[1] ⇐ Auf Demonstrationen von „Querdenkern“ werden Maßnahmen gegen die Pandemie immer wieder mit dem NS-Terror gleichgesetzt.
Diese Form des Antisemitismus verfestige sich, warnen Fachleute – und fordern Konsequenzen.
Corona-Proteste in Leipzig am vergangenen Wochenende: Die YouTuberin Juni M. läuft mit ihrer Kamera durch die Menge und kommentiert dabei, was sie wahrnimmt. Sie kommt in ein Zwiegespräch mit einer Reporterin eines bekannten TV-Magazins, die Aktivistin behauptet dabei, sie sei von dem Sender ntv. Die Reporterin will das nicht glauben – und fragt nach dem Presseausweis der Frau.
Doch die YouTuberin will erstmal den Presseausweis der Reporterin sehen, den diese dann gerne vorlegt. Daraufhin zieht die YouTuberin ab und schimpft vor sich hin, solche richtigen Presseausweise habe es eigentlich nur im „3. Reich“ gegeben.
Kurzum: Die YouTuberin legt nahe, der heutige Presseausweis sei vergleichbar mit dem NS-Schriftleitergesetz von 1933 [2], mit dem Journalisten ihrer Unabhängigkeit beraubt und zu Dienern des NS-Staates gemacht wurden. Als eine Lehre daraus ist der Zugang zum Journalistenberuf in der Bundesrepublik nicht reguliert. Auch für die Funktion des Redakteurs gibt es keine gesetzlichen Zugangsbeschränkungen.
Presseausweise werden von Berufsverbänden [3], nicht dem Staat, ausgestellt und gewähren bestimmte Privilegien, um die unabhängige Arbeit von Journalistinnen und Reportern zu gewährleisten. Die heutige freie Presse ist somit der Gegenentwurf zu den gleichgeschalteten Medien der NS-Zeit [4].
Das JFDA ist bei zahlreichen Demonstrationen vor Ort und dokumentiert die Geschehnisse. NS-Relativierungen seien bei nahezu allen Akteuren aus dem heterogenen „Querdenken“-Milieu zu beobachten, so das JFDA – sowohl von rechtsextremen und rechtspopulistischen Kreisen als auch „Freien Linken“ sowie alternativ-esoterischen Milieus. „Diese Gleichsetzungen haben sich mittlerweile bei nahezu jeder Kundgebung und Demonstration sowie im Internet verfestigt.“ Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, sagt im Gespräch mit tagesschau.de, dass die verbreitete NS-Verharmlosung im „Querdenken“-Milieu ein „deutliches Zeichen für den Einfluss und die Übernahme der Szene durch Rechtsextremisten“ sei.
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Immer wieder Gleichsetzungen
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Michael Blume, Beauftragter des Landes Baden-Württemberg gegen Antisemitismus, betont, „ein Teil dieses Antisemitismus rührt von israelbezogenem Verschwörungsmythen, wie sie vor allem in linken und migrantischen Milieus gepflegt werden. In bürgerlichen, rechten und esoterischen Kreisen wird zudem der Holocaust kaum mehr wie früher geleugnet, sondern einer angeblichen Rothschild-Weltverschwörung zugeschrieben.“
Antisemitismus als „Welterklärungsmodell“
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Die Amadeu Antonio Stiftung betonte zum Jahrestag der Reichspogromnacht, es bedürfe einer stärkeren öffentlichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus und dessen Funktionsweisen. Es habe nach der Shoah (hebräisch für Holocaust) „zwar zu Recht eine große Beschäftigung damit gegeben, dass Judenfeindlichkeit zu ächten“ sei, sagte die Vorsitzende der Stiftung, Anetta Kahane. Die Gesellschaft beginne jetzt aber erst, sich mit dem tieferen Konzept auseinanderzusetzen.
„Die anhaltende Relativierung der Verfolgung und des Leids von NS-Opfern durch die Instrumentalisierung und den Missbrauch von Symbolen sei „verstörend und zutiefst abstoßend“, meint Thüringens Verfassungsschutzpräsident Kramer. Im Gespräch mit tagesschau.de betont er: „Weder die Meinungsfreiheit noch berechtigte Kritik an politischen Entscheidungen in der Pandemie können dies irgendwie rechtfertigen.“ Kramer fordert eine „einhellige gesellschaftliche Reaktion – nämlich eine wehrhafte Demokratiebewegung von allen Gesellschaftsschichten getragen“
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„Perfide Verhöhnung der Opfer“
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Für die Überlebenden des Holocausts und deren Nachkommen sind die offenen NS-Relativierungen oft unerträglich, das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus teilte dazu mit: „Es schmerzt die jüdische Community, dass die Vernichtung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden in Zeiten des Nationalsozialismus und die Maßnahmen der Bundesregierung zur Pandemiebekämpfung als dasselbe angesehen werden.“ Es sei ist eine perfide Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus.