In der Corona-Pandemie steht ein heftiger Streit bevor: Politiker befürworten höhere Kassenbeiträge für Impfverweigerer. Andere sähen damit Prinzipien verletzt.
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) unterstützt den Vorschlag des bayerischen Gesundheitsministers Klaus Holetschek (CSU), über höhere Krankenkassenbeiträge für Nicht-Corona-Geimpfte nachzudenken. „Ich bin ausdrücklich dafür, die Kassenbeiträge anzuheben, wenn jemand, der sich impfen lassen könnte, die Injektion bewusst verweigert“, sagte Palmer der F.A.Z.

„Wer so unsolidarisch ist, dass er sich und andere gefährdet, unnötige Kosten verursacht und im Krankenhaus möglicherweise in Bettenkonkurrenz zu anderen Patienten tritt, kann nicht die Solidarität der gesetzlichen Krankenversicherung verlangen.“
Holetscheks Vorschlag ist aber vor allem auf Ablehnung gestoßen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte der „Bild“-Zeitung: „Obwohl ich ein klarer Befürworter einer Impfpflicht für Erwachsene bin, ist jetzt nicht die Zeit gekommen, schon über mögliche Strafen nachzudenken.“ Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, sowie der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sprachen sich dagegen aus, in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ein „Malussystem“ für Ungeimpfte einzuführen.

Die Kassen sprechen vom Solidarprinzip

Der GKV-Spitzenverband begründete seine Ablehnung so: „Eine tragende Säule in der GKV ist das Solidarprinzip. Das bedeutet, dass sich die Höhe der Beiträge an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Versicherten orientiert. Der Anspruch auf medizinische Leistungen wiederum ist unabhängig von der jeweiligen Beitragshöhe, sie richten sich alleine nach der medizinischen Notwendigkeit.“ Anders sei das in der privaten Krankenversicherung (PKV), wo sich die Prämie nach dem persönlichen Risiko und nach den gewünschten Leistungen richte. Der PKV-Verband stellte allerdings klar, dass auch in seinen Unternehmen der Impfstatus keine Rolle spiele.
Es gibt in der gesetzlichen Kranken-Versicherung (GKV) durchaus Anreize, gesund zu leben und Vorsorgen zu betreiben, etwa das Zahnbonusheft. Auch gilt ein „Selbstverschuldensprinzip“, wenn sich ein Versicherter eine Krankheit vorsätzlich zuzieht oder bei einem Verbrechen. Dann kann die Kasse ihn an den Kosten beteiligen und das Krankengeld versagen. Das kann etwa bei Tätowierungen, Piercings oder Schönheits-OPs der Fall sein.
Der Bielefelder Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner sieht in Holetscheks Vorschlag „große Umsetzungsprobleme“. So sei es kompliziert und zeitaufwendig, den Impfstatus in die Beitragsberechnung aufzunehmen. Eine Kostenbeteiligung im Krankheitsfall sei einfacher. „Allerdings wäre das ein klarer Bruch mit dem bisherigen Grundsatz, die Kostenbeteiligung nicht vom Gesundheitsverhalten abhängig zu machen, etwa von Bewegung, Ernährung, Stress oder gefährlichen Sportarten.“ Besser als Strafen wären Anreize: „Es wäre durchaus möglich, dass Krankenkassen bei Vorlage des Impfnachweises Boni zahlen oder Sonderleistungen wie kostenfreie Mitgliedschaft im Fitnessklub übernehmen.“
Der Cottbuser Ökonom Jan Schnellenbach ist ebenfalls für Boni, mit dem Zahnarztheft gebe es gute Erfahrungen. Er verweist auf die Tendenz der Politik, private Konsumentscheidungen steuern und angeblich ungesunde Lebensstile regulieren zu wollen – auch um die GKV zu entlasten. Dazu zählt er den Vorstoß von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne), ungesunde Lebensmittel zu verteuern. „Das wäre sicherlich ein härterer Eingriff als risikoadjustierte Krankenkassenbeiträge“, so Schnellenbach.

Dez. 2021 | Allgemein, Essay, Gesundheit, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren