
Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen Ungarn spielt, soll das Münchener Stadion in Regenbogenfarben strahlen. Die Stadt will ein Zeichen für Toleranz setzen. Der Anlass dafür sind die aktuellen Ereignisse in Ungarn.
Der Münchener Stadtrat hat sich etwas Besonderes für das EM-Spiel am Mittwochabend überlegt: Die Arena soll in Regenbogenfarben leuchten. Für den entsprechenden Antrag haben sich alle Fraktionen zusammengeschlossen. Sie wollen ein Zeichen für Vielfalt und Gleichstellung setzen. Anlass dafür ist ein neues Gesetz in Ungarn: Es verbannt Homosexualität aus dem Fernsehen und den Nachrichten im Land. Die ungarische Regierung will Trans- und Homosexualität für Menschen unter 18 Jahren praktisch unsichtbar machen.
Die ungarische RTL-Chefin Gabriella Vidus erklärt, welch gravierende Folgen das hat. Sie leitet die Geschäfte des größten Privatsenders des Landes. Vor dem Interview betont Vidus, dass sie ein Medienunternehmen vertrete und nicht die Politik im Land kommentiere.
Das ungarische Parlament hat in dieser Woche ein Gesetz beschlossen, dass Homo-, Trans- und Intersexualität aus Schulbüchern, Filmen und anderen Medien verbannt. Sie strahlen Serien wie „Grey’s Anatomy“ aus, in denen es lesbische Charaktere gibt. Können Sie weiterhin Ihr Programm senden?
Das haben wir uns auch gefragt. Vor einer Woche wussten wir noch gar nicht, dass sich das Gesetz derartig ändern würde. Wir haben bei der ungarischen Medienbehörde nachgefragt, wie wir damit umgehen sollen. Wir hoffen sehr, dass sie uns bald eine klare Antwort gibt. Das Gesetz verbannt alle Inhalte über Menschen, die nicht heterosexuell sind. Das besorgt uns. Während wir sprechen, versuchen meine Kollegen herauszufinden, wie wir das lösen – und ob wir das überhaupt können.

Müssen Sie nicht eine Lösung finden? Sie haben zahlreiche Inhalte im Programm, die von diesem Gesetz betroffen sind.
Das stimmt. Diversität ist von großem Wert für die amerikanischen Produktionsfirmen – und für uns auch! Aber das Problem, vor dem wir hier stehen, ist keines von RTL allein.
Sondern?
Es ist eines, das Pressefreiheit allgemein betrifft – und damit alle Journalisten und Medienhäuser in Ungarn.
Werden Sie bestimmte Serien oder Filme aus dem Programm nehmen?
Das weiß ich nicht. Wir haben unsere Inhalte nie auf Homosexualität „überprüft“. Wir senden tausende Stunden Serien und Nachrichten. Ich weiß ehrlich nicht, wie wir das ganze Material durchgehen und herausfinden sollen, welche Inhalte uns das Gesetz verbietet. Wir reden hier von Serien wie „Friends“, „Two and a half men“, „Modern Family“ oder selbst Disney-Filme. Im Grunde können wir die Diversität dieser Welt nicht mehr zeigen. Werte wie Toleranz oder Akzeptanz dürfen wir nicht mehr verbreiten. Die Situation ist wirklich herausfordernd.
Die ungarische Regierung hat Ihnen damit ein großes Stück Freiheit genommen.
Die Rede- und Pressefreiheit wird hier definitiv eingeschränkt – und zwar in einer Weise, wie wir es nie zuvor erlebt haben. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen dürfen nicht mehr abgebildet werden. Dabei sollten diese Gruppen – laut ungarischem Verfassungsgesetz – die gleichen Chancen haben.
Macht Sie das wütend?
Auf diese Frage möchte ich lieber nicht antworten.
Können Sie in den Nachrichten noch über Homosexualität, Trans- oder Interpersonen berichten?
Auch an dieser Frage arbeiten wir gerade.
Das klingt, als sei es nun endgültig geschehen um die Pressefreiheit in Ungarn.
In der Rangliste der Pressefreiheit ist Ungarn auf Platz 92. Früher waren wir ungefähr bei 40. Ich denke, das sagt sehr viel über die derzeitige Situation der Medien. Auch der Europarat hat im März dieses Jahres einen Bericht zur Pressefreiheit in Ungarn herausgebracht. Dieser Bericht bildet die Situation realistisch ab.

Der Bericht kritisiert, dass immer mehr Medien durch ungarische Behörden eingeschränkt werden. Seit Viktor Orbán 2010 an die Macht gekommen ist, hat seine Regierung den unabhängigen Journalismus systematisch untergraben. Der Pluralismus und die freie Meinungsäußerung seien zerrüttet, betonte die zuständige Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatovic.
Genau. Das steht in dem Bericht.
Wie beeinflusst das die Journalistinnen und Journalisten bei RTL-Ungarn?
Die Kollegen in unserer Nachrichtenabteilung haben seit Jahren Probleme, beide oder alle Seiten einer Geschichte zu recherchieren. Das ist ein kritischer Punkt. Wir wollen ja ausgewogen berichten. Dafür müssen wir alle Seiten Seiten offen, aber auch kritisch betrachten. Wenn man sich nur die Geschichte einer Seite anhört, dann ist es keine Geschichte, die wir senden können.
Wer will nicht mit Ihnen sprechen?
Sehr häufig die Regierungsseite. Manchmal bekommen wir keinen Zugang zu Pressekonferenzen. Manchmal dürfen unsere Journalisten keine Fragen stellen. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Es kommt eben darauf an, für welches Medium man arbeitet.
In den vergangenen elf Jahren, seit Viktor Orbán das Land regiert, hat sich die ungarische Medienlandschaft stark verändert.
Allerdings! Viele internationale Medienhäuser haben sich aus dem Land zurückgezogen, etwa Pro7-Sat1 oder die Zeitung „Metro International“ einer schwedischen Firma. Es gab zahlreiche Eigentümerwechsel, so viele, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Die größte Veränderung fand 2018 statt: In Ungarn wurden etwa 500 Sender, Zeitungen und Nachrichtenportale in der Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung (Kesma) zusammengefasst.
Viktor Orbán lässt diese Stiftung von Menschen führen, die ihm gegenüber äußerst loyal sind. Er hat sich ein Medienimperium geschaffen. Sie leiten den größten ungarischen Privatsender. RTL ist eines der wenigen internationalen Medienhäuser, die im Land geblieben sind. Haben Sie Angst vor möglichen Sanktionen der Regierung?
Wir sind ein Unternehmen. Wir halten uns an das Gesetz. Wir zahlen Steuern. Aber wir wissen auch: Alles ist möglich.
Transparenzhinweis: RTL-Ungarn und der stern sind beide Teil des internationalen Medienkonzerns Bertelsmann.