Geboren in Linz, zum Studium nach Wien. Kein Weg führt hier vorbei an der Musik: die Oper, die Konzerthäuser, die Clubs und Salons. Aus jeder Gasse, jedem Kirchlein klingt es. Ob klassisch mit Mozart und Haydn oder zeitgenössisch beim Festival „Wien Modern“. Wie könnte man diese Stadt jemals verlassen?

Erst recht, wenn man in ihr Musik unterrichtet und zum Ensemble des renommierten Arnold Schoenberg Chores gehört? Vielleicht ist es ja so, dass man, egal wo es einen im Leben hintreibt, die gehörten Klänge, die gesungenen Lieder, die musizierten Stücke mit sich nimmt. Ein tönendes Gedächtnis, immer präsent.

Isolde Malmberg sitzt in ihrem Golmer Büro und fühlt sich dort genau am richtigen Platz. Hier in Potsdam kann sie das tun, was ihr so sehr am Herzen liegt: Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, die einmal Musik unterrichten werden. Acht Jahre lang hatte sie in Wien selbst an einer Schule gearbeitet, bevor sie an die Universität zurückging, um ihr musikpädagogisches Wissen und all die gesammelten Erfahrungen in neue Lehrmethoden zu gießen.

Sie promovierte über die Projektmethode im Musikunterricht und beschrieb die riesigen Potenziale schülergesteuerter künstlerisch-kreativer Lernprozesse. Gerade bei den Jüngsten komme es darauf an, die Zeit der „Offenohrigkeit“ soweit wie möglich auszudehnen. Die Pädagogin meint damit jene frühen Jahre, in denen die musikalischen Vorlieben noch nicht feststehen und das Kind unbefangen jeden Rhythmus, jede Melodie in sich aufnimmt. Etwa bis zum zehnten Lebensjahr sei das so. Danach bilden sich musikalische Präferenzen heraus und können, Scheuklappen gleich, die Wahrnehmung einengen. Wie aber lässt sich das verhindern?

„Das beste Mittel, die Ohren offen zu halten, ist das Musizieren – mit einem Instrument oder der eigenen Stimme“, sagt Isolde Malmberg, die nach ihrem Weggang aus Wien einige Zeit an der Musikhochschule Rostock Grundschul- und Sonderpädagogik lehrte. Aus Untersuchungen in sogenannten Streicher- und Bläserklassen sei bekannt, dass Kinder, die selbst musizieren, toleranter gegenüber verschiedenen Genres und Stilen bleiben. Es komme darauf an, alle Türen in die Klangwelt zu öffnen, damit man sich später bewusst entscheiden und die ganze Fülle der Musik genießen könne, so die Pädagogin.

Als ausgebildete Mezzosopranistin ist Isolde Malmberg besonders erleichtert, dass an deutschen Schulen inzwischen wieder mehr gesungen wird. Vor allem in Westdeutschland sei dies seit den 1960er Jahren verpönt gewesen. „Die eigene Stimme hat man immer dabei. Jeder kann sie benutzen. Und jeder Mensch kann singen oder singen lernen.“

An das Märchen vom unbegabten Kind mag sie nicht glauben. Oft genug hat sie im Projektunterricht erlebt, wie Einzelne über sich hinauswuchsen, wenn es gelang, ihre Interessen zu berühren und neue Zugänge in die eigene Empfindungswelt zu öffnen. Als Didaktikerin weiß Isolde Malmberg, dass dies kein Zufall ist, sondern eine Frage der Methodik. Hier aber klaffe ein riesiges Loch. Die Musikdidaktik sei „eher Stückwerk“ und das Fach „chronisch unterforscht“, bemerkt die Wissenschaftlerin. Man ahnt, dass sie daran etwas ändern wird.

Auch wenn auf ihrem ersten Potsdamer Jahr der Mantel der Pandemie lastete, so hat sie in der Ausbildung künftiger Lehrkräfte doch schon einiges auf den Weg gebracht: zum Beispiel eine Zukunftswerkstatt zum Musikunterricht in der geplanten Potsdamer Universitätsschule. „Nachdem wir uns darauf geeinigt hatten, dass alles anders werden müsse, sollten die Studierenden zunächst Kritik am eigenen Fach üben“, berichtet die Professorin.

Im nächsten Schritt sollten sie die Kritikpunkte umdrehen und daraus Visionen entwickeln. Viele von ihnen sehen sehr deutlich die Schwachstellen des Musikunterrichts, der oft wenig mit den Interessen der Kinder und Jugendlichen zu tun habe. Für die heterogener werdenden Klassen brauche es zudem Diagnosetools, um zu erkennen, was die Schülerinnen und Schüler bereits wissen und können. Nur so lasse sich mit den richtigen Instrumenten daran anknüpfen, erklärt die Pädagogin.

Eine Idee sei zum Beispiel, mit digitalen Instrumenten zu musizieren oder aber die Möglichkeiten der Virtual und Augmented Reality für die Musikrezeption zu nutzen. „Es kann nicht sein, dass wir uns darum herumdrücken“, sagt die klassisch ausgebildete Sängerin und Pianistin. „Vielmehr kommt es darauf an, es nicht nur technisch zu denken, sondern mit künstlerischem Anspruch.“ Die Universität kooperiere deshalb jetzt verstärkt mit der Kammerakademie Potsdam, die mit virtuellen Konzerten während der Pandemie wichtige Erfahrungen sammeln konnte. Auch auf dem noch wenig bespielten Feld der Neuen Musik erhofft sich Isolde Malmberg viele Inspirationen vom städtischen Klangkörper.

Mit Gleichgesinnten will sie sich für den Lehrberuf stark machen, so auch mit der Berliner Universität der Künste, mit der es einen Runden Tisch gibt. „Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern unterstützen uns“, berichtet die Professorin, die sich auch international engagiert. Bereits in Wien hatte sie den Aufbau des „music education Network“ koordiniert – ein europäisches Netzwerk der Kommunikation und des Wissensmanagements für die musikalische Bildung.

„Es ist so wichtig, sich gegenseitig zu stärken und voneinander zu lernen, denn überall in Europa steht der Musikunterricht unter Druck, wird gekürzt und zurückgedrängt“, mahnt Isolde Malmberg, die seit diesem Jahr auch Präsidentin der European Association for Music in Schools (EAS) ist. Eine Ausnahme, sagt sie, bilden die baltischen Länder, die nicht erst seit ihrer „Singenden Revolution“ dafür bekannt sind, Musik und Singen einen zentralen – auch politischen – Stellenwert zu geben.

In ihren bildungspolitischen Forderungen nimmt die Wissenschaftlerin kein Blatt vor den Mund: Generell müsse der Berufsstand der Lehrkräfte aufgewertet werden. „Sie unterrichten zu viel und erledigen zu viele Nebenaufgaben“, kritisiert sie. Was den Musikunterricht betrifft, so müsse er zeitlich abgesichert und von einer Stunde auf eine Doppelstunde pro Woche erhöht werden. Strukturell sollten die Schulen mit Musikschulen verbunden werden, damit jedes Kind die Chance erhalte, ein Instrument zu spielen. Alle Schulen, vor allem auch die Grundschulen, müssen mit Fachlehrkräften ausgestattet werden, denn „Musik sollte bei jüngeren Kindern sowohl integrativer Bestandteil vieler Fächer als auch eigenständiges Fach sein“, betont Isolde Malmberg. Und natürlich brauche jede Schule einen Chor.

Und zwar nicht als Mittel zum Zweck, für Transfereffekte, um das soziale Miteinander zu fördern, sondern um künstlerische Erfahrungen zu sammeln. „Kunst ist ein Wert an sich. Hier geht es um das Erleben der eigenen ästhetischen Gestaltung von Welt.“ Die Musikerin und Pädagogin sagt das in tiefer Überzeugung und mit einem Grundton in der Stimme, als würde darüber breiteste Einigkeit herrschen. Natürlich weiß sie, dass dies nicht so einfach zu machen ist, aber: „Unmöglichkeiten sind die schönsten Möglichkeiten.“ Das hat sie von Nikolaus Harnoncourt gelernt, mit dem sie das Glück hatte zu arbeiten, damals im Arnold Schoenberg Chor, dem Haus- und Hofchor des Ausnahmedirigenten. Die Wiener Erinnerungen klingen unauslöschlich in ihr nach. Sie hat sie mit nach Potsdam gebracht. Als tönendes Gedächtnis. Immer präsent.

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Künstlerische Erfahrungen sammeln. Isolde Malmberg setzt sich dafür ein, dass der schulischen Musikunterricht aufgewertet wird. Musik sollte bei jüngeren Kindern sowohl integrativer Bestandteil vieler Fächer als auch eigenständiges Fach sein, meint sie. Zudem brauche jede Schule einen Chor.

Nov. 2021 | In Arbeit | Kommentieren