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wussten Sie, dass ein Maulwurf mit einer Geschwindigkeit von sieben Metern pro Stunde gräbt? Dass er sogar klettern kann? Oder vielleicht, dass sein Fell keinen Strich hat, weshalb er unglaublich wendig ist? |
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Dieses „unter der Erde lebende, Insekten und Regenwürmer fressende Tier mit kurzhaarigem, dichtem Fell, kleinen Augen und kurzen Beinen, von denen die vorderen zwei zum Graben ausgebildet sind“, wie es im Duden beschrieben wird, ist schon faszinierend. Und auch irgendwie putzig. Zumindest wenn man keinen Garten hat, der von einem dieser Exemplare unterwandert und mit diversen Erdhügeln versehen wird. |
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Oder wenn man nicht Bundeskanzler werden will. |
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Nun wird eben dieses Vorhaben von CDU-Noch-Chef Armin Laschetnicht wirklich von einem tierischen „Erdwerfer“ torpediert, wie es der Bedeutung von „Maulwurf“ entspricht. Der Noch-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (Lesen Sie hier ein Portrait seines Nachfolgers) hat es eher mit einem groß gewachsenen Exemplar mit vergleichsweise langen Beinen, großen Augen und wenig Fell zu tun: mit einem Menschen, den man auch Verräter oder Informant nennen kann. |
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Warum so jemand als Maulwurf bezeichnet wird? Mit einer vergleichbaren Lebenserwartung von vielleicht ein bis zwei Jahren hat das wohl nichts zu tun. Mit der körperlichen Verfassung wie schon beschrieben ebenfalls nicht. Stattdessen geht es um die Fähigkeit des Untergrabens, die diese Spezies gemein haben. In der Natur erklärt die sich von selbst. In der Politik zeichnet sie jemanden aus, der zum Beispiel vertrauliche Informationen aus den Sondierungsgesprächen nach draußen gibt, die eigentlich zu einer vertrauensvollen Regierungsbildung in Deutschland führen sollen. |
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So wie das gerade jemand getan hat. |
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Aber fangen wir von vorn an. |
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Der erste Fall: Nach den Sondierungen von FDP und Union gab der Maulwurf gegenüber „Bild“ unter anderem zu Protokoll, dass die FDP-Spitze hinter verschlossenen Türen eine deutliche Ansage an die Union gemacht habe, dass diese jetzt die Grünen „rüberziehen“ müsse in Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis und damit weg von der Ampel. Die will die SPD unbedingt, die Grünen präferieren sie ebenfalls und die FDP möchte sie eigentlich nicht. |
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Die inhaltliche Brisanz der Aussage hält sich in Grenzen. Denn eigentlich ist jedem Beobachter des Treibens in der Hauptstadt klar: Entweder SPD und Grüne ziehen die FDP zur Ampel rüber, oder die Union und FDP die Grünen zu Jamaika. Oder es gibt einen großen Scherbenhaufen namens große Koalition, weil die ersten beiden Szenarien nicht klappen. |
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Bei Twitter, also dem sozialen Netzwerk, das im Vergleich zu Facebook und Instagram vorgestern keinen Zusammenbruch erlitten hat, echauffierte sich FDP-Vize Johannes Vogel dennoch. Er habe an drei Sondierungsgesprächen teilgenommen. Aus zweien höre man nichts, aus einem würden dagegen Informationen durchgestochen. „Das fällt auf, liebe Union – und es nervt!“ |
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Selbst in der Union hielt sich die Freude in Grenzen. CDU-Bildungsministerin von Schleswig-Holstein Karin Prien: „Was für eine charakterlose, miese Nummer.“ |
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Zu dem Zeitpunkt waren drei Sondierungsgespräche absolviert. |
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Der zweite Fall: Gestern Vormittag sondierten dann Grüne und die Union. Auf die Indiskretion nach dem oben beschriebenen Gespräch angesprochen, versuchte Laschet, das Thema Maulwurf unter den Teppich, oder besser, unter die Erde zu kehren. So sagte er gestern: „Ich habe auch etwas gelesen über das Gespräch zwischen der SPD und den Grünen. Das ist nicht gut, wenn es geschieht. Aber wir haben uns mehr mit der Frage beschäftigt: Wie kann man eigentlich diese riesigen Aufgaben, die vor uns liegen, lösen?“ |
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Ein paar Stunden später titelte „Bild“: „DAS besprachen Union und Grüne heute wirklich.“ Der Inhalt: Die Grünen-Spitze habe zum Ausdruck gebracht, dass die Erwartungshaltung in der Partei eine Ampel-Koalition sei. Zudem hätten sich beide Parteien nicht wirklich angenähert bei entscheidenden Themen. Eine brisante Erkenntnis? Nicht wirklich. Eine Indiskretion? Offenbar ja. |
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Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner twitterte gestern Abend entsprechend: „Es gab in den letzten Tagen vier Sondierungsgespräche. Aus zweien liest und hört man nix. Aus zweien werden angebliche Gesprächsinhalte an die Medien durchgestochen. Das fällt auf, liebe Union – und es nervt!“ |
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Dass der Wortlaut ungefähr dem von Vogel entspricht, mag in Anbetracht der plötzlichen Einigkeit der einst verhassten FDP und Grünen witzig anmuten, auch wenn das vermutlich nicht so gemeint ist. Was die Vorgänge in jedem Fall sind: absurd. |
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Es ist nicht übertrieben zu sagen: In Berlin hält ein Maulwurf die Spitzenpolitik in Atem. Im übertragenen Sinne hinterlässt er mal hier ein Erdhäufchen und mal dort. Sodass sich viele der Sondierer mindestens so aufregen wie über die Erdhügel in ihren Gärten. |
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Sie mögen sich nun fragen: Was soll das Brimborium? Nach den vergangenen Bundestagswahlen landeten auch stets Informationen aus Koalitionsgesprächen in der Zeitung oder bei einem Nachrichtenportal. Seit jeher werden Informationen „durchgestochen“. Und früher hielt sich die Aufregung doch auch in Grenzen. |
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Doch diesmal ist einfach vieles anders. Es wird zum ersten Mal ein Dreierbündnis geben (wenn es keinen Scherbenhaufen namens große Koalition geben soll). Und die Teilnehmer der bisherigen Runden haben sich nun mal darauf geeinigt, dass Vertraulichkeit und Verlässlichkeit, wie es Grünen-Chefin Annalena Baerbock immer wieder betont, die künftige Regierung auszeichnen sollen. |
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Schlechtes Wetter, gute Laune: Armin Laschet (vorne links) und Annalena Baerbock (rechts). (Quelle: Kay Nietfeld/dpa) |
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Natürlich gibt es darauf verschiedene Sichtweisen. Aus journalistischer Sicht ist es eine erstrebenswerte und bemerkenswerte Leistung, an vertrauliche Informationen zu kommen, gerade aus den Sondierungsgesprächen. Je tiefer die liegen, desto höher ist die Leistung zu bewerten, sie ausgebuddelt zu haben. Dies überhaupt zu tun ist nicht nur legitim, sondern sogar wichtig. In der Bevölkerung gibt es ein großes Informationsbedürfnis. Es möchte beispielsweise niemand, dass im Hinterzimmer Versprechen der Parteien über Bord geworfen werden, die Sie als Bürgerin oder Bürger womöglich erst dazu gebracht haben, diese zu wählen. |
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Aus Sicht des Maulwurfs geht es darum, seine wahrscheinlich vorwiegend persönlichen Interessen durchzusetzen. Im Fall der Union ist das womöglich ein Scheitern der Gespräche über Jamaika. Um anschließend Laschet in Rente schicken zu können? Um selbst wie Phönix aus der Asche emporsteigen zu können und der neue starke Mann zu werden? Dem Maulwurf muss klar sein, dass er einen Vertrauensbruch begeht, der Folgen haben wird. |
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Aus Sicht der oder des Verratenen ist es mindestens ärgerlich. Im Fall Laschet könnte die Indiskretion den Parteichef endgültig das Kanzleramt und die politische Karriere kosten. Zugegeben: Ein Jamaika-Bündnis ist auch gestern nicht wahrscheinlicher geworden. Erst recht nicht mit Laschet an der Spitze. Aber: Es ist gut möglich, dass die ohnehin genervten Sondierer von Grünen, SPD und FDP nach dieser erneuten Indiskretion vom Verhandlungstisch aufstehen und die Union in die Opposition schicken. Deshalb war die Stimmung bei Laschet gestern Abend auch nicht mehr so gelassen wie zuvor. In Düsseldorf kommentierte auch er: „Es nervt.“ |
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„Wie die Beatles“, scherzte Grünen-Chef Robert Habeck (v. l.) beim Presse-Statement zu viert nach den Sondierungsgesprächen, also mit CDU-Chef Armin Laschet, Grünen-Chefin Annalena Baerbock und CSU-Chef Markus Söder. (Quelle: Michele Tantussi/Reuters) |
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Eine Sicht fehlt hier noch – und das ist vielleicht die Wichtigste. Die von Ihnen und uns als Bürgerinnen und Bürger. Wenn Sie mit Ihrer Chefin oder Ihrem Chef über Ihr Gehalt sprechen, mit einem Psychologen über Probleme, mit Ihrer Bank über Finanzen oder mit Geschäftspartnern über Projekte, anschließend Stillschweigen vereinbaren und dann ein paar Tage später von Nachbarn auf Ihren Kredit, Ihre Sorgen, Ihren Gehaltswunsch oder das Projekt angesprochen werden, fühlt sich das nicht gut an. |
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Und bei der neuen Regierung geht es nicht nur um Ihre Gehaltsvorstellungen und Sorgen, sondern mindestens um die Zukunft von 80 Millionen Bundesbürgern. Und einigen Maulwürfen. Im Erdreich, aber auch in der Politik. |
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