sprunghaftes Politikverständnis frei nach dem Motto, „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“, kann jede Politikerklärung als Gemeinplatz und Floskel in Erscheinung treten – Zero Verbindlichkeit, maximale Flexibilität. Auf diese Art Sprache fluider Bedeutungszuweisungen haben wir kaum Einfluss, das ist Sache der Politik, der NGOs und derer, die ein Interesse an Gedankenpolizei und paternalistischem Staat haben.
Ich höre resignierte Menschen oft sagen: „Es hat alles keinen Zweck. Die machen eh, was sie wollen.“ Leider fällt solcher Fatalismus den unbekümmerten Demonstranten, den widerspruchsfreudigen Freiheitsbewussten und den „Spaziergängern“ indirekt in den Rücken. Denn es entwertet ihr Aufbegehren als zweckloses Ansinnen. Aber gerade die Offensichtlichkeit einer nicht kleinen Menge Widerspruchsgeister macht denen Angst, die nicht wahrhaben wollen, dass sie konkrete Verantwortung tragen, die auch später nicht abwaschbar ist. Sie tragen Verantwortung für ihr Gesagtes, Veranlasstes und das daraus Erfolgte. Auch mit ihrer Sondersprache wird es ihnen nicht gelingen, sich herauszureden. Daran muss man sie fortwährend erinnern – mit klarer, höflicher, aber bestimmter Sprache, an der es nichts zu deuteln gibt.