Zwar wurde der Film von NDR und Arte subventioniert, erhielt Filmförderung, lief auf der Berlinale und wurde von der Presse als ein erfrischend inkorrektes Drama freundlich begrüßt.
Aber, er ist in seiner Verkitschung des 11. September als bloßer Kulisse eines romantischen Liebesdramas
(Szenenbild) allenfalls ein Beweis für die Tendenz unserer Gesellschaft, den politischen Islam zu verharmlosen.
Am 11. September jähren sich die vier Fluzeugentführungen und  Anschläge von 19 islamistischen Terroristen der Al Qaida auf das World Trade Center, das Pentagon und der Absturz des United Airlines Flug 93 in Pennsylvania zum 20. Mal. Unmittelbar kamen bei diesen Taten etwa 3000 Menschen ums Leben. Die Welt war danach in der Tat eine andere.

Die US-Regierung begann den „War on Terror“, die Islamisten in aller Welt meinten, der Dschihad führe sie über den Islamischen Staat zum Weltkalifat oder nach Dschanna, ins Paradies.

Termingerecht kommt das deutsch-französisch finanzierte Filmdrama „Die Welt wird eine andere sein“ (internationaler Titel: Die Copilotin) der Regisseurin Anna Zohra Berrached ins Kino. (Filmstart 12. August)

Anna Zohra Berrached wurde 1982 als Tochter eines algerischen Vertragsarbeiters und einer deutschen Mutter in Erfurt geboren, und hat wie im Wikipedia-Eintrag über den Film  zu lesen ist mit ihrer Co-Drehbuchautorin Stefani Misrahi, sowie den Produzenten wie den Schauspielern jahrelang für den Film recherchiert, diskutiert und ihn vorbereitet. Man kann also davon ausgehen, dass alles, was der Film im finalen Cut zeigt, auch seine Botschaft, so und nicht anders gemeint ist.
Angelehnt an die Biographie des Terroristen und Entführers des Fluges 93, wird über einen Zeitraum von fünf Jahren, in fünf Kapitel unterteilt, das Beziehungsdrama zwischen dem reichen Sohn und Zahnmedizinstudenten Saeed aus dem Libanon und der deutsch-türkischen Medizinstudentin Asli erzählt. Die ersten beiden Jahre bzw. Kapitel erzählen vom Beziehungschaos der beiden, das dramaturgisch als comimg-of-age oder Migranten-Pilcher durchgehen könnte , inklusive wiederholter Strandspaziergänge im Gegenlicht.

Vom Studenten zum Salafisten,

Saeed verändert sich – auch äußerlich – verschwindet für längere Zeit im Jemen.Außer jedoch einige irritierenden Bemerkungen, heimlichen Telefonaten und Moscheebesuchen erfahren wir nichts über die salafistische Ideologie, die ihn umtreibt. Ganz so als sei der Salafismus keine Ideologie, sondern – nur – ein schmutziges Hobby. Asli merkt wenig, fragt nicht und verschweigt, was sie weiß, weil sie es ihrem Geliebten versprochen hat. Selbst als sie die Familie Saeeds in Beirut besucht, verrät sie nicht, dass sie weiß, dass Saeed im Jemen ist.

Dieser Film lügt

Der Film gibt vor, dass sich alles so ereignet hat, also authentisch wäre. Kunst aber strebt nach Wahrheit, sucht im besten Fall die Wahrheit hinter der Wahrheit.  Auch wenn sich Dinge, wie zum Beispiel die Imam-Ehe so ereignet haben sollten, wirken sie falsch, weil sie nicht in den Zusammenhang gestellt werden, weil man mangels Information keine Chance hat, sie als Fake zu erkennen. Saeed weiß in dem Moment der Hochzeit schon, dass er sterben wird, er betrügt sein Braut bei dieser Zeremonie, die romantisiert wird wie in einem klassischen westlichen Liebesdrama.
Der Film stellt den scheinbar zwischen Allah und Asli hin- und hergerissenen Saeed als eine Art Lancelot dar, der aus selbstloser Liebe handelt, auch wenn Asli daran ihre berechtigten Zweifel hat. „Ich bin angetreten, einen Film über das menschliche Drama zu machen, das sich entfaltet, wenn man zusehen muss, wie der Mann, den man liebt, zu einem Fremden wird“, schreibt die Regisseurin im Presseheft zum Film. Das ist legitim. Aber wenn das alles ist, hätte sie auch die Geschichte eines Drogendealers oder Spielsüchtigen erzählen können.

Dieser Film leugnet die politische DimensionDieser Film kokettiert mit dem Weltereignis und er hat keine Fallhöhe. Er bezieht seine Berechtigung allein aus unserem historischen Wissen und nicht aus der dramaturgischen  Konstellation selbst.  Die Biographie eines Massenmörders zusammenhanglos als romantisches Beziehungsdrama erzählen, geht genau so wenig wie die Geschichte der RAF oder die eines KZ-Wächters zum Liebesfilm taugt. Warum? Weil es keine Erkenntnis schafft, das Ereignis vor dem das stattfindet, selbst marginalisiert wird und allenfalls als Kulisse dient. Der Hinweis einer Rezensentin, der Film würde das „Politische vom Privaten her “ aufrollen, greift nicht, weil der Film den Terror entpolitisiert, zu einem Kollateralschaden einer Beziehung verniedlicht.

Alberne Poser – zu keiner Selbstreflexion in der Lage

Wer sich mit den Biographien von Terroristen, IS-Kämpfern und sonstigen Gotteskriegern beschäftigt hat, findet ganz andere Persönlichkeitsstrukturen. In den IS-Propaganda-Videos sieht man Rambo-Imitatoren, treten IS-Anführer im Kostüm von Che Guevara oder eben als edle Ritter auf. Tatsächlich sind es in der Mehrzahl Ideologen, hirngewaschene Narzissten. Der Filmcharakter Saeed hingegen erscheint als Projektion romantischer Vorstellungen der Regisseurin. Asli steht da schon eher ungewollt für das den Islamismus  verdrängenden, leugnenden Teil unserer Gesellschaft. Wenigstens ihre Mutter erdet das Märchen.
Der Höhepunkt des Kitsches, der Verklärung von Wirklichkeit in ihr Klischee, ist das fünfte Jahr, das Schlusskapitel, die Zeit kurz vor dem Anschlag im Jahr 2001. Saeed gibt in Florida den Ford Mustang fahrenden Hawaihemd tragenden Playboy mit Pilotenschein, fliegt mit Asli über die Everglades und schreibt, einen Tag bevor er zum Massenmörder wird, einen Liebesbrief an Asli, den sie in der letzten Szene – der Mord ist schon geschehen, auch noch vorliest.

Massenmord als Liebesbeweis. Inschallah!

Schlusswort nach Liebesschwur und Paradiesversprechen: „Die Welt wird eine andere sein.“ Ich habe bisher kein offenbar unfreiwillig eindrücklicheres, weil subtil den Terror und die Salafisten verharmlosenden IS-Film gesehen. Die Filmemacherinnen haben einen Geist aus der Flasche gelassen, den sie nicht beherrschen. Vielleicht bekommt ja das Werk – um böse zu kalauern –  ja auf dem nächsten Filmfestival in Kabul „den goldenen Taliban“.
NDR, Arte und wer immer noch haben insgesamt sechs Millionen Euro in die Produktion investiert. Er erhielt europäische Filmförderung. Er wurde mit dem Deutschen Filmpreis in Silber ausgezeichnet. Es mutet befremdlich an, dass diese Fassung alle Kontroll- und Fördergremien, einschließlich der Berlinale  – die Kunstfreiheit in Rechnung gestellt – widerspruchslos passiert hat. Aber vielleicht ist das auch Absicht, denn es entspricht dem Verhalten, das die offiziellen Stellen an den Tag legen, wenn es um die Bewertung islamistischer Anschläge geht. Auch hier werden die Taten gern entpolitisiert, zu Einzelfällen erklärt, psychische Ausnahmen oder Beziehungsdramen unterstellt, um sich der Auseinandersetzung mit dem politischen Islam nicht zu stellen.

Der Film ist seit dem 12. August zum 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September im Kino.

Aug. 2021 | Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, InfoTicker aktuell, Junge Rundschau, Senioren, Film | Kommentieren