Im «Album» dreht sich alles um die Frau: als Kind, Mädchen und Erwachsene. Männer sind nur in einer Ausstellung zu sehen, in welcher sie sich um ein Frauenporträt scharen, das sie mit Stolz betrachten. Andrea Garbalds Hommage ans weibliche Geschlecht hat wohl mit seiner engen Beziehung zur Mutter zu tun. Abgesehen von einer Lehre am Fotografischen Laboratorium des Eidgenössischen Polytechnikums Zürich (der späteren ETH) und einem kurzen Praktikum beim Porträtfotografen Rudolf Ganz blieb er seiner Heimat treu.
Zum Familiennachlass der Familie Garbald gehört neben der Semper-Villa auch das kulturelle Vermächtnis der Familie Garbald: Das schriftstellerische Werk von Mutter Johanna Garbald-Gredig alias Silvia Andrea, wie ihr dichterisches Pseudonym lautete, das fotografische Werk von Sohn Andrea Garbald, die beachtliche Familienbibliothek, die das Ehepaar und später seine Nachkommen in vielen Jahren zusammengetragen haben, sowie die auf der gegenüberliegenden Talseite von Castasegna liegende, spätmittelalterliche Hausruine Casnac. Der Stiftungsrat der Fondazione Garbald hat in den letzten Jahren das kulturell reiche Erbe der Familie für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht – und da befinden wir uns auch mit unserer Auswahl (Alle Fotos aus dem Buch © Fondazione Garbald):
Die Kunstpublikation Andrea Garbald, Album, die Einblick in eine Auswahl eindrücklicher Frauenportraits des Bündner Fotopioniers gibt und eine Hommage an die Frauen des Bergells ist:


Auch wenn Andrea Garbald (1877–1958) vieles von Alberto Giacometti, einem Weggenossen aus dem Bergell, unterschied – in einem Punkt waren sie sich ähnlich: in der Bewunderung für ihre Mutter.
Das berühmte Foto (rechts), das die Giacometti-Familie vereint zeigt, stammt übrigens von Andrea Garbald.
Dies und vieles mehr gilt es der Vergessenheit zu entreissen und den Einzelgänger Andrea Garbald als einen Fotokünstler (wieder) zu entdecken, der die porträtierten Frauen würdevoll zur Darstellung bringt. (Daten dazu am Ende)

Sie stammen aus Castasegna beziehungsweise dem Bergell. Ausser seiner Mutter (Bild oben) und seiner Schwester sind die Frauen nicht bekannt. Das «Album» liefert so eine kleine Kulturgeschichte des Tals anhand von Gesichtern, die Geschichten erzählen: stumm, aber beredt.




Wie aus der Zeit gefallen schauen sie uns an und zeigen, was ist, und nicht, was sein soll. Das Zeitalter der Inszenierung von allem und jedem ist noch nicht angebrochen. Die Fotos sprechen darum eine andere Sprache, als es Selfies heute tun.
Freude und Trauer suchen sich keine vorgefertigten Images, um möglichst gut rüberzukommen. Die Anmut und die Armut der Aufnahmen liegt in dem, was vorhanden ist: Die reine Präsenz macht die Porträts von Garbald so faszinierend.

Andrea Garbald: Album
Herausgegeben von Stephan Kunz
Verlag Scheidgger & Spiess
180 Seiten, ca. 35 Fr.