Bande und Meute: Auf geht’s  – aber nur wohin?: Klausurtagung des Bundeskabinetts frischluftend im Januar 22

Dinge gibt es, die haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun.
Bei genauerem Hinsehen aber erweisen sie sich als die Symptome eines grundsätzlichen Problems. So wie diese Nachrichten der vergangenen Tage:
 

Impfregister, Testkapazitäten, Schutzhelme für die Ukraine – was diese drei Meldungen im Innersten zusammenhält? Sie sind ein Hinweis darauf, dass Deutschland nicht auf der Höhe der Zeit regiert wird.

 

Man kann bedauern, dass China immer einflussreicher wird. Man kann beklagen, dass sich die USA nicht mehr so für Europa interessieren wie früher. Man kann es für abscheulich halten, dass Wladimir Putin sich zurück auf die globale Bühne gezündelt hat.

Aber Politik beginnt nun mal mit der Betrachtung der Wirklichkeit

 

Die ist unschön – und das nicht erst seit Kurzem. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“, sagte Angela Merkel. Vor (sic) fast fünf Jahren.

 

Die Ukraine wird mit Helmen verteidigt: Ministerin Christine Lambrecht. (Quelle: imago images)
Die Ukraine (und unsere Freiheit am Hindukusch) wird mit Helmen verteidigt: Ministerin Christine Lambrecht.
 

Spätestens seither ist wirklich jedem klar, dass Deutschland mehr für seine Sicherheit tun muss. Unsere Geschichte macht diesen Mentalitätswechsel nicht leicht. Aber viele Verbündete haben kein Verständnis mehr für die Arbeitsteilung, bei der sie in der Regel schuften, während wir moralisierend daherdozieren. Richtig unangenehm wird es, wenn wir dann auch noch so getan wird, als würden Großtaten vollbracht.

 

So wie derzeit im Ukraine-Konflikt. Harte Sanktionen gegen Putin? Die Ukraine in die Lage versetzen, Russland militärisch etwas entgegenzusetzen? Da bremst die Bundesregierung lieber. Ringt sie sich dann irgendwie durch, 5.000 Schutzhelme nach Kiew zu liefern, ist sie angesichts dieser Symbolpolitik allerdings nicht peinlich berührt, sondern feiert diese auch noch als „ganz deutliches Signal“ der deutschen Solidarität. Es würde einen nicht überraschen, wenn die Profis im Pentagon erst einmal herzlich gelacht hätten, bevor einer besorgt die Frage gestellt hätte: „Seid ihr sicher, dass die Deutschen nicht Fahrradhelme meinen?“

 

Dass Deutschland sich langsam wirklich lächerlich macht, liegt aber nicht nur an unserem notorischen Hang, mit den Konflikten der Welt lieber nichts zu tun haben zu wollen. Auch in einer weiteren großen Krise der Gegenwart zeigt sich, dass wir nicht so agieren, wie es sein müsste.

 

Man muss das erwähnen, weil es häufig etwas untergeht: Wir sind ein Land der Hochtechnologie, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und eine der wichtigsten Exportnationen. Deutsche Produkte haben den Anspruch, „Best in class“ zu sein.

Lieber nichts wagen als scheitern: Gesundheitsminister Karl Lauterbach. (Quelle: imago images)
Lieber nichts wagen als scheitern: Gesundheitsminister Karl Lauterbach
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An den Besten orientieren – was für unsere Unternehmen gilt, sollte auch der Maßstab für die Leistungsfähigkeit unseres Staates sein. Eigentlich. Doch davon scheinen wir ein ganzes Stück entfernt zu sein.

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Vermutlich wird es bald eine Impfpflicht geben. Diese ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn sich ihre Einhaltung auch kontrollieren lässt. Ein nationales Register ist (wäre!) zwar nicht die einzig seligmachende Lösung, aber eine pragmatische.

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Das bezweifelt auch kaum ein Politiker. Dass unter anderem der Bundesgesundheitsminister gegen ein Impfregister ist, hat weniger mit seiner Überzeugung als mit seinem Zutrauen zu tun. Er glaubt nicht, dass Deutschland es aufgebaut bekommt. Schließlich scheitern wir seit 2004 daran, die elektronische Gesundheitskarte einzuführen.

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Die Bundesregierung traut sich nun also nicht einmal mehr zu, innerhalb eines halben Jahres von allen Bürgern digital ein paar Daten zusammenzutragen: Name, Adresse, Impfstatus, vielleicht noch die Nummer des Personalausweises. Viel mehr brauchte es ja nicht.

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Wohlgemerkt: Es handelt sich um die Regierung eines Staates, in dem es im Vergleich zu vielen anderen einen eher guten Überblick darüber gibt, wer hier lebt. In dem selbst viele Senioren beim Betreten eines Restaurants inzwischen problemlos ihre Impfpass-App zeigen. Und in dem binnen eines Jahres einer jener Impfstoffe zur Marktreife gebracht wurde, mit dem wir die Pandemie beenden können.

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Aufbruch in Sanifair-Optik: Kanzler Olaf Scholz stellt die neue Impfkampagne vor. (Quelle: dpa)
Aufbruch in Sanifair-Optik: Kanzler Olaf Scholz stellt die neue Impfkampagne vor.
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Unser Staat scheitert nicht, weil er etwas nicht hinbekommt

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Unser Staat scheitert – so einfach geht das – weil er es nicht einmal mehr versucht. Das ist durchaus bitter, denn wir haben nicht nur das größte demokratisch gewählte Parlament der Welt, sondern gönnen uns mit der Ampel auch eine der üppigsten Regierungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch der Beamtenapparat, der bereits in der Ära Merkel stetig zunahm, wächst unter SPD, Grünen und FDP auf ein neues Rekordniveau. Das gilt nicht zuletzt für jene Leitungsstäbe der Ministerien, die sich auch mit den großen Fragen beschäftigen sollen.

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In der Praxis kümmerte sich die Große Koalition wohl eher selten um strategische Themen. Weder im Kanzleramt noch im Gesundheitsministerium galten offenbar so hohe Corona-Zahlen als denkbar, wie wir sie nun erleben. Schließlich wäre dann jemandem aufgefallen, dass wir viel zu wenige PCR-Testkapazitäten haben. Dabei hätte es, wie so häufig im Leben, nicht einmal der eigenen Geistesblitze bedurft. Es hätte schon gereicht, sich in anderen Ländern umzugucken, was sie anders – und ja: besser – machen.

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Nimmt sich erst einmal die ganz großen Dinge vor: Wirtschaftsminister Robert Habeck. (Quelle: imago images)
Nimmt sich erst einmal die ganz großen Dinge vor: Wirtschaftsminister Robert Habeck
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Angesichts dieser misslichen Lage wäre es für die neue Regierung durchaus angemessen, sich erst einmal mit Verve daranzumachen, die eigentlich überschaubaren Probleme der Gegenwart zu lösen. Zumal das Ziel von Kanzler Olaf Scholz, bis Ende Januar 80 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal zu impfen, klar verfehlt wurde. Dabei hatte er es schon einmal vertagt.

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Doch die Ampel nimmt sich lieber jene Themen vor, deren Bewältigung um ein Vielfaches komplizierter ist. Denn auch das ist eine Nachricht aus der jüngeren Vergangenheit: Wirtschaftsminister Robert Habeck will das Tempo beim Klimaschutz drastisch erhöhen. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll sich bis 2030 auf 80 Prozent nahezu verdoppeln – in einem Zeitraum, in dem der Stromverbrauch Habecks Prognosen zufolge auch noch um fast 30 Prozent steigen wird.

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Ein Land, das der Ukraine nur Helme liefert, sich den Aufbau eines Impfregisters nicht zutraut und vergisst, ausreichend Testkapazitäten zu schaffen, plant mit der Turbo-Energiewende mal eben die größte industrielle Revolution seit Jahrzehnten.

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  Dieses Wagnis aber muss man – in der Tat – erst einmal eingehen.

Feb. 2022 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Senioren, Zeitgeschehen, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren