Kaum hat man über ein bestimmtes Produkt gesprochen – schon erscheint eine entsprechende Anzeige bei Instagram. Viele Nutzer befürchten, von Facebook belauscht zu werden. Was dahintersteckt.

Ein Smartphone in einer Handtasche: Wo immer wir sind, ist meist auch ein Mikrofon

Ein Smartphone in einer Handtasche: Wo immer wir sind, ist meist auch ein Mikrofon Foto: Getty Images/iStockphoto

Es ist eine der häufigsten Fragen, die Digitaljournalistinnen und -journalisten zu hören bekommen: »Hört Facebook uns eigentlich ab?« Es handelt sich bei den besorgten Fragestellern keineswegs um digital unbedarfte Menschen. Selbst Internetprofis fragen sich mitunter: Wie weit kann man Facebook, der Werbung, wie weit kann man dem Internet allgemein noch trauen?

Die Geschichten ähneln sich. Eine Kollegin aus Hamburg berichtet: »Ich habe mit meinem Sohn über Lego-Steine gesprochen, und eine Stunde später sehe ich auf Instagram Werbung für das Lego House in Dänemark.« Wie das Facebook-Tochterunternehmen darauf kommt, ausgerechnet diese Werbung auszuspielen, ist ihr unklar. Ihr Sohn hat keinen eigenen Internetzugang, sie kann sich auch nicht daran erinnern, jemals auf einer Website von Lego gewesen zu sein. Viele persönliche Daten hat sie Instagram auch nie anvertraut. Aber das iPhone lag daneben, als sich die Familie über die Spielzeugbausteine unterhielt. Hat Facebook etwa gelauscht?

Im Gespräch ergeben sich aber schnell Erklärungen, wie die Werbung zustande gekommen sein könnte. So hatte die Kollegin bei Ebay Kleinanzeigen nach Legosteinen gesucht – und auf der Plattform sind Facebook-Cookies eingebunden. Die Familie hat im vergangenen Jahr einen Ausflug nach Dänemark gemacht, ist also die Zielgruppe für dänische Touristenattraktionen. Und natürlich kann Lego die Werbung an so viele Haushalte wie möglich im Einzugsbereich geschickt haben – Billund ist schließlich nur drei Autostunden von Hamburg entfernt. Gerade noch richtig für einen Wochenendausflug.
Vom Grillabend zur Instagram-Werbung

Ein anderer Fall: Ein Hamburger Mitarbeiter eines Online-Unternehmens ist fest davon überzeugt, dass Facebook mehr als nur seine Internetaktivitäten auswertet, um Werbung auszuspielen. Auf einem Grillabend mit neuen Freunden spricht er über die Playstation 5, die er gerade über einen privaten Kontakt bestellt hat. Sein Gastgeber erzählt vom Zubehör, das er gekauft hat: ein Lenkrad, um Autorennspiele auf der Konsole zu spielen.

Als der Hamburger am Abend die Instagram-App öffnet, sieht er sofort die Werbung der Elektronikmarktkette MediaMarkt, die exakt für das Lenkrad wirbt, über das er eben noch gesprochen hat. Auch er hat den Verdacht: Facebook hat ihn abgehört.
Eigentlich ist klar: Facebook hört nicht ab

Obwohl Onlinewerbung mittlerweile zur Lebensrealität fast aller Deutschen gehört, haben nur wenige eine konkrete Vorstellung davon, wie sie funktioniert. Aber das abgehörte Handy ist ein Mythos, wie es bereits zahlreiche Medien geschrieben haben. Die wichtigsten Punkte:

Aus persönlichen Gesprächen verwertbare Informationen zu extrahieren, wäre zwar technisch möglich, würde aber viel Rechenkraft benötigen. Würde Facebook wirklich routinemäßig Gespräche abhören, würde dies schnell zu leer gesaugten Handyakkus führen.

Die Apps von Facebook gehören zu den am meisten untersuchten Apps überhaupt. Hier eine Abhörfunktion zu verstecken, die ständig Informationen von Hunderten von Millionen Smartphones an die Facebook-Zentrale sendet, erscheint unter heutigen Bedingungen unrealistisch.

Apple liefert sich bereits seit einem Jahr einen öffentlichen Streit mit Facebook über die Datenerfassung auf iPhones und anderen Geräten. Mögen Firmen mit ausgefeilten und geheimen Überwachungsprogrammen wie Pegasus zeitweise an den Sicherheitsmechanismen von Apple vorbeikommen, steht Facebook diese Option nicht zur Verfügung.

Zudem hat Facebook bereits mehr als genug Daten über das Leben seiner Nutzerinnen und Nutzer. Zum einen hat der Konzern natürlich einen vollen Überblick über die Aktivitäten auf der eigenen Plattform: Gehört man einer Fahrradfahrer-Gruppe oder einem BMW-Fanclub an? Wo wohnt man? Wie alt ist man? Wie viel verdient man wohl pro Monat? Die Facebook-App erfasst zudem, von wo die Nutzerinnen und Nutzer ihre Updates posten, wohin sie in Urlaub fahren.

Darüber hinaus folgt Facebook ihnen auch bei ihren Streifzügen durch das Web. Wer einen Link auf Facebook anklickt, bemerkt vielleicht in der Adresszeile des Browsers kryptische Codes wie »fbclid=lwARjahdastgd8iaw1hasdkjggskd58t«. Auf diese Art werden Daten der Facebook-Welt mit der Welt außerhalb von Facebook ausgetauscht: Durch welche Anzeige gelangte ein Käufer auf eine Webseite? Welcher Facebook-User klickt sich durch eine Nachrichtenseite? Wer in die Cookie-Dialoge auf kommerziellen Websites und Apps guckt, wird eher wenige finden, die nicht auf irgendeiner Weise Facebook Daten zuliefern.

Was heißt eigentlich »abhören«?

Zudem dementiert Facebook die Abhör-Gerüchte. Wieder und wieder. Auf Anfrage des SPIEGEL stellt ein Sprecher noch einmal klar: »Das Handymikrofon wird von Facebook nicht genutzt, um Werbung oder Beiträge im News Feed in irgendeiner Weise zu beeinflussen.« Wenn Nutzerinnen und Nutzer ein Video mit Ton aufnähmen, müsse die App aber natürlich auf das Mikrofon zugreifen.
Anzeige

Gleichzeitig macht der Facebook-Sprecher darauf aufmerksam, dass man zwar viele verschiedene Methoden anbietet, die richtige Zielgruppe zu adressieren, platziert wird die Buchung aber von den Werbetreibenden. Zum Beispiel bietet der Social-Media-Konzern Großkunden an, ihre eigene Kundenkartei hochzuladen, um ihre Werbung zielgenau zu platzieren. Facebook bietet auch an, den bestehenden Kundenkreis zu analysieren und eine maßgeschneiderte Zielgruppe zusammenzustellen.

Als vertrauensbildende Maßnahme hat Facebook bereits vor Jahren einige Informationen zur Werbeausspielung bereitgestellt. In den Werbeeinstellungen können Nutzerinnen und Nutzer haarklein nachlesen, welche Firmen ihnen zuletzt Werbung angezeigt haben und welche Werbung sie selbst angeklickt haben. Doch wirklich schlau wird man daraus nicht.

Selbst der Menüpunkt »Warum sehe ich diese Werbeanzeige«, der für jede Facebook-Werbung abgerufen werden kann, verrät selten mehr, als dass Menschen einer bestimmten Altersgruppe in einem bestimmten Gebiet angesprochen werden sollen. Nur im Wahlkampf ist der Konzern etwas auskunftsfreudiger. Doch wie genau Werbekunden ihre Anzeigen platzieren, erfahren Nutzerinnen und Nutzer nicht.

Auf eine Nachfrage bei der Elektronikhandelskette MediaMarktSaturn, die die Lenkrad-Werbung ausgespielt hatte, kommt ein ebenso klares Dementi wie bei Facebook: Auch hier ist kein geheimes Abhörprogramm im Gange. Zum einen hat die Firma dazu nicht die Möglichkeit, zum anderen sei dies auch überhaupt nicht notwendig: »Targeting ist für uns kein Selbstzweck«, erklärt eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage.

Die ohnehin bei Facebook vorhandenen Daten reichten aus, Werbungen gezielt auszuspielen. »Für uns als werbungtreibendes Unternehmen ist es mittlerweile wesentlich einfacher geworden, eine Zielgruppe passgenau ansprechen zu können«, sagt die Sprecherin.

Konkret funktioniert das so: In vielen Fällen werden die Anzeigen gar nicht mehr vorgefertigt. Stattdessen stellt die Anzeigenabteilung eine Liste von Geräten zusammen, die derzeit angepriesen werden sollen. Finden die Algorithmen einen Facebook-Nutzer mit Interesse an Drohnen, wird eine Anzeige für Drohnen ausgespielt. Das Bild für die Werbung ziehen sich die Algorithmen direkt aus dem Produktkatalog. Wer sich für die Playstation oder Spiele allgemein interessiert, bekommt ein Angebot für die Playstation. Oder, wenn die Konsole nicht lieferbar ist, kommt Werbung für ein Zubehör. Zum Beispiel für ein Lenkrad.
Etwas versteckt in den Einstellungen finden Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer ihre mutmaßlichen Interessen

Etwas versteckt in den Einstellungen finden Facebook-Nutzer ihre mutmaßlichen Interessen

Tatsächlich ergibt ein Blick in das Instagram-Werbeprofil des Hamburger IT-Angestellten, dass er von Facebook als Playstation-Nutzer erkannt wurde. Insofern ist die mysteriöse Anzeige für die Elektronik-Fachkette nur tägliches Geschäft: eine Werbeausspielung, die überdurchschnittlich gut funktioniert hat. Dass dies bei Weitem nicht immer der Fall ist, können Facebook-Nutzerinnen und Nutzer tagtäglich sehen, wenn sie tatsächlich auf die eingeblendeten Anzeigen achten und dabei feststellen, dass vieles im Moment völlig irrelevant für sie ist.

Dennoch zeigt sich der Hamburger Playstation-Fan nicht überzeugt. Dass die Werbung einfach nur erscheint, weil er sich für die Spielekonsole interessiert, wie es auch in seinem Facebook-Interessenprofil steht? »Nein, der Zufall wäre mir einfach zu brutal«, sagt der 30-Jährige. Zudem passiere ihm so etwas immer wieder. Statt nun jede einzelne Datenschutzerklärung zu lesen und seine Datenschutzeinstellungen zusammenzustreichen, will er nun einen klaren Schnitt machen und die Instagram-App löschen.

Aug. 2021 | In Arbeit | Kommentieren