Hier lernen Autos fliegen, das Meer verformt sich und Menschen werden zu Schwerkraft-Superhelden. Bei ihm ist die Welt ein Kinderzimmer. Im Spiel rasseln die Autos ineinander, Türme werden gebaut, um direkt danach zerschmettert zu werden und: Jedes Spielzeug kann fliegen.

 

Alles ist erlaubt, solange es Spaß macht. Die Naturgesetze außer Rand und Band. In „Moonfall“ kommt die Ungeduld der Spielkinder dazu. Was einmal aufgebaut ist, ist längst überreif für die Zerstörung. Kaum hat die Menschheit eine Trägerrakete und mit ihr die letzte Chance, die Welt vor dem drohenden Absturz des Mondes zu retten, an den Start gebracht, türmt sich auch schon eine von der Anziehungskraft des Trabanten aufgetürmte Welle, bereit, sie unter sich zu begraben. Für den Countdown bleibt keine Zeit. Zwischen „drei“ und „vier“ wird gezündet. Nur zwei Raketen geben Feuer. Den Rest muss der dicht an die Erde gerückte Mond mit der Gravitation leisten, die bereits das Meer in den Orbit hochsaugt. Die Physik gehorcht aufs Wort. Oder, mit den Worten der NASA-Direktorin ausgedrückt: „Alles, was wir über das Universum zu glauben wussten, ist Makulatur.“

Zum Zeitpunkt des Starts haben weite Teile der Menschheit bereits die Hoffnung aufgegeben oder die Flucht nach Colorado ergriffen. Für Jocinda Fowler (Halle Berry) und Brian Harper (Patrick Wilson) ist das letzte Aufbäumen die erste gemeinsame Weltraummission seit einem Jahrzehnt. Mit ihrer ersten, einem tragischen Reparaturauftrag im Orbit, beginnt der Film und entsprechend auch der Weltuntergang. Eine außerirdische Entität stört die Mission, tötet den dritten Astronauten neben Fowler und Harper und verschwindet kurz darauf in Richtung Mond. Harper wacht zehn Jahre später als gescheiterter, gebrandmarkter Mann in einer kleinen, seit Monaten nicht bezahlten Wohnung auf. Der Sohn sitzt im Knast, die Ehefrau hat neu geheiratet und die ehemaligen Freundin Jocinda sagt bei der NASA-Anhörung gegen seine Theorie einer außerirdischen Intervention aus. Der ehemalige Astronaut ist nun weit genug unten angekommen, um auf KC Houseman (John Bradley) zu treffen. Der wäre gern Astronaut, Astronom oder auch nur jemand, dessen Fähigkeiten in irgendeiner Form anerkannt würden. Statt auf der Uni zu lehren, putzt der von Panik und Magenproblemen geplagte Nerd dort die Flure. In seiner Freizeit veranstaltet der „Megastrukturalist“ Meetings mit anderen Verschwörern, Nerds, Pseudo-Wissenschaftlern und Freunden. Hochbegabt ist er trotz alledem. So sehr, dass er noch vor der NASA zu der Erkenntnis kommt, dass der Mond seinen Orbit verlassen und Kollisionskurs auf die Erde genommen hat.
Schuld ist der von Harper zuerst gesichtete künstlich intelligente Partikelschwarm, der an Stanislaw Lems „Der Unbesiegbare“ erinnern würde, wenn Emmerich in irgendeiner Form den Anschluss an Diskurs oder Science-Fiction-Kanon suchte.

Tatsächlich sind alle Anschlusspunkte – Kollaps, Künstliche Intelligenz und Technologiekritik – da, und doch schafft es „Moonfall“, so gegenwartsfern zu wirken, wie es nur einem Emmerich-Film gelingen kann. Tatsächlich erscheint „Moonfall“ auf dem mittlerweile sehr überschaubarem Feld der großen Studioproduktionen als geradezu eigensinniges Werk: ein Blockbuster aus einer fast ausgestorbenen Ahnenlinie, der seine Schauwerte weder effizient einsetzt, noch gezielt am Diskurs ausrichtet, sondern einfach erstmal aus allen Rohren ballert. Damit hat Emmerich ein passgenaues Gegenstück zu Adam McKays trister Katastrophenfarce „Don’t Look Up“ geschaffen, die, gespeist aus Verdruss über den Stand der Dinge, die heroischen Weltretter gegen die Wand der verblödeten und systemisch erkrankten Gesellschaft prallen lässt. Derartiges gibt es bei Emmerich nicht.

Für die Verantwortungslosigkeit ist dort immer noch die gute alte Regierungsverschwörung verantwortlich (den dazugehörigen Mr. X verkörpert einmal mehr Donald Sutherland) und die Protagonisten geben sich zwar rebellisch, stecken aber zumindest mit einem Bein tief in bekannten Systemstrukturen. In diesem Fall verkörpert die NASA das Zentrum aller Autoritäts- und Machtfragen.

Jocinda Fowler wird, nachdem sich der alte Direktor lieber privat der Apokalypse widmet, den Vorsitz übernehmen. Einziger Gegenspieler ist das von ihrem Ex-Mann vertretene Militär, das die Atomlösung der heroisch-wissenschaftlichen vorzieht. So sieht Familie Fowler als eine von drei (!) handlungsrelevanten Familien dem Weltuntergang nicht als geeinte Kernfamilie, sondern als Patchwork-Lebensgemeinschaft entgegen. Das rüttelt nun aber  keineswegs an der unerschütterlichen Dynamik des Films – die Familie bleibt das letzte beständige Bollwerk gegen den sozialen Kollaps -, ist die wirklich einzige Annäherung an den Zeitgeist, die neben KCs unangenehm vordergründig ausgespielter Liebe zu Elon Musk erkennbar ist.

Ansonsten bombt Emmerich mit allem, was er hat, den Weg frei für den triumphalen Kampf gegen die Apokalypse: kein Anrennen gegen ein System, keine langsame, schwer greifbare, mit der eigenen Kultur verbundene Apokalypse, sondern Fluten, Feuer und Schwefel auf der Erde; Laser, EMP und Maschinenkrieg im Weltall. Ein Tsunami, der die halbe Ostküste wegspült, ist kein Hindernis für die gemeinsame Übernachtung im Hotel und wird überhaupt erst bemerkt, als er KCs bekifftem Verschwörungspartner in die Birkenstocks läuft. Die eigentlichen Katastrophen füllen die Leinwand bei den buchstäblich in greifbare Nähe rückenden Mondaufgängen, die den Trabanten als Höllenstern aufsteigen lassen, der nicht nur Feuerbälle aus seinem Leib Richtung Erde spuckt, sondern zugleich – ungeachtet des Wissens der Wissenschaft – an ihrer Masse zerrt.

Dass sich „Moonfall“ nach einer Reihe von Rohrkrepierern wieder wie ein „echter“ Emmerich anfühlt, ist nicht allein der Rückkehr zum Bombastischen geschuldet (das zumindest in den Pazifikschlachten um „Midway“ deutlich gedrosselt wirkte), sondern vielmehr der spielerischen Freude, zu welcher der Regisseur zurückfindet. Sind die Naturgesetze erstmal außer Kraft, sortiert „Moonfall“ mit sichtbarer Lust die Kräfteverhältnisse im Angesicht der Apokalypse neu: Autos lernen fliegen, das Meer formt sich zu einer „Gravitationswelle“, Menschen werden Schwerkraft-Superhelden und auf dem Mond eskaliert eine einfach Rettungsmission ohne Bedenken in pathosgeladenes B-Movie-Kinderzimmer.

Moonfall – USA 2022 – Regie: Roland Emmerich
Darsteller: Halle Berry, Patrick Wilson, John Bradley, Charlie Plummer, Donald Sutherland – Laufzeit: 130 Minuten.

Feb. 2022 | Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren