Es war ein flammendes feministisches Plädoyer, das Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt Sonntagabend in der „Berliner Runde“ der ARD zur Verteidigung von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hielt. Auf die „einzige Frau im Rennen“ werde „draufgehauen“, viele Vorwürfe seien „weit unter der Gürtellinie“. Seit Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin ist, wird sie misogyn beleidigt. Mit ihrer Verteidigung aber machen es sich die Grünen zu leicht. Das sei „absurd und unterirdisch“ und entmutige andere Frauen, überhaupt in die Politik gehen zu wollen. Die eigentliche Frage nach Ungenauigkeiten in Baerbocks Lebenslauf war damit vom Tisch – und die Grünen machen es sich so etwas zu leicht.

Wohl wahr, im Umgang mit Baerbock gibt es Dinge, die so eindeutig frauenfeindlich sind, dass man darüber nicht diskutieren muss. Etwa, wenn unter gefälschten Nacktfotos von ihr hunderte misogyne Kommentare stehen. Auch, dass Baerbock in Gegensatz zu ihren männlichen Mitstreitern und Vorgängern in jedem Interview nach ihren Kindern gefragt wird, ist auffällig. Es gibt aber auch berechtigte Kritik, die eine Kanzlerkandidatin im Wahlkampf aushalten muss.

Daran, dass sie Sonderzahlungen ihrer Partei von 25.000 Euro zunächst nicht wie vorgeschrieben dem Bundestag meldete, etwa. Auch, dass der offizielle Lebenslauf auf ihrer Webseite inzwischen mehrmals geändert wurde, ist von öffentlichem Interesse. Dabei ging es um ungenau angegebene Studienabschlüsse, zuletzt recherchierte die „FAZ“, dass mehrere angegebene Vereinsmitgliedschaften so nicht stimmen, eine Tätigkeit als Büroleiterin soll gestrichen worden sein.

Das mag kleinteilig sein, doch ist es zumindest überraschend, dass Baerbock und ihr Team ihren Lebenslauf nicht gründlich auf jegliche Ungenauigkeiten überprüft haben.

Sexistische Stereotype vermengen sich mit legitimen Fragen

Zwischen diesen beiden Polen gibt es Fälle, die ambivalenter sind, weil sie berechtigte Fragen mit sexistischen Stereotypen vermischen: Rabenmutter, Hochstaplerin, Quotenfrau. Es hat Tradition, die intellektuellen Fähigkeiten und Errungenschaften von Frauen in mächtigen Positionen zu hinterfragen. Studien zeigen, dass Frauen das auch selbst verinnerlicht haben: Frauen in Führungspositionen fühlen sich oft als Hochstapler*Innen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post ist offener. Er schreibt auf Twitter: „Wenn sie zu dumm ist, einen Lebenslauf richtig zu schreiben, dann …“

Fehlt Baerbock die „Fronterfahrung“?

Und ist es vielleicht doch sexistisch, wenn in der „NZZ“ steht, Baerbock fehle „Stamina“, Ausdauer? Eindeutiger auf das Geschlecht bezieht sich Gabor Steingart, der von Baerbock als „Prinzessin“ schreibt, die ihrem Aufstieg dem „stillen, gleichwohl fleißig und charmant betriebenen Beziehungsaufbau“ verdanke. Ihr fehle die „Fronterfahrung“.

Andere Aussagen fallen schlicht in die Kategorie Trollerei. Etwa wenn Hans- Georg Maaßen auf Twitter mutmaßt, ob die Anfangsbuchstaben von Baerbocks Vor- und Nachnamen, ACAB, nicht für „All Cops are Bastards“ stehen könnten. Explizit misogyn ist das nicht, allerdings vollkommen absurd. Letztlich ist die schiere Masse an Reaktionen und Kommentaren sicher auch damit zu begründen, dass es sich bei Annalena Baerbock um eine bisher für Deutschland ungewöhnliche Kanzlerkandidatin handelt: jung, weiblich, attraktiv, Mutter.

Taktik, um unangenehme Fragen abzuwehren

Die Grünen tun sich dennoch keinen Gefallen damit, all das zusammenzuschmeißen und als frauenfeindlich abzustempeln. Im Gegenteil: Wenn jede berechtigte Kritik damit abgewiesen wird, dass Baerbock die „einzige Frau im Rennen“ ist, stellt sich die Frage, ob ihre Aufstellung genau aus diesem Grund erfolgt ist – als Taktik, um unangenehme Nachfragen abwehren zu können.
Es ist wichtig – und richtig – frauenfeindliche Hetze zu bekämpfen und misogyne Muster in Vorwürfen aufzudecken. Gleichzeitig aber sollten die Grünen legitime Kritik an ihrer Kanzlerkandidatin ernst nehmen und darauf eingehen – wäre es auch nur im Sinne der Gleichberechtigung.

Juni 2021 | Allgemein | Kommentieren